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Determinismus bei Nietzsche Moralische Implikationen und ...

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die Geschichte der moralischen Empfindungen die Geschichte eines Irrthums,<br />

des Irrthums von der Verantwortlichkeit ist: als welcher auf dem<br />

Irrthum von der Freiheit des Willens ruht.“ 87<br />

Es scheint dennoch eine anthropologische Konstante zu sein, dass der Mensch zur<br />

Durchsetzung seines moralischen Interesses fortwährend bestrebt ist, zu richten.<br />

Diese Moralität ist aber geheuchelt, denn dahinter steckt nur das Bedürfnis des<br />

Menschen nach Selbstüberhöhung, sein Wille zur Macht: ”<br />

Pereat m<strong>und</strong>us, dum<br />

ego salvus sim!“ 88 ist die Fratze, vor der die moralische Maske ”<br />

Pereat me, dum<br />

Deus salvus sit“ zur Schau getragen wird. 89 Da<strong>bei</strong> könnte sich der Mensch von der<br />

Selbstgeißelung moralischer Vorwürfe befreien.<br />

Aber der Unmuth nach der That braucht gar nicht vernünftig zu sein:<br />

”<br />

ja er ist es gewiss nicht, denn er ruht auf der irrthümlichen Voraussetzung,<br />

dass die That eben nicht nothwendig hätte erfolgen müssen.<br />

Also: weil sich der Mensch für frei hält, nicht aber weil er frei ist, empfindet<br />

er Reue <strong>und</strong> Gewissensbisse. [. . . ] Niemand ist für seine Thaten<br />

verantwortlich, Niemand für sein Wesen; richten ist soviel als ungerecht<br />

sein.“ 90<br />

” Der Irrthum steckt nicht nur im Gefühle ich bin verantwortlich‘, sondern<br />

eben so in jenem Gegensatze ich bin es nicht, aber irgendwer muss<br />

’<br />

’<br />

es doch sein.‘– Diess ist eben nicht wahr: der Philosoph hat also zu<br />

sagen, wie Christus, richtet nicht!‘<strong>und</strong> der letzte Unterschied zwischen<br />

’<br />

den philosophischen Köpfen <strong>und</strong> den anderen wäre der, dass die ersten<br />

gerecht sein wollen, die andern Richter sein wollen.“ 91<br />

“Diess gilt auch, wenn das Individuum über sich slebst richtet. Der Satz<br />

ist so hell wie Sonnenlicht, <strong>und</strong> doch geht hier Jedermann lieber in den<br />

Schatten <strong>und</strong> die Unwahrheit zurück: aus Furcht vor den Folgen.“ 92<br />

Echte Philosophen dürfen sich aber von solchen pragmatischen Bedenken nicht abhalten<br />

lassen, die Moral auf ihren Platz zu verweisen, denn<br />

Diess Alles einzusehen, kann tiefe Schmerzen machen, aber darnach<br />

”<br />

giebt es einen Trost: solche Schmerzen sind Geburtswehen. Der Schmetterling<br />

will seine Hülle durchbrechen, er zerrt an ihr, er zerreisst sie: da<br />

blendet <strong>und</strong> verwirrt ihn das unbekannte Licht, das Reich der Freiheit.<br />

In solchen Menschen, welche jener Traurigkeit fähig sind– wie wenige<br />

werden es sein! – wird der erste Versuch gemacht, ob die Menschheit<br />

aus einer moralischen sich in eine weise Menschheit umwandeln könne.<br />

[. . . ] Alles ist Nothwendigkeit, – so sagt die neue Erkenntniss: <strong>und</strong> diese<br />

Erkenntniss selber ist Nothwendigkeit. Alles ist Unschuld: <strong>und</strong> die<br />

Erkenntniss ist der Weg zur Einsicht in diese Unschuld. Sind Lust, Egoismus,<br />

Eitelkeit nothwendig zur Erzeugung der moralischen Phänomene<br />

<strong>und</strong> ihrer höchsten Blüthe, des Sinnes für Wahrheit <strong>und</strong> Gerechtigkeit<br />

der Erkenntniss, war der Irrthum <strong>und</strong> die Verirrung der Phantasie das<br />

einzige Mittel, durch welches die Menschheit sich allmählich zu diesem<br />

Grade von Selbsterleuchtung <strong>und</strong> Selbsterlösung zu erheben vermochte<br />

– wer dürfte jene Mittel geringschätzen? Wer dürfte traurig sein, wenn<br />

er das Ziel, zu dem jene Wege führen, gewahr wird? Alles auf dem Gebie-<br />

87 [23, MA I, Zur Geschichte der moralischen Empfindungen 39, S. 63], vgl. auch [22, 14 [126],<br />

S. 307ff.]<br />

88 [23, MA II, Vermischte Meinungen <strong>und</strong> Sprüche 26, S. 391]<br />

89 Vgl. [5]<br />

90 [23, MA I, 39, S. 64]<br />

91 [23, MA II, Vermischte Meinungen <strong>und</strong> Sprüche 33, S. 396]<br />

92 [23, MA I, 39, S. 64]<br />

22

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