unimagazin 1/08 - Unitectra
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Kunststück von Philip Ursprung<br />
Bequeme Kunst? Pipilotti Rists Denkmal für Emilie Kempin-Spyri im Lichthof.<br />
Auf der Couch<br />
Es ist 11 Uhr vormittags, ruhig, vorlesungsfreie<br />
Zeit. Helles Januarlicht erfüllt den Lichthof.<br />
Ich sitze auf einer überdimensionierten, blau<br />
gepolsterten Chaiselongue, einem Kunstwerk<br />
von Pipilotti Rist, das Ende Januar, bei Vollmond,<br />
in einer feierlichen Zeremonie von der<br />
Künstlerin gemeinsam mit Rektor Hans Weder<br />
enthüllt worden war. Auf Anraten von Rist<br />
schreibe ich mein «Kunststück» auf der Chaiselongue.<br />
Studierende sitzen an den Tischen<br />
im Lichthof der Universität Zürich. Einige<br />
blicken ab und zu verstohlen zu mir.<br />
Das Denkmal erinnert an Emilie Kempin-<br />
Spyri (1853–1901), die erste weibliche Dozentin<br />
an der Universität Zürich. Die Juristin, der die<br />
Behörden und die Universität zeitlebens Steine<br />
in den Weg gelegt hatten. 1891 wurde sie gegen<br />
den Widerstand der Universität auf politischen<br />
Druck hin Privatdozentin. Anwältin werden<br />
durfte die Nichte von Johanna Spyri allerdings<br />
nicht. Sie starb früh und vereinsamt. Seit den<br />
1990er-Jahren ist die Erinnerung an sie wieder<br />
erwacht. Heute gilt sie als eine international<br />
beachtete Pionierin der Gleichberechtigung.<br />
Niemand setzt sich zu mir, obwohl laut<br />
Inschrift «maximal 10 Personen» erlaubt<br />
sind und mir einer der Schnitzer, die an der<br />
Chaise longue arbeiteten, versicherte, dass<br />
sie auch vierzig Menschen tragen könnte. Die<br />
Formensprache des Möbels ist ganz 19. Jahrhundert.<br />
Die ornamentale Buchenschnitzerei,<br />
durchsetzt mit Paragraphen und Bienen,<br />
erinnert an jene Zeit, die der Moderne noch<br />
nicht direkt in die Augen sehen wollte. Die<br />
Liege ist bequem, aber einschlafen werde ich<br />
sicher nicht. Im Gegenteil, meine Sinne sind<br />
geschärft, meine Umgebung ändert sich. Bisher<br />
hatte ich den Lichthof stets als eine Art leere<br />
Bühne betrachtet, ein Hybrid zwischen Innenund<br />
Aussenraum, ein Ort, dessen Vagheit durch<br />
die disparaten Gipsabgüsse von antiken Reliefs<br />
noch unterstrichen wird. Nun verwandelt das<br />
Möbel, auf dem ich sitze, den Raum plötzlich in<br />
ein Interieur. Ich frage mich, wo die Grenzen<br />
zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten<br />
verlaufen, wer sich hier zu Hause fühlen darf<br />
und wer nicht. Rists Kunstwerk verschiebt<br />
unseren Blickwinkel und ändert unsere Wahrnehmung.<br />
Als vor einigen Jahren die Idee für<br />
ein Denkmal für Kempin-Spyri aufkam, wollte<br />
man zuerst ihre Büste auf den letzten noch<br />
leeren Sockel der Aula platzieren. Damit wäre<br />
ihre Akte geschlossen gewesen. Ein Glücksfall,<br />
dass es nicht so kam und dass Rist den Auftrag<br />
annahm. Ihr Kunstwerk hält den Fall Kempin-<br />
Spyri offen.<br />
Philip Ursprung ist Professor für Moderne und zeitgenössische<br />
Kunst an der Universität Zürich.<br />
Rückspiegel<br />
Stickende Studentinnen<br />
Der Festakt zum 50-jährigen Bestehen der<br />
Uni versität Zürich verlief «programmgemäss<br />
und ohne dramatische Ereignisse», wie die<br />
«Neue Zürcher Zeitung» in ihrer Mor genausgabe<br />
vom 2. August 1883 zu be richten<br />
wusste. «Ungefähr um 10 Uhr langte unter<br />
dem Geläute aller Glocken die Spitze des<br />
Festzuges in der Grossmünsterkirche an.»<br />
Neben den geladenen Gästen, der Professorenschaft<br />
und politischen Vertretern hielt mit<br />
dem Festzug auch die Stiftungsurkunde der<br />
Universität Einzug ins Grossmünster.<br />
Nach den Klängen der kellerschen Kantate<br />
setzte der Rektor Heinrich Steiner zu<br />
seiner Rede an. Er zitierte Lorenz Oken, den<br />
ersten Rektor der Universität: «Unsere Bundeslade,<br />
wie Oken sie nannte, ist diese Stiftungsurkunde.<br />
Das wird sie auch im neuen<br />
Festgewande, das ihr zum heutigen Tage<br />
von freudiger, sinniger Frauenhand gestiftet<br />
worden ist, in Zukunft bleiben». Die Stiftungsurkunde<br />
wurde von Studentinnen mit<br />
einem bestickten Samteinband und einem<br />
Unterlagekissen ausgestattet. Von den insgesamt<br />
436 Studierenden an der Universität<br />
waren im Sommersemester 1883 bloss 34<br />
Frauen. Welche von ihnen an der Verschönerung<br />
der Urkunde beteiligt waren, ist<br />
nicht bekannt. Auch die Frauen der Professoren<br />
liessen sich nicht zweimal bitten: Sie<br />
schenkten der Universität einen «Dreifuss<br />
nach pompejanischem Muster» als Träger<br />
für die Stiftungsurkunde. Der Dreifuss ist<br />
heute leider nicht mehr auffindbar, die Stiftungsurkunde<br />
kann im Staatsarchiv besichtigt<br />
werden. Maurus Immoos<br />
Recherche Silvia Bolliger<br />
UNIMAGAZIN 1/<strong>08</strong> Bild Frank Brüderli<br />
UNIMAGAZIN 1/<strong>08</strong><br />
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