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Rechte Gewalt<br />

Paul Schwarz erkundet in zwei Reportagen Hintergründe<br />

rechtsextremer Gewalt bei Jugendlichen.<br />

über sie reden, wie es die Politiker<br />

und Medien heute oft tun, sondern<br />

mit ihnen. Das sind z.T. arme<br />

Schweine, die da mitmarschieren,<br />

oft orientierungs- und arbeitslos“.<br />

Und so schlecht seien die meisten<br />

seiner Erfahrung nach auch nicht,<br />

wie sie jetzt gemacht würden, rührt<br />

sich Mitgefühl für seine ehemaligen<br />

Freunde. Vorurteile verschwinden<br />

offensichtlich in dem Maße, wie sie<br />

im persönlichen Zusammenleben<br />

wie in einer Wohngruppe oder in<br />

einer Fußballmannschaft überprüft<br />

werden können. „Man hat nur Vorurteile“,<br />

fasst Sven zusammen,<br />

„wenn man sich nicht kennt.“<br />

Fast alle in dieser katholischen Einrichtung<br />

können üble Geschichten<br />

erzählen, Geschichten von Hass und<br />

Gewalt, Familien- und Schultragödien,<br />

Geschichten von bösen Stiefvätern<br />

und betrunkenen Müttern.<br />

Fast alle hier wurden herumgeschubst,<br />

verprügelt, bekamen nur<br />

wenig Liebe. Der eine schlug seine<br />

Lehrer, der andere knackte Autos<br />

und Automaten, der dritte verweigerte<br />

die Schule und nahm Drogen,<br />

der vierte brach in Geschäfte ein, der<br />

fünfte schlug alles kurz und klein.<br />

Das Heim beherbergt zur Zeit 90<br />

Jugendliche aus ganz Deutschland,<br />

weit weg von Zuhause. Wer hier landet,<br />

stand am Beginn einer kriminellen<br />

Karriere und ist bereits mit<br />

dem Gesetz in Konflikt geraten.<br />

Doch für Fabian, Dirk, Manfred,<br />

Stefan, Ricci und Michael, Svens 17<br />

und 18jährige Kollegen aus dem<br />

Haus 7 ist Ausländerfeindlichkeit<br />

kein Thema. „Das sind doch Menschen<br />

wie du und ich, was sollte ich<br />

gegen sie haben“, meint Ricci neben<br />

seinem farbigen Zimmernachbarn<br />

Fabian.“ Man muss miteinander reden,<br />

Vertrauen auf- und Gewalt abbauen“,<br />

empfiehlt Dembo mit Blick<br />

auf Sven.<br />

Besonders gut scheint sich<br />

Dembo mit Skins zu verstehen<br />

...<br />

Ein Schwarzafrikaner hilft, weiße<br />

Jugendliche zu erziehen, hilft mit,<br />

jungen Deutschen wieder einen Lebenssinn<br />

zu geben. „Mit Kopfschmerzen“<br />

habe man Herrn Krubally<br />

eingestellt, sagt Direktor Erhard<br />

Ries. Denn Dembo ist Mohammedaner.<br />

Der für das Erziehungsheim<br />

zuständige Bischof musste über einige<br />

Schatten und kirchliche Richtlinien<br />

springen. Zudem ein schwarzer<br />

Ausländer in diesen Zeiten, bei<br />

diesen Jugendlichen? Überzeugt war<br />

man erst, als man Dembo Krubally<br />

in einem zweiwöchigen Praktikum<br />

erlebte, sah, wie gut er mit den Azubis<br />

zurechtkam und diese mit ihm.<br />

Heute spricht Ries von einem „Phänomen“.<br />

Dembo scheut sich nicht,<br />

sich offen zum Islam zu bekennen<br />

und auch in seinem Büro seine Tagesgebete<br />

zu verrichten. Das wird<br />

respektiert, macht Eindruck bei Jugendlichen,<br />

die mit Religion, Gott<br />

und Frömmigkeit wenig am Hut<br />

haben und höchstens in die Kirche<br />

gehen, „wenn es dort Freibier gibt“.<br />

„Geeignete Maßnahmen zur Erziehung“,<br />

so der Terminus der Jugendämter,<br />

sollen die Jugendlichen wieder<br />

auf den rechten Weg zurückbringen.<br />

Sie wohnen allein oder zu zweit<br />

auf einem Zimmer und lernen Lakkierer,<br />

Maler, Schreiner. Kfz-Mechaniker<br />

oder Maurer wie Sven. Die<br />

Ahnung, das eigene Leben nicht<br />

meistern zu können, keine Perspektive<br />

zu haben, können bei diesen Jugendlichen<br />

zu massiver Verunsicherung,<br />

zu Minderwertigkeitsgefühlen<br />

und Aggressionen führen. Noch vor<br />

einigen Jahren wurden in manchen<br />

Wohngruppen die eigenen Selbstzweifel<br />

auf alle projiziert, die auf der<br />

sozialen Leiter scheinbar noch tiefer<br />

stehen, die „schuld sind an allem<br />

Übel“. Zum Beispiel die AusländerInnen.<br />

Und so standen Steffen, Nicolas,<br />

Timo, Klaus und wie sie alle<br />

heißen schon mal vor dem Fernseher,<br />

sangen Nazi-Strophen und grölten<br />

„Sieg Heil“ gegen „Fidschis“,<br />

„Zecken“ und „Kanaken“. Dies habe<br />

sich nun, freut sich Direktor Erhard<br />

Ries, entscheidend verändert. „So<br />

etwas spielt sich kaum noch bei uns<br />

ab“. Psychologin Pia Müller in<br />

Queichheim führt das nicht zuletzt<br />

auf das gemeinsame Wohnen, Arbeiten<br />

und Leben zurück. „Hier zählt<br />

nur die Persönlichkeit, egal ob du<br />

Deutscher oder Ausländer bist.“ Dies<br />

gilt auch für Dembo aus Gambia,<br />

den farbigen Erzieher. „Dembo versucht<br />

uns zu verstehen, redet mit<br />

uns, auch wenn er manchmal streng<br />

sein muss“, lobt Ex-Skin Sven.<br />

Manchmal sind die Jungen aggressiv,<br />

ihre Wut staut sich über das in<br />

ihren Augen zu geringe Taschengeld<br />

und den begrenzten Ausgang („die<br />

Freundin darf nicht mit aufs Zimmer<br />

und muss um neun Uhr von<br />

Bord“). Frust und Enttäuschung<br />

entladen sich dann gegen die ErzieherInnen<br />

im Haus. Dennoch kann<br />

sich Dembo nicht beklagen, „im<br />

Großen und Ganzen sind die Jungs<br />

mir gegenüber schon okay“, sagt er<br />

und grinst.<br />

Besonders gut scheint sich Dembo<br />

mit Skins zu verstehen, so verrückt<br />

das auch klingen mag. Jetzt mit Sven,<br />

vor zwei Jahren mit Stefan aus einer<br />

stramm-deutschen Bandenfreizeit in<br />

Bayern mit „Skin“- und Hakenkreuz-Tätowierung<br />

auf dem Arm.<br />

Mit drei Kameraden stürzte der damals<br />

15jährige 148 Grabsteine um.<br />

Weil ihn das Palästinensertuch oder<br />

was anderes störte, schlug er Ausländer<br />

zusammen. Auf den Jungen warteten<br />

vier Anklagen wegen schwerer<br />

Körperverletzung, Verbreitung nationalsozialistischen<br />

Gedankenguts,<br />

Waffenbesitz und Grabschändung,<br />

als er ins Jugendwerk kam. Kaum<br />

einige Monate bei Dembo, nahm<br />

ihn dieser mit zu eine afro-deutschen<br />

Party, organisiert von einer „Initiative<br />

zur Förderung deutsch-ausländischer<br />

Begegnungen“ in Landau.<br />

Stefan trug ein Palästinensertuch,<br />

half bei den Vorbereitungen und<br />

malte Plakate. Auf einem stand:<br />

„Wir sollten uns kennenlernen.“<br />

Paul Schwarz<br />

6 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 10/ 00

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