Ingolf U. Dalferth, Theologe 30
Theologie «Glaube ist kein Arsenal zeitloser Werte» Die multireligiöse Gesellschaft ist heute eine Tatsache. Was bedeutet das für die christliche Auseinandersetzung mit dem Islam? Und was für die reformierte Theologie? Mit dem Theologen Ingolf U. Dalferth sprach Roger Nickl. kein Bereich in der Schöpfung per se ›heiliger‹ oder weniger profan als die anderen, weil keiner direkt mit Gott oder Göttlichem identifiziert werden kann – auch nicht die Kirche. Wo das Christentum die Gesellschaft prägt, macht es auf diesen doppelten Sachverhalt aufmerksam: Nichts in der Welt ist mit Gott zu verwechseln, auch nicht die höchsten Werte und besten Ideen. Aber kein Bereich des Lebens wird zureichend verstanden und gestaltet, wenn man meint, das Gegenüber Gottes ignorieren zu können. Denn das führt regelmässig dazu, «Das Christentum war immer ein Produkt von sprachlichen und kulturellen Übersetzungs- und Umgestaltungsprozessen.» dass Relatives absolut gesetzt wird, dass Vorläufiges und Zeitbedingtes als gottgegeben sanktioniert und damit Schöpfer und Schöpfung verwechselt werden. Wenn das Christentum, wie Sie sagen, die religionsskeptische Aufklärung mitinitiiert hat, hat es sich in einer gewissen Weise auch selbst unterlaufen. Wie sieht denn das Verhältnis von Christentum und Aufklärung aus? Dalferth: Das Christentum hat sich immer als Kritik seiner selbst vollzogen. Der christliche Glaube knüpft kritisch unterscheidend an eine Kultur an und bestimmt sie ebenso fort. Die Theologie wiederum kritisiert, was im religiösen Leben und der religiösen Praxis passiert. Das hat seinerseits Rückwirkungen auf die Theologie. In der Theologie gibt es wiederum viele unterschiedliche Strömungen, die sich gegenseitig kritisieren. Dieses selbstkritische Moment ist eine Eigenart der christlichen Tradition. Inwiefern unterscheidet sich die christliche Tradition in diesem Punkt von anderen Religionen? Dalferth: Von Anfang an war das Christentum nicht mit einer bestimmten Kultur identifizierbar. Es war immer ein Produkt von sprachlichen und kulturellen Übersetzungsund Umgestaltungsprozessen. Insofern war es immer eine Modifikation verschiedener Kulturen. Das führte in der Geschichte zu ganz unterschiedlichen Ausprägungen des Christentums. Im Islam ist es im Gegensatz dazu so, dass mit der arabischen Sprache, in der der Koran tradiert ist, auch eine ganz bestimmte Lebenshaltung und Lebensgestaltung übernommen wird, die bis ins Rechtliche hinein eine Gesellschaft prägt. Die Bibel dagegen wird in ganz viele Sprachen übersetzt – sie ist so gesehen das grösste Übersetzungsprojekt der Menschheit. Das führt auch zu ganz unterschiedlichen Akzentuierungen und Ausprägungen des Christentums – kulturell und konfessionell. Herr Dalferth, früher sprach man vom christlichen Abendland, heute heisst es oft wesentlich lakonischer der Westen. Welchen Stellenwert hat das Christentum heute noch in unserer Kultur und Gesellschaft? Ingolf U. Dalferth: Das Christentum ist in Europa präsenter, als man es gelegentlich wahrzunehmen gewillt ist – allen Widerreden zum Trotz geht auch heute eine Masse von Menschen jeden Sonntag zur Kirche. Dass das auf dem öffentlichen Markt des Meinungsautauschs zuweilen anders aussieht, hat natürlich auch seine Gründe. Das Christentum ist eine Religion, die gelernt hat, sich eigenartig zurückzunehmen. Es hat Prozesse wie etwa die Aufklärung, die sich auch gegen die Religion selbst wendeten, nicht nur bekämpft, sondern auch kräftig unterstützt. Das ist in anderen Weltreligionen anders. Das heisst, das Christentum hat verglichen mit anderen Religionen einen kleineren Anspruch, das gesellschaftliche Leben zu bestimmen? Dalferth: Nein, das nicht, aber einen selbstkritischeren. Von Anbeginn weg war das Christentum eine Religion, die entmythisierend und säkularisierend wahrgenommen wurde. Die ersten Christen wurden als Atheisten angegriffen, weil sie den Kaiserkult nicht mitmachten. Das Christentum ist eine Religion, für die alles Gottes Schöpfung ist und Heute sorgt vor allem das «Morgenland», das heisst stark religiös fundierte Gesellschaften, immer wieder für Schlagzeilen. Auch die Präsenz des Islams in Europa gibt zu reden. Wo sehen Sie hier die grössten Herausforderungen? Dalferth: Was das Verhältnis von Kirche und Staat in Europa anbelangt, ist das Auftreten des Islams eine grössere Herausforderung, als es die Präsenz unterschiedlicher christ licher Konfessionen in der Vergangenheit war. Wir haben in Europa Lösungen gefunden, in denen für Jahrhunderte alte Probleme und Konflikte rechtliche Regelungen gefunden wurden, die alle Beteiligten zur kritischen Selbstbeschränkung nötigen. Die Freiheit des Gewissens jedes einzelnen Menschen ist von allen unbedingt zu wahren. Jeder hat das Recht, auch anders zu denken und anderes zu glauben als die anderen, und dafür hat auch jeder selbst die Verantwortung zu übernehmen und kann sie UNIMAGAZIN 1/<strong>08</strong> Website www.uzh.ch/hermes Bild Tom Haller 31
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