Rechtswissenschaft «Gerecht ist, was die Mehrheit richtig findet» auch irren und ist beeinflussbar, wie der Na tionalsozialismus gezeigt hat. Trotzdem: Hier in der Schweiz leben wir in einem Rechtssystem, das doch grösstenteils als gerecht empfunden wird. Moralvorstellungen fliessen in Gesetze ein. Ist das Recht aber wirklich gerecht? Und was kann die Rechtswissenschaft zu einer gerechteren Gesellschaft beitragen? Mit dem Juristen Daniel Jositsch sprach Daniela Schwegler. Herr Jositsch, der deutsche Philosoph Immanuel Kant sagte, das Recht sei der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werde. Basieren Recht und Rechtsprechung also auf Willkür? Daniel Jositsch: Nein, gerade nicht. Zwar ist jedes Individuum frei, so zu handeln, wie es will – selbst willkürlich. Die Grenze liegt aber dort, wo der andere beeinträchtigt wird. Hier setzt das Gesetz Grenzen und schränkt die Willkür des Einzelnen ein zugunsten der Freiheit des anderen. Die Rechtsordnung stellt Spielregeln auf, wie wir miteinander umgehen können. Diese haben das Ziel, den Schwachen zu schützen und den Starken einzuschränken. Freiheit wird deshalb dadurch hergestellt, dass die eigene Willkür und jene der anderen eingeschränkt wird. Sorgt denn die Rechtsetzung dafür, dass allen Recht widerfährt? Jositsch: Das ist das Ziel – zugegebenermassen ein hehres. Im Blickpunkt steht die Gesellschaft als Ganzes. Es ist nicht für jeden Einzelnen richtig und gut, was die Rechtsordnung festlegt. Das Recht muss mit Blick auf alle geschaffen und angewendet werden. Nehmen Sie die Altersvorsorge: Das Gesetz zwingt mich, die Rente anderer Leute zu bezahlen. Es zwingt aber auch die nächsten Generationen, solidarisch mit mir zu sein. Die Rechtsordnung muss deshalb zum Teil Zwang ausüben. Aber immer im Bestreben, eine Lösung zu finden, die für alle funktioniert. Recht kann aber auch zu Unrecht führen. Denn Recht, das sind Gesetze, die richtig oder falsch angewendet werden können. Selbst in einem Unrechtsstaat kann das geltende (Un-)Recht richtig angewendet werden. Wirkt die Demokratie als Korrektiv gegen Unrecht? Jositsch: Ja. Was gerecht ist, kann zwar nicht rein abstrakt definiert werden. Aber in einer Demokratie ist Gerechtigkeit, was die Mehrheit als richtig erachtet. Wobei die Zeit eine wichtige Rolle spielt. Das Recht kann und soll sich nicht so schnell anpassen, wie sich vielleicht die Meinung in der Bevölkerung ändert. Der Zeitgeist, der in ein Gesetz fliesst, muss ein langfristiger sein. Das Gesetz muss Ausdruck einer nachhaltigen Grundstimmung sein. Fliessen in die Rechtsprechung der Zeitgeist und moralische Vorstellungen mit ein? Jositsch: Absolut. Vor 20 Jahren galt zum Bei spiel zu schnelles Autofahren als nicht sehr schlimmes Vergehen. Heute gelten Raser als Kriminelle. Ist denn der Wille der Mehrheit per se gerecht? Jositsch: Was Gerechtigkeit ist und was nicht, lässt sich nicht mit einem irdischen Massstab messen. Praktikabel ist hingegen der Massstab dessen, was die Mehrheit als richtig empfindet. Die Mehrheit kann aber Kann das Recht gesellschaftliche Konflikte lösen? Jositsch: Natürlich ist es schön, wenn alle miteinander auskommen. Aber das geht nun mal nicht immer. Als Jurist finde ich das auch gar nicht so schlimm. Das Recht löst Konflikte. Und das ist gut so, weil der Schwache zu seinem Recht kommt. Man soll für sein Recht kämpfen können, aber nicht mit einer Waffe in der Hand, sondern in einer kultivierten Form. In einer Zeit des Wertezerfalls: Wirkt das Recht immer stärker wertstiftend? Jositsch: Nein, höchstens wertstabilisierend. Es ist die Frage vom Huhn und vom Ei. Das Gesetz produziert keine Moral. Sondern «Rechtsetzung ist der Versuch, Spielregeln aufzustellen, die für die Menschen funktionieren – dazu muss man sie mögen.» die Moral fliesst in Gesetze ein. Volksvertreter erlassen Gesetze vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Wertvorstellungen. Da Gesetze aber nicht täglich angepasst werden, haben sie wertstabilisierenden Charakter. Ist vor dem Gesetz wirklich jeder gleich? Oder der Reiche vielleicht doch ein wenig gleicher als der Arme? Jositsch: Recht sollte für alle gleich zugänglich sein. Und das glaube ich von der Schweiz sagen zu können: Vor dem Richter ist der Reiche nicht besser gestellt als der Arme. Aber das Durchsetzen von Recht hängt natürlich mit den eigenen finanziellen Möglich keiten zusammen. Hier wirken einige Institute als Korrektiv: etwa das kosten lose Verfahren im Arbeits- oder Mietrecht, die unent geltliche Rechtspflege oder die amt liche Verteidigung. 40 UNIMAGAZIN 1/<strong>08</strong> Website http://rwiweb.uzh.ch Bild Tom Haller
Daniel Jositsch, Jurist 41
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