unimagazin 1/08 - Unitectra
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SchlUSSPUNKt von Simona Ryser<br />
Des puDels kern<br />
Da steh ich nun in meiner Hexenküche und<br />
backe backe Geburtstagskuchen und überlege,<br />
wie man der Universität zu Ehren ein<br />
recht edles Gebäck herstellen mag. Etwas fürs<br />
Gemüt und für den Magen soll es sein. Etwas<br />
für den Geist und etwas fürs Auge. Warm<br />
soll’s werden im Bauch, anregen den Verstand.<br />
Auf das Wissen soll angestossen werden und<br />
auf das immerwährende Erkenntnisstreben!<br />
Schliesslich will gebührlich gefeiert sein<br />
das hohe Jubeljahr. Vor mir liegen sie ausgebreitet,<br />
die edlen Zutaten. Man nehme:<br />
Aus dem einen Töpfchen hole ich zuerst die<br />
Literatur. Ein Lessing wäre passend, oder<br />
vielleicht der Kleist? Büchner natürlich und<br />
Schiller dürfen nicht fehlen und zu guter Letzt<br />
der alte Goethe. Aber die Franzosen und die<br />
Engländer! Molière und Shakespeare und<br />
die Dickinson. Ach ja, auf dem Küchenbrett<br />
bereit liegen die grossen Fragen – Aristoteles,<br />
Descartes, Kant und Nietzsche. Etwas<br />
Heidegger und die Arendt – sie gehören in<br />
den Kern des festlichen Gebäcks.<br />
Doch pfui, was macht nun plötzlich<br />
dieser gelockte Hund in meiner sauberen<br />
Hexenküche. Hinweg, Kleiner!<br />
Er kläfft mich an und rennt<br />
hin und her. Du meinst, ich war<br />
in meiner Auswahl wohl etwas<br />
allzu schnell? Vielleicht sind es<br />
ja die Theologen, die den Kuchen<br />
im Innersten zusammenhalten. Ob<br />
der Teig gedeiht mit 250 Gramm Exegese<br />
und 250 Gramm Hermeneutik? Knurre<br />
nicht, Pudel! Zu den heiligen Tönen, die jetzt<br />
meine ganze Seel umfassen, will der tierische<br />
Laut nicht passen. Ich will es nochmals<br />
versuchen. Einige Seiten vom<br />
Alten, einige Seiten vom Neuen und<br />
dann noch einige Seiten von anderen Heiligen<br />
Schriften.<br />
Was kläfft der kleine schwarze Kerl so<br />
blöd? Er knurrt und zweifelt, legt sich auf<br />
den Bauch, er wedelt. Alles Hundebrauch.<br />
Hast ja recht, ein schwieriger Fall, da muss<br />
ich wohl die Juristerei bemühen: 500 Gramm<br />
Zivilgesetz und davon der fünfte Teil, macht<br />
100 Gramm Obligationenrecht – ob das ein<br />
rechter Kuchen wird? Auch das muss erst<br />
debattiert und abgewogen werden. So sag mir,<br />
kleines schwarzes Tier, soll es die Medizin<br />
nun richten? Aber nein, mit all diesen schönen<br />
Zutaten heisst es nun recht schön kneten,<br />
doch ach, die Ökonomie darf nicht fehlen. Aus<br />
Eins mach Zehn, und Zwei lass gehn und Drei<br />
mach gleich, so bist du reich. Verlier die Vier!<br />
Ich weiss schon, das Gebäck hier macht einen<br />
gar alchemistischen Eindruck. Die Physiker<br />
schauen mir mit kritischem Auge zu und die<br />
Mathematikerinnen rümpfen gar die Nasen.<br />
Doch hört nun nur die Fortsetzung: Aus Fünf<br />
und Sechs, so sagt die Hex, mach Sieben und<br />
Acht, so ist’s vollbracht: Und Neun ist Eins,<br />
und Zehn ist keins. Das ist das Hexen-Einmaleins.<br />
Nun lasst uns warten und schauen, wie<br />
der Kuchen wächst und wächst. Noch etwas<br />
Holz in den Hexenkessel und schon dampft<br />
und kocht es und aus dem Backofen steigt ein<br />
herrlicher Duft. Der Pudel springt auf und ab,<br />
verschwinde hinterm Ofen! Und Ihr, verehrte<br />
Gäste, kommt her und kostet vom Geburtstagskuchen,<br />
er ist noch heiss, verbrennt euch<br />
nicht und prostet auch ihm zu, der hinterm<br />
Ofen steht, des Pudels Kern winkt Euch zu!<br />
Simona Ryser ist Autorin und Journalistin. Vor<br />
kurzem ist ihr Roman «Maries Gespenster» im<br />
Limmat Verlag erschienen.<br />
UNIMAGAZIN 1/<strong>08</strong><br />
IllUStrAtIoN Gerda Tobler