Broschüre Teil 2 herunterladen - Geschichtswerkstatt Europa
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39<br />
NICHT VERGESSEN, ABER VERGEBEN?<br />
(ANSTELLE EINES EPILOGS)<br />
Robert Latypow<br />
Als ich meine Recherchereise nach<br />
Polen antrat, um Interviews mit polnischen<br />
Zeitzeugen zu führen, die unter Stalin<br />
deportiert worden waren, war ich darauf<br />
gefasst, dass diese ganz unterschiedlich<br />
auf mich und mein Vorhaben reagieren<br />
könnten. Ich konnte mir vorstellen, dass<br />
man mich mit offenen Armen empfangen<br />
und mein Anliegen unterstützen würde,<br />
aber auch, dass mir Unverständnis und<br />
sogar Ablehnung entgegengebracht würde.<br />
Schließlich bin ich russischer Staatsbürger.<br />
Eine ablehnende Haltung seitens der<br />
Interviewpartner hatte ich vor allem auch<br />
deshalb erwartet, weil ich es in Russland<br />
oft genug erlebt habe, dass dort alles, was<br />
mit dem Themenkomplex Repression und<br />
Verbrechen zu Zeiten Stalins verbunden<br />
ist, bis heute sehr scharfe und zumeist<br />
ablehnende Reaktionen hervorruft. Weder<br />
die staatliche Politik noch die Mehrheit der<br />
Bevölkerung hält eine Aufarbeitung der<br />
Vergangenheit für notwendig. Eine solche<br />
Sicht muss wiederum für unsere westlichen<br />
Nachbarstaaten, deren Bürger die traurige<br />
Erfahrung des erzwungen “erfolgreichen<br />
Aufbaus des Sozialismus“ machen mussten,<br />
einer Beleidigung gleichkommen. Daher<br />
ist es für mich sehr nachzuvollziehen, dass<br />
es in Polen Irritationen hervorruft, wenn in<br />
Russland die Gewalt- und Terrormaßnahmen<br />
der Stalin-Zeit heutzutage verschwiegen<br />
oder diese mit den ”selbstverständlichen<br />
Schwierigkeiten jener Periode“<br />
gerechtfertigt werden. Das gilt auch für die<br />
Beobachtung, dass im heutigen Russland<br />
die Verantwortung für die stalinistischen<br />
Repressionen einzig und allein den untersten<br />
Rängen der Geheimdienstmitarbeiter<br />
zugeschoben werden, während Stalin, der<br />
diese Unterdrückung persönlich veranlasst<br />
hat, weiterhin als “großer Heerführer“ und<br />
“effektiver Manager“ inszeniert wird.<br />
Die Irritation der polnischen Bevölkerung<br />
konnte ich seit längerer Zeit verspüren. Vor<br />
allem ging es dabei um den Massenmord<br />
<br />
<br />
der lange Zeit von der sowjetischen Führung<br />
der deutschen Wehrmacht angelastet<br />
wurde. Die Art und Weise, wie im heutigen<br />
Russland selbst auf höchster Ebene die<br />
von Historikern bereits belegten Fakten<br />
nicht anerkannt werden wollten sowie die<br />
damit verbundenen äußerst befremdlichen<br />
Eingriffe in die Wirtschaft (Einfuhrverbot<br />
von polnischem Fleisch) sowie in die Kultur<br />
<br />
des Filmes von Andrzej Wajda), konnten<br />
daher keine andere Reaktion als Irritation<br />
hervorrufen.<br />
Bis zum Flugzeugabsturz in Smolensk<br />
hatte man in den russischen Medien immer<br />
wieder ganz gerne von einer antirussischen<br />
Einstellung in Polen gesprochen. Fast<br />
wöchentlich erschienen daher scharfe<br />
Polemiken gegen polnische Politiker und<br />
bissige Kommentare von Journalisten und<br />
Der Spazierhof im<br />
Lagerteil – ein Beispiel<br />
für die schwierigen<br />
Haftbedingungen.<br />
Heute: Museum<br />
«Perm-36».