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Determinismus bei Nietzsche Moralische Implikationen und ...

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jedes Ding in der Welt vorherbestimmt <strong>und</strong> er ohne jede Freiheit über, ohne jede<br />

moralische Verantwortung für sein Tun. Verschiedene Philosophen, darunter Thomas<br />

Hobbes, David Hume <strong>und</strong> John Stuart Mill argumentierten für die Kompatibilität<br />

von <strong>Determinismus</strong> <strong>und</strong> moralischer Verantwortung <strong>und</strong> begründeten die<br />

Lehre vom Kompatibilismus 84 , andere wie Augustinus <strong>und</strong> Immanuel Kant lehnten<br />

diese friedliche Koexistenz ab <strong>und</strong> bewiesen sich damit als Inkompatibilisten.<br />

<strong>Nietzsche</strong> selbst nimmt zur Naturwissenschaft ein wechselndes Verhältnis ein, strengen<br />

<strong>Determinismus</strong> schien er abzulehnen. Dennoch scheint er ihm nützliches Mittel<br />

in seinem ”<br />

demoralisierenden“ Programm, das er in einer Gegenrede zu Schopenhauers<br />

Postulat des freien Willens im Bezug auf das Wesen des Menschen skizziert:<br />

Schopenhauer macht jene treffliche Unterscheidung, mit der er viel<br />

”<br />

mehr Recht behalten wird, als er sich selber eigentlich zugestehen durfte:<br />

die Einsicht in die strenge Nothwendigkeit der menschlichen Handlungen<br />

ist die Gränzlinie, welche die philosophischen Köpfe von den<br />

’<br />

anderen scheidet.‘Dieser mächtigen Einsicht, welcher er zu Zeiten offen<br />

stand, wirkte er <strong>bei</strong> sich selber durch jenes Vorurtheil entgegen,<br />

welches er mit den moralischen Menschen (nicht mit den Moralisten)<br />

noch gemein hatte <strong>und</strong> das er ganz harmlos <strong>und</strong> gläubig so ausspricht:<br />

der letzte <strong>und</strong> wahre Aufschluss über das innere Wesen des Ganzen<br />

’<br />

der Dinge muss nothwendig eng zusammenhängen mit dem über die<br />

ethische Bedeutsamkeit des menschlichen Handelns‘, – was eben durchaus<br />

nicht nothwendig‘ist, vielmehr durch jenen Satz von der strengen<br />

’<br />

Nothwendigkeit der menschlichen Handlungen, das heisst der unbedingten<br />

Willens-Unfreiheit <strong>und</strong> -Unverantwortlichkeit, eben abgelehnt wird.<br />

Die philosophischen Köpfe werden sich also von den anderen durch den<br />

Unglauben an die metaphysische Bedeutsamkeit der Moral unterscheiden.“<br />

85<br />

Obwohl Schopenhauer das Problem der Determiniertheit menschlichen Handelns<br />

erkennt <strong>und</strong> insofern ein ”<br />

Moralisten-Genie“ ist, hat er nicht die Kraft, sich von<br />

der moralischen Fessel zu lösen. Schopenhauer bleibt ein ”<br />

moralischer Mensch“, der<br />

moralisch handeln muss <strong>und</strong> die Moral nicht in Frage stellen darf, sondern sie statt<br />

dessen auf ein metaphysisches Podest hebt. Genau dies dürfe aber ein Philosoph<br />

nicht tun, weil die Gültigkeit gesellschaftlicher oder religiöser Normen ein ”<br />

Vorurtheil“<br />

ist. Es ist auch unzulässig, dem Menschen die Freiheit zuzuschreiben, sein Esse,<br />

also seinen Charakter <strong>und</strong> sein Wesen, aus dem dann notwendig alle Handlungen<br />

folgen, frei zu wählen, denn ”<br />

manche Hinterthür, welche sich die ’<br />

philosophischen<br />

Köpfe‘, gleich Schopenhauern selbst, gelassen haben, als nutzlos erkannt werden:<br />

keine führt in’s Freie, in die Luft des freien Willens; [. . . ] frei können wir uns nur<br />

träumen, nicht machen.“ 86<br />

Denn auch die Entscheidungen für oder gegen bestimmte Wesenszüge sind Handlungen<br />

<strong>und</strong> unterliegen als solche dem Gesetz der Notwendigkeit. Auch das Wesen<br />

eines Menschen ist also kein Resultat eines freien Willensaktes.<br />

Nun entdeckt man schliesslich, dass auch dieses Wesen nicht verantwortlich<br />

sein kann, insofern es ganz <strong>und</strong> gar nothwendige Folge ist <strong>und</strong><br />

”<br />

aus den Elementen <strong>und</strong> Einflüssen vergangener <strong>und</strong> gegenwärtiger Dinge<br />

concresciert: also dass der Mensch für Nichts verantwortlich zu machen<br />

ist, weder für sein Wesen, noch seine Motive, noch seine Handlungen,<br />

noch seine Wirkungen. Damit ist man zur Erkenntniss gelangt, dass<br />

84 vgl. [16]<br />

85 [23, MA II, Vermischte Meinungen <strong>und</strong> Sprüche 33, S. 395]<br />

86 [23, MA II, Vermischte Meinungen <strong>und</strong> Sprüche 33, S. 395f.]<br />

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