Psychologie «Erfolg verändert die Psyche» Unsere Psyche wird heute zunehmend mit neurowissenschaftlichen Methoden erforscht. Wird sie damit auf die Biologie reduziert? Mit der Stressforscherin und klinischen Psychologin Ulrike Ehlert sprach Brigitte Blöchlinger. Frau Ehlert, die Psychologie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Die Freudsche Psychoanalyse wurde von neueren, neurowissenschaftlich geprägten psychologischen Richtungen «entthront». Sind mit diesem Wandel auch zentrale Kon zepte wie etwa das Unbewusste verschwunden? Ulrike Ehlert: Im Alltag spielt das Unbewusste nach wie vor eine wichtige Rolle. Nehmen Sie zum Beispiel die Vorgänge, die sich abspielen, wenn sich zwei Menschen das erste Mal sehen: Sofort verspüren sie Gefühle der Sympathie oder Antipathie, die nicht rational begründbar sind. In der Psychologie geht es nach wie vor um das Unbewusste, also um das, was wir nicht sofort erklären können. Nur der Weg zur Erklärung ist heute neurowissenschaftlich geprägt. Im Gegensatz zu Sigmund Freud wissen wir, dass die ersten Eindrücke von einem Gegenüber im Limbischen System des Gehirns verarbeitet werden und sich dort dazugehörige Gedanken und Emotionen bilden. Heute kann dieser Prozess der unbewussten Sympathie oder Antipathie erklärt werden, zu Freuds Zeiten war das nicht möglich. Übrigens hätte schon Sigmund Freud gerne gewusst, wie sich psychische Vorgänge auf biologischer Ebene im Menschen abspielen. Meines Erachtens ist das einer der grossen Fortschritte in der Psychologie: Wir können heute Phänomene, die früher nur vage und von aussen beschrieben werden konnten, physiologisch analysieren. Dieses Vorgehen wird allerdings kontrovers diskutiert, denn es bedeutet immer auch eine Reduktion des Menschen in seiner Vielfalt auf wenige bisher bekannte biologische Vorgänge; damit haben viele Kollegen der Geisteswissenschaften Mühe. Doch für mich sind die Neurowissenschaften einfach das Mittel, um das Unbewusste, das nach wie vor eine enorm wichtige Rolle spielt, besser erklären zu können. Wie würde denn heute unter dieser neurowissenschaftlichen Prämisse die Psyche definiert? Ehlert: Die Psyche ist ein Konstrukt mit enorm vielen Facetten. Es gehören genetische Aspekte dazu, die nicht nur die äussere Erscheinung bestimmen, sondern auch die Psyche beeinflussen. Ausserdem sind Psyche «Heute kann der Prozess der unbewussten Sympathie oder Antipathie erklärt werden. Zu Freuds Zeit war das nicht möglich.» und Bewusstsein als Entwicklungsprozess zu verstehen, der mit Lernerfahrungen zu tun hat. Deshalb ist unsere Psyche auch im Erwachsenenalter veränderbar. Wenn jemand zum Beispiel über lange Zeit viele Erfolge verbucht, wird er sich psychisch anders entwickeln als jemand, der depressiv ist. Die Psyche ist ein Konglomerat aus Genetik, Lebenserfahrungen und individueller Entwicklung. Sie erforschen stressabhängige Erkrankungen. Hat «Stress» in der heutigen Welt den gleichen zentralen Stellenwert wie zu Sigmund Freuds Zeiten die «Sexualität»? Ehlert: Nein, ganz sicher nicht. Stress ist heute einfach sehr populär; alle Menschen denken von sich, sie seien besonders stark belastet. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn man Patienten nach Wendepunkten in ihrem Leben fragt. Sie erzählen vorwiegend von negativen Erlebnissen; erst wenn man nachfragt, kommen auch positive kritische Lebensereignisse zur Sprache. Dazu muss man wissen, dass Patienten ihre negativen Erlebnisse negativer einschätzen, als das Experten tun würden. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Leute sich heute einfach belasteter fühlen. Objektiv gesehen gibt es heute nicht mehr Stress als früher. Sie betrachten bei der Stressforschung das Problem immer von zwei Seiten einerseits von der biologischen, hormonellen Seite, andererseits von der verhaltenspsychologischen Seite. Es sei wichtig, die weichen, subjektiven Daten der Patienten durch die harten, objektiven Gesundheitsdaten zu ergänzen, haben Sie in einem früheren Interview gesagt. Weshalb braucht die Psychologie die Objektivität der exakten Wissenschaften? Ehlert: Wir haben mehrfach feststellen können, dass oft ein Unterschied vorhanden ist zwischen dem, was unser Körper uns über Hormone oder Herz-Kreislauf-Parameter rückmeldet, und dem, was wir empfinden. Eine Situation, die das schön illustriert, ist ein standardisierter Stresstest, den wir durchführen. Während die Frauen an sich zweifeln und die Schwierigkeiten thematisieren, bleiben die Männer eher ruhig. Im Gegensatz zu diesen «weichen» Beobachtungen machen die messbaren Hormonwerte etwas ganz anderes deutlich: Frauen sind im gebärfähigen Alter biologisch durch ihre Östrogene besser vor Stress geschützt als Männer. Die objektive Stresskurve verläuft bei Frauen deutlich flacher als bei Männern. Erheben wir in Studien beide Parameter, ermöglicht uns das, differenziertere Aussagen formulieren zu können, was bei Stress hilft und was schädlich ist. Pauschalisierungen können hinterfragt werden, zum Beispiel die Behauptung, dass Männer besser mit Stress umgehen können als Frauen. 48 UNIMAGAZIN 1/<strong>08</strong> Website www.psychologie.uzh.ch Bild Tom Haller
Ulrike Ehlert, klinische Psychologin 49
- Seite 1 und 2: UNIMAGAZIN die zeitschrift der univ
- Seite 3 und 4: Editorial DOSSIER - GEIST & GELD Wi
- Seite 5 und 6: Impressum Interviews Rubriken HERAU
- Seite 7 und 8: Standpunkt von Franz Mauelshagen an
- Seite 9 und 10: Kunststück von Philip Ursprung Beq
- Seite 11 und 12: Carel van Schaik, Anthropologe 11
- Seite 13 und 14: Zürcher Verhaltensökonom Ernst Fe
- Seite 15 und 16: Musik geniessen jederzeit und über
- Seite 17 und 18: Michael Hengartner, Molekularbiolog
- Seite 19 und 20: den Patienten. Wenn man besser vers
- Seite 21 und 22: Move on up! Ihr Einstieg in die Wel
- Seite 23 und 24: Veterinärmedizin «Für das Tier b
- Seite 25 und 26: pìÅÜÉå=páÉ=ÉáåÉ=eÉê~ì
- Seite 27 und 28: Shalini Randeria, Ethnologin 27
- Seite 29 und 30: ethnologischen Perspektive kann der
- Seite 31 und 32: Theologie «Glaube ist kein Arsenal
- Seite 33 und 34: Analytical Excellence Waagen Softwa
- Seite 35 und 36: anderen Produkten ununterscheidbar
- Seite 37 und 38: Ernst Fehr, Ökonom 37
- Seite 39 und 40: Gedanke unser Handeln beeinflusst.
- Seite 41 und 42: Daniel Jositsch, Jurist 41
- Seite 43 und 44: Führt der kritische Blick der Rech
- Seite 45 und 46: Virologie Gemäss der Weltgesundhei
- Seite 47: Wir feiern unser Jubiläum! Traditi
- Seite 51 und 52: Meist wird jedoch die biologische S
- Seite 53 und 54: Hirnforschung «Moral ist eine Summ
- Seite 55 und 56: … WIR HINTERM HORIZONT GEHT’S W
- Seite 57 und 58: Christian Kiening, Literaturhistori
- Seite 60 und 61: Gesamtlösungen aus einer Hand
- Seite 62 und 63: DOSSIER - GEIST & GELD Schlagkräft
- Seite 64 und 65: Spinoff 2 - HOCOMA Gründer: Gery C
- Seite 66 und 67: DOSSIER - GEIST & GELD Menschen sin
- Seite 68 und 69: DOSSIER - GEIST & GELD Der Big Bang
- Seite 70 und 71: SPinoff 4 - Prionics Gründer: Brun
- Seite 72 und 73: DOSSIER - GEIST & GELD Von der Fors
- Seite 74: SPinoff 5 ESBATech Gründer: Domini
- Seite 77 und 78: ist Michael Hermann überzeugt, «d
- Seite 79 und 80: Glaubwürdigkeit, wenn sie sich von
- Seite 81 und 82: Systems noch zu erleben. Aber wir s
- Seite 83 und 84: DOSSIER - GEIST & GELD Intelligente
- Seite 85 und 86: absehbar - ausser einer guten Bezie
- Seite 87 und 88: Spinoff 7 - Academic Software Grün
- Seite 89 und 90: Facette von Sprache, die in spracht
- Seite 91 und 92: spielt, war man zunächst der Ansic
- Seite 93 und 94: 213x139 HSG Unimagazin 4c 15.1.2008
- Seite 95 und 96: Wie hat sich die neue Autonomie der
- Seite 97 und 98: kleineren Veränderungen vor allem
- Seite 99:
Setzen Sie auf den Helbling Spirit
- Seite 102 und 103:
Viva Italia Cucina tradizionale! Be
- Seite 104 und 105:
SchlUSSPUNKt von Simona Ryser Des p
- Seite 106 und 107:
175 JAHRE UNIVERSITÄT ZÜRICH - PA
- Seite 108:
ZKB und Universität Zürich machen