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Bildungspolitik<br />
Menschenbildung neu gedacht<br />
Auf dem Weg zu einer Schule der emotionalen Bildung<br />
- Von Rolf Arnold -<br />
„Dein Inneres funktioniert wie ein Projektor.<br />
Die anderen werden zur Leinwand, auf der du<br />
Filme siehst, die in Wirklichkeit deine eigenen sind“<br />
(Osho 2000, S. 81)<br />
Wenn es - wie die bildungs- und<br />
curriculumtheoretischen Begründungen<br />
übereinstimmend fordern -<br />
die Aufgabe von Bildung und Erziehung<br />
ist, die Menschen auf spätere<br />
Lebens- und Verwendungssituationen<br />
vorzubereiten, dann stellt sich<br />
die Frage, ob und inwieweit dazu<br />
nicht heute auch eine antizipatorische<br />
emotionale Bildung bzw.<br />
Selbstreflexion zählen muss. Längst<br />
schon haben sich auch die neueren<br />
psychotherapeutischen Ansätze aus<br />
der Marginalität „klinischer“ Behandlungsfälle<br />
befreit und sich als<br />
vielfach hilfreiche Strategien zur<br />
Befreiung aus den Verstrickungen<br />
und Projektionen eines unbewussten<br />
Lebens und zur Entwicklung einer<br />
emotionalen Kompetenz erwiesen.<br />
In der Regel sind drei Fähigkeiten<br />
gemeint, wenn in der neueren pädagogischen<br />
Literatur von emotionaler<br />
Kompetenz gesprochen wird:<br />
„Die Fähigkeit, die eigenen Gefühle<br />
zu verstehen, die Fähigkeit, anderen<br />
zuzuhören und sich in deren<br />
Gefühle hineinzuversetzen, und die<br />
Fähigkeit, Gefühle sinnvoll zum<br />
Ausdruck zu bringen“ (Steiner 1987,<br />
S. 21).<br />
Der Weg zur emotionalen Kompetenz<br />
ist ein Weg vom unbewussten<br />
zum bewussten Leben. Er verläuft -<br />
wie man seit Sigmund Freud in Ansätzen<br />
begonnen hat zu begreifen -<br />
über die reflexive Erkenntnis eigener<br />
Deutungs- und Emotionsmuster<br />
sowie unbewusster Projektionen.<br />
Diese sind in der Regel tief in den<br />
Kindheitstraumata unseres eigenen<br />
Entwicklungsprozesses verwurzelt,<br />
repräsentieren nicht selten ungelöste<br />
primäre Beziehungskonflikte und<br />
„müssen“ quasi so lange zur Reinszenierung<br />
ähnlicher Situationen<br />
„herhalten“, bis es dem Subjekt gelungen<br />
ist, sich aus ihnen durch Erkenntnis<br />
und emotionale Überwindung<br />
zu befreien. Den wenigsten<br />
gelingt diese transformative Befreiung<br />
jedoch ohne fremde Hilfe. Sie<br />
leben ihr Leben lang in co-abhängigen<br />
Konstellationen (Beziehungen<br />
im Privat- und Arbeitsbereich), die<br />
durch die unbewusste Absprache<br />
gekennzeichnet sind, „(...) im Drama<br />
des anderen mitzuspielen“ (Hendricks/Hendricks<br />
1992, S. 26). Die<br />
amerikanischen Psychotherapeuten<br />
Gay und Kathlyn Hendricks schreiben<br />
dazu:<br />
„Eine unbewusste Abmachung wird<br />
getroffen: wenn du mich nicht dazu<br />
bringst, meine selbstzerstörerischen<br />
Muster zu ändern, bringe ich dich<br />
nicht dazu, deine zu ändern. Wenn<br />
du mich meine Kindheitsthemen auf<br />
dich projizieren lässt, will ich das Ziel<br />
für deine Projektionen sein. Das Problem<br />
ist nur, dass Co-Abhängigkeit<br />
so bedrückend ist, dass die Leute<br />
anfangen, sich zu beklagen, kaum<br />
dass das Drama losgeht. An diesem<br />
Punkt beginnen wir dem anderen<br />
Menschen die Schuld an unseren<br />
Schwierigkeiten zu geben“ (ebd.).<br />
Erst wenn diese Co-Abhängigkeiten<br />
unerträglich werden, begeben sich<br />
Menschen in therapeutische Selbstklärungsprozesse,<br />
die allermeisten<br />
jedoch „“regeln“ ihre Konflikte auf<br />
der unbewussten Ebene durch Vorwurf,<br />
Trennung, Fluchtverhalten<br />
oder Revanche, wobei ihnen oft tragischerweise<br />
ein Leben lang verborgen<br />
bleibt, dass sie immer wieder in<br />
Situationen geraten, in denen sie<br />
„(...) anderen Menschen etwas unterstellen,<br />
das tatsächlich auf einer<br />
unbewussten Ebene in ihnen selbst<br />
abläuft“ (ebd., S. 32), oder: „Mit<br />
anderen Worten, sie fangen an, anderen<br />
Leuten Dinge zu unterstellen,<br />
die in Wirklichkeit ihre eigenen Probleme<br />
sind“ (ebd., S. 57). Immer<br />
wieder geraten die solchermaßen<br />
unbewusst lebenden Menschen vornehmlich<br />
in ihren Intimbeziehungen<br />
in gleiche oder ähnliche Schwierigkeiten,<br />
und auch ihr Verhältnis zu<br />
Vorgesetzten und Untergebenen ist<br />
durch die immer gleichen Muster<br />
gekennzeichnet. Oft ist das Verhalten<br />
dieser Menschen von „immerwachem<br />
Misstrauen“, „krankhafter<br />
Eigenbezüglichkeit“ sowie „wahnhaften<br />
Einbildungen“ und „Wahrnehmungstäuschungen“<br />
geprägt,<br />
„(...) bei denen man dann innen und<br />
außen tatsächlich verwechselt, ohne<br />
dass die Verwechslung als „solche<br />
erkannt wird, weil man nun seine<br />
Projektionen für die Wirklichkeit<br />
hält“ (Riemann 1998, S. 22).<br />
Da gibt es den Hochschullehrer, der<br />
seine Kollegen aggressiv-abfällig und<br />
seine Studenten arrogant-abwertend<br />
behandelt, weil er - selbst über den<br />
zweiten Bildungsweg kommend -<br />
immer noch in einer übersteigerten<br />
Leistungs- und Anerkennungsarbeit<br />
verstrickt ist, die ihn außerstande<br />
setzt, seiner Umgebung adäquat zu<br />
begegnen. Oder da ist die Frau, die<br />
sich immer wieder unerreichbaren<br />
Männern zuwendet, bis ihr - in einer<br />
in vielfacher Hinsicht „zu späten“<br />
Therapie „aufgeht“, dass diese<br />
Situationen auch selbstinszenierte<br />
Anteile enthalten, da sie durch den<br />
frühen Weggang des eigenen Vaters<br />
„gelernt“ hat, dass geliebte Männer<br />
eben nicht bleiben (können). Oder<br />
da ist schließlich der Lehrer, der sich<br />
in seiner Klasse immer wieder verzweifelt<br />
aber wirkungslos um Autorität<br />
bemüht, und damit aber auch<br />
permanent reinszeniert, was er in<br />
seiner familiären Geschwisterkonstellation<br />
hat „hinnehmen“ müssen:<br />
Dass es auf ihn und seine Vorschläge<br />
letztlich nicht ankommt, da er<br />
sich „noch nie“ hat durchsetzen können.<br />
Die Gegenüber reagieren in<br />
solchen - oder ähnlichen - Situationen<br />
i.d.R. irritiert; häufig werden<br />
16 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 10/ 00