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Determinismus bei Nietzsche Moralische Implikationen und ...

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” Kategorie der Rückerinnerung‘(Anamnesis)“, die schon in der Philosophie Platons<br />

eine zentrale Rolle spiele. Dort bezeichne sie das Wiederbewusstwerden der<br />

’<br />

vorgeburtlichen Ideenschau. Demnach ist alle Erkenntnis Erinnerung an etwas, das<br />

in unserem Geiste schon vorhanden war. Zwar lehnt <strong>Nietzsche</strong> in der Philosophie<br />

Platons die absoluten Ideen <strong>und</strong> die Trennung in Erscheinungs- <strong>und</strong> Ideenwelt ab,<br />

in der Erkenntnismethode finden sich aber Parallelen. 31 So erklärt sich <strong>Nietzsche</strong><br />

auch die Ähnlichkeit der verschiedenen philosophischen Schulen.<br />

Dass die einzelnen philosophischen Begriffe nichts Beliebiges, nichts<br />

”<br />

Für-sich-Wachsendes sind, sondern in Beziehung <strong>und</strong> Verwandtschaft zu<br />

einander emporwachsen, dass sie, so plötzlich <strong>und</strong> willkürlich sie auch in<br />

der Geschichte des Denkens anscheinend heraustreten, doch eben so gut<br />

einem Systeme angehören als die sämmtlichen Glieder der Fauna eines<br />

Erdtheils: das verräth sich zuletzt noch darin, wie sicher die verschiedensten<br />

Philosophen ein gewisses Gr<strong>und</strong>schema von möglichen Philosophien<br />

immer wieder ausfüllen. Unter einem unsichtbaren Banne laufen sie immer<br />

von Neuem noch einmal die selbe Kreisbahn: sie mögen sich noch<br />

so unabhängig von einander mit ihrem kritischen oder systematischen<br />

Willen fühlen: irgend Etwas in ihnen führt sie, irgend Etwas treibt sie<br />

in bestimmter Ordnung hinter einander her, eben jene eingeborne Systematik<br />

<strong>und</strong> Verwandtschaft der Begriffe. Ihr Denken ist in der That<br />

viel weniger ein Entdecken, als ein Wiedererkenen, Wiedererinnern, eine<br />

Rück- <strong>und</strong> Heimkehr in einen fernen uralten Gesammt-Haushalt der<br />

Seele, aus dem jene Begriffe einstmals herausgewachsen sind: – Philosophiren<br />

ist insofern eine Art von Atavismus höchsten Ranges.“ 32<br />

Wenn aber <strong>Nietzsche</strong>s Erkenntnistheorie auf alle Prämissen verzichten möchte,<br />

Wahrheit gleichzeitig aber nicht mehr durch apriorisches Schauen gef<strong>und</strong>en werden<br />

kann, dann bedarf die Methode der Selbstreflexion einer Rechtfertigung, die<br />

nicht außerhalb des Erkennntisprozesses stehen darf. Er bemerkt:<br />

Hätte diess aber nicht zur Folge, das die Maschine des Denkers nicht<br />

”<br />

mehr recht ar<strong>bei</strong>tet, wenn er sich <strong>bei</strong>m Acte des Erkennens wirklich<br />

unverpflichtet fühlen könnte? Insofern scheint hier zur Heizung das selbe<br />

Element nöthig zu sein, das vermittelst der Maschine untersucht werden<br />

soll.“ 33<br />

Methode <strong>und</strong> Erkenntnis stehen also in einem Wechselverhältnis von Brennstoff<br />

<strong>und</strong> Werkstück, in dem das eben gewonnene verbrannt wird um aus seiner Asche<br />

die nächste Erkenntnis zu formen. Man kann <strong>Nietzsche</strong> unterstellen, daß er Methode<br />

<strong>und</strong> Erkenntnis tatsächlich in einem Zirkelverhältnis stehen sieht, allerdings<br />

”<br />

jedoch nicht in einem vergeblichen, so daß der Vergleich mit einer Spirale angemessener<br />

erscheint.“ 34 Einsatzpunkt dieser Erkenntnisspirale kann ein beliebiges Konkretum<br />

sein, zum Beispiel das historische Bewusstsein der Selbstreflexion, das aber<br />

nur die Qualität einer Ar<strong>bei</strong>tshypothese oder eines Versuchsstandpunktes erreicht.<br />

Für <strong>Nietzsche</strong>, der intensiv die naturwissenschaftlichen Werke seiner Zeit studierte,<br />

ist die Übernahme der experimentellen Methode für eine neu zu konzipierende<br />

”<br />

Philosophie nicht zufällig. Da<strong>bei</strong> ist zu beachten, daß <strong>Nietzsche</strong> naturwissenschaftliche<br />

Bef<strong>und</strong>e eher als Spekulationspotential denn als objektiv gesicherte ’<br />

Erkennt-<br />

<strong>Nietzsche</strong> in seinem Nachlass [21, 9 [188], S. 450]: Ich mißtraue allen Systemen <strong>und</strong> Systematikern<br />

”<br />

<strong>und</strong> gehe ihnen aus dem Weg: vielleicht entdeckt man noch hinter diesem Buche das System,<br />

dem ich ausgewichen bin. . .“ Im Folgenden werden wir sehen, warum trotz der Möglichkeit der<br />

Selbsterkenntnis <strong>Nietzsche</strong>s Standpunkt nicht zum metaphysischen System wird.<br />

31 Vgl. auch [12, S. 96]: <strong>Nietzsche</strong> ist, wie Plato, kein Systemdenker, sondern ein Problemdenker“<br />

” 32 [25, JGB 20, S. 34]<br />

33 [23, MA II, Der Wanderer <strong>und</strong> sein Schatten 43, S. 572]<br />

34 [10, S. 101]<br />

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