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Determinismus bei Nietzsche Moralische Implikationen und ...

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4.1 <strong>Determinismus</strong>: Definition <strong>und</strong> naturwissenschaftliches<br />

Verständnis<br />

Wie für alle philosophischen Begriffe ist auch hier die richtige Definition umstritten.<br />

Wir verwenden einen Minimalkonsens, der sowohl mit der Auffassung des Materialismus<br />

im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert als auch mit einem mutmaßlichen Verständnis <strong>Nietzsche</strong>s<br />

übereinstimmt, habe er den Begriff nun abgelehnt oder angenommen.<br />

Kausaler <strong>Determinismus</strong>: Die Welt ist von <strong>Determinismus</strong> gelenkt genau<br />

dann, wenn unter einer gegebenen Anordnung, die die Dinge zu<br />

”<br />

einem Zeitpunkt t einnehmen, die Art <strong>und</strong> Weise, wie sich die Dinge danach<br />

entwickeln als ein Gegenstand von Naturgesetzen bestimmt ist.“ 48<br />

Eine derartige Auffassung des stofflich-materiellen Geschehens zieht die Forderung<br />

der Vorhersagbarkeit nach sich. Wenn nämlich ein vernunftbegabtes Wesen der Naturgesetze<br />

k<strong>und</strong>ig ist <strong>und</strong> gleichzeitig um die Konfiguration aller Dinge zu einem<br />

bestimmten Zeitpunkte weiß, muss es ihm möglich sein unter Anwendung der Naturgesetze<br />

die Konfiguration zu einem späteren Zeitpunkt zu berechnen. Diese Einsicht<br />

führte zum Gedankenexperiment des Laplaceschen Dämons, dem genau diese<br />

Fähigkeiten zugeschrieben wurden <strong>und</strong> der uns sinngemäß auch im oben zitierten<br />

Aphorismus vom Wasserfall begegnet ist. 49 In gleicher Weise sollte es einem solchen<br />

Dämon möglich sein, die Vergangenheit zu ergründen, denn jeder Zustand des<br />

Universums ist Folge eines vorhergehenden <strong>und</strong> Ursache eines nachfolgenden.<br />

Freilich konnte man mathematisch beweisen, dass ein solcher Dämon innerhalb unserer<br />

Welt nicht möglich wäre. Es müsste denn der Herrgott selbst sich als dämonisch<br />

erweisen, was außerhalb des Interesses dieser Ar<strong>bei</strong>t liegt. In die theoretische Physik<br />

hat jedoch Newton eine Formulierung eingeführt, die einem jeden mehr oder minder<br />

vernunftbegabten Wesen, das heißt einem jeden Menschen der in bescheidenem Maße<br />

in der Lage ist, Berechnungen durchzuführen, ein Mittel an die Hand gegeben,<br />

selbst diesen Dämon zu spielen. Die hierfür notwendige Simplifizierung rechtfertigte<br />

sich aus der Beobachtung, dass viele physikalische Vorgänge adäquat beschrieben<br />

werden könne, ohne das ganze Universum zu berücksichtigen. Man führt also das abgeschlossene<br />

System ein, das eine Teilmenge der Welt bezeichnet, die mit dem Rest<br />

der Welt nicht in (relevanter) Wechselwirkung steht, das heißt, dessen physikalische<br />

Entwicklung von den Vorgängen <strong>und</strong> Konfigurationen außerhalb seiner selbst, nicht<br />

beeinflusst wird. Natürlich ist dieses Postulat problematisch, denn allein derjenige,<br />

der das physikalische Vorgehen betrachtet <strong>und</strong> vorhersagt <strong>und</strong> den wir Beobachter<br />

nennen, tritt mit dem beobachteten System in Verbindung, kann aber schon über<br />

sich selbst kein vollständiges Wissen haben. In der klassischen Physik führt dies<br />

zu keinen Problemen, stiftete aber im Bezug auf die ”<br />

moderne“ Physik, i.e. die<br />

Quantenmechanik, hinreichend Verwirrung. 50 Der praktische Erfolg der klassischen<br />

48<br />

”<br />

Causal determinism: The world is governed by (or is <strong>und</strong>er the sway of) determinism if and<br />

only if, given a specified way things are at a time t, the way things go thereafter is fixed as a<br />

matter of natural law.“[11]<br />

49<br />

”<br />

We ought to regard the present state of the universe as the effect of its antecedent state and<br />

as the cause of the state that is to follow. An intelligence knowing all the forces acting in nature at<br />

a given instant, as well as the momentary positions of all things in the universe, would be able to<br />

comprehend in one single formula the motions of the largest bodies as well as the lightest atoms<br />

in the world, provided that its intellect were sufficiently powerful to subject all data to analysis;<br />

to it nothing would be uncertain, the future as well as the past would be present to its eyes. The<br />

perfection that the human mind has been able to give to astronomy affords but a feeble outline of<br />

such an intelligence. ”<br />

Laplace 1820, zitiert nach [11]<br />

50 Eine gute Diskussion dieser Probleme der Quantenmechanik, die eher interpretatorischer als<br />

konzeptioneller Natur sind, findet sich in [3]. Der Status dieser Diskussion unter Naturwissenschaftlern<br />

ist offen. Außerdem wurde die Quantenmechanik erst nach dem Tode von <strong>Nietzsche</strong><br />

zu entwickeln begonnen. Es trüge nicht zu Verständnis <strong>und</strong> Kritik <strong>Nietzsche</strong>s <strong>bei</strong>, hier näher auf<br />

12

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