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18 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Thomas Müntzer, der sich selbst als der Menschensohn aus Offb 14,14f, der mit scharfer Sichel ernten<br />
soll, verstand.<br />
• Das Täuferreich zu Münster, das als Neues Jerusalem aufgefasst wurde und dessen Durchsetzung immer<br />
stärker mit Gewalt verknüpft war.<br />
• Ein Beispiel aus dem 20 Jh., die Sekte der Davididen in Waco, Texas, deren Anführer David Koresh sich<br />
als der siebte Engel von Offb 10,7 verstand 56 .<br />
2. Überwiegend zeigt die Offb jedoch eine besondere Affinität zur Situation bedrängter<br />
Christen und Christinnen. Bereits ihre früheste Wirkungsgeschichte führt uns in christliche<br />
Kreise, die vom Martyrium bedroht sind: der Märtyrer Justin (Dial. 81,4), die Märtyrer von<br />
177 von Lyon und Vienne, Irenäus von Lyon (Adv. haer I 26,3; IV 18,6; usw.), der in seinem<br />
Umfeld diese Erfahrung kannte, der nach Sardinien verbannte Hippolyt von Rom und der<br />
Märtyrer Victorinus von Pettau (†304), dem wir den ersten einschlägigen Kommentar zur<br />
Offb verdanken. Auf dieser Linie bewegt sich in der Neuzeit auch der positive Zugang zur<br />
Offb in befreiungstheologischen Kreisen. Diese Verknüpfung von passiven Widerstand und<br />
Durchhalteethos unter schwierigsten Bedingungen von Gewalt ist ein Aspekt, der für die<br />
Beurteilung der Gewaltproblematik eine wichtige Rolle spielt.<br />
Zur Frage der Gewalt schreibt z.B. Pablo RICHARD, Apokalypse: das Buch von Hoffnung und Widerstand.<br />
Ein Kommentar (aus dem Span. von Michael Lauble. Luzern: Ed. Exodus, 1996) 55: Die Gewalttexte der<br />
Offb »wollen in Wirklichkeit weder Gewalt noch Hass säen, sondern die Situation extremer leidvoller<br />
Unterdrückung deutlich werden lassen, die auf dem Volk Gottes lastet. Ganz ähnlich sprechen heutzutage die<br />
Leute, die unter bitterster Not oder grausamer Verfolgung leiden. Wir können ja wohl kaum erwarten, daß<br />
sich die Armen der arroganten, diplomatischen Sprache der Mächtigen befleißigen. Die Sprache der<br />
Apokalypse ist eine Sprache unterdrückter und leidender Menschen. Und wenn die Apokalypse so spricht,<br />
dann tut sie es einerseits, um in ihren Hörern eine Katharsis zu bewirken, und andererseits, damit diese<br />
fühlen, daß sie zueinander gehören, eine Identität haben und – dank der Botschaft der Apokalypse – ihren<br />
Hass in Bewusstsein umwandeln können.«<br />
1.7 Sprache am Rand des Sagbaren: Zur »Antisprache« der<br />
Offb 57<br />
Eines der auffälligsten Merkmale der Sprache der Johannesoffenbarung ist die »Instabilität<br />
ihrer Referenz«. Dies hängt primär mit den komplizierten Kommunikationsebenen dieses<br />
Buches zusammen. Es handelt sich rein formal um eine in Briefform gefasste Nacherzählung<br />
von Visionserfahrungen für sieben Gemeinden in Kleinasien. Referenzpunkt der Sprache<br />
wäre demnach die Vision selbst. Doch möchte diese auf weitere Realitäten hinweisen, die<br />
häufig nur sehr schwer bestimmbar sind.<br />
Als Lesende werden wir zwar zu Mitschauenden und Mithörenden, aber es wäre trügerisch<br />
anzunehmen, wir würden das Gleiche sehen wie der Erzähler Johannes. Denn er selbst ringt<br />
um Worte, wie an der auffällig häufigen Verwendung der Partikel »wie, als ob« (ôs/Hwß: 71x;<br />
hôsper/“wsper: 1x) und des Adjektivs »ähnlich, gleich« (hómoios/“omoioß: 24x) deutlich wird.<br />
Die Worte des Sehers geben uns also häufig nur einen ungefähren Einblick in das Geschaute,<br />
so dass wir den Wahrnehmungsverlust vom Modus des Sehens zum Modus des Hörens<br />
hinnehmen müssen 58 .<br />
56 Vernon Howell, alias David Koresh, stand in der Tradition adventistischer Offb-Deutungen und deutete<br />
die USA selbst als den falschen Propheten. Er kam – wie viele andere – 1993 in einem schlecht koordinierten<br />
Stürmungsversuch des FBIs ums Leben<br />
57 Vgl. Giancarlo BIGUZZI, »A Figurative and Narrative Language Grammar of Revelation«, NT 45 (20<strong>03</strong>)<br />
382-402; J.E. HURTGEN, Anti-Language in the Apocalypse of John (Lewiston, NY: Edwin Mellen Press, 1993).<br />
58 Eine durchaus analoge Situation wäre der Versuch jemandem mit Worten zu beschreiben, welchen<br />
Eindruck die Betrachtung eines Bildes auf mich verursacht hat.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]