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BRIEFE AUS PARIS (APPARAT)<br />
VIII-41<br />
eine frühe ‚Diva‘ berüchtigt, aber auch wegen ihrer künstlerischen<br />
Skrupelhaftigkeit, ihrer exakten Rollenvorbereitung und ihres Lampenfiebers<br />
vor jedem Auftritt berühmt. Auffallend war ihr Sprachduktus,<br />
der sich in den klassischen Rollen, der Bühnentradition des<br />
Théâtre Français folgend, ausschließlich auf die Sprache, d. h. auf<br />
eine bewegungs- und emotionsarme, statuarische Versdeklamation an<br />
der Bühnenrampe konzentrierte und damit im Gegensatz zu den<br />
Grundsätzen einer auf die Handlung ausgerichteten, aktionsreichen<br />
und schnelle Repliken bevorzugenden romantischen Bühnenästhetik<br />
stand. Eine zwangsläufige Folge dieser Entscheidung war die Kälte<br />
der Rachel, die Gutzkow bemängelt und die auch den französischen<br />
Zeitgenossen bewusst war. Théophile Gautier beschreibt ihre Posen<br />
und Gesten als „von eher skulpturaler Art“. Sie hätten sich stets „in<br />
eine Folge von Standbildern“ aufgelöst und ihr weißer Köper sei „wie<br />
aus griechischem Marmor gemacht“ gewesen: „Gelegentlich warf<br />
man ihr sogar vor, ihr fehle es an Gefühl [...]; Mlle Rachel war kalt<br />
wie die Antike, die den übertriebenen Ausdruck von Gefühlen indezent<br />
fand [...] Sie hatte daher recht darin, nicht, wie man sagt, ‚Tränen in<br />
der Stimme‘ zu haben und den Alexandriner mit der modernen Gefühlsduselei<br />
zu verzittern und zu vermeckern" (Art. „Rachel“. In: Larousse,<br />
Bd. 13, S. 605, Sp. 1). Kurz bevor Gutzkow sie sah, hatte sie<br />
eine unerhört erfolgreiche Tournee durch England absolviert, bei der<br />
ihr – Ausweis ihrer zunehmend auch über Frankreich hinaus wirkenden<br />
Berühmtheit – Königin Victoria ein Armband mit gravierter Widmung<br />
geschenkt hatte. (In den fünfziger Jahren war Rachel dann die<br />
erste französische Schauspielerin, die – mit französischen Stücken – eine<br />
Gastspielreise nach Amerika wagte.) Zur Zeit der Revolution von 1848<br />
wurde ihr Vortrag der Marseillaise als quasi inszeniertes Theaterstück<br />
berühmt. Ihr Auftreten als Chimène im „Cid“ war die erste Premiere des<br />
Jahres 1842 (erste Vorstellung am 19. Januar 1842). Gutzkow sah also<br />
eine der Reprisen nach acht Wochen Laufzeit der Produktion.<br />
11,27-29 Act 5, Scene 1 [...] me fait rougir de honte] Die Stelle bezieht<br />
sich auf das Duell zwischen Rodrigue und Don Sanche, an dessen<br />
Ende der Sieger Chimène heiraten soll. Übersetzt lautet die Stelle:<br />
„Sei Sieger eines Kampfs, bei dem Chimène der Preis. / Adieu: dies<br />
feige Wort lässt mich vor Scham erröten“.<br />
© EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, THOMAS BREMER, HALLE 2001 (F. 1.0)