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Die Johannes-Apokalypse<br />
Exegetische Anmerkungen<br />
(Vorlesung, Universität Bern, Frühjahrssemester 2010, M. Mayordomo)<br />
Die Apokalyptischen Reiter (Albrecht Dürer)
2 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Inhalt<br />
1 Einleitung in die Johannes-Apokalypse.......................................................................... 5 <br />
1.1 Stellungnahmen zum Buch............................................................................................................5 <br />
1.2 Wie die Johannesoffenbarung in die Bibel kam… Kanonsgeschichtliche Anmerkungen...........5 <br />
1.3 Was für eine Art Buch ist die Johannesoffenbarung? Die Gattungsfrage....................................7 <br />
1.3.1 Terminologische Klärungen...............................................................................................7 <br />
1.4 Der Verfasser der Apokalypse.......................................................................................................9 <br />
1.4.1 Exkurs: Autoriale Präsenz in der <strong>Apk</strong>................................................................................10 <br />
1.5 Die historische Entstehungssituation in der Zeit Domitians (81-96) ............................................13 <br />
1.6 Wirkungsgeschichtliche Stationen ................................................................................................17 <br />
1.7 Sprache am Rand des Sagbaren: Zur »Antisprache« der Offb......................................................18 <br />
1.8 Gliederungsvorschlag....................................................................................................................21 <br />
1.9 Kommunikationsebenen in der Johannesoffenbarung...................................................................22 <br />
2 Lektüre............................................................................................................................ 23 <br />
2.1 Prolog (auf Erden) und Berufungsvision (1,1-20).........................................................................23 <br />
2.1.1 »Titel« (1,1f) ......................................................................................................................23 <br />
2.1.2 Makarismus (1,3) ...............................................................................................................24 <br />
2.1.3 Briefliche Einleitung und Doxologie .................................................................................25 <br />
2.1.4 Zwei prophetische Orakel (1,7f) ........................................................................................26 <br />
2.1.5 Berufungsvision (1,9-20) ...................................................................................................27 <br />
2.2 Die sieben Sendschreiben (2-3).....................................................................................................32 <br />
2.2.1 Allgemeine Beobachtungen ...............................................................................................32 <br />
2.2.2 An Ephesus (2,1-7) ............................................................................................................34 <br />
2.2.3 An Smyrna (2,8-11) ...........................................................................................................39 <br />
2.2.4 An Pergamon (2,12-17)......................................................................................................41 <br />
2.2.5 An Thyatira (2,18-29) ........................................................................................................43 <br />
2.2.6 An Sardes (3,1-6) ...............................................................................................................45 <br />
2.2.7 An Philadelphia (3,7-13)....................................................................................................46 <br />
2.2.8 An Laodizea (3,14-22) .......................................................................................................48 <br />
2.3 Prolog im Himmel (Kap. 4–5).......................................................................................................49 <br />
2.3.1 Der Thron, der auf ihm Sitzende und alles drum herum (4,1-11)......................................50 <br />
2.3.2 Das Lamm und das Buch mit den sieben Siegeln (5,1-14)................................................56 <br />
2.4 Die sieben Siegel (6,1-8,1) ............................................................................................................63 <br />
2.4.1 Die ersten sechs Siegel (6,1-17).........................................................................................63 <br />
2.4.2 Die Versiegelung der 144'000 und die Unzähligen (7,1-17) .............................................74 <br />
2.5 Das siebte Siegel (8,1) und die ersten sechs Posaunen (8,2-9,21) ...............................................77 <br />
2.5.1 Das siebte Siegel (8,1) .......................................................................................................77 <br />
2.5.2 Vorspiel im Himmel (8,2-6)...............................................................................................78 <br />
2.5.3 Die ersten vier Posaunen (8,7-12)......................................................................................79 <br />
2.5.4 Die fünfte Posaune .............................................................................................................82 <br />
2.5.5 Die sechste Posaune ...........................................................................................................85 <br />
2.6 Zwischenstück: Das zweite Wehe (10,1-11,14)............................................................................88 <br />
2.6.1 Der Engel mit dem Büchlein (10,1-11)..............................................................................88 <br />
2.6.2 Der Tempel und die beiden Zeugen (11,1-14)...................................................................91 <br />
2.7 Die siebte Posaune (11,15-18).......................................................................................................95 <br />
2.8 Kampf mit den feindlichen Mächten (11,19-14,20)......................................................................96 <br />
2.8.1 Die Frau und der Drache (11,19-12,18).............................................................................96 <br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 3<br />
2.8.2 Exkurs: Mythologische Bezüge und das Problem der Auslegung.....................................97 <br />
2.8.3 Die beiden Tiere (13,1-18).................................................................................................106 <br />
2.8.4 Das Gericht am Ende der Zeit (14,1-20)............................................................................112 <br />
2.9 Die sieben Engel und die sieben Schalen (15,1-16,21).................................................................117 <br />
2.9.1 Die Vorbereitung durch sieben Engel (15,1-8)..................................................................117 <br />
2.9.2 Die sieben Zornesschalen (16,1-21)...................................................................................119 <br />
2.10 Das Gericht über Babylon (17,1-19,10) ........................................................................................124 <br />
2.10.1 Die Vision Babylons, die große Hure (17,1-18) ................................................................124 <br />
2.10.2 Die Vernichtung Babels (18,1-24) .....................................................................................131 <br />
2.10.3 Hymnische Antwort, Abschlussvision (19,1-10)...............................................................135 <br />
2.11 Das Ende der Feinde Gottes (19,11-20,15) ...................................................................................138 <br />
2.11.1 Der Endzeitkrieger und die finale Schlacht (19,11-21) .....................................................138 <br />
2.11.2 Die Niederlage des Satans / Das Millennium (20,1-10) ....................................................145 <br />
2.11.3 Das Gericht über die Toten (20,11-15) ..............................................................................153 <br />
2.12 Die neue Welt (21,1-22,9).............................................................................................................155 <br />
2.12.1 Der Übergang zur neuen Ordnung: Neuer Himmel und neue Erde (21,1-8).....................156 <br />
2.12.2 Die Vision vom Neuen Jerusalem (21,9-22,5)...................................................................162 <br />
2.13 Epilog (22,6-21) ............................................................................................................................174 <br />
2.13.1 Zwei Gewissheiten: Wahrhaftigkeit des Buches & Nähe der Ankunft (22,6-7)................174 <br />
2.13.2 Johannes will den Engel anbeten (22,8-9) .........................................................................175 <br />
2.13.3 Abschließende Paränese (22,10-20)...................................................................................176 <br />
2.13.4 Postcriptum (22,21)............................................................................................................180 <br />
3 Rückblick (Stichworte)................................................................................................... 181 <br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
4 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 5<br />
1 Einleitung in die Johannes-Apokalypse<br />
1.1 Stellungnahmen zum Buch<br />
[Universalcode] Umberto Eco, Name der Rose: »Ich fragte ihn, warum er der Meinung sei, dass der<br />
Schlüssel zur Reihenfolge der Morde im Buch der Offenbarung zu finden sei. Er schaute mich verwundert<br />
an: ›Das Buch des Johannes bietet den Schlüssel für alles!«<br />
[Produkt eines Wahnsinnigen] George Bernard Shaw, Vorwort zu »The Adventures of the Black Girl in Her<br />
Search for God«: »Ein kurioser Bericht von den Visionen eines Drogenabhängigen, der absurderweise unter<br />
dem Titel der Offenbarung in den Kanon aufgenommen wurde.«<br />
[Ästhetisches Gebilde] Rupert von Deutz, Commentum in Apocalypsim (PL 169:826): »Welcher Abschnitt<br />
der Heiligen Schrift ist entweder schöner auf der Oberfläche als die Offenbarung oder reichhaltiger an<br />
Bedeutung?«<br />
[Kanonskritik] Martin Luther, »Vorrede auf die Offenbarung S. Johannis« (1522): »Ich sage, was ich fühle.<br />
Mir mangelt an diesem Buch nicht einerlei, dass ich’s weder für apostolisch noch für prophetisch halte. […]<br />
Dazu dünkt mich das allzuviel zu sein, dass er so hart solch sein eigen Buch, mehr als andre heilige Bücher<br />
tun (an denen viel mehr gelegen ist), befiehlt und dräuet, wer etwas davon tue, von dem werde Gott auch tun,<br />
etc. Wiederum sollen selig sein, die da halten, was drinnen stehet [22,14.18f], so doch niemand weiss, was es<br />
ist, geschweig, dass er’s halten sollt […]. Endlich halt davon jedermann, was ihm sein Geist gibt, mein Geist<br />
kann sich in das Buch nicht schicken, und ist mir die Ursach gnug, dass ich sein nicht hoch achte, dass<br />
Christus drinnen weder gelehret noch erkannt wird […].« (hrsg. Heinrich Bornkamm; neu durchges. von<br />
Karin Bornkamm (KVR 1550; Göttingen: Vandenhoeck 31989), 218f)<br />
1.2 Wie die Johannesoffenbarung in die Bibel kam…<br />
Kanonsgeschichtliche Anmerkungen<br />
Lit.: Johannes Leipoldt, Geschichte des neutestamentlichen Kanons, 2 Bde., Leipzig, 1907/8. – Gerhard<br />
Maier, Die Johannesoffenbarung und die Kirche (WUNT 25), Tübingen 1981, bes. 1-107.<br />
Der früheste Hinweis auf die Kanonizität der <strong>Apk</strong> stammt von Justin, dem Märtyrer (†163/7).<br />
Er zählt diese Schrift zu »unseren Schriften« (Apol I,28,2) und zitiert sie neben »dem Wort<br />
des Herrn« (Dial 81,4; um 151-155 verfasst):<br />
»Ein Mann namens Johannes, einer der Apostel Christi (eis tôn apostolôn tou Christou eîß tẅn<br />
hapostólwn toü Cristoü), weissagte durch eine Offenbarung, die (ihm) gewährt wurde (en apokalypsei<br />
genomenê eprophêteusen hen hapokalúyei genomén∆ heprof´jteusen), dass jene, die an unseren Christus<br />
geglaubt haben, tausend Jahre in Jerusalem wohnen werden, und dass danach die universelle und, um es in<br />
einem Wort zu sagen, ewige Auferstehung aller Menschen stattfinden wird und zeitgleich auch das<br />
Gericht.«<br />
Es gibt ausreichende Hinweise darauf, dass die <strong>Apk</strong> im zweiten Jahrhundert von Papias 1 , Meliton von Sardis,<br />
Theophil aus Antiochien, Apolonius, Irenäus benutzt wurde; ebenso auch in gnostischen Kreisen, wie das<br />
Apokryphon des Johannes (Jh. II) oder das Evangelium Veritatis aus Nag Hammadi (ca. 150) belegen. In einem<br />
Brief der Gemeinden von Wien und Lyon äußern sich Christen, die im Jahre 177 von einer Christenverfolgung<br />
betroffen sind, und verweisen auf <strong>Apk</strong> 22,11 als »Schrift«, die erfüllt werden müsse (Eusebius, HE V,1,58). Der<br />
Canon Muratori stellt knapp fest (Z. 71): »Auch von den Apokalypsen akzeptieren wir nur die des Johannes und<br />
die des Petrus.« Irenäus zitiert die <strong>Apk</strong> als »heiliges Buch des Apostels Johannes« (Adv Haer I,26,3; IV,14,2;<br />
1 Maier, Johannes-Offenbarung, 62-69.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
6 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
V,26,1). Als Werk des Apostels Johannes zitieren im 2. Jh. auch Klemens Alexandrinus (Quis div. salv. 42;<br />
Paedag. II,119,1, Strom VI,106s) ebenso wie sein Schüler Origenes (In Ioh. II,5; vgl. Eusebius) 2 .<br />
Das Zeugnis des Eusebius ist ambivalent (HE III,25,2.4):<br />
[1. Anerkannte Schriften:] »Es dürfte am Platze sein, hier die erwähnten Schriften des Neuen Testaments<br />
zusammenzufassen. An die erste Stelle ist die heilige Vierzahl der Evangelien zu setzen, an welche sich die<br />
Apostelgeschichte anschließt. Nach dieser sind die Briefe des Paulus einzureihen. Sodann ist der<br />
sogenannte erste Brief des Johnannes und in gleicher Weise der des Petrus für echt zu erklären. Zu diesen<br />
Schriften kann noch, wenn man es für gut hält, die Offenbarung des Johannes gezählt werden, über welche<br />
verschiedene Meinungen bestehen, die wir bei Gelegenheit angeben werden. Die erwähnten Schriften<br />
gehören zu den anerkannten.<br />
[2. Umstrittene, aber meist angesehene Schriften:] Zu den umstrittenen aber, welche indes gleichwohl<br />
bei den meisten in Ansehen stehen, werden der sogenannte Jakobusbrief gerechnet, der Brief des Judas,<br />
der zweite Brief des Petrus und der sogenannte zweite und dritte Johannesbrief, welche entweder dem<br />
Evangelisten oder einem anderen Johannes zuzuschreiben sind.<br />
[3. Unechte Schriften:] Zu den unechten Schriften sind die Paulusakten zu zählen, der sogenannte Hirt<br />
[des Hermas], die Offenbarung des Petrus, ferner der sogenannte Barnabasbrief, die sogenannte<br />
Apostellehre [Didache] und, wie ich schon sagte, auch noch, wenn man will, die Offenbarung des Johannes,<br />
welche, wie erwähnt, von den einen verworfen, von anderen aber zu den echten Schriften gerechnet wird.«<br />
In der Westkirche scheint ab dem 2. Jh das kanonische Ansehen der <strong>Apk</strong> keinen Schaden<br />
gelitten zu haben. Im Osten jedoch gab es Probleme 3 .<br />
Einen veritablen Todesstoß versetzte der <strong>Apk</strong> die Kritik des Origenes-Schülers Dionysius<br />
aus Alexandrien (†265). Der Hauptbeweggrund seines Angriffs gegen die <strong>Apk</strong> lag in der<br />
Widerlegung des Chiliasmus des (bereits verstorbenen) Bischofs Nepos aus Arsinoe in Fayum<br />
(Mittelägypten) 4 . Folgende Argumente legte Dionysius vor:<br />
1. Der Autor der <strong>Apk</strong> nennt sich zwar »Johannes«, aber er identifiziert sich selbst nicht mit dem<br />
geliebten Jünger des Herrn oder gibt sich als Augenzeuge des Herrn zu erkennen. Der Name war sehr weit<br />
verbreitet und zudem sind in Ephesus zwei Gräber wichtiger christlicher Leiter dieses Namens bekannt.<br />
2. Die theologischen Anschauungen unterscheiden sich auf markante Weise von denen des<br />
Johannesevangeliums und der -briefe.<br />
3. Auch der griechische Stil ist unterschiedlich von dem der anderen Johannesschriften. Das Griechisch<br />
der <strong>Apk</strong> ist voller Barbarismen und grammatikalischen Irrtümern.<br />
Die Ablehnung durch Dionysius hatte für die folgenden Jahrhunderte weitereichende<br />
Konsequenzen in der Ostkirche 5 . Nicht einmal eine so einflussreiche Gestalt wie<br />
Athanasius, der die Kanonizität des <strong>Apk</strong> in seinem 39. Osterbrief verteidigte, war in der Lage,<br />
alle Zweifel zu beseitigen 6 .<br />
2 Eusebius, HE VI,25,9: »Was soll man von jenem sagen, der an der Brust Jesu angelehnt war, von Johannes,<br />
der ein Evangelium hinterlassen hat und Zeugnis gegeben hat, dass man noch so viele schreiben könnte, dass<br />
kein Platz dafür in der Welt wäre [Joh 21,25], und der auch die Apokalypse geschrieben hat, nachdem er zum<br />
Schweigen angehalten wurde und nicht die Worte der sieben Donner schreiben sollte [<strong>Apk</strong> 10,4]?«<br />
3 Diese wurden sicherlich durch den Rekurs auf diese Schrift durch kirchliche Randgruppen wie die<br />
Montanisten [»schwärmerisch-prophetische« Bewegung] und Chiliasten [apokalyptische Strömungen, die ein<br />
1000jähriges Reich auf Erden erwarteten] genährt. Vgl. zur <strong>Apk</strong>-Kritik des Gaius Maier, Johannesoffenbarung,<br />
69-85.<br />
4 Als Hauptquelle dient Eusebius, HE VII,25,1-3. Hier begegnet auch die Behauptung, dass bereits in sehr<br />
frühen Zeiten »die Apokalypse voll und ganz abgelehnt wurde«, weil sie nicht vom Apostel Johannes stamme.<br />
Vgl. dazu auch Beasley-Murray, Revelation (WBC), 33-35.<br />
5 Einige Hinweise auf die <strong>Apk</strong> finden sich in Methodius, Ecumenius, Andreas von Cesaräa, Cyrill aus<br />
Alexandrien (De ador. in spir. et verit. 6 = PG 68,433), Apollonius (vgl. Eusebius, HE V,18,14), Epiphanius aus<br />
Salamina († 4<strong>03</strong>; Panar. 76), Johannes Philopponos (De mundi creatione IV,6), Eustracius aus Konstantinopel<br />
(beide Jh. VI), Anonymus, De sectis II,4 (ca. 597 und 607), Johannes Damaszenos (De Fide Orthod. IV,17; ca.<br />
Mitte Jh. VIII), Patriarch Phocius († 895).<br />
6 Der Ablehnung der <strong>Apk</strong> schließen sich u.a. an: Cyrill von Jerusalem (Catech IV,36), Johannes<br />
Chrysostomus, Theodor von Mopsuestia, Theodoret, Gregor von Nazianz (PG 37,474 = Leipoldt, I, 91),<br />
Amphiloquius aus Ikonien (PG 37, 1956 = Leipoldt I, 92). Die <strong>Apk</strong> wird im 59. canon der Synode von Laodicea<br />
in Kleinasien nicht erwähnt (ca. 360), ebensowenig im 85. canon der »Apostolischen Konstitution«. Die<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 7<br />
Nach Hieronymus war der kanonische Wert der <strong>Apk</strong> selbst zu seiner Zeit noch nicht allgemein anerkannt 7 . In<br />
der Ostkirche wird die offizielle kanonische Anerkennung noch bis zum 12. Jh auf sich warten lassen. Aber das<br />
Jerusalemer Konzil von 1672 erklärte nur jene Bücher für kanonisch, die Cyrill auf der Synode von Laodizea<br />
anerkannt hatte. Damit wurde die <strong>Apk</strong> wieder an den Rand des ostkirchlichen Bibelkanons gedrängt.<br />
1.3 Was für eine Art Buch ist die Johannesoffenbarung?<br />
Die Gattungsfrage<br />
1.3.1 Terminologische Klärungen 8<br />
Die Begriffe »Apokalyptik« und »Apokalyptik« werden seit ca. 150 Jahren in der<br />
wissenschaftlichen Exegese benutzt, um eine jüdische und später auch christliche<br />
Denkbewegung und deren literarische Erzeugnisse in einem Zeitrahmen von 200 v. Chr. bis<br />
200 n. Chr. zu bezeichnen. Ursprung dieser Terminologie ist der »Titel« in <strong>Apk</strong> 1,1:<br />
Apokalypsis Iêsou Christou (h Apokáluyiß h Ijsoü Cristoü).<br />
Bedeutung von apokalypsis 9 : In Herodots Universalgeschichte erscheint erstmals das Verb apokalyptô<br />
(hapokalúptw) im Sinne von »enthüllen«, »offenbaren« (I, 199). In der hellenistischen Zeit konnte das Verb<br />
auch theologische Bedeutung erhalten. Die LXX benutzt es als Übersetzung von galâ (piel = »enthüllen«) 10 . Der<br />
häufigste Gebrauch lässt jedoch auch hier nicht an einen terminus technicus für die prophetische Offenbarung<br />
durch Gott denken. Das Gleiche gilt für das Nomen apokalypsis, das anfangs z.B. auch Nacktheit bezeichnen<br />
konnte 11 , aber auch als Bezeichnung seherischer Aktivitäten dienen konnte 12 .<br />
In <strong>Apk</strong> 1,1 ist apokalypsis kein Gattungsbegriff, sondern umschreibt den Inhalt des<br />
Werkes: Das Buch wird charakterisiert als das zuverlässige Zeugnis einer von Gott an Jesus<br />
gegebenen (genitivus auctoris) und durch einen Engel dem Johannes weitergeleiteten<br />
Offenbarung / Enthüllung über Ereignisse, die bald geschehen sollen (”a deï genésqai hen<br />
tácei). Durch diesen Buchanfang wurde der Begriff apokalypsis bald zu einer<br />
Gattungsbezeichnung (analog der Bezeichnungen »Evangelium« oder »Epistel«) 13 :<br />
1. Die ältesten Handschriften der Offenbarung, die eine externe Überschrift enthalten, geben als Titel nicht<br />
»Prophetie des Johannes« an, sondern »Apokalypse des Johannes«. 14<br />
2. Im 2. Jh. listet der Canon Muratori unter den anerkannten Schriften zwei »Apokalypsen«, die des<br />
Johannes und dies des Petrus. Es gibt also zu dieser Zeit eine Schrift, die inhaltlich und formal so große<br />
Ähnlichkeiten mit der Offb besitzt, dass sie gleich wie diese bezeichnet wird.<br />
3. Von hier aus werden eine Reihe jüdischer und christlicher Werke als »Apokalypsen« bezeichnet.<br />
Seit die Forschung mit den Begriffen »Apokalypse« und »Apokalyptik« operiert, sind sehr<br />
unterschiedliche Definitionen vorgelegt worden. Die ebenso schwere wie unerlässliche<br />
byzantinische Exegese hat keinen Kommentar zur <strong>Apk</strong> hervorgebracht.<br />
7 »Tract. in Psalmos«, ed. G. Morin, Anecdota Mareds (1897), III,2,5<br />
8 Cf. esp. K. KOCH, »Einleitung«, Apokalyptik, ed. K. Koch, J.M. Schmidt (WdF 365; Darmstadt: Wiss.<br />
Buchges., 1982), 1-29.<br />
9 T. Holtz, in: EWNT 1 (1980), 312-317; A. Oepke, in: ThWNT 3 (1938), 565-597; M. Smith, On the History<br />
of APOKALUPTW and APOKALUYIS, in: Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East,<br />
ed. D. Hellholm (Tübingen, 1983; 2 1989), 9-20; P. Vielhauer, G. Strecker, Einleitung, in: NTAp II ( 5 1989),<br />
491-547:492f.<br />
10 Das hebr. Verb erscheint in Zusammenhängen wie »das Ohr öffnen«, »das Auge öffnen« (=<br />
»offenbaren«), »ein Dokumen öffentlich verlesen«.<br />
11 Philodem, Vitia 22 (unverhülltes Haupt); Plutarch, Cato Maior 20.<br />
12 Sinesius, Ep 54.<br />
13 Vielhauer/Strecker, NTApokryphen II,493: »Jedenfalls ist der Ausdruck ›Offenbarung‹ als Bezeichnung<br />
dieser Literaturwerke vorchristlich nicht nachweisbar. Diese Literaturgattung scheint ursprünglich keine<br />
gemeinsame Bezeichnung gehabt zu haben.«<br />
14 Sinaiticus und Alexandrinus lesen: APOKALUYIS IWANNOU. Der byzantinische Mehrheitstext<br />
erweitert APOKALUYIS (TOU AGIOU) IWANNOU TOU QEOLOGOU (046 KAI EUAGGELISTOU).<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
8 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Aufgabe der Begriffsklärung wird durch den Umstand belastet, dass unterschiedliche Ebenen<br />
im Objektbereich der Untersuchung vermischt werden, die jedoch – wenigstens idealtypisch –<br />
auseinander gehalten werden sollten 15 :<br />
1. »Apokalypse« als Bezeichnung einer literarischen Gattung,<br />
2. »apokalyptisch« zur Charakterisierung einer besonderen zeitlichen Perspektive auf das Ende der Geschichte<br />
und ihren Neuanfang, und<br />
3. »Apokalyptik« (engl. apocalipticism) im Sinne einer eingrenzbaren aber sehr vielfältigen sozio-religiösen<br />
Bewegung, die (nicht nur aber hauptsächlich) die antike Mittelmeerregion zu unterschiedlichen Zeiten und mit<br />
unterschiedlicher Intensität erfasste.<br />
Während der zweite Untersuchungsbereich in die NT-Theologie gehört und der dritte v.a. für<br />
die religionsgeschichtliche Untersuchung von Bedeutung ist, soll hier vornehmlich die<br />
literarische Frage interessieren. Als Ausgangspunkt möchte ich auf den Vorschlag<br />
rekurrieren, den eine Arbeitsgruppe zur Gattung der »Apokalypse« der Society of Biblical<br />
Literature vor einigen Jahrzehnten vorgelegt hat und der sich seither als produktiv erwiesen<br />
hat 16 :<br />
»[A] genre of revelatory literature with a narrative framework, in which a revelation is mediated by an<br />
otherwordly being to a human recipient, disclosing a transcendent reality which is both temporal, insofar as it<br />
envisages eschatological salvation, and spatial insofar as it involves another, supernatural world.«<br />
Übers.: »Eine Gattung von Offenbarungsliteratur mit einem narrativen Rahmen, in der eine Offenbarung<br />
durch ein übernatürliches Wesen einem menschlichen Rezipienten übermittelt wird. Inhalt dieser<br />
Offenbarung ist die Enthüllung einer transzendenten Realität, die eine zeitliche Dimension hat, insofern sie<br />
das endzeitliche Heil im Auge hat, und eine räumliche, insofern sie eine andere, übernatürliche Welt mit<br />
einschließt.«<br />
Im Anschluss an diesen Definitionsvorschlag stellt sich natürlich die Frage, inwiefern<br />
»Apokalypse« von »Prophetie« unterschieden werden kann. Einiges deutet darauf hin, dass<br />
bereits früh zwischen beiden unterschieden wurde:<br />
1. Ausgangspunkt bildet das Danielbuch, das ohne Zweifel als Prototyp für die christlichen und jüdischen<br />
Apokalypsen gelten kann. Während die christlichen Ausgaben des Alten Testaments Daniel als letzten der<br />
»großen Propheten« hinter (zum Teil sogar vor) Ezechiel platzieren, zählt die wesentlich ältere hebräische<br />
Anordnung Daniel nicht einmal zu den Propheten. Dort beendet Daniel die dritte Gruppe der »Schriften«<br />
(ketubim). 17 Die Frage stellt sich also, ob das Danielbuch als »prophetische« Schrift wahrgenommen wurde 18<br />
und ob dies nur mit seiner späteren Entstehung oder auch mit inhaltlichen Aspekten zu tun hat 19 .<br />
2. Die Offb hat mit dem Danielbuch (und anderen davon beeinflussten Werken) viele inhaltliche<br />
Gemeinsamkeiten: Zukunftsvisionen, die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod, Offenbarungen<br />
15 P.D. HANSON, »Apocalypticism«, IDBSup 1976, 28-34; Visionaries and their Apocalypses (Philadelphia,<br />
1983), 8. Bereits K. KOCH, Ratlos vor der Apokalyptik: Eine Streitschrift über ein vernachlässigtes Gebiet der<br />
Bibelwissenschaft und die schädlichen Auswirkungen auf Theologie und Philosophie (Gütersloh: Mohn, 1970)<br />
bemühte sich um eine Unterscheidung zwischen Gattung und ideengeschichtlicher Bewegung. Die hier<br />
vertretene Dreiteilung, die mir erstmals bei HANSON begegnet ist, erfreut sich weiter Anerkennung: vgl.. J.J.<br />
COLLINS, »Apocalyptic Literature«, Early Judaims and its Modern Interpreters, ed. R.A. Kraft, G.W.E.<br />
Nickelsburg (Atlanta: Scholars, 1986), 345-370:345; J.C. VANDERKAM, Enoch and the Growth of an<br />
Apocalyptic Tradition (CBQMS 16; Washington, DC: Catholic Biblical Association, 1984), 2f.<br />
16 Vgl. J.J. Collins, The Jewish Apocalypses, in: Semeia 14 (1979), 21f.<br />
17 Die Deutung dieser Tatsache ist jedoch nicht klar; vgl. K. KOCH, Das Buch Daniel (EdF 144; Darmstadt,<br />
1980), 28f: 1. Der Ort des Danielbuches im hebräischen Kanon ist ursprünglich. Darin spiegelt sich nicht nur<br />
wider, dass das Buch nicht als prophetisch aufgefasst wurde, sondern dass es zu einem Zeitpunkt verfasst wurde,<br />
als der prophetische »Kanon« als abgeschlossen galt (in Sir 49,8-10 wird Daniel nicht als prophetisches Buch<br />
erwähnt). 2. Die negative Bewertung des Danielbuches als prophetisches Buch (b Meg 3a) ist sekundär und läßt<br />
die Vermutung zu, dass es erst a posteriori aus dem Prophetenkanon ausgeschlossen wurde, gerade aufgrund<br />
seiner Nähe zur jüdischen Apokalyptik, die von den Rabbinen des sich formierenden normativen Judentums mit<br />
Verdacht betrachtet wurde.<br />
18 Daniel wird jedoch als »Prophet« bezeichnet in Mt 24,15; 4Qflor II,3 (= DJD 5 [1968], 53-57); Josephus,<br />
Ant 10,11,7 = §266-268; 10,11,4 = 249; vgl. Roger BECKWITH, The Old Testament Canon of the New Testament<br />
Church and its Background in Early Judaism (London: SPCK, 1985), 125-127.<br />
19 Differenzen zu den Prophetenbüchern bilden die auffällig klare Periodisierung der Geschichte, der Blick<br />
auf ein Weltende und der explizite Auferstehungsglaube (von Gerechten und Ungerechten!).<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 9<br />
himmlischer und kosmischer Geheimnisse, die Ausweitung der Vorstellung vom »Tag des Herrn« von einem<br />
national-lokalen innergeschichtlichen Gericht auf ein baldiges, universales und übernatürliches Gericht Gottes.<br />
Darüber hinaus zeigt die Offb auch viele Gemeinsamkeiten mit prophetischen Texten (z.B. Sach 9-14; Joel; Jes<br />
24-27), v.a. mit dem Ezechielbuch (vgl. etwa Ez 38f). 20<br />
1.4 Der Verfasser der Apokalypse<br />
Die moderne Exegese geht darin einig, dass es sich bei der <strong>Apk</strong> nicht um eine pseudepigraphe<br />
Schrift handelt. Die vierfach belegte Verfasserangabe mit »Johannes« (1,1.4.9; 22,8) wird<br />
daher als »echt« betrachtet 21 . Die kurze Vorstellung des Autors lässt an jemanden denken, der<br />
zumindest im kleinasiatischen Raum großes Ansehen genoss. Er bedarf jedenfalls keiner<br />
weiteren Identifizierung als Apostel und ebenso auch keiner besonderen Abhebung von<br />
möglichen »Namensvettern« 22 .<br />
Einiges spricht dafür, den Autor innerhalb des palästinensischen Judentums zu verorten 23 : Umgang mit dem AT<br />
(z.T. mit dem hebräischen Text), die apokalyptische Gattung, Vertrautheit mit Tempel und Tempelkult (8,3f;<br />
11,1f.19), palästinischer Lokalbezug (Armageddon in 16,16; Jerusalem in 11,2.8; 20,9) und das eigenartige<br />
semitisierende Griechisch 24 . Manche ziehen daraus den Schluss, dass der Autor nach dem Jüdisch-Römischen<br />
Krieg von 66-73 wie viele andere Juden (Josephus, Ant. XX 256) in die Diaspora floh 25 .<br />
Die frühe externe Bezeugung hat seit Justin den Autor mit dem Apostel Johannes identifiziert.<br />
Justin schreibt in Dial 81,4 (ca. 155; vgl. Eusebius, HE IV 18,8; s.o. 1.2). Neben vielen<br />
Befürwortern dieser Sicht 26 wurde sie auch bereits früh bestritten 27 . Das Urteil des Dionysius<br />
hinsichtlich der stilistischen Unterschiede zu den Johannesschriften (Evangelium und Briefe)<br />
ist in der modernen Exegese voll umfänglich bestätigt worden 28 , so dass eine Deutung im<br />
Rahmen der »johanneischen« Literatur problematisch erscheint.<br />
Die Unterschiede zwischen den stark futurischen Konzepten der <strong>Apk</strong> und dem auffällig präsentischen Zug im<br />
Evangelium und den Briefen sind auf theologischer Ebene frappant 29 . Da aber heute auch hinsichtlich der<br />
20 Den Sachbezug zwischen Apokalyptik und Prophetie betont viele Forscher. Die Diskussion um den Bezug<br />
der Apokalyptik zur Weisheit (eine These, die von VON RAD vertreten wurde), ist mittlerweile abgeflacht (vgl.<br />
Peter OSTEN-SACKEN, Die Apokalyptik in ihrem Verhältnis zu Prophetie und Weisheit. TEH 157; München:<br />
Kaiser, 1969).<br />
21 1,1: »Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gab, um seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen<br />
muß; und indem er [sie] durch seinen Engel sandte, hat er [sie] seinem Knecht Johannes kundgetan,...« 1,4:<br />
»Johannes den sieben Gemeinden, die in Asien sind…« 1,9: »Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse in der<br />
Drangsal und dem Königtum und dem Ausharren in Jesus, war auf der Insel, die Patmos genannt wird, um des<br />
Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu willen.« 22,8: »Und ich, Johannes, bin der, welcher diese Dinge hörte<br />
und sah; und als ich [sie] hörte und sah, fiel ich nieder, um anzubeten vor den Füßen des Engels, der mir diese<br />
Dinge zeigte.«<br />
22 Nur wenige nehmen an, dass es sich um ein Pseudonym handelt (Weizsäcker, Becker, Vanni und Strecker;<br />
vgl. AUNE I, xlix).<br />
23 AUNE I, l.<br />
24 Vgl. das Ergebnis der Studie von G. MUSSIES, G. The Morphology of Koine Greek as Used in the<br />
Apocalypse of John: A Study in Bilingualism (NT.S 27; Leiden 1971), 352f.<br />
25 CHARLES I, xxxix; AUNE I, l.<br />
26 Irenäus, Adv. haer. IV 20,11; Tertullian, Adv. Marc. III 14,3; III 24,4; Klemens Alexandrinus Quis Dives<br />
42; Strom. 6,106; Paed 2,108.119; Hippolytus, De Antichristo 36-42; Eusebius, HE III 18,1. Das Zeugnis des<br />
Papias ist diesbezüglich umstritten.<br />
27 Zu den Zweifeln von Gaius und Dionysius s.o. Tertullian behauptet ähnliche Zweifel von Markion (Adv.<br />
Marc. 4,5).<br />
28 Die Vertreter einer apostolisch-johanneischen Verfasserschaft der <strong>Apk</strong> versuchen den Stilunterschied<br />
dadurch zu erklären, dass es sich dabei um unterschiedliche Gattungen handelt. Das ist jedoch kaum möglich, da<br />
die Sprachunterschiede nicht mit idiomatischen Details zu tun haben, sondern mit sehr grundsätzlichen Aspekten<br />
des Ausdrucks wie z.B. das Fehlen des gentivus absolutus, der Partizipialkonstruktion mit der<br />
Verneinungspartikel m´j, der narrativen Verwendung von o~un (BEASLEY-MURRAY, Rev, 35).<br />
29 Vgl. BEASLEY-MURRAY, lxix: »A striking example of this is seen in a comparison of Rev 12:1-17 with<br />
John 12:23-26,31-32. The theology of the two passages is fundamentally the same: the dethronement of the devil<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
10 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
apostolischen Verfasserschaft des Evangeliums und der Briefe Zweifel bestehen, ist mit der Loslösung der <strong>Apk</strong><br />
von diesen Schriften die eigentliche Verfasserschaftsfrage weit weniger geklärt, als es noch zu Dionysius’ Zeiten<br />
der Fall war. Es wäre umgekehrt auch möglich, dass die <strong>Apk</strong> vom Apostel Johannes stammt und die übrigen<br />
»johanneischen« Schriften von jemand anderem 30 . Dagegen spricht die Verbindung der zwölf Stämme Israels<br />
mit den zwölf Aposteln im himmlischen Jerusalem (21,13f), die eine deutliche Distanz von der Apostelgruppe<br />
andeutet.<br />
Dass es jedoch auch »johanneische« Hinweise gibt, darf nicht übersehen werden 31 : 1. Die Autorität des Autors<br />
in Ephesus ist für eine andere Person als den Apostel Johannes schwer anzunehmen. 2. Es gibt trotz aller<br />
Stilunterschiede auch einige wörtliche Übereinstimmungen mit dem Evangeliums: Jesus als »Wort Gottes«,<br />
»Lamm Gottes«, »Zeugnis«, »Leben-Tod«, »Hunger«, »Durst«, »Sieg«, »lebendiges Wasser«.<br />
Seit uns Eusebius in einem etwas eigenartigen Diktum ein Zeugnis des Papias weitergegeben<br />
hat, das die Deutung erlaubt, in Ephesus neben dem Apostel Johannes auch einen Presbyter<br />
gleichen Namens zu lokalisieren (HE III 29,2-4), steht für die Verfasserschaft der <strong>Apk</strong> noch<br />
ein zweite Kandidat zur Verfügung 32 .<br />
Die Bedeutung der Verfasserschaftsfrage wird jedoch durch den Umstand relativiert, dass das<br />
Buch selbst seinem Selbstanspruch nach auf Gott über Jesus Christus zurückzugeht (1,1; vgl.<br />
22,16). Der Autor bezeugt die Wahrheit der Visionen (1,2; 22,8) und spricht mit autoritativer<br />
Stimme zu den Gemeinden Kleinasiens (1,4).<br />
1.4.1 Exkurs: Autoriale Präsenz in der <strong>Apk</strong> 33<br />
Die Autornennung in 1,1f erfolgt im Schatten der theologischen Autorisierung der Schrift als<br />
göttliche Offenbarung. Entsprechend ist Gott Subjekt des Satzes. Johannes erscheint nach<br />
Jesus Christus, Gott, seinen Knechten und dem Mittlerengel als »Knecht Gottes« ganz am<br />
Ende des Satzes. Seine Rolle wird in 1,2 knapp als die eines »Zeugen« des Geschauten<br />
bestimmt. Eine weitere Absicherung seines Ethos als Übermittler der göttlichen Offenbarung<br />
fehlt. Ebenso unpersönlich-knapp ist der Briefgruß in 1,4 gestaltet: Absender (»Johannes«),<br />
Empfänger (»den sieben Gemeinden«), Ort (»in Asien«) und »paulinischer« Segenswunsch<br />
(»Gnade und Friede...«). Der Absendername wird nicht ausgeführt. Dieses Fehlen von<br />
Ausführungen zur eigenen Person wird in 1,9 nachgeholt, jedoch in der deutlichen Absicht,<br />
ihn mit den Empfängern auf eine Stufe zu stellen 34 :<br />
»Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse (Ho hadelfòß Humẅn kaì sugkoinwnóß) in der Drangsal,<br />
Königtum und Ausharren in Jesus (hen t¨∆ qlíyei kaì basileíâ kaì Hupomon¨∆ hen h Ijsoü), war auf der<br />
Insel, die Patmos genannt wird, um des Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu willen.« 35<br />
and the enthronement of the Christ occur through the Redeemer’s death and exaltation to heaven, which yet<br />
entails kindred suffering for the followers of the Lord. But the modes of expression stand in great contrast: the<br />
evangelist combines synoptic-like sayings of Jesus with a quasi-apocalyptic utterance, while the prophet takes<br />
over and adapts a Jewish oracle, which itself had adapted an Ancient Near Eastern myth, to express the victory<br />
of the Messiah and his people over heathen oppresors and the coming of the divine kingdom.« Das<br />
»Apokalyptische« ist nicht einfach eine mit beliebigen Inhalten verknüpfbare Gattung, sondern eine ganz<br />
charakteristische Denkart im Hinblick auf den Verlauf der Geschichte.<br />
30 Eine solche Möglichkeit erwägen BEASLEY-MURRAY, Rev,33; BARRETT, John, 62.133f; BROWN, John I,<br />
cii.<br />
31 BEASLEY-MURRAY, Rev, 33f.<br />
32 In diese Richtung argumentiert Martin Hengel, Die johanneische Frage: Ein Lösungsversuch. Mit einem<br />
Beitrag zur. Apokalypse von Jörg Frey (WUNT 67), Tübingen: Mohr, 1993.<br />
33 Es handelt sich insg. um die folgenden Stellen: 1,1f.4.9f.12.17; 4,1f; 5,1f.4.6.11.13; 6,1-3.5-9.12;<br />
7,1f.4.9.14; 8,2.13; 9,1.13.16f; 10,1.4f.8-10; 12,10; 13,1f.11; 14,1f.6.13f; 15,1f.5; 16,1.5.7.13; 17,3.6; 18,1.4;<br />
19,1.6.10f.17.19; 20,1.4.11f; 21,1-3; 21,22; 22,8.<br />
34 Das vorangstellte hegẃ dient der Unterscheidung vom hegẃ Gottes in 1,8.<br />
35 Eine interessante Parallele zu dieser sehr flach hierarchischen Selbstbestimmung findet sich in 19,10. Der<br />
Engel, zu dessen Füßen Johannes niederrfällt, fordert ihn auf, Gott anzubeten, denn er selbst sei ja auch sein<br />
Mitknecht und der seiner Brüder, die an dem Zeugnis Jesu festhalten (súndoulóß soú ehimi kaì tẅn hadelfẅn<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 11<br />
Der Autor fasst sein Verhältnis zu seinen Adressaten – ohne große Ausführungen – als eines<br />
der Gleichheit auf. Er gehört zu ihnen nicht nur unter den Aspekt der gemeinsamen<br />
Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde (»Bruder«), sondern auch aufgrund der Teilhabe an<br />
einem ähnlichen äußeren Schicksal (beachte nur ein Artikel), welches in einem umfassenden<br />
Sinne als »Drangsal« (qlíyiß noch in 2,9f.22; 7,14), »Herrschaft« (basileía noch in 1,6;<br />
5,10; 11,15; 12,10; 16,10; 17,12.17f) und »Durchhalte(vermögen)« (Hupomon´j noch in 2,2f;<br />
2,19; 3,10; 13,10; 14,12) charakterisiert wird. Die unprätentiöse Selbstdarstellung in 1,9<br />
macht nicht nur deutlich, dass der Autor »einer von ihnen« ist, sondern auch, dass er für sein<br />
Werk einzig und alleine die Autorität Gottes beansprucht und (zumindest an dieser Stelle) es<br />
nicht nötig hat, seine eigene Autorität eigens zu untermauern.<br />
Einen versteckten Hinweis auf seine Zuverlässigkeit mag der Hinweis auf den Grund<br />
seiner Anwesenheit auf der Insel Patmos in 1,9b sein. Es handelt sich bei Patmos um eine<br />
wegen ihrer Kargheit beliebte Verbannungsinsel 36 . Zudem ist die Angabe »wegen des Wortes<br />
Gottes und des Zeugnisses Jesu« (vgl. 1,2) in der <strong>Apk</strong> eine stereotype Wendung für den<br />
Verfolgungsgrund von Märtyrern 37 . Der Autor schreibt als Verfolgter, als Märtyrer, sieht aber<br />
auch hier sich keineswegs veranlasst, seine Lage weiter auszumalen. Viel eher deutet der<br />
Hinweis auf den »Tag des Herrn« in 1,10a darauf hin, dass er (ähnlich wie Daniel am<br />
babylonischen Hof) seinen religiösen Gewohnheiten auch auf Patmos weiterging.<br />
Die recht zahlreichen Hinweise auf den Autor (meist in der ersten Person) dienen v.a.<br />
dazu, seine Zuverlässigkeit als Zeuge zu untermauern 38 :<br />
1. Was macht der Seher?<br />
• Er sieht (47x): 1,2 (in dritter Person von sich selbst); e~idon: 1,12b.17a; 4,1; 5,1f.6.11; 6,1a.2.5b.8f.12;<br />
7,1f.9; 8,2.13; 9,1.17; 10,1.5; 13,1f.11; 14,1.6.14; 15,1f.5; 16,13; 17,3.6a; 18,1; 19,11.17.19; 20,1.4.11f;<br />
21,1f; 21,22 (hier einzig was er nicht sieht, nämlich einen Tempel im neuen Jerusalem); nur in 22,8 in<br />
der Rückschau ‘ebleya.<br />
• Er hört (27x): 1,10b; 4,1 (Rückschau auf 1,10b); 5,11.13; 6,1b.3.5a.6f; 7,4; 8,13; 9,13.16; 10,4.8; 12,10;<br />
14,2a.b.13; 16,1.5.7; 18,4; 19,1.6; 21,3; 22,8<br />
• Er fällt (3x): 1,17a (zu Jesu Füßen); 19,10; 22,8 (zu den Füßen eines Engels)<br />
• Er »ist im Geist« (2x gínomai hen pneúmati): 1,10a; 4,2<br />
• Er gibt Zeugnis: 1,2 (in dritter Person von sich selbst)<br />
• Er dreht sich um, um zu sehen: 1,12a<br />
• Er weint sehr: 5,4<br />
• Er spricht: 7,14<br />
• Er ist im Begriff zu schreiben: 10,4 (‘jmellon gráfein)<br />
• Er wundert sich sehr: 17,6b<br />
• Auffällig präsent ist der Seher in 10,8-11:<br />
sou tẅn hecóntwn t`jn marturían h Ijsoü). Der gleiche Fall ereignet sich in 22,8f, woraufhin der Engel<br />
ähnlich antwortet: »Und er spricht zu mir: Siehe zu, [tu es] nicht! Ich bin dein Mitknecht und der deiner Brüder,<br />
der Propheten, und derer, welche die Worte dieses Buches bewahren (súndoulóß soú ehimi kaì tẅn hadelfẅn<br />
sou tẅn profjtẅn kaì tẅn tjroúntwn toùß lógouß toü biblíou toútou). Bete Gott an!« (22,9)<br />
36 Zu Patmos vgl. XXX<br />
37 1,2: ”oß hemartúrjsen tòn lógon toü qeoü kaì t`jn marturían h Ijsoü Cristoü, “osa<br />
e~iden. 1,9b: hegenómjn hen t¨∆ n´js^w t¨∆ kaloumén∆ Pátm^w dià tòn lógon toü qeoü kaì t`jn<br />
marturían h Ijsoü. Das Begriffspaar erscheint noch in 6,9 (»Und als es das fünfte Siegel öffnete, sah ich<br />
unter dem Altar die Seelen derer, die geschlachtet worden waren um des Wortes Gottes und um des Zeugnisses<br />
willen, das sie hatten [dià tòn lógon toü qeoü kaì dià t`jn marturían ”jn e~icon].«); 12,11 (»Und sie haben<br />
ihn überwunden um des Blutes des Lammes und um des Wortes ihres Zeugnisses willen [kaì dià tòn lógon<br />
t¨jß marturíaß ahutẅn], und sie haben ihr Leben nicht geliebt bis zum Tod!«); 20,4 (»Und ich sah Throne, und<br />
sie setzten sich darauf, und das Gericht wurde ihnen übergeben; und [ich sah] die Seelen derer, die um des<br />
Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen [t`jn marturían h Ijsoü kaì dià tòn lógon toü qeoü]<br />
enthauptet worden waren, und die, welche das Tier und sein Bild nicht angebetet und das Malzeichen nicht an<br />
ihre Stirn und an ihre Hand angenommen hatten, und sie wurden lebendig und herrschten mit dem Christus<br />
tausend Jahre.«)<br />
38 Nach AUNE, I, xlix ist das ein in Apokalypsen oft beobachtbares Phänomen; Dan 7,2.15; 8,1; 9,2; 10,2;<br />
4Esr 2,33.42; 3,1; syrBar<strong>Apk</strong> 1,1.7; 4,1.9; 5,1.<br />
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12 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
»Und die Stimme, die ich aus dem Himmel hörte, redete wieder mit mir und sprach: Gehe hin, nimm das<br />
geöffnete Buch in der Hand des Engels, der auf dem Meer und auf der Erde steht! 9 Und ich ging zu dem<br />
Engel und sagte ihm, er möge mir das Büchlein geben. Und er spricht zu mir: Nimm es und iß es auf! Und es<br />
wird deinen Bauch bitter machen, aber in deinem Mund wird es süß sein wie Honig. 10 Und ich nahm das<br />
Büchlein aus der Hand des Engels und aß es auf; und es war in meinem Mund süß wie Honig, und als ich es<br />
gegessen hatte, wurde mein Bauch bitter gemacht. 11 Und sie sagen mir: Du mußt wieder weissagen über<br />
Völker und Nationen und Sprachen und viele Könige. 10:8 Kaì Hj fwn`j ”jn ‘jkousa hek toü ohuranoü,<br />
pálin laloüsan meth hemoü kaì légousan, “ Upage lábe tò biblíon tò hjne^wgménon hen t¨∆ ceirì toü<br />
haggélou toü Hestẅtoß hepì t¨jß qalássjß kaì hepì t¨jß g¨jß. 10:9 kaì hap¨jlqa pròß tòn ‘aggelon légwn<br />
ahut¨^w doünaí moi tò biblarídion. kaì légei moi, Lábe kaì katáfage ahutó, kaì pikraneï sou t`jn<br />
koilían, hallh hen t¨^w stómatí sou ‘estai glukù Hwß méli. 10:10 kaì ‘elabon tò biblarídion hek t¨jß<br />
ceiròß toü haggélou kaì katéfagon ahutó, kaì ~jn hen t¨^w stómatí mou Hwß méli glukú≥ kaì “ote ‘efagon<br />
ahutó, hepikránqj Hj koilía mou. 10:11 kaì légousín moi, Deï se pálin profjteüsai hepì laoïß kaì<br />
‘eqnesin kaì glẃssaiß kaì basileüsin polloïß.<br />
2. Was geschieht dem Seher?<br />
• Jemand spricht zu ihm: einer der Ältesten (5,5; 7,13f), ein Engel (10,9.11; 17,7.15; 19,9.10b; 22,6.9f),<br />
Gott (21,6).<br />
• Es wird ihm ein stabähnliches Rohr gegeben (hedóqj moi kálamoß “omoioß Hrábd^w) mit dem Auftrag<br />
den Tempel Gottes, den Altar und die im Tempel Anbetenden auszumessen (métrjson tòn naòn toü<br />
qeoü kaì tò qusiast´jrion kaì toùß proskunoüntaß hen ahut¨^w), aber nicht den Außenhof (11,1f).<br />
Die Ausführung dieses Auftrags wird nicht erwähnt!<br />
• Ein Engel führt ihn »im Geist« (hep´jnegkén [von hapoféw] me hen pneúmati) in die Wüste (17,3) oder<br />
auf einen großen und hohen Berg, von wo aus er ihm das neue Jerusalem zeigt (21,10: deíknumi); er<br />
zeigt ihn Teile der neuen Stadt (22,1.8: deíknumi).<br />
3. Welche Befehle erhält Johannes?<br />
• Schreibe! (1,11.19; 2,1.8.12.18; 3,1.7.14; 14,13; 19,9; 21,5<br />
• Fürchte dich nicht! (1,17<br />
• Komm herauf! (4,1: hanába)<br />
• Weine nicht! (5,5)<br />
• Komm! (6,1.3.5.7: ‘ercou)<br />
• Versiegle, was die sieben Donner geredet haben, und schreibe dies nicht! (10,4)<br />
• Gehe hin, nimm das geöffnete Buch in der Hand des Engels, der auf dem Meer und auf der Erde steht!<br />
… Nimm und iss es auf! (10,8f)<br />
• Du musst wieder weissagen über Völker und Nationen und Sprachen und viele Könige. (10,11)<br />
• Steh auf und miß den Tempel Gottes und den Altar und dier welche darin anbeten! Und den Hof, der<br />
außerhalb des Tempels ist, lass aus und miss ihn nicht! (11,1f)<br />
• Siehe zu, tu es nicht! (19,10; 22,9: ‘ora m´j)<br />
4. Interessant ist noch der hohe Anteil an direkter Rede in erster Person durch Gott und<br />
Jesus 39 . Darin drückt sich auch rein formal die theologische Autorschaft von 1,1f aus.<br />
5. Der Modus seines »Zeugnisses« ist das vorhandene »Buch der Prophetie«. Die<br />
Eigenthematisierung des Buches als »Charakter« innerhalb des Dramas der Apokalypse ist<br />
bereits zu Anfang spürbar 40 . In 1,3 werden der Lesende und die Hörenden und Bewahrenden<br />
der prophetischen Worte glücklich gepriesen (makárioß Ho hanaginẃskwn kaì oHi<br />
39 Gott spricht direkt in: 1,8 (»Ich bin das Alpha und das Omega…«); 11,3; 21,5-7; 22,13. Jesus in 1,17f; 4,1<br />
(zu Johannes); 2-3 (zu den Gemeinden: 1. Person in 2,2.4-7.9f.13f.16f.19-26.28; 3,1-3.5.8-12.15-21); 16,15<br />
(»Ich komme wie ein Dieb…«); 22,7.12.16.18.20 (gerade 22,18 könnte auch vom Seher gesprochen sein, aber<br />
V. 20 legt nahe, dass es sich dabei doch um Jesus handelt). Engel sprechen auch in der ersten Person (7,3;<br />
17,1.7; 19,10b; 21,9; 22,8).<br />
40 Neben dem vorhandenen Prophetenbuch gibt es noch ein »Buch des Lebens« (3,5; 13,8; 17,8; 20,12<br />
[neben anderen Büchern im Endgericht]; 20,15; 21,27), ein innen und außen beschriebenes versiegeltes Buch<br />
(Kodex? 6,14 setzt aber das Bild der Buchrolle voraus) in der rechten Hand des Thronenden (5,1-5), das das<br />
Lamm entgegennimmt und entsiegelt (5,8f) und ein geöffnetes Büchlein, das der Seher vom Engel nimmt und<br />
isst (10,2.8-10).<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 13<br />
hakoúonteß toùß lógouß t¨jß profjteíaß kaì tjroünteß tà hen ahut¨∆ gegramména, Ho<br />
gàr kairòß heggúß.). Die Abfolge von Singular und Plural entspricht m.E. der Situation einer<br />
vorlesenden Person und einer entsprechenden Hörgemeinschaft. Dieser Makarismus findet<br />
sich in ähnlichem Wortlaut am Ende wieder: kaì hidoù ‘ercomai tacú. makárioß Ho tjrẅn<br />
toùß lógouß t¨jß profjteíaß toü biblíou toútou (22,7; vgl. 22,9).<br />
Der Seher empfängt den göttlichen Befehl, was er sieht in ein Buch zu schreiben und den<br />
Gemeinden zu schicken (1,11.19; vgl. den stereotypen Anfang jedes Sendschreibens »den<br />
Engel der Gemeinde X schreibe«: 2,1.8.12.18; 3,1.7.12.15). An diesen Schreibbefehl wird<br />
einige Male erinnert (10,4; 14,13; 19,9, 21,15). Bezeichnenderweise erhält der Prophet am<br />
Ende die Anweisung, »die Worte der Prophetie dieses Buches« nicht zu versiegeln, weil die<br />
Zeit nahe ist (22,10). Schließlich kommt es am Ende sogar zu einer Autokanonisierung:<br />
18 Marturẅ hegẁ pantì t¨^w hakoúonti toùß lógouß t¨jß profjteíaß toü biblíou toútou≥ heán tiß<br />
hepiq¨∆ heph ahutá, hepiq´jsei Ho qeòß heph ahutòn tàß pljgàß tàß gegramménaß hen t¨^w biblí^w toút^w≥ 19<br />
kaì heán tiß hafél∆ hapò tẅn lógwn toü biblíou t¨jß profjteíaß taútjß, hafeleï Ho qeòß tò méroß<br />
ahutoü hapò toü xúlou t¨jß zw¨jß kaì hek t¨jß pólewß t¨jß Hagíaß, tẅn gegramménwn hen t¨^w biblí^w<br />
toút^w. (Ich bezeuge jedem, der die Worte der Weissagung dieses Buches hört: Wenn jemand zu diesen<br />
Dingen hinzufügt, so wird Gott ihm die Plagen hinzufügen, die in diesem Buch geschrieben sind; 19 und<br />
wenn jemand von den Worten des Buches dieser Weissagung wegnimmt, so wird Gott sein Teil wegnehmen<br />
von dem Baum des Lebens und aus der heiligen Stadt, von denen in diesem Buch geschrieben ist.)<br />
1.5 Die historische Entstehungssituation in der Zeit Domitians<br />
(81-96) 41<br />
Die Datierung der Offb geht im Wesentlichen in zwei Richtungen 42 : Eine Spätdatierung<br />
gegen Ende der Regierungszeit Domitians (81-96) 43 oder als Reaktion auf die neronische<br />
Verfolgung (64) vor dem Ende des Jüdisch-Römischen Krieges (also gegen 70) 44 .<br />
Die externe Evidenz favorisiert die Domitian-These:<br />
a) Polykarp (†155) erwähnt in Phil 5,3), dass es in Smyrna keine christliche Gemeinde<br />
gab, als Paulus seinen Brief an die Philipper schrieb (die Vorschläge rangieren von 53 und<br />
58). Dieser terminos a quo würde jedenfalls nicht kategorisch gegen eine Frühdatierung<br />
sprechen.<br />
b) Justin Martyr erwähnt die <strong>Apk</strong> in Dial. 81,4 und situiert sein eigenes Schreiben kurz<br />
nach dem Bar Kochba-Aufstand (132-135; Dial. 1,3; 9,3).<br />
41 Zu den historischen Zusammenhängen der Flavierzeit vgl. Karl CHRIST, Geschichte der römischen<br />
Kaiserzeit von Augustus bis zu Konstantin (München: Beck, 3 1995) 243-284.<br />
42 BELL, A.A., Jr. »The Date of John’s Apocalypse: The Evidenceof Some Roman Historians Reconsidered.«<br />
NTS 25 (1978/79), 93-102; PARKER, Floyd O. »›Our Lord and God‹ in Rev 4,11: Evidence for the late date of<br />
Revelation?« Biblica 82 (2001) 207-231. [Häufig wird diese Anrede als bewusstes Gegenkonstrukt gegen die<br />
Betitelung von Domitian als dominus et deus noster angesehen. Parker plädiert stattdessen für atl. Herkunft.];<br />
ULRICHSEN, Jarl Henning. »Die sieben Häupter und die zehn Hörner zur Datierung der Offenbarung des<br />
Johannes.« StTh 39 (1985) 1-20; WILSON, J. Christian. »The Problem of the Domitianic Date of Revelation.«<br />
NTS 39 (1993) 587-605; YARBRO COLLINS, Adela. »Dating the Apocalypse of John.« BR 26 (1981) 33-45. [Zum<br />
ausführlichen extremen Spätdatierungsvorschlag von Witulski in die Zeit Hadrians kann hier (noch nicht)<br />
Stellung genommen werden...]<br />
43 Von den Kommentaren Swete, Beckwith, Charles, Roloff; weiterhin Böcher, Yarbro Collins, Müller,<br />
Koester, Hemer.<br />
44 Diese gängige Sicht im 19. Jh wird von einer Minderheit vertreten, z.B. Bell, Wilson und Rowland. AUNE<br />
denkt, dass Teile der <strong>Apk</strong> in beiden Zeiten verfasst worden sind.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
14 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
c) Irenäus gibt in Adv. haer. V 30,3 (vgl. Eusebius, HE III 18,3; V 30,3) die Regierung<br />
Domitians als Datierung an:<br />
»Wenn es aber notwendig wäre in der jetzigen Zeit seinen Namen zu verkündigen, wäre es durch jenen<br />
gesagt worden, der die Offenbarung sah. Denn er/sie wurde vor nicht langer Zeit geschaut, sondern beinahe<br />
in unserer Generation, gegen Ende der Herrschaft Domitians.« (eig. Über.) [Griech.: e˙ dè ‘edei hanafandòn<br />
hen tẅ nün kairẅ kjrúttesqai to‘unoma ahutou, dih hekeínou ’an herréqj toü kaì t`jn hapokáluyin<br />
Heorakótoß. ohudè gàr prò polloü crónou Hewráqj 45 , hallà scedòn hepì t¨jß Hjmetéraß geneäß, prò`ß<br />
tẅ téĺei t¨jß Dometianoü harc¨jß.]<br />
Die Lektüre der Johannesoffenbarung aus dem Blickwinkel einer systematischen<br />
Verfolgung hat zwar eine lange Tradition, ist aber angesichts des Fehlens nicht-christlicher<br />
Quellen historisch fragwürdig.<br />
Die Weichen für das christliche Konstrukt einer domitianischen Verfolgung wurden von Irenäus gestellt, dem<br />
wir den Hinweis auf eine Entstehung der Schrift während der Regierungszeit Domitians verdanken (s.o.).<br />
Eusebius brachte den Stein ins Rollen, indem er uns – darin vielen antiken Historiographen folgend – einen<br />
Kaiser Domitian präsentiert, der in seiner brutalen und tyrannischen Verfolgung der Christen dem gefürchteten<br />
Nero in Nichts nachstand (Eusebius, HE III 17; 18, 4). Die spätere christliche Historiographie tat den Rest: So<br />
unterstellt Orosius (5. Jh) Domitian habe sich erdreistet »die im ganzen Erdkreis äußerst gefestigte Kirche<br />
Christi durch überallhin zum Zwecke einer grausamsten Verfolgung gesandte Edikte zu erschüttern« 46 . Bis zum<br />
Beginn des 20. Jh.s bildet die domitianische Verfolgung den Horizont für die Deutung der Offb. In der<br />
Aktualität wird eine domitianische Christenverfolgung, wenn überhaupt, nur noch sehr vereinzelt vertreten 47 .<br />
Das Fehlen nicht-christlicher Quellen und die Neubeurteilung der Gestalt Domitians und des<br />
Kaiserkults hat im Wesentlichen zu fünf Positionen geführt 48 :<br />
1. Es gab eine Verfolgung, auch wenn wir dafür nicht mit dem Zeugnis außerbiblischer Quellen rechnen<br />
können.<br />
2. Die Datierung der Offb muss in die Zeit der neronischen Verfolgung gelegt werden.<br />
3. Die Offb ist eher Ausdruck eines Traumas, das eine aktuelle Verfolgung zwar nicht voraussetzt, aber für<br />
die Zukunft befürchtet. Es muss also zwischen der objektiven Krise und der subjektiven Wahrnehmung<br />
unterschieden werden.<br />
4. Es gab keine äußere Krise, weder objektiv noch subjektiv. Christen wurden nicht ausgegrenzt und auch<br />
die Bedeutung des Herrscherkults ist übertrieben worden. Die leitende Motivation ist die Situation innerhalb der<br />
Gemeinde.<br />
5. Es gibt nur eine innere Krise, bei der im Wesentlichen der Autoritätskonflikt zwischen Johannes und<br />
seinem Prophetenzirkel und anderen christlichen Lehrern in den kleinasiatischen Gemeinden ausgehandelt wird.<br />
Nach dem Gesetz des Pendels wird derzeit verstärkt die These vertreten, die Offb sei in<br />
äußerlich ruhigen Zeiten entstanden und verdanke ihre Abfassung nur den<br />
innergemeindlichen Auseinandersetzungen zwischen Johannes und den sog. »Nikolaiten«<br />
(2,6.15).<br />
M.E. wird hier die Situation verharmlost:<br />
1. Die historische Situierung der Offb ist sicherlich allzu stark mit der umstrittenen Figur<br />
Domitians verknüpft worden. Auch wenn wir das stark ins Negative verflachte Domitianbild<br />
wenigstens von der Untat einer Christenverfolgung entlasten können, war seine<br />
Regierungszeit (81-96) keine Zeit der Entspannung und Ruhe, sie wird viel eher als eine Zeit<br />
der Angst in Erinnerung gehalten 49 .<br />
45 Das logische Subjekt von Hewráqj ist umstritten, da es sich auf t`jn hapokáluyin oder auf toü kaì t`jn<br />
hapokáluyin Heorakótoß beziehen kann<br />
46 Historia adv. paganus VII 10,1; übers. A. Lippold, BAW, 1986, II,159f.<br />
47 Vgl. bes. Marta SORDI, The Christians and the Roman Empire (London: Routledge, 1994) 43-54; Paul<br />
KERESZTES, »The Imperial Roman Government and the Christian Church. I. From Nero to the Severi«, ANRW<br />
II/23,1 (1979) 247-315:265-272 (der u.a. auch die Offb als Quelle auswertet!).<br />
48 Vgl. Paul B. DUFF, Who Rides the Beast? Prophetic Rivalry and the Rhetoric of Crisis in the Churches of<br />
the Apocalypse (Oxford University Press 2001) 5-10.<br />
49 Vgl. zum Folgenden Alfred KNEPPE, Metus temporum: Zur Bedeutung von Angst in Politik und<br />
Gesellschaft der römischen Kaiserzeit des 1. und 2. Jhdts. n. Chr. (Stuttgart: Franz Steiner, 1994) 182-186.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 15<br />
Es ist interessant, wie stark die tendentiösen Domitianberichte von Tacitus (Agr. 39.42f), Cassius Dio 67, Plinius<br />
(Paneg. 48) (alle drei Senatoren!), Philostrat (Vit Apoll 7,4.14) und Sueton (Dom) auf den Topos der<br />
Tyrannenfurcht gepaart mit Grausamkeit rekurrieren. Durch die Vertreibung der Philosophen aus Rom setzte<br />
sich dieses Bild auch im Osten fest. Dio Chrysostomus, der selbst von dieser Vertreibung betroffen war<br />
(Philostr., Vit. soph. 1,7), sagt von Domitian, dass derjenige, der sich von allen Gott nennen ließ, in Wirklichkeit<br />
ein böser Dämon war (45,1). Von der Angst der Menschen gegenüber Domitian sagt Plinius:<br />
»48,3 Und eben aus diesem Haus [sc. in dem jetzt der gelobte Kaiser Trajan wohnt] hatte vor kurzem noch<br />
jenes abscheuliche Ungeheuer eine Festung des Schreckens gemacht, als es wie in einer Höhle<br />
eingeschlossen bald das Blut seiner Verwandten leckte, bald losbrach, um den edelsten Bürgern Tod und<br />
Verderben zu bringen! 4 Vor dem Portal herrschte eine Atmosphäre des Schreckens, der Bedrohung und der<br />
Furcht, die gleichermaßen Zugelassene und Abgewiesene erfasste. Und dann er selbst – eine schreckliche<br />
Begegnung, ein entsetzlicher Anblick! Hochmut auf der Stirn, Wut in den Augen, ein weibisch bleicher<br />
Körper, ein hochrotes Gesicht mit schamlosen Ausdruck. 5 Niemand wagte, zu ihm hinzugehen, ihn<br />
anzusprechen. Stets zog es ihn in dunkle Abgeschiedenheit, und wenn er je aus seiner Einsiedelei losbrach,<br />
dann nur, um anderswo Einsamkeit zu schaffen. 49,1 Und dennoch hat er in denselben Wänden und Mauern,<br />
mit denen er sein Leben zu schützen glaubte, nicht nur sich selbst, sondern zugleich auch die List und den<br />
Hinterhalt und den Gott, der Freveltaten rächt, eingeschlossen. Die Rache stieß Wachen zur Seite und drang<br />
auf engen und versperrten Wegen ein, nicht anders als stünden alle Tore und Schwellen einladend offen.<br />
Nichts nütze ihm da sein Gottsein [!], nichts jene Geheimgemächer und Schlupfwinkel der Bosheit, in die ihn<br />
Angst, Hochmut und der Haß auf die Menschen trieben.« (Pan. 48,3-49,1; übers. Werner Kühn, TzF, 94-97)<br />
Dass Domitian zudem in auffälliger Weise den Titel dominus et deus für sich reklamierte,<br />
darf – trotz der Neubewertung seiner Person – als gesichert gelten 50 .<br />
2. Wesentlich wichtiger aber als der unmittelbare Einfluss Domitians ist die Vorherrschaft<br />
des Kaiserkults in Kleinasien.<br />
Dabei müssen wir uns von der einseitigen Vorstellung lösen, der Kaiserkult sei eine von Rom aus<br />
implementierte Form politischen Loyalitätszwangs gewesen 51 . In der Regel hat der römische Machtapparat die<br />
Kultautonomie der unterworfenen Städte nicht angetastet. Die hellenistischen Städte im Osten verfügten bereits<br />
über eine lange Tradition des Königskultes; und solche Kulte erwiesen sich als idealer Rahmen, um die<br />
imperiale Macht Roms innerhalb der traditionellen religiösen Ausdrucksformen einer Stadt symbolisch zum<br />
Ausdruck zu bringen.<br />
Der Kaiserkult war integraler Bestandteil einer komplexen Tauschbeziehung von<br />
Unterwerfung und Gratifikation, die das Verhältnis zwischen Griechen und Römern,<br />
Besiegten und Siegern grundlegend strukturierte 52 . Die Initiative zur Einrichtung des<br />
Kaiserkultes ging daher häufig von den Städten Kleinasiens selbst aus 53 . Besonders Ephesus,<br />
Smyrna und Pergamon standen in Konkurrenz zueinander 54 : Im Jahre 83/84 stritten z.B. diese<br />
drei Städte um die Verleihung der Domitian-Neokorie (also um den Rang eines offiziellen<br />
Tempelwächter-amts). Der Kult wurde Ephesus gewährt und machte diese Stadt damit zur<br />
wichtigsten Metropole der Provinz Asia.<br />
Nach PRICE (S. 249-274) finden wir in den Städten der Offb die folgenden Herrschertempel: Pergamum: Roma<br />
und Augustus, Zeus Philios und Trajan, Imperium Romanum im traditionellen Asklepiostempel, Tempel zu<br />
Ehren Faustinas, Ionischer Caracalla-Tempel (auch ein Asklepiostempel? = Neokoros). Ephesus: Roma und<br />
50 Zu Beginn hat Domitian diese Anrede abgelehnt (Stat., Silv. I 8,83f: »und mit liebevoller Hingebung<br />
nannten sie ihn Herr; dies allein lehnte der Kaiser zu erlauben ab [et dulci dominum favore clamant, hoc solum<br />
vetuit licere Caesar]«). Zur späteren Entwicklung vgl. Mart., Ep 5,8,1; 7,34,8f; 8,2,6; 9,66,3; 10,72; Cass. Dio<br />
67,13,3f; Sueton, Dom. 13,2. Vgl. Manfred CLAUSS, Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich<br />
(Stuttgart; Leipzig: Saur 1999) 119-121.<br />
51 Vgl. S.R.F. PRICE, Rituals and Power: The Roman Imperial Cult in Asia Minor (Cambridge: Cambridge<br />
University Press, 1984) 15f.53; Andreas BENDLIN, »Peripheral Centres – Central Peripheries: Religious<br />
Communication in the Roman Empire«, in: Hubert Cancik / Jörg Rüpke (Hrsg.), Römische Reichsreligion und<br />
Provinzialreligionen (Tübingen: Mohr Siebeck, 1997), 35-70.<br />
52 PRICE, Rituals, 65-77.<br />
53 In solchen Fällen gewährte Rom (Senat und Herrscher) die Erlaubnis für die Organisation, Finanzierung<br />
und Verwaltung größerer Kultstätten auf provinzialer Ebene mit eigenen Festen und Spielen.<br />
54 Michael DRÄGER, Die Städte der Provinz Asia in der Flavierzeit: Studien zur kleinasiatischen Stadt- und<br />
Regionalgeschichte (EHS 3:576; Frankfurt a.M.; Bern: Peter Lang, 1993) 1<strong>03</strong>-200.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
16 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Julius Caesar (von Augustus autorisiert), Augustustempel im Artemision (Sebasteion, Augusteum, wobei<br />
Augustus und Artemis nicht den gleichen Raum teilten), Augustustempel in der Stadt (seit 27 v.Chr.),<br />
Königsportiko, Domitiantempel (erstes imperiales Neokoros, später Vespasian neugeweiht), Hadriantempel<br />
(früher Artemis geweiht?), Hadriantempel (zweites imperiales Neokoros), Antononiusaltar, Sarapeion. Smyrna:<br />
Tempel for Tiberius, Livia und dem röm. Senat, Hadrianneokoros. Faustinaportikum. Philadelphia: Tempel und<br />
Neokorat von Caracalla. Sardis: Augustustempel, Antonius Pius und Faustina im Artemision. Thyatira:<br />
Königskaus. Laodizea: Imperiumtempel (zur Zeit Domitians?), Neokorat von Commodus und Caracalla.<br />
Diese freiwillige Bewegung von den Städten hin zu Rom entspricht durchaus der Darstellung<br />
der Offb: Das Tier aus dem Meer setzt seine Anbetung nicht mit Gewalt durch. Die Menschen<br />
beten den Drachen und das Tier an, weil es von einer tödlichen Wunde geheilt wurde (13,3f;<br />
vgl. 13,8), bzw. weil das zweite Tier sie mit großen Zeichen dazu verführt (13,11-17). In<br />
17,17 übergeben die Völker »ihr Reich dem Tier«. Auch die »große Hure« wird nicht als<br />
imperialistischer Unterdrückungsapparat dargestellt, sondern viel eher als Anziehungspunkt<br />
für alle Könige der Erde (17,2). Ich möchte daher die folgende These formulieren: Die Gefahr<br />
für die christlichen Gemeinden ging weniger von Rom direkt aus, sondern entsprang dem<br />
Versuch der kultautonomen Städte Kleinasiens, durch freiwillige Intensivierung des<br />
Kaiserkults an Ansehen und Status vonseiten Roms zu gewinnen. Die christliche<br />
Kultverweigerung, die natürlich nicht nur den Kaiserkult betraf, war in erster Linie kein<br />
politischer Affront gegen das römische Machtzentrum. Sie stellte viel eher eine Gefährdung<br />
der Stadtidentität und eine Hinterfragung des darin wirksamen Machtgefüges dar.<br />
3. Weiterhin möchte ich auf die folgenden Daten hinweisen: Christen und Christinnen<br />
waren in Kleinasien – wie die ca. 20 Jahre später abgefasste Pliniuskorrespondenz (111-113)<br />
belegt – real davon bedroht, aufgrund einer Anzeige zu Tode verurteilt zu werden. Der Tod<br />
des Antipas in Pergamon (2,13) zeugt von dieser Wirklichkeit.<br />
Christenverfolgungen in Kleinasien nach der Pliniuskorrespondenz (111-113; Ep. X 96f):<br />
An Kaiser Traian: 1 Es ist mir sehr wichtig, Herr, alles, was mir zweifelhaft ist, Dir vorzutragen. Wer könnte<br />
mich in meiner Unentschlossenheit führen, mir in meiner Unwissenheit raten? An Verhandlungen gegen<br />
Christen war ich früher nie beteiligt; daher weiß ich nicht, was und wie weit man zu strafen oder zu<br />
untersuchen pflegt. 2 Ich war auch ganz unschlüssig, ob nicht das Lebensalter einen Unterschied machen<br />
soll, ob sich nicht einmal die ganz Jungen von den Älteren unterscheiden sollen, ob bei Reue Verzeihung<br />
gewährt werden soll oder ob es dem, der ganz und gar Christ gewesen ist, nichts helfen soll, sich abgekehrt<br />
zu haben; ob nicht der Name allein, auch wenn keine Verstöße vorliegen, oder nur Verstöße im<br />
Zusammenhang mit der Namensführung bestraft werden sollen. Einstweilen bin ich mit denen, die mir als<br />
Christen gemeldet wurden, folgendermaßen verfahren: 3 Ich habe sie gefragt, ob sie Christen seien. Die das<br />
zugaben, habe ich ein weiteres und ein drittes Mal unter Androhung von Strafe gefragt; die dabei verharrten,<br />
befahl ich abzuführen. Denn ich hatte keine Zweifel: Was es auch sein mochte, das sie bekannten, es musste<br />
sicher als Starrsinn und unbeugsame Widersetzlichkeit bestraft werden. 4 Es gab auch welche von gleicher<br />
Verblendung, die ich, da sie römische Bürger waren, zur Überstellung nach Rom vorgesehen habe. Während<br />
der Beschäftigung damit ergaben sich, wie es oft geschieht, in dem Masse, wie sich das Vergehen<br />
ausbreitete, mehrere Arten von Fällen. 5 Mir wurde eine Schrift ohne Verfassernamen vorgelegt, die viele<br />
Namen enthielt. Diejenigen, die bestritten, dass sie Christen seien oder gewesen seien, glaubte ich ausser<br />
Verfolgung setze,n zu müssen, da sie nach meinem Beispiel die Götter anriefen und vor Deinem Bilde, das<br />
ich zu diesem Zweck mit den Götterbildern hatte bringen lassen, mit Weihrauch und Wein opferten,<br />
ausserdem Christus schmähten, wozu wirkliche Christen angeblich nicht gezwungen werden können. 6<br />
Andere, die der Angeber genannt hatte, bekannten sich erst als Christen und bestritten es dann wieder; sie<br />
seien es zwar gewesen, hätten dann aber davon abgelassen, manche vor drei Jahren, manche vor noch mehr<br />
Jahren, einzelne sogar vor zwanzig Jahren. Alle diese bezeigten Deinem Bilde und den Götterbildern ihre<br />
Verehrung und schmähten Christus. 7 Sie versicherten übrigens, ihre ganze Schuld oder Verfehlung habe<br />
darin bestanden, dass sie immer an einem festgesetzten Tag vor Sonnenaufgang zusammenkamen, Christus<br />
wie einem Gott ein Lied darbrachten, im Wechselgesang, und sich eidlich verpflichteten -nicht etwa zu<br />
irgendeinem Verbrechen, sondern dazu, keinen Diebstahl, keine Räuberei keinen Ehebruch zu begehen, nicht<br />
wortbrüchig zu werden, anvertrautes Gut auf Mahnung nicht zu verweigern. Nach dieser Handlung sei es ihr<br />
Brauch gewesen, sich zu trennen und dann wieder zusammenzukommen, um Speise zu sich zu nehmen,<br />
jedoch übliche und unschädliche; aber davon hätten sie Abstand genommen, nach meinem Erlass, durch den<br />
ich gemäss Deiner Anordnung Geheimbünde verboten hatte. 8 Umso mehr hielt ich es für nötig, aus zwei<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 17<br />
Mägden, die Helferinnen genannt werden, herauszubekommen, was wahr sei, und zwar unter der Folter.<br />
Nichts anderes fand ich als verschrobenen, masslosen Aberglauben. 9 Darum habe ich die Ermittlung vertagt<br />
und beeile mich, Deinen Rat einzuholen. Die Sache scheint mir nämlich einer Anfrage wert zu sein, vor<br />
allem wegen der grossen Zahl der Gefährdeten; denn viele jeden Alters, jeden Ranges, auch beiderlei<br />
Geschlechts sind der Gefahr ausgesetzt und werden es künftig sein. Nicht nur über die Städte, sondern auch<br />
über die Dörfer und das flache Land hat sich die Seuche dieses Aberglaubens ausgebreitet; mir scheint, sie<br />
könnte zum Stillstand gebracht und geheilt werden. 10 Es ist wohl ziemlich sicher, dass die fast verlassenen<br />
Tempel bald wieder zahlreicher besucht, dass die lange eingestellten feierlichen Opfer wieder aufgenommen<br />
werden, dass wieder überall Fleisch von Opfertieren verkauft wird, für das kaum noch ein Käufer zu finden<br />
war. Daraus kann man leicht ermessen, welche Menge Menschen gebessert werden kann, wenn es<br />
Gelegenheit zu reuiger Umkehr gibt.<br />
Fall Vorgehensweise Strafe<br />
1. Diejenigen die als Christen<br />
angezeigt worden sind und sich<br />
in der Befragung dazu bekennen<br />
(confitentes):<br />
2. Diejenigen, die leugnen<br />
(negabant) Christen zu sein:<br />
3. Diejenigen, die mal Christen<br />
waren, es aber jetzt leugnen:<br />
Mehrmalige Befragung bei Androhung<br />
der Todesstrafe.<br />
• Anrufung der Götter nach einer<br />
vorgesprochenen Formel<br />
• Weihrauch und Weinopfer vor dem<br />
Kaiserbild und den Götterstatuen (die<br />
extra dafür gebracht worden sind)<br />
• Christus verfluchen<br />
a) Wenn kein römischer Bürger:<br />
Todesstrafe<br />
b) Wenn röm. Bürger:<br />
Überführung nach Rom<br />
Freilassung<br />
= 2. Sie haben keine weiteren<br />
Verbrechen begangen, nur ein<br />
»verworrener Aberglaube«<br />
Untersuchung abgebrochen!<br />
b) Brief X 97: Trajan an Plinius: »1 Du hast, mein Secundus, die Richtlinien bei der Untersuchung der Fälle<br />
derer, die als Christen angezeigt waren, pflichtgemäss befolgt. Zur allgemeinen Anwendung kann ja noch<br />
nichts erlassen werden, was bereits verbindlich formuliert wäre. Aufspüren soll man sie nicht; werden sie<br />
angezeigt und überführt, sind sie zu bestrafen, aber so, dass derjenige, der bestreitet, Christ zu sein, und der<br />
das durch eine bestimmte Handlung bekräftigt - das heisst: durch Anbeten unserer Götter -, auch dann, wenn<br />
seine Vergangenheit verdächtig ist, Gnade wegen reuiger Umkehr erlangt. 2 Ohne Verfassernamen<br />
vorgelegte Anschuldigungen sind aber bei keinem Straffall am Platz. Denn das wäre ein übles Beispiel und<br />
steht unserer Zeit nicht an.«<br />
4. Fazit: Die Bilder in der Offb bilden zwar in ihrer überdimensionalen Größe kaum die<br />
Wirklichkeit ab, aber sie sind nicht ohne Halt in der außervisionären Realität. Die nahe<br />
Vergangenheit hat das junge kollektive Gedächtnis der Christen und Christinnen bereits mit<br />
Gewaltbildern gespeist, die gegenwärtigen Umstände sind bedrohlich und kündigen für die<br />
Zukunft nichts Gutes an. Die Bedrohung ist also nicht nur subjektiv spürbar, sondern auch<br />
objektiv vorhanden.<br />
1.6 Wirkungsgeschichtliche Stationen 55<br />
Von der Wirkungsgeschichte der Offb wird häufig behauptet, sie habe eine Gewaltspur nach<br />
sich gezogen. Ein solches Urteil erweist sich jedoch als sehr einseitig:<br />
1. Es gibt eine direkt gewaltsame Wirkungsgeschichte der Offb, diese bleibt aber auf<br />
einige seltene Fälle beschränkt, in denen sich Individuen als »Aktanten« des apokalyptischen<br />
Dramas gedeutet haben und deswegen zur Durchsetzung des Endzeitplans zu Gewalt griffen.<br />
Für diese »pathologische« Form der Applikation sind bisher drei Beispiele bekannt:<br />
55 Die Wirkungsgeschichte der Offb ist unüberschaubar reichhaltig und vielfältig v.a. in den Bereichen Kunst<br />
und Architektur, aber auch im modernen Film und in der alternativen Welt der Rockmusik.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
18 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Thomas Müntzer, der sich selbst als der Menschensohn aus Offb 14,14f, der mit scharfer Sichel ernten<br />
soll, verstand.<br />
• Das Täuferreich zu Münster, das als Neues Jerusalem aufgefasst wurde und dessen Durchsetzung immer<br />
stärker mit Gewalt verknüpft war.<br />
• Ein Beispiel aus dem 20 Jh., die Sekte der Davididen in Waco, Texas, deren Anführer David Koresh sich<br />
als der siebte Engel von Offb 10,7 verstand 56 .<br />
2. Überwiegend zeigt die Offb jedoch eine besondere Affinität zur Situation bedrängter<br />
Christen und Christinnen. Bereits ihre früheste Wirkungsgeschichte führt uns in christliche<br />
Kreise, die vom Martyrium bedroht sind: der Märtyrer Justin (Dial. 81,4), die Märtyrer von<br />
177 von Lyon und Vienne, Irenäus von Lyon (Adv. haer I 26,3; IV 18,6; usw.), der in seinem<br />
Umfeld diese Erfahrung kannte, der nach Sardinien verbannte Hippolyt von Rom und der<br />
Märtyrer Victorinus von Pettau (†304), dem wir den ersten einschlägigen Kommentar zur<br />
Offb verdanken. Auf dieser Linie bewegt sich in der Neuzeit auch der positive Zugang zur<br />
Offb in befreiungstheologischen Kreisen. Diese Verknüpfung von passiven Widerstand und<br />
Durchhalteethos unter schwierigsten Bedingungen von Gewalt ist ein Aspekt, der für die<br />
Beurteilung der Gewaltproblematik eine wichtige Rolle spielt.<br />
Zur Frage der Gewalt schreibt z.B. Pablo RICHARD, Apokalypse: das Buch von Hoffnung und Widerstand.<br />
Ein Kommentar (aus dem Span. von Michael Lauble. Luzern: Ed. Exodus, 1996) 55: Die Gewalttexte der<br />
Offb »wollen in Wirklichkeit weder Gewalt noch Hass säen, sondern die Situation extremer leidvoller<br />
Unterdrückung deutlich werden lassen, die auf dem Volk Gottes lastet. Ganz ähnlich sprechen heutzutage die<br />
Leute, die unter bitterster Not oder grausamer Verfolgung leiden. Wir können ja wohl kaum erwarten, daß<br />
sich die Armen der arroganten, diplomatischen Sprache der Mächtigen befleißigen. Die Sprache der<br />
Apokalypse ist eine Sprache unterdrückter und leidender Menschen. Und wenn die Apokalypse so spricht,<br />
dann tut sie es einerseits, um in ihren Hörern eine Katharsis zu bewirken, und andererseits, damit diese<br />
fühlen, daß sie zueinander gehören, eine Identität haben und – dank der Botschaft der Apokalypse – ihren<br />
Hass in Bewusstsein umwandeln können.«<br />
1.7 Sprache am Rand des Sagbaren: Zur »Antisprache« der<br />
Offb 57<br />
Eines der auffälligsten Merkmale der Sprache der Johannesoffenbarung ist die »Instabilität<br />
ihrer Referenz«. Dies hängt primär mit den komplizierten Kommunikationsebenen dieses<br />
Buches zusammen. Es handelt sich rein formal um eine in Briefform gefasste Nacherzählung<br />
von Visionserfahrungen für sieben Gemeinden in Kleinasien. Referenzpunkt der Sprache<br />
wäre demnach die Vision selbst. Doch möchte diese auf weitere Realitäten hinweisen, die<br />
häufig nur sehr schwer bestimmbar sind.<br />
Als Lesende werden wir zwar zu Mitschauenden und Mithörenden, aber es wäre trügerisch<br />
anzunehmen, wir würden das Gleiche sehen wie der Erzähler Johannes. Denn er selbst ringt<br />
um Worte, wie an der auffällig häufigen Verwendung der Partikel »wie, als ob« (ôs/Hwß: 71x;<br />
hôsper/“wsper: 1x) und des Adjektivs »ähnlich, gleich« (hómoios/“omoioß: 24x) deutlich wird.<br />
Die Worte des Sehers geben uns also häufig nur einen ungefähren Einblick in das Geschaute,<br />
so dass wir den Wahrnehmungsverlust vom Modus des Sehens zum Modus des Hörens<br />
hinnehmen müssen 58 .<br />
56 Vernon Howell, alias David Koresh, stand in der Tradition adventistischer Offb-Deutungen und deutete<br />
die USA selbst als den falschen Propheten. Er kam – wie viele andere – 1993 in einem schlecht koordinierten<br />
Stürmungsversuch des FBIs ums Leben<br />
57 Vgl. Giancarlo BIGUZZI, »A Figurative and Narrative Language Grammar of Revelation«, NT 45 (20<strong>03</strong>)<br />
382-402; J.E. HURTGEN, Anti-Language in the Apocalypse of John (Lewiston, NY: Edwin Mellen Press, 1993).<br />
58 Eine durchaus analoge Situation wäre der Versuch jemandem mit Worten zu beschreiben, welchen<br />
Eindruck die Betrachtung eines Bildes auf mich verursacht hat.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 19<br />
Ein weiteres Problem besteht darin, dass Johannes selbst nicht immer genau zu wissen<br />
scheint, worauf das Geschaute referiert 59 . Er hat zwar manchmal Engelwesen zur Seite, die<br />
ihm (und uns) beim Verstehen helfen sollen, aber sehr wenige dieser Deutungen bringen das<br />
in den Visionen Geschaute mit etwas in Verbindung, was wir in unserer Welt verorten<br />
könnten.<br />
In der Offb sind ca. 20 »Deutungen« zu finden. Dabei ist zu unterscheiden, zwischen (a) solchen, in denen eine<br />
himmlische Gestalt für Johannes etwas deutet und (b) solchen, in denen Johannes etwas für seine Hörerschaft<br />
deutet. Kategorie (a): 1,20 (die sieben Leuchter sind sieben Gemeinden und die sieben Sterne sind Engel der<br />
sieben Gemeinden); 7,13f (die Menschenmenge mit weißen Gewändern sind jene, die aus der großen Drangsal<br />
kommen); 17,7-18 (ausführliche »Erklärung« der Vision von der großen Hure durch einen Engel). Kategorie (b):<br />
4,5 (die sieben Feuerfackeln vor dem Thron Gottes sind die sieben Geister Gottes); 5,6 (die sieben Augen des<br />
Lamms sind die sieben Geister Gottes); 5,8 (die goldenen Schalen voll Räucherwerk in den Händen der vier<br />
lebendigen Wesen und der 24 Ältesten sind die Gebete der Heiligen); 11,3f (die zwei Zeugen sind die zwei<br />
Ölbäume und die zwei Leuchter, die vor dem Herrn der Erde stehen [in V. 3 spricht noch die Himmelsstimme,<br />
doch geht mit der Deutung in 11,4 die prophetische Erzählung weiter]); 16,13f (die drei Froschgeister aus dem<br />
Mund des falschen Propheten sind Zeichendämonen); 19,8 (das feine Leinengewand der Braut sind die<br />
gerechten Taten der Heiligen); 20,2 (der Drache ist der Teufel, der Satan); 20,14 (der Feuersee ist der zweite<br />
Tod).<br />
Vieles bleibt daher trotz solcher Verstehenshilfen weiterhin rätselhaft. Die Leser und<br />
Leserinnen werden explizit zwei Mal zur Auflösung von Bildrätseln aufgefordert. Deutlich in<br />
13,18: »Hier ist die Weisheit. Wer Verständnis hat, berechne die Zahl des Tieres; denn es ist<br />
eines Menschen Zahl; und seine Zahl ist 666.« Ähnlich auch in der ausführlichen Erklärung in<br />
17,9ff, die eingeleitet wird mit den Worten: »Hier ist der Verstand [nötig], der Weisheit hat:<br />
Die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf denen die Frau sitzt. Und es sind sieben Könige…«<br />
Der Seher codiert seine Visionen zum Teil selbst in »pneumatische« Sprache. Explizit in<br />
11,8: Die Leichname der beiden Propheten werden »auf der Straße der großen Stadt<br />
ausgestellt, die, geistlich gesprochen, Sodom und Ägypten heißt, wo auch ihr Herr gekreuzigt<br />
wurde.«<br />
Dazu kommen eine Reihe narrativer Eigenheiten, die zur weiteren Instabilität beitragen:<br />
• So können Bilder innerhalb des gleichen Kontextes in andere übergehen (symbolische Metamorphose) 60<br />
• narrative Details geraten leicht im Widerspruch zueinander (episodische Autarkie) 61<br />
• andere Details werden ganz ausgelassen (narrative Leerstellen)<br />
• die Bilder selbst nehmen zum Teil »barocke« oder extravagante Ausmaße an 62 ,<br />
• immer wieder werden numerische Abläufe kurz vor Erreichen des Ziels unterbrochen 63 .<br />
59 Explizit in 7,13f: Einer der Ältesten (wohl ein Cherub-Engel) fragt Johannes: »Wer sind diese mit den<br />
weißen Gewändern?« woraufhin Johannes antwortet: »Mein Herr, du weißt es.«<br />
60 Es gibt häufig keine fixen Bildbedeutungen: die »große Hure« (17,1) wird zum »großen Babylon« (17,5),<br />
die »Braut« wird zum Jerusalem (21,9f), die »vielen Wasser«, auf denen die Hure sitzt, werden zu einem<br />
scharlachroten Tier (17,1.3), der »Löwe aus dem Stamm Juda« wird zum Lamm (5,5f) und dieses wiederum<br />
erscheint am Ende als Krieger auf einem weißen Pferd (vgl. 17,14 mit 19,19f). Oft ist es ein Unterschied<br />
zwischen dem, was Johannes als Ankündigung hört, und dem, was er faktisch sieht (etwa in 5,5f; 17,1.3 oder<br />
21,9f).<br />
61 Die zwei Zeugen sind nach 11,5 in der Lage mit Feuer ihre Feinde zu vernichten, so dass jeder, der ihnen<br />
Schaden zufügen will, gewiss getötet wird. Dennoch führt das Tier Krieg gegen sie und tötet sie (11,7). Die<br />
Verheißung in 3,12 spricht von einem Tempel im Neuen Jerusalem, aber in 21,22 wird dessen Abwesenheit<br />
eigens hervorgehoben. In 8,8 wird das gesamte grüne Gras der Erde verbrannt, während in 9,4 dieses geschont<br />
werden soll.<br />
62 Vgl. 12,1f (die Frau kleidet sich mit der Sonne, steht auf dem Mond und ist mit Sternen gekrönt), die<br />
Armeen in Kap. 19 sind in Leinen gekleidet, die Tore des Neuen Jerusalem sind aus einem großen Perlenstein<br />
(21,21), die Heiligen waschen Kleider in Blut (7,14), usw. Ferner sprechen Adler (8,13), Altäre (16,7), Hörner<br />
(9,13), Frösche vollbringen Wunderzeichen (16,14), ein Stern übergibt einen Schlüssel (9,1f), ein Schwert<br />
erscheint an Stelle einer Zunge (1,16; 2,12.16; 19,15.21), eine Frau fliegt (12,14) usw.<br />
63 Das gilt besondern für die Abfolge der sieben Siegel, nach deren ersten sechs (6,1-17) erst die<br />
Versiegelung der 144000 erzählt wird (7,1-17), bevor dann mit dem siebten Siegel die Reihe der sieben<br />
Posaunen beginnt (8,1ff). Auch hier kommt nach den ersten sechs (8,1-9,21) ein Unterbruch durch die Vision<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
20 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Diese Eigenheiten gehören zu den fundamentalen Eigenschaften erzählter Traumwelten und sind vielleicht am<br />
ehesten Ausdruck einer theologischen Kritik an gegenwärtigen Realitätskonstruktionen 64 .<br />
Viele Einzelheiten erinnern an die Metamorphosen und Extravaganzen erzählter<br />
Traumwelten. Die Sprache der Offenbarung kommuniziert damit eine wichtige Einsicht, die<br />
die Träume des Sehers zum Alptraum jeder Exegese werden lässt, die eine maximale<br />
Kontrolle des Textsinns anstrebt: Die Realität hat einen doppelten Boden. Nichts ist, wie es<br />
zu sein scheint. In einer Welt, in der Löwen zu Lämmern mutieren, mächtige Städte Huren<br />
sind und Drachen fliegende Frauen zu ertränken versuchen, unterliegt auch die Sprache einer<br />
Metamorphose. Zuweilen verlieren die Wörter ihre Schwerkraft, ihre Konturen werden<br />
fließend. Wir »sehen« in der Offb zwar sehr viel Gewalt, aber wir können nicht mit<br />
Gewissheit sagen, ob das Blut, das da fließt, »echt« ist.<br />
der beiden Zeugen (11,1-14), woraufhin die siebte folgt (11,15ff). Die Abfolge der sieben Zornesschalen wird<br />
hingegen nicht unterbrochen (15,1-16,21).<br />
64 Einen interessanten, aber nicht ganz ausgereiften Ansatz verfolgt HURTGEN, Anti-Language, der mithilfe<br />
der soziolinguistischen Analyse von Minderheitenjargons die beiden Hauptaspekte der Überindexikalisierung<br />
(alte Begriffe mit neuen Bedeutungen) und Re-Indexikalisierung (neue Begriffe) für die Sprache der Offb<br />
fruchtbar zu machen versucht. Interessant wäre auch der Vergleich zur politischen Satire etwa von »Alice im<br />
Wunderland« oder zur surrealistischen Malerei etwa von Dali.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 21<br />
1.8 Gliederungsvorschlag<br />
1. Prolog (1,1-8)<br />
1.1 Titel (1,1f)<br />
1.2 Makarismus (1,3)<br />
1.3 Briefliche Einleitung (1,4-5c)<br />
1.4 Doxologie (1,5d-6)<br />
1.5 Zwei prophetische Orakel (1,7f)<br />
2. Berufungsvision und Botschaft an die Gemeinden (1,9-3,22)<br />
2.1 Vision des »Menschenähnlichen« (1,9-20)<br />
2.2 Prophetische Botschaft an die sieben Gemeinden (2,1-3,22)<br />
2.2.1 Ephesus (2,1-7)<br />
2.2.2 Smyrna (2,8-11)<br />
2.2.3 Pergamon (2,12-17)<br />
2.2.4 Thyatira (2,18-29)<br />
2.2.5 Sardis (3,1-6)<br />
2.2.6 Philadelphia (3,7-13)<br />
2.2.7 Laodizea (3,14-22)<br />
3. Prolog im Himmel: Thronsaalvision (4,1-5,14)<br />
3.1 Die himmlische Anbetung (4,1-11)<br />
3.2 Die Einsetzung des Lammes (5,1-14)<br />
4. Der Ablauf des eschatologischen Plans (6,1-22,9)<br />
4.1 »Numerische« Abfolge<br />
4.1.1 Ordnung: Die ersten sechs Siegel (6,1-17)<br />
4.1.2 Die Versiegelung der 144000 (7,1-17)<br />
4.1.3 Ordnung: Das siebte Siegel = Die ersten sechs Posaunen (8,1-9,21)<br />
4.1.4 Der Tempel und die beiden Zeugen (11,1-14)<br />
4.1.5 Ordnung: Die siebte Posaune (11,15-18)<br />
4.1.6 Die Frau und der Drache (11,19-12,17)<br />
4.1.7 Die beiden Tiere (12,18-13,18)<br />
4.1.8 Eschatologisches Heil und Gericht (14,1-20)<br />
4.1.9 Die sieben Zornesschalen (15,1-16,21)<br />
4.2 Das Gericht über Babylon (17,1-19,10)<br />
4.2.1 Die Vision der großen Hure (17,1-18)<br />
4.2.2 Die Zerstörung Babylons (18,1-24)<br />
4.2.3 Hymnischer »Kommentar« und Abschluss (19,1-10)<br />
4.3 Die finale Endschlacht (19,11-21,8)<br />
4.3.1 Der göttliche Krieger auf dem weißen Pferd (19,11-21)<br />
4.3.2 Die Vernichtung Satans (20,1-10)<br />
4.3.3 Das Gericht der Toten (20,11-15)<br />
4.3.4 Der Übergang zur neuen Ordnung (21,1-8)<br />
4.4 Die Vision vom Neuen Jerusalem (21,9-22,9)<br />
5. Epilog (22,10-21)<br />
5.1 Abschließende Paränese (22,10-20)<br />
5.2 Brieflicher Postcriptum (22,21)<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
22 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
1.9 Kommunikationsebenen in der Johannesoffenbarung<br />
(Versuch graphischer Verwirrung)<br />
Aussertextuelle Welt<br />
Briefrahmen<br />
Nacherzählte Welt<br />
Imperiale<br />
Symbolwelt<br />
Visionäre<br />
Welt ?<br />
»Apokalyptik«<br />
AT<br />
ich sah / e~idon<br />
ich hörte / ‘jkousa<br />
(47x)<br />
(27x)<br />
Weisheit<br />
(13,18; 17,9)<br />
Empir. Autor<br />
(Johannes)<br />
wie / Hwß<br />
ähnlich /<br />
“omoioß<br />
Erzähler<br />
(Johannes)<br />
(71x)<br />
(24x)<br />
Impliziter<br />
Leser<br />
Intend. Hörgemeinschaft<br />
(7 Gemeinden)<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
2 Lektüre<br />
2.1 Prolog (auf Erden) und Berufungsvision (1,1-20)<br />
2.1.1 »Titel« (1,1f)<br />
1,1 (Eine) Enthüllung (Offenbarung) von Jesus<br />
Christus, welche Gott ihm gab,<br />
um seinen Dienern (Sklaven, Knechten) zu zeigen,<br />
was bald zu geschehen hat;<br />
und er tat (sie) kund, indem er (sie) durch seinen Engel<br />
sandte, seinem Diener (Sklaven, Knecht) Johannes,<br />
2 der bezeugt hat das Wort Gottes und das Zeugnis von<br />
Jesus Christus, (nämlich:) alles, was er sah.<br />
1:1h Apokáluyißh Ijsoü Cristoü,<br />
”jn ‘edwken ahut¨^w Ho qeóß,<br />
deïxai toïß doúloiß ahutoü ”a deï genésqai<br />
hen tácei, [AcI]<br />
kaì hes´jmanen haposteílaß dià toü haggélou<br />
ahutoü t¨^w doúl^w ahutoü h Iwánn∆,<br />
1:2 ”oß hemartúrjsen tòn lógon toü qeoü<br />
kaì t`jn marturían h Ijsoü Cristoü, “osa e~iden.<br />
• Wortgruppe hapokalup- erscheint nur hier in <strong>Apk</strong>.<br />
• h Apokáluyiß mit dídwmi erscheint im NT noch in Eph 1,17: Gott »gebe euch den<br />
Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst« [dw¿hØ uJmi√n<br />
pneuvma sofi÷aß kai« aÓpokalu/yewß eṅ eṗignw¿sei aujtouv]).<br />
• Genitiv nach apokalypsis kann unterschiedliche Bedeutungen haben:<br />
1. Empfänger der Offenbarung: »ein Licht zur Erleuchtung der Nationen« (Lk 2,32: fw◊ß ei˙ß aÓpoka¿luyin<br />
e˙qnw◊n)<br />
2. Inhalt der Offenbarung: »die Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes« (Röm 2,5: aÓpokalu/yewß<br />
dikaiokrisi÷aß touv qeouv), »die Offenbarung der Söhne Gottes« (Röm 8,19: th\n aÓpoka¿luyin tw◊n uiẘ◊n<br />
touv qeouv), »die Offenbarung des Geheimnisses« (Röm 16,25: aÓpoka¿luyin musthri÷ou), »das<br />
Offenbarwerden unseres Herrn Jesu Christi« (1Kor 1,7: th\n aÓpoka¿luyin touv kuri÷ou hJmw◊n Δ∆Ihsouv<br />
Cristou), die »Offenbarung des Herrn Jesus vom Himmel her mit den Engeln seiner Macht« (2Thess 1,7: eṅ<br />
thØv aÓpokalu/yei touv kuri÷ou Δ∆Ihsouv aÓpΔ∆ oujranouv metΔ∆ aÓgge÷lwn duna¿mewß aujtouv), »hofft völlig auf die<br />
Gnade, die euch gebracht wird bei der Offenbarung Jesu Christi« (1Petr 1,7: eṅ aÓpokalu/yei Δ∆Ihsouv<br />
Cristouv), »in der Offenbarung seiner Herrlichkeit« (1Petr 4,13: eṅ thØv aÓpokalu/yei thvß do/xhß aujtouv).<br />
3. Ursprung der Offenbarung: »Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn« (2Kor 12,1: ojptasi÷aß kai«<br />
aÓpokalu/yeiß kuri÷ou [oder Inhalt?]), »weder von einem Menschen empfangen noch erlernt, sondern durch<br />
Offenbarung Jesu Christi« (Gal 1,12: aÓlla» diΔ∆ aÓpokalu/yewß Δ∆Ihsouv Cristouv).<br />
• Texte unterschiedlicher frühchristlicher Traditionslinien legen nahe, dass die<br />
Wendung »Offenbarung Jesu Christi« häufig für das Offenbarwerden des Parusie-<br />
Christus in Herrlichkeit benutzt wurde (Paulus in 1Kor 1,7; Postpaulinen: 2Thess<br />
1,7 und 1Petr 1,7; 4,13).<br />
• In 1,1 muss der Genitiv jedoch als subiectivus gedeutet werden, weil sonst das<br />
Personalpronomen im Relativsatz (”jn ‘edwken ahut¨^w Ho qeóß) in der Luft hängt.<br />
• Die Offenbarungskette lässt sich am ehesten aus den Casi der involvierten Subjekte<br />
ablesen:<br />
1. Nominativ: Ho qeóß = Ursprung der Offenbarung, Subjekt von ‘edwken und deïxai (1a), hes´jmanen und<br />
haposteílaß (1b), Bezugsgröße für toïß doúloiß ahutoü (1a) und toü haggélou ahutoü t¨^w doúl^w<br />
ahutoü (1b). Theonzentrik ist schillernd!<br />
2. Dativ:<br />
a. Empfänger 1 (1a: ”jn ‘edwken ahut¨^w Ho qeóß): Jesus Christus<br />
b. Empfänger 2 (1b: kaì hes´jmanen ... t¨^w doúl^w ahutoü h Iwánn∆): Johannes<br />
c. Empfänger 3 (4a: taïß Heptà hekkljsíaiß taïß hen t¨∆ h Asíâ, aber bereits präfiguriert in Finalsatz<br />
1a: deïxai toïß doúloiß ahutoü)<br />
3. diá + Gen: dià toü haggélou ahutoü = Mittler, Bote, Gesandter Gottes<br />
• Es gibt einige interessante Parallelisierungen:<br />
1. Jesus // Johannes: Jesus Christus ist Empfänger der Offenbarung (Dat) und zugleich ihr Ursprung (Gen.<br />
subiect). Johannes ist ebenso Empfänger (Dat) und wird zum Zeugen (1,2). Die Wendung in marturían
24 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
h Ijsoü Cristoü 1,2b macht deutlich, dass Jesus Christus ebenso wie Johannes »Zeuge« der<br />
Offenbarung ist (er wird in 1,5 und 3,14 Ho martúß Ho pistóß genannt).<br />
2. Johannes // Empfänger: Beide werden als »Diener / Sklaven Gottes« bezeichnet (1a.b im Dativ).<br />
• Die Offenbarung wird gegeben (1a: ‘edwken), kundgetan bzw. gedeutet durch einen<br />
Engel (1b: hes´jmanen) und geschaut (2b: “osa e~iden). Sie steht im Zusammenhang mit dem<br />
Wort Gottes und dem Zeugnis Jesu Christi (2) und wird wahrgenommen (hakoúw) als<br />
»prophetische Worte« (3a: toùß lógouß t¨jß profjteíaß). Ihre Finalität ist, zu zeigen, was<br />
bald zu geschehen hat (1b), doch zielt sie dabei nicht auf bloße Information, sondern viel eher<br />
auf ethische Befolgung (3b: tjroünteß tà hen ahut¨∆ gegramména).<br />
• Die Rolle des Johannes beschränkt sich auf das Bezeugen von allem, was er gesehen hat<br />
(1,2).<br />
• Der Naherwartungshorizont wird bereits hier doppelt zur Sprache gebracht:<br />
1. ”a deï genésqai hen tácei (1a = 22,6); deï genésqai noch in 4,1; ‘ercomai tacú in 2,16; 3,11; (11,14<br />
auf das dritte Endzeitweh bezogen); 22,7.12.20.<br />
2. Ho gàr kairòß heggúß (3c = 22,10b)<br />
2.1.2 Makarismus (1,3)<br />
3 Glückselig, der (Vor)leser<br />
und die Hörenden der prophetischen Rede (der Worte<br />
der Weissagung)<br />
und die sich halten an das, was in ihr geschrieben ist!<br />
Denn der Zeitpunkt (die besondere Zeit) ist nahe.<br />
1:3 makárioß Ho hanaginẃskwn<br />
kaì oHi hakoúonteß toùß lógouß t¨jß profjteíaß<br />
kaì tjroünteß tà hen ahut¨∆ gegramména,<br />
Ho gàr kairòß heggúß.<br />
• Der Makarismus ist eine Form der direkten Leserlenkung.<br />
• Makarismen erscheinen sieben Mal (Zufall?) in der <strong>Apk</strong>. Dabei lassen sich zwei<br />
Gruppen unterscheiden:<br />
1. Der Makarismus als direkte Anrede an den »Leser« (implizit, explizit), als Unterbruch der<br />
Offenbarungserzählung und direktes Mittel der Leserlenkung:<br />
1,3: Der Lesende, die Hörenden, die Bewahrenden<br />
16,15: Wer wacht und seine Kleider bewahrt<br />
20,6: Wer an der ersten Auferstehung teilhat<br />
22,7: Wer die Worte dieser Weissagung bewahrt<br />
22,14: Wer seine Kleider wäscht<br />
2. Der Makarismus als Schreibauftrag durch eine himmlische Stimme:<br />
14,13: Die im Glauben an den Herrn Verstorbenen – Verheißung: Sie werden ruhen<br />
19,9: Die zum Hochzeitsmahl Geladenen<br />
• »Bedingung« der Seligpreisung ist das Halten des in diesem Buch Geschriebenen.<br />
Was ist in der <strong>Apk</strong> Objekt des »Bewahrens« (tjréw)?<br />
1. Die Worte der Weissagung (1,3; 22,7; 22,9: »die Worte dieses Buches«)<br />
2. Die Werke Christi (2,26)<br />
3. Was die Gemeinde empfangen und gehört hat (3,3)<br />
4. Das Wort Jesu (3,8 = den Namen Jesu nicht verleugnen)<br />
5. Die Anweisung auf Jesus zu beharren (3,10)<br />
6. Die Gebote Gottes und das Zeugnis Jesu (12,17)<br />
7. Die Gebote Gottes und den Glauben Jesu (14,12)<br />
8. Seine Kleider (16,15)<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 25<br />
2.1.3 Briefliche Einleitung und Doxologie<br />
4 Johannes den sieben Gemeinden (Versammlungen) in<br />
der (Provinz) Asia<br />
Gnade euch und Friede<br />
von dem Seienden, dem Gewesenen und dem<br />
Kommenden (der ist, der war und der kommt)<br />
und von den sieben Geistern,<br />
die vor seinem Thron sind,<br />
5 und von Jesus Christus,<br />
der treue Zeuge,<br />
der Erstgeborene von den Toten<br />
und der Herrscher über die Könige der Erde.<br />
Dem, der uns liebt<br />
und uns von unseren Sünden losgelöst (entbunden,<br />
befreit) hat in seinem Blut (gewaltsamen Tod)<br />
6 und uns gemacht hat zu einem Königtum,<br />
zu Priestern seinem Gott und Vater:<br />
Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in alle<br />
Ewigkeit! Amen.<br />
1:4 h Iwánnjß taïß Heptà hekkljsíaiß taïß hen t¨∆<br />
h Asíâ≥<br />
cáriß Humïn kaì ehir´jnj<br />
hapò Ho ’wn kaì Ho ~jn kaì Ho hercómenoß,<br />
kaì hapò tẅn Heptà pneumátwn<br />
”a henẃpion toü qrónou ahutoü,<br />
1:5 kaì hapò h Ijsoü Cristoü,<br />
Ho mártuß Ho pistóß,<br />
Ho prwtótokoß tẅn nekrẅn<br />
kaì Ho ‘arcwn tẅn basiléwn t¨jß g¨jß.<br />
T¨^w hagapẅnti Hjmäß<br />
kaì lúsanti Hjmäß hek tẅn Hamartiẅn Hjmẅn hen<br />
t¨^w a“imati ahutoü<br />
1:6 kaì hepoíjsen Hjmäß basileían,<br />
Hiereïß t¨^w qe¨^w kaì patrì ahutoü<br />
- ahut¨^w Hj dóxa kaì tò krátoß ehiß toùß ahiẅnaß<br />
[tẅn ahiẃnwn]≥ ham´jn.<br />
• Der Briefeingang folgt dem paulinischen Formular: Briefeingang (exordium),<br />
Briefkopf (praescriptum), Absender (superscriptio), Adressat (adscriptio),<br />
Anfangsgruß (salutatio)<br />
• »Trinitarische« Grussformel folgt einer Nummernfolge: a) Gott mit drei<br />
Bezeichnungen, b) die sieben Geister und c) Jesus wieder mit drei Bezeichnungen<br />
(3+7+3). 65<br />
• Hintergrund der Gottesbezeichnung ist der Jahwenamen aus Ex 3,14 (LXX: eġw¿<br />
eiṁi oJ w‡n). »Der war« ist grammatikalisch undenkbar… Statt aber »der sein<br />
wird« zu formulieren, erscheint »der Kommende«. Das Kommen Gottes vollzieht<br />
sich jedoch durch den Parusiechristus.<br />
• Die »sieben Geister« erscheinen in anderen <strong>Apk</strong>-Texten:<br />
3:1 Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Dies sagt der, der die sieben Geister Gottes und die sieben<br />
Sterne hat: Ich kenne deine Werke, daß du den Namen hast, du lebest, und bist tot.<br />
4:5 Und aus dem Thron gehen hervor Blitze und Stimmen und Donner; und sieben Feuerfackeln brennen vor<br />
dem Thron, welche die sieben Geister Gottes sind.<br />
5:6 Und ich sah inmitten des Thrones und der vier lebendigen Wesen und inmitten der Ältesten ein Lamm stehen<br />
wie geschlachtet, das sieben Hörner und sieben Augen hatte; die sind die sieben Geister Gottes, ausgesandt über<br />
die ganze Erde.<br />
Einfluss von Sach 4,10: »Diese sieben [= die sieben Lampen aus 4,2] [sind] die Augen des HERRN, sie<br />
schweifen auf der ganzen Erde umher.«<br />
• Jesus Christus: Charakterisierung von Ps 89 beeinflusst: a) treue Zeuge (Ps 89,38b:<br />
»Der Zeuge in den Wolken ist treu.«) erscheint wieder als Absender in 3,134 und<br />
bezieht sich (im Zusammenhang) auf seinen Märtyrer-Erlöser-Tod. b) Erstgeborene<br />
von den Toten (Ps 89,28a: »So will auch ich ihn zum Erstgeborenen machen«) zielt<br />
auf die Priorität Jesu durch die Auferstehung. c) Herrscher über die Könige der Erde<br />
(Ps 89,28b: »zum Höchsten unter den Königen der Erde«).<br />
• 5b-6: Lobspruch => Heilshandeln Jesu vielleicht in Korrespondenz zu den drei<br />
Charakterisierungen Jesu: Liebe, Opfer und eschatologischer Statusgewinn.<br />
65 Satake (EKK) 128.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
26 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Der Statusgewinn (Priester & Königtum) nimmt Ex 19,6 auf: » Und ihr sollt mir ein<br />
Königreich von Priestern und eine heilige Nation sein. Das sind die Worte, die du zu<br />
den Söhnen Israel reden sollst.«<br />
• Ähnliches wird in 5,9f wieder besungen:<br />
5:9 Und sie singen ein neues Lied und sagen: Du bist würdig, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu<br />
öffnen; denn du bist geschlachtet worden und hast durch dein Blut für Gott erkauft aus jedem Stamm und<br />
jeder Sprache und jedem Volk und jeder Nation 10 und hast sie unserem Gott zu Königen und Priestern<br />
gemacht, und sie werden über die Erde herrschen!<br />
2.1.4 Zwei prophetische Orakel (1,7f)<br />
7 Siehe er kommt (fut. Praes. wird kommen) mit den<br />
Wolken und jedes Auge wird ihn sehen,<br />
auch die, welche ihn durchstochen haben,<br />
und es werden wehklagen seinetwegen alle Stämme der<br />
Erde. Ja, Amen.<br />
8 Ich bin das Alpha und das Omega, spricht Herr, der<br />
Gott,<br />
der Seiende, der Gewesene und der Kommende,<br />
der Allmächtige.<br />
1:7h Idoù ‘ercetai metà tẅn nefelẅn,<br />
kaì ‘oyetai ahutòn päß hofqalmòß<br />
kaì o“itineß ahutòn hexekéntjsan,<br />
kaì kóyontai heph ahutòn päsai aHi fulaì t¨jß g¨jß.<br />
naí, ham´jn.<br />
1:8 h Egẃ ehimi tò ‘ Alfa kaì tò ~ W, légei kúrioß Ho<br />
qeóß,<br />
Ho ’wn kaì Ho ~jn kaì Ho hercómenoß,<br />
Ho pantokrátwr.<br />
• Parusie Christi (traditionelle Sprache aus Dan 7,13) aus der Perspektive der Gegner.<br />
Vgl. Mk 13,26par; 14,62par:<br />
Mark 13:26 Und dann werden sie den Sohn des Menschen kommen sehen in Wolken mit großer Macht und<br />
Herrlichkeit. Mark 14:62 Jesus aber sprach: Ich bin es! Und ihr werdet den Sohn des Menschen sitzen sehen<br />
zur Rechten der Macht und kommen mit den Wolken des Himmels.<br />
• Selbsprädikation Gottes: Alpha und Omega; Allmächtige (nur in 2Kor 6,8 = AT-Zitat<br />
und <strong>Apk</strong> 1,8; 4,8; 11,17; 15,3; 16,7.14; 19,6.15; 21,22)<br />
1,8 Gott A & O<br />
1,17 Christus der Erste & der Letzte<br />
21,6 Gott A & O<br />
der Anfang & das Ende<br />
22,13 Christus A & O<br />
der Erste & der Letzte<br />
der Anfang & das Ende<br />
2,8 (kein egô eimi) Christus der Erste & der Letzte<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 27<br />
2.1.5 Berufungsvision (1,9-20)<br />
2.1.5.1 Exposition und Auftragsvision (1,9-11)<br />
9 Ich, Johannes, euer Bruder<br />
und Mitgenosse in der Bedrängnis,<br />
dem Königtum und dem Ausharren in Jesus,<br />
war auf der Insel, die Patmos genannt wird,<br />
aufgrund des Wortes Gottes und des Zeugnisses<br />
Jesu.<br />
10 Ich war im Geist am Tag des Herrn,<br />
und hörte hinter mir eine laute Stimme wie eine<br />
Posaune, 11 die sprach:<br />
Was du siehst, schreibe in ein Buch<br />
und sende es den sieben Gemeinden:<br />
nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon<br />
und nach Thyatira und nach Sardes und nach<br />
Philadelphia und nach Laodizea.<br />
1:9h Egẁ h Iwánnjß, Ho hadelfòß Humẅn<br />
kaì sugkoinwnòß hen t¨∆ qlíyei<br />
kaì basileíâ kaì Hupomon¨∆ hen h Ijsoü,<br />
hegenómjn hen t¨∆ n´js^w t¨∆ kaloumén∆ Pátm^w<br />
dià tòn lógon toü qeoü kaì t`jn marturían<br />
h Ijsoü.<br />
1:10 hegenómjn hen pneúmati hen t¨∆ kuriak¨∆ Hjmérâ,<br />
kaì ‘jkousa hopísw mou fwn`jn megáljn Hwß<br />
sálpiggoß 1:11 legoúsjß,<br />
” O blépeiß gráyon ehiß biblíon<br />
kaì pémyon taïß Heptà hekkljsíaiß,<br />
ehiß ‘ Efeson kaì ehiß Smúrnan kaì ehiß Pérgamon<br />
kaì ehiß Quáteira kaì ehiß Sárdeiß<br />
kaì ehiß Filadélfeian kaì ehiß Laodíkeian.<br />
Allgemeines zu 1,9-20:<br />
• Gattung: Eine prophetische Berufungserzählung. Es handelt sich jedoch nicht um<br />
die Erstberufung des Propheten (vgl. 10,8-11); eher um eine Traumvision<br />
verbunden mit einem Schreibauftrag. Im Zentrum steht die Epiphanie einer<br />
göttlichen Gestalt.<br />
• Auffällig ist die Nähe zu Dan 10,5-9:<br />
[einen] gleich einem Menschensohn,<br />
bekleidet mit einem bis zu den Füßen reichenden<br />
Gewand<br />
und an der Brust umgürtet mit einem goldenen Gürtel;<br />
14 sein Haupt aber und die Haare [waren] weiß wie<br />
weiße Wolle (Dan 7,9), wie Schnee,<br />
und seine Augen wie eine Feuerflamme<br />
15 und seine Füße gleich glänzendem Erz, als glühten<br />
sie im Ofen,<br />
Dan. 10:5 Und ich erhob meine Augen und sah:<br />
und siehe, da war ein Mann,<br />
in Leinen gekleidet,<br />
und seine Hüften waren umgürtet mit Gold von Ufas.<br />
6 Und sein Leib war wie ein Türkis<br />
und sein Gesicht wie das Aussehen eines Blitzes.<br />
Und seine Augen waren wie Feuerfackeln<br />
und seine Arme und seine Füße wie der Anblick von<br />
glatter Bronze.<br />
und seine Stimme wie das Rauschen vieler Wasser;<br />
16 und er hatte in seiner rechten Hand sieben Sterne,<br />
und aus seinem Mund ging ein zweischneidiges,<br />
scharfes Schwert hervor,<br />
und sein Angesicht [war], wie die Sonne leuchtet in<br />
ihrer Kraft.<br />
17 Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot.<br />
Und der Klang seiner Worte war wie der Klang einer<br />
[Volks]menge.<br />
7 Aber nur ich, Daniel, allein sah die Erscheinung. Die<br />
Männer, die bei mir waren, sahen die Erscheinung<br />
nicht; doch fiel eine große Angst auf sie, und sie flohen<br />
und versteckten sich. 8 Und ich blieb allein übrig und<br />
sah diese große Erscheinung. Und es blieb keine Kraft<br />
in mir, und meine Gesichtsfarbe veränderte sich an mir<br />
bis zur Entstellung, und ich behielt keine Kraft. 9 Und<br />
ich hörte den Klang seiner Worte. Und als ich den<br />
Klang seiner Worte hörte, lag ich betäubt auf meinem<br />
Gesicht, mit meinem Gesicht zur Erde.<br />
10 Und siehe, eine Hand rührte mich an und rüttelte<br />
mich auf, [so daß ich wieder] auf meine Knie und<br />
Handflächen [kam]. 11 Und er sprach zu mir: Daniel,<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
28 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Und er legte seine Rechte auf mich und sprach:<br />
Fürchte dich nicht! .<br />
du vielgeliebter Mann! Achte auf die Worte, die ich zu<br />
dir rede, und steh an deinem Platz! Denn ich bin jetzt<br />
zu dir gesandt. Und als er dieses Wort mit mir redete,<br />
stand ich zitternd auf.<br />
12 Und er sprach zu mir: Fürchte dich nicht, Daniel!<br />
• Weitere Texte: ApokZeph 6,11-15 (Engelserscheinung); JosAs 5,5 (Joseph in weisser<br />
Robe und golderner Krone; s. später Engel in 14,9); Mithras Liturgie PGM IV.634-<br />
37.692-704 (Betz, Greek Magical Papyri 50-52: Gotteserscheinung); ApokAbr 11,2f.<br />
V. 9:<br />
• »Ich, Johannes« (22,8; s.a. 1,1.4) markiert einen Wechsel der Redestimme und betont<br />
zugleich die Autorität des Offenbarungszeugen. 66<br />
• Johannes unterstreicht seine Gleichrangigkeit mit den Adressaten (Bruder und<br />
Mitteilhaber).<br />
• Das »Feld der Komplizenschaft« zwischen Autor und Leser wird in drei Begriffen<br />
zusammengefasst, die eng zusammengehören (nur ein bestimmter Artikel): Drangsal,<br />
Königtum und Ausharren in Jesus.<br />
• Als Bedrängnis (thlipsis) gilt in 2,9f Erfahrungen von Armut, Verleumdung und Haft.<br />
An die apokalyptische große Drangsal (7,14) ist in dieser präsentischen Perspektive<br />
des Autors nicht gedacht.<br />
• Die Eschatologie der Joh<strong>Apk</strong> ist partizipatorisch; die Heiligen sind ein »Königtum«<br />
und »Priester« (1,6; 5,10) und gehören damit zum Königtum Christi, welches sich in<br />
Zukunft durchsetzen wird (11,15; 12,10) 67 . Die Drangsal gehört jedoch zur<br />
Durchsetzung dieses Königtums.<br />
• Damit ist das letzte Stichwort vorgegeben: hypomonê (Ausharren, Durchhalten; vgl.<br />
2,2f.19; 3,10; 13,10; 14,12). Die Teilnahme am endzeitlichen Königtum ist in dieser<br />
Perspektive gebunden an das Ausharren in den Bedrängnissen. 68<br />
• Hier zeigt sich bereits etwas von der apokalyptischen Martyrologie, die auch die<br />
Joh<strong>Apk</strong> prägt: Der Zeuge/Märtyrer bleibt seinen Überzeugungen bis zum Tod treu und<br />
erlangt dadurch den eigentlichen Sieg gegenüber seinen Gegnern und zugleich den<br />
himmlischen Lohn.<br />
4Makk 1,11: »Werden sie doch [die vorbildhaften sieben Märtyrer] nicht allein von aller Welt bewundert<br />
wegen ihrer Tapferkeit und Standhaftigkeit, sondern sogar von ihren Peinigern. Sie sind zur Ursache<br />
geworden für die Vernichtung der Tyrannei, die das Volk bedrückte. Sie haben durch ihr Standhalten<br />
[hypomonê] den Tyrannen besiegt, so dass durch sie das Vaterland gereinigt wurde.« 17,17-22: »17 Der<br />
Tyrann selbst wenigstens und sein ganzer Rat gerieten ins Staunen über ihre Ausdauer, 18 derentwegen sie<br />
jetzt an Gottes Thron stehen und in der ewigen Seligkeit leben. 19 Sagt doch auch Mose: „Und alle, die sich<br />
heiligen, sind unter deinen Händen.“ 20 Sie also, die sich heiligten um Gottes willen, fanden verdiente Ehre,<br />
nicht allein in der erwähnten Auszeichnung, sondern auch dadurch, dass um ihretwillen die Feinde unser<br />
Volk nicht überwältigen konnten, 21 dass der Tyrann bestraft und unser Vaterland gereinigt wurde, sind sie<br />
doch zu einer Art Ersatzleistung für die Sünden des Volkes geworden. 22 Durch das Blut jener Frommen und<br />
ihren sühnenden Tod hat die göttliche Vorsehung das zuvor schwer heimgesuchte Israel gerettet.«<br />
(Beispiele aus der christlichen Märtyrerideologie finden sich in der Korrespondenz des Ignatius Poly 3,2;<br />
Röm 10,3; Eph 3,1; Trall 1,1; Smyr 12,2.)<br />
66 Vgl. »Ich Daniel« (in Dan 7,15; 8,15.27; 9,2; 10,2.7; 12,5); »Ich Baruch« (in syrBar<strong>Apk</strong> 8,3; 9,1; 10,5;<br />
11,1; 13,1; 32,8; 44,1); »Ich Henoch« (äthHen 12,3); »Ich Salathiel = Esra« (4 Esra 3,1); »Ich Paulus« (2Kor<br />
10,1; Gal 5,2; Eph 3,1).<br />
67 Vgl. 20,4: Und ich sah Throne, und sie setzten sich darauf, und das Gericht wurde ihnen übergeben…<br />
68 Zum Zusammenhang zwischen Bedrängnis und Ausharren vgl. Röm 5,3f; 2Kor 6,4; Jak 1,3. Zum<br />
stoischen Hintergrund der Tugend des Ausharrens vgl. Aune, Rev I 76.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 29<br />
• Wichtig: Solche martyrologischen Konzepte sind (u.a.) auch hermeneutisch<br />
subversive Deutungsstrategien, um Leidenserfahrungen positiv in die eigenen<br />
Glaubensüberzeugungen integrieren zu können. Das Leiden en Iêsou (1,9c) 69 ist nicht<br />
sinnlos; es hat eine Funktion im Hinblick auf die partizipatorische Eschatologie.<br />
• 9d: Erst jetzt gibt der Autor seinen »Standort« an: Patmos, ca. 50km südwestlich von<br />
Milet 70 , gehörte zu drei Befestigungsinseln, mit denen sich die Seemacht Milet vor<br />
Angriffen schützte und hatte (mind.) einen Artemis-Tempel. 71<br />
• Achtung: Die Formulierung im Aorist (»ich war«) lässt offen, ob der Autor zur Zeit<br />
der Abfassung noch dort ist. Er hat die Berufungsvision (und vielleicht auch alle<br />
weiteren) dort erfahren. Mehr wird nicht gesagt.<br />
• Warum war Johannes auf Patmos? In 9e wird als Grund angegeben: »wegen des<br />
Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu« 72 . Rein grammatikalisch lässt griech. diá<br />
keine Unterscheidung zwischen Grund und Ziel zu. Drei Deutungen wären möglich:<br />
a) um die Offenbarung zu empfangen, b) um dort das Wort Gottes zu verkündigen und<br />
c) als Strafe für seine Verkündigung.<br />
• Formulierungen wie 6,9 73 und 20,4b 74 legen die letztere Deutung nahe.<br />
Nach Eusebius (Hist. eccl. III 20,8f) wurde Johannes von Kaiser Domitian verbannt. Als nach dessen Tod der<br />
Senat die Verbannung aufhob, ging er nach Ephesus (s.a. Clem. Alex, Quis dives salv 42; Origenes, Comm. in<br />
Matt 16,6; Victorinus von Pettau, Comm. in Apoc 10,3). Plinius belegt, dass Nerva, Domitians Nachfolger, die<br />
Exilierungen seines Vorgängers aufhob (Ep. I 5,10; IX 13,5).<br />
• Sozialer Status des Autors?<br />
• V. 10: Erlebnis erinnert an Ez 3,12: » Und der Geist hob mich empor; und ich hörte<br />
hinter mir den Schall eines starken Getöses, als sich die Herrlichkeit des HERRN von<br />
ihrer Stätte erhob…«<br />
• Zeitpunkt »am Sonntag« legt vielleicht so etwas wie ein gottesdienstliches Setting nahe.<br />
• V. 11 Schreibauftrag (s. V. 19)<br />
69 Es ist gut möglich, die Wendung en Iêsou auf das gesamte »Paket« Drangsal-Königtum-Ausharren zu<br />
beziehen, statt nur auf das Ausharren. Dafür spräche, rein grammatikalisch, der bestimmte Artikel am Anfang<br />
der drei Substantive.<br />
70 Milet gehört nicht zu den sieben angeschriebenen Städten. Vielleicht weil es zu diesem Zeitpunkt keine<br />
christliche Gemeinde dort gab? (Aus der Tatsache, dass in Apg 20,17-38 Paulus die Ältesten aus Ephesus in<br />
Milet verabschiedet, aber keine miletischen Christen anwesend sind, könnte man derlei schliessen...)<br />
71 Die Vorstellung, Patmos sei eine wüstenähnliche Gefängnisinsel gewesen, ist nicht aus den Quellen<br />
belegbar. Vgl. zu Patmos H.D. Saffrey, Relire l’Apocalypse à Patmos, Revue Biblique (1975) 385-417.<br />
72 Eine Wendung, die so oder ähnlich, häufig erscheint: 1,2; 6,9; 20,4; s.a. 12,17; 14,12; 19,10.<br />
73 »Und als es das fünfte Siegel öffnete, sah ich unter dem Altar die Seelen derer, die geschlachtet worden<br />
waren um des Wortes Gottes und um des Zeugnisses willen (dia» to\n lo/gon touv qeouv kai« dia» th\n<br />
marturi÷an), das sie hatten.«<br />
74 »…und [ich sah] die Seelen derer, die um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen (dia» th\n<br />
marturi÷an Δ∆Ihsouv kai« dia» to\n lo/gon touv qeouv) enthauptet worden waren…«<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
30 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
2.1.5.2 Die Vision des »Menschenähnlichen« (1,12-16)<br />
12 Und ich wandte mich um, um die Stimme zu sehen,<br />
die mit mir redete, und als ich mich umwandte,<br />
sah ich sieben goldene Leuchter,<br />
13 und inmitten der Leuchter einen »Menschenähnlichen«<br />
(gleich einem Menschensohn),<br />
bekleidet mit einer Robe bis zu den Füßen<br />
und umgürtet um den Brustkorb mit einem goldenen<br />
Gurt;<br />
14 sein Haupt und seine Haare weiß wie weiße Wolle,<br />
wie Schnee,<br />
und seine Augen wie eine Feuerflamme<br />
15 und seine Füße glänzendem Erz ähnlich,<br />
wie in einem brennenden Ofen,<br />
und seine Stimme wie die Stimme vieler Wasser;<br />
16 und er hatte in seiner rechten Hand sieben Sterne,<br />
und aus seinem Mund ging ein zweischneidiges,<br />
scharfes Schwert hervor,<br />
und sein Aussehen [war], wie die Sonne leuchtet in<br />
ihrer Kraft.<br />
1:12 Kaì hepéstreya blépein t`jn fwn`jn<br />
“jtiß helálei meth hemoü≥ kaì hepistréyaß<br />
e~idon Heptà lucníaß crusäß,<br />
1:13 kaì hen més^w tẅn lucniẅn “omoion uHiòn<br />
hanqrẃpou,<br />
hendeduménon pod´jrj<br />
kaì periezwsménon pròß toïß mastoïß zẃnjn<br />
crusän≥<br />
1:14 Hj dè kefal`j ahutoü kaì aHi tríceß leukaì<br />
Hwß ‘erion leukón, Hwß ciẃn,<br />
kaì oHi hofqalmoì ahutoü Hwß flòx puróß,<br />
1:15 kaì oHi pódeß ahutoü “omoioi calkolibán^w<br />
Hwß hen kamín^w pepurwménjß,<br />
kaì Hj fwn`j ahutoü Hwß fwn`j Hudátwn pollẅn,<br />
1:16 kaì ‘ecwn hen t¨∆ dexi¨â ceirì ahutoü hastéraß<br />
Heptá, kaì hek toü stómatoß ahutoü Hromfaía<br />
dístomoß hoxeïa hekporeuoménj,<br />
kaì Hj ‘oyiß ahutoü Hwß Ho “jlioß faínei hen t¨∆<br />
dunámei ahutoü.<br />
Die Vision ist wie eine Kamerafahrt, die zunächst die Umgebung fokussiert (sieben<br />
Leuchter), dann die Hauptfigur (der Menschenähnliche), dann die Kleidung, das Haupt, die<br />
Augen, die Füße, die Stimme, die rechte Hand, der Mund, sein Gesicht…<br />
Die sieben Leuchter erinnern an den siebenarmigen Leuchter im Tempel (die sog. Menorah) 75 , der nach Sach<br />
4,10b »die Augen des HERRN, sie schweifen auf der ganzen Erde umher« darstellt. Die Vision situiert uns im<br />
Tempel. In <strong>Apk</strong> 1,20 werden die Leuchter mit den sieben Gemeinde identifiziert => der Menschenähnliche steht<br />
damit (symbolisch) inmitten der Gemeinden.<br />
Der Menschenähnliche (s.a. 14,14) stammt aus Dan 7,13: »Ich schaute in Gesichten der Nacht: und siehe, mit<br />
den Wolken des Himmels kam einer wie der Sohn eines Menschen. Und er kam zu dem Alten an Tagen, und<br />
man brachte ihn vor ihn.« 76 Anders als in den Synoptikern (oder in der Henochtradition) lautet die Formulierung<br />
nicht »Menschensohn«, sondern präzise »Menschensohnähnliche«. Dadurch wird die Nähe zu Dan 7 noch<br />
klarer. Der Autor vermischt Elemente der Gottesattribute aus Dan 7,9 (der Alte an Tagen) mit Elementen der<br />
Engelserscheinung in Dan 10:<br />
1. Die Robe bis zum Boden (podêrês) 77 könnte eine Anspielung auf die priesterliche Kleidung sein (LXX: Ex<br />
25,7; 28,4.31; 29,5; 35,9). Ebenso hat auch der Gurt priesterliche Konnotationen (vgl. Ex 28,4; 29,9; Lev<br />
8,7.13). Dennoch sind das zu wenig Elemente, um sagen zu können, dass Jesus hier als »Hohepriester«<br />
dargestellt werden soll.<br />
2. Haupt / Haare (Dan 7,9: »das Haar seines Hauptes wie reine Wolle«; s.a. äthHen 46,1; 71,10): Weiß (leukos)<br />
betont den leuchtenden Glanz (nicht einfach das graue Haar eines alten Mannes).<br />
3. Augen / Feuerflamme (aus Dan 10,6: »Und seine Augen waren wie Feuerfackeln«) betont wieder den<br />
göttlichen Charakter in besonderer Zuspitzung auf das Gericht (Feuersymbol zur Läuterung).<br />
4. Füße / glühende Bronze (Dan 10,6: »seine Arme und seine Füße wie der Anblick von glatter Bronze«)<br />
5. Stimme wie Gewässer (Dan 10,6: »Und der Klang seiner Worte war wie der Klang einer [Volks]menge«) =><br />
19,6: »Und ich hörte [etwas] wie eine Stimme einer großen Volksmenge und wie ein Rauschen vieler Wasser<br />
und wie ein Rollen starker Donner…«<br />
6. Sieben Sterne in seiner rechten Hand: Sieben Sterne stellen in der antiken Astrologie meist die sieben<br />
Planeten dar. 78 Hier stellen sie die Gemeinden dar...<br />
75 Sach 4,2: »Und er sprach zu mir: Was siehst du? Und ich sagte: Ich sehe: und siehe, ein Leuchter ganz aus<br />
Gold und sein Ölgefäß oben auf ihm und seine sieben Lampen auf ihm, je sieben Gießröhren für die Lampen, die<br />
oben auf ihm sind…«<br />
76 LXX: e˙qew¿roun eṅ oJra¿mati thvß nukto\ß kai« iḋou\ eṗi« tw◊n nefelw◊n touv oujranouv wß ui˚o\ß<br />
aÓnqrw¿pou h¡rceto kai« wß palaio\ß hJmerw◊n parhvn kai« oi˚ paresthko/teß parhvsan aujtw◊ˆ<br />
77 In Hes 9,2 ist ein Engelswesen (nach LXX hendedukẁß pod´jrj)<br />
78 Vgl. zum astronomischen Hintergrund Aune, Rev I 97f.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 31<br />
7. Schwert aus dem Mund: dieses Motiv erscheint nur in de <strong>Apk</strong>Joh (1,16; 2,16; 19,15.21; s.a. 2,12). In 2,16<br />
dient das Schwert dazu, Krieg gegen die Unbußfertigen zu führen; in 19,15.21 zum Gericht gegen die Nationen.<br />
Das Schwert aus dem Mund ist eine Metapher für die Zunge und damit für das Reden Jesu. [Ein zweischneidiges<br />
Schwert gehört zur römischen Ausrüstung.]<br />
Die beiden letzten Bilder beschreiben die Funktion des Menschensohnähnlichen »als Schutz der Gemeinde und<br />
Bestrafung der Feinde«, was wiederum »der Aufteilung der Menschenwelt in Gerechte und Böse« entspricht 79 .<br />
8. Sein Aussehen / Gesicht (opsis): die Sonne in ihrer Kraft 80 (Dan 10,6: »und sein Gesicht wie das Aussehen<br />
eines Blitzes«),<br />
2.1.5.3 Reaktion des Sehers und Botschaft des Erhöhten (1,17-20)<br />
17 Und als ich ihn sah,<br />
fiel ich zu seinen Füßen wie tot.<br />
Und er legte seine Rechte auf mich und sprach:<br />
Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte<br />
18 und der Lebendige, und ich war tot,<br />
und siehe, ich bin lebendig in alle Ewigkeit<br />
und habe die Schlüssel des Todes und des Hades.<br />
19 Schreibe nun, was du gesehen hast<br />
nämlich was ist<br />
und was nach diesem geschehen wird!<br />
20 Das Geheimnis der sieben Sterne,<br />
die du auf meiner Rechten gesehen hast,<br />
und die sieben goldenen Leuchter:<br />
Die sieben Sterne sind Engel der sieben Gemeinden,<br />
und die sieben Leuchter sind sieben Gemeinden.<br />
1:17 Kaì “ote e~idon ahutón,<br />
‘epesa pròß toùß pódaß ahutoü Hwß nekróß≥<br />
kaì ‘eqjken t`jn dexiàn ahutoü heph hemè légwn,<br />
M`j foboü≥ hegẃ ehimi Ho prẅtoß kaì Ho ‘escatoß,<br />
1:18 kaì Ho zẅn, kaì hegenómjn nekròß<br />
kaì hidoù zẅn ehimi ehiß toùß ahiẅnaß tẅn ahiẃnwn,<br />
kaì ‘ecw tàß kleïß toü qanátou kaì toü “âdou.<br />
1:19 gráyon o~un ”a e~ideß<br />
kaì ”a ehisìn<br />
kaì ”a méllei genésqai metà taüta.<br />
1:20 tò must´jrion tẅn Heptà hastérwn<br />
o”uß e~ideß hepì t¨jß dexiäß mou,<br />
kaì tàß Heptà lucníaß tàß crusäß≥<br />
oHi Heptà hastéreß ‘aggeloi tẅn Heptà hekkljsiẅn<br />
ehisin,<br />
kaì aHi lucníai aHi Heptà Heptà hekkljsíai ehisín.<br />
• 17: Die Reaktion des Sehers ist ein typisches Theophanie-Motiv: Er fällt angesichts<br />
der Offenbarung des Göttlichen in Ohnmacht. 81<br />
• Ebenso typisch ist das Trostwort: »Fürchte dich nicht.«<br />
• Die Identifizierung Jesu als »der Erste und der Letzte« entspricht sachlich der<br />
Bezeugung Gottes in V. 8 (»Ich bin das A und das O«). Dadurch unterstreicht der<br />
Autor die Gottgleichheit Jesu.<br />
• 18: »Der Lebendige« ist Gottestitel, bezieht sich hier jedoch auf die Auferstehung Jesu<br />
(»ich war tot«). Die Auferstehung ist zugleich Schlüssel über den Tod.<br />
• 19: Schreibbefehl (wie in V. 11). Häufig wird 1,19 als Inhaltsangabe gelesen: a) »was<br />
du gesehen hast« = die Vision in Kap 1; b) »was ist« = Kap 2-3 und, c) »was<br />
geschehen wird« = Kap 4-22. Gegen diese Simplifizierung des Inhalts sprechen<br />
inhaltliche Gründe: In Kap 2-2 gibt es ebenso zukünftige Aspekte wie es in 4-22<br />
historische Rückschau gibt. 82<br />
• Die Wendung »was du gesehen hast« (vgl. 1,2.11) lässt sich auf alle Visionen<br />
beziehen, welche sich auf Gegenwart und Zukunft beziehen (kai wäre eine<br />
Apposition).<br />
• 20: Deutungswort => Sterne = Engel der Gemeinden; Leuchter = Gemeinden (zu den<br />
Gemeindeengeln sie zu 2,1)<br />
79 Satake, Offenbarung (KEK), 144.<br />
80 Ri 5,31: »So sollen umkommen alle deine Feinde, HERR! Aber die, die ihn lieben, [sollen sein], wie die<br />
Sonne aufgeht in ihrer Kraft!«<br />
81 Vgl. Ez 1,28-2,2; 3,23f; Dan 8,17f; 10,8ff; äthHen 14,24-15,1; 60,3-5; 4Esr 10,29ff; <strong>Apk</strong>Abr 10,1ff u.a.<br />
82 Satake (KEK), 146.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
32 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
2.2 Die sieben Sendschreiben (2-3)<br />
DeSilva, David A. Out of our minds? Appeals to reason (logos) in the seven oracles of Revelation 2-3, JSNT 31<br />
(2008) 123-155. – DeSilva, David A. The strategic arousal of emotions in the Apocalypse of John: A<br />
rhetorical-critical investigation of the oracles to the seven churches, NTS 54 (2008) 90-114. – Dulk,<br />
Matthijs den. The promises to the conquerors in the book of Revelation, Biblica 87 (2006) 516-522. –<br />
Friesen, Steven J. Sarcasm in Revelation 2-3: Churches, Christians, true Jews, and satanic synagogues,<br />
in: The Reality of Apocalypse. Rhetoric and politics in the book of Revelation, ed. David L. Barr (SBL<br />
Symposium Series 39), Atlanta, Ga., 2006, 127-144. – Hahn, Ferdinand. Die Sendschreiben der<br />
Johannesapokalypse. Ein Beitrag zur Bestimmung prophetischer Redeformen, [1971] in: Studien zum<br />
Neuen Testament, Band II: Bekenntnisbildung und Theologie in urchristlicher Zeit (WUNT 192),<br />
Tübingen, 2006, 557-594. – Hemer, Colin J. The Letters to the Seven Churches of Asia in their Local<br />
Setting (JSNT.S 11), Sheffield, 1986; repr. Grand Rapids, 2001. – Kowalski, Beate. Das Verhältnis von<br />
Theologie und Zeitgeschichte in den Sendschreiben der Johannes-Offenbarung, in: Theologie als Vision.<br />
Studien zur Johannes-Offenbarung, hg. Knut Backhaus (SBS 191), Stuttgart, 2001, 54-76. – Lähnemann,<br />
Johannes. Die sieben Sendschreiben der Johannes-Apokalypse. Dokumente für die Konfrontation des<br />
frühen Christentums mit hellenistisch-römischer Kultur und Religion in Kleinasien, in: Studien zur<br />
Religion und Kultur Kleinasiens, ed. S. Sahin u.a. (EPRO 66), Leiden, 1978, II, 516-539. – Pilch, John J.<br />
Lying and Deceit in the Letters to the Seven Churches. Perspectives from Cultural Anthropology, Biblical<br />
Theology Bulletin 22 (1992) 126-135. – Popkes, Wiard. Die Funktion der Sendschreiben in der<br />
Johannes-Apokalypse. Zugleich ein Beitrag zur Spätgeschichte der neutestamentlichen Gleichnisse, ZNW<br />
74 (1983) 90-107. – Ramsay, William Mitchell. The Letters to the Seven Churches. Peabody, London<br />
1904; repr. Mass.: Hendrickson, 1994. – Scobie, Charles H.H. Local References in the Letters to the<br />
Seven Churches, NTS 39 (1993) 606-624. – Söding, Thomas. Siegertypen. Der Triumph des Glaubens<br />
nach den Sendschreiben der Johannesapokalypse (Offb 2-3), in: Im Geist und in der Wahrheit. Studien<br />
zum Johannesevangelium und zur Offenbarung des Johannes sowie andere Beiträge (FS Martin<br />
Hasitschka), hg. Konrad Huber u.a. (NTA 52), Münster, 2008, 331-362. – Trevett, Christine. The other<br />
Letters to the Churches of Asia: Apocalypse and Ignatius of Antioch, JSNT 37 (1989) 117-135. – Ulland,<br />
Harald. Die Vision als Radikalisierung der Wirklichkeit in der Apokalypse des Johannes. Das Verhältnis<br />
der sieben Sendschreiben zu Apokalypse 12-13 (TANZ 21), Tübingen, 1997.<br />
2.2.1 Allgemeine Beobachtungen<br />
2.2.1.1 Warum gerade diese sieben Gemeinden?<br />
Nach den Wirren des ersten jüdisch-römischen Krieges wurde<br />
Kleinasien (höchstwahrscheinlich) zu einem Zentrum des<br />
frühen Christentums. Es gab in Asia auch an anderen Orten<br />
christliche Gemeinden: Kolossä (Kol 1,2); Hierapolis (Kol<br />
4,13) oder Troas (Apg 20,5; 2Kor 2,12).<br />
Thesen:<br />
• Rundbrief: Ephesus war Sitz des römischen Prokonsuls und damit<br />
Hauptstadt der Provinz Asia. Alle anderen Orte sind im Radius<br />
von 130km von Ephesus entfernt. Seit Ramsay (Letters, 1904) ist<br />
die These populär, diese sieben Städte liegen auf einer Strasse, so<br />
dass es sich um eine Route im Kreis handelt. Leider haben weitere<br />
Forschungen am römischen Strassensystem in Asia diese Sicht<br />
nicht bestätigen können. 83<br />
• »Zufall«: Der Seher Johannes kennt die Situation in den einzelnen<br />
Gemeinden. Er war wahrscheinlich als Wanderprophet unterwegs<br />
und kannte einfach diese sieben Gemeinden besonders gut.<br />
83 Vgl. D.H. French, The Roman Road-system of Asia Minor, ANRW II.7.2 (1980) 698-729 (mit Karten,<br />
Photos und epigraphischen Quellen!) Vgl. S. 700 zur Kritik an Ramsay’s Vorgehen.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 33<br />
• Symbolisch für die Gesamtkirche: Zumindest in der Alten Kirche wurde schon früh (Canon Muratori!)<br />
die Siebenerzahl auf die gesamte Kirche gedeutet. Bedenkt man den Symbolgehalt der Zahl, dann ist<br />
diese Auffassung zumindest als Möglichkeit im Auge zu behalten. Dass in den einzelnen Briefen<br />
durchaus Partikularprobleme behandelt werden, spricht nicht gegen die These, dass der Autor<br />
zumindest den Anspruch hatte, an alle Christen und Christinnen im römischen Reich zu schreiben.<br />
2.2.1.2 Formaler Aufbau und Gattung<br />
1.<br />
Adscriptio 84<br />
2.<br />
Schreibbefehl<br />
(gráyon)<br />
3. Offenbarun<br />
gsformel<br />
(táde légei)<br />
4. Christologische<br />
Präsentation<br />
5. Narratio<br />
(eingel. mit<br />
o~ida)<br />
1. Ephesus<br />
(2,1-7)<br />
2. Smyrna<br />
(2,8-11)<br />
3. Pergamon<br />
(2,12-17)<br />
4. Thyatira<br />
(2,18-29)<br />
5. Sardes<br />
(3,1-6)<br />
6. Philadelphia<br />
(3,7-13)<br />
7. Laodizea<br />
(3,14-22)<br />
2,1a 2,8a 2,12a 2,18a 3,1a 3,7a 3,14a<br />
2,1a 2,8a 2,12a 2,18a 3,1a 3,7a 3,14a<br />
2,1b 2,8b 2,12b 2,18b 3,1b 3,7b 3,14b<br />
2,1b (7<br />
Sterne, 7<br />
Leuchter)<br />
2,2-6<br />
(tà ‘erga<br />
sou)<br />
a) Lob 2,2-3<br />
(Mühe,<br />
usw.)<br />
b) Tadel 85 2,4 (erste<br />
Liebe)<br />
c)<br />
Paränese<br />
d)<br />
Drohung (ehi<br />
dè m´j) +<br />
Kommen<br />
Jesu<br />
e) Lob II<br />
(hallà ‘eceiß)<br />
6.<br />
Proklamation<br />
a)<br />
Weckruf 86<br />
b) Orakel<br />
»Überwinderspruch«<br />
87<br />
2,5a-c<br />
(Anamnese,<br />
Umkehr)<br />
2,5d-f<br />
2,8b (Erste<br />
& Letzte, tot<br />
und lebend)<br />
2,12b<br />
(Schwert)<br />
2,18b (Sohn<br />
Gottes,<br />
Feueraugen,<br />
Erzfüße)<br />
2,9-10 2,13-.16 2,19-23<br />
(sou tà<br />
‘erga)<br />
2,9 (Drangsal,<br />
usw.<br />
2,13 (Treue<br />
im Glauben,<br />
usw.)<br />
-- 2,14-15<br />
(Balaam,<br />
Nikolaiten)<br />
Paraklese!<br />
2,10a-d<br />
(mjdèn<br />
foboü)<br />
Aufruf zur<br />
Treue, Verheißung!<br />
2,10e-f<br />
2,16a<br />
(Umkehr)<br />
2,19 (Liebe,<br />
Glauben,<br />
Dienst)<br />
3,1b (7<br />
Geister, 7<br />
Sterne)<br />
3,1c-5<br />
(sou tà<br />
‘erga)<br />
3,7b<br />
(Heilige,<br />
Schlüsselgewalt)<br />
3,8-11<br />
(sou tà<br />
‘erga)<br />
- 3,8 (für<br />
einige)<br />
3,14b<br />
3,15-20<br />
2,20 (Jezabel) 3,1c - 3,15-17<br />
Paraklese an<br />
die Übrigen!<br />
(2,24-25)<br />
2,16b-d 2,21-23<br />
(gegen<br />
Jezabel)<br />
3,2-3a<br />
3,3b (heàn<br />
o~un m`j ...)<br />
“jxw<br />
2,6 - - - 3,4 (für<br />
einige)<br />
Paraklese!<br />
(2,9)<br />
Verheißung,<br />
Aufruf zur<br />
Treue!<br />
3,10-11<br />
2,7a 2,11a 2,17a 2,29 3,6 3,13 3,21<br />
2,7b-c<br />
(Lebensbau<br />
m im<br />
Paradies)<br />
2,11b (kein<br />
zweiter<br />
Tod)<br />
2,17b-e<br />
(Manna...)<br />
2,26-28<br />
(Macht über<br />
Nationen...)<br />
3,5 (weiße<br />
Gewänder)<br />
-<br />
3,18-19<br />
3,20<br />
3,12 3,22<br />
-<br />
-<br />
84 Immer im Dativ: T¨^w haggél^w t¨jß hen ... hekkljsíaß (2,1), danach immer mit kaí am Anfang.<br />
85 Formel: hallà ‘ecw katà soü “oti (2,4a.20a); hallh ‘ecw katà soü holíga (2,14a);<br />
86 Formel: Ho ‘ecwn o~uß hakousátw tí tò pneüma légei taïß hekkljsíaiß (2,7a; 11a; 17a; 29; 3,6.13.22).<br />
87 Formel: t¨^w nikẅnti dẃsw (2,7b.17b); Ho nikẅn (2,11b.26a; 3,5a.12a.21a).<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
34 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Die Frage der literarischen Gattung hat unterschiedliche Thesen generiert 88 : Himmelsbrief,<br />
prophetischer Brief, prophetisches Orakel, imperialer Edikt.<br />
2.2.1.3 Exkurs: Der Gemeinde-Engel<br />
• angelos bezeichnet in der <strong>Apk</strong>Joh außerhalb von 1,20 und den Sendschreiben immer<br />
gutwillige übernatüriche Botengestalten. Lediglich hier ist die Deutung umstritten.<br />
Gemeinde-Engel erscheinen nicht mehr in der Joh<strong>Apk</strong>.<br />
• Die Sendschreiben richten sich an den Engel der Gemeinde und sind mehrheitlich in der<br />
zweiten Person Singular formuliert. Dieses Stilmittel wird jedoch nicht durchgehalten:<br />
2,10: »Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! [Sg] Siehe, der Teufel wird [einige] von euch ins<br />
Gefängnis werfen… [Pl].« 2,13: »Ich weiß, wo du wohnst [Sg]: … und hast meinen Glauben nicht<br />
verleugnet [Sg], auch in den Tagen des Antipas, meines treuen Zeugen, der bei euch [Pl], wo der Satan<br />
wohnt, ermordet worden ist. « 2,14: »Aber ich habe ein weniges gegen dich, dass du [Sg] solche dort hast,<br />
welche die Lehre Bileams festhalten [Pl]…«<br />
• Der Engel wird angesprochen, als ob er die Gemeinde wäre. Andererseits erscheint<br />
weder in 1,11 noch in dem Weckruf der Engel (»was der Geist den Gemeinden sagt«).<br />
• Thesen: a) Schutzengel der betreffenden Gemeinde (aber warum werden diese dann<br />
auch gerügt?), b) himmlische Repräsentanten der irdischen Gemeinschaften, c)<br />
menschliche Boten, d) christliche Propheten, e) Gemeindeleiter.<br />
2.2.2 An Ephesus (2,1-7)<br />
Zu Ephesus und zur bewegten Geschichte des frühen Christentums liegen eine Reihe neuerer Arbeiten vor:<br />
Günther, M. Die Frühgeschichte des Christentums in Ephesus (Arbeiten zur Religion und Geschichte des<br />
Urchristentums 1), Frankfurt a.M., 1995. – Koester, Helmut (ed.). Ephesos: Metropolis of Asia. An<br />
Interdisciplinary Approach to Its Archaeology, Relgion, and Culture (Harvard Theological Studies 41),<br />
Valley Forge, 1995. – Schnabel, Eckhard J. - Die ersten Christen in Ephesus Neuerscheinungen zur<br />
frühchristlichen Missionsgeschichte, NT 41 (1999) 349-382. – Schnackenburg, Rudolf. Ephesos:<br />
Entwicklung einer Gemeinde von Paulus zu Johannes, BZ 35 (1991) 41-64. – Strelan, Paul. Artemis and<br />
Jews in Ephesus (BZNW 80), Berlin, 1996. – Thiessen, W. Christen in Ephesus. Die historische und<br />
theologische Situation in vorpaulinischer und paulinischer Zeit und zur Zeit der Apostelgeschichte und<br />
der Pastoralbriefe (TANZ 12), Tübingen/Basel, 1995. – Trebilco, Paul. The Early Christians in Ephesus<br />
from Paul to Ignatius (WUNT 166), Tübingen, 2004. [grundlegend!]<br />
• Wichtig: Auf der Ebene der Erzählung handelt es sich bei den Kap. 2–3 weiterhin um<br />
die Vision des Auferstandenen. 2,1 wird mit keinem Wort als neue Vision eingeführt.<br />
Zu Ephesus:<br />
• Wichtigste Stadt der Provinz Asia (ca. 100'000 Einwohner), Hafen,<br />
Verkehrsknotenpunkt, Handelszentrum<br />
• Religiös: Artemis-Tempel (Apg 19,27f.35), Tempel für die flavischen Kaiser 89 mit<br />
Weihinschriften für Domitian<br />
• Zur paulinischen Mission vgl. Apg 19 (Apg 15,32); nachpaulinisch: 1Tim 1,3; 2Tim<br />
1,18; 4,12<br />
88 Ausführlich dazu Aune, Revelation (WBC) I, 124-129.<br />
89 Vgl. Steven J. Friesen. Twice Neokoros: Ephesus, Asia and the Cult of the Flavian Imperial Family<br />
(RGRW 116), Leiden, 1993.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 35<br />
2,1 Dem Engel der Gemeinde in Ephesus schreibe:<br />
Dies sagt<br />
der die-sieben-Sterne-in-seiner-Rechten-Haltende,<br />
der inmitten-der-sieben-goldenen-Leuchter-<br />
Umhergehende:<br />
2:1 T¨^w haggél^w t¨jß hen h Efés^w hekkljsíaß gráyon≥<br />
Táde légei<br />
Ho kratẅn toùß Heptà hastéraß hen t¨∆ dexi¨â<br />
ahutoü,<br />
Ho peripatẅn hen més^w tẅn Heptà lucniẅn tẅn<br />
crusẅn≥<br />
• Obwohl es hellenistische Parallelen für die Einleitung eines Edikts oder eines<br />
göttlichen Orakels mit táde legei gibt 90 , sind die LXX-Belege derart zahlreich (351x),<br />
dass der Einfluss von dort als gesichert angesehen werden darf.<br />
• Nicht immer aber sehr häufig werden göttliche Orakel damit eingeleitet (bes. bei den<br />
Propheten Amos, Jes, Jer und Ez):<br />
Ex 4,22 Und du sollst zum Pharao sagen: So spricht der HERR (ta¿de le÷gei ku/rioß): Mein erstgeborener<br />
Sohn ist Israel… (vgl. 5,1; 7,17; etc.) 1Kön 13,21 Und er rief dem Mann Gottes, der aus Juda gekommen<br />
war, zu: So spricht der HERR (ta¿de le÷gei ku/rioß): Dafür daß du gegen den Befehl des HERRN<br />
widerspenstig gewesen bist… Amos 1,6 So spricht der HERR (ta¿de le÷gei ku/rioß): Wegen drei<br />
Verbrechen von Gaza und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen… Jes 65,13 Darum, so spricht<br />
der Herr, HERR (ta¿de le÷gei ku/rioß): Siehe, meine Knechte werden essen… Jer 12,14 So spricht der<br />
HERR: Über alle meine bösen Nachbarn… Ez 12,10 Sprich zu ihnen: So spricht der Herr, HERR…<br />
• Die Einleitung macht deutlich, dass es sich hier um eine göttliche Mitteilung handelt,<br />
die Anweisungen, Lob und Gericht beinhalten kann. Die Stimmung ist durch und<br />
durch prophetisch.<br />
• Die Selbstvorstellung des himmlischen Sprechers nimmt zwei Elemente der<br />
Eingangsvision auf (1,12f): sieben Stern & sieben Leuchter. Damit wird zugleich der<br />
enge Bezug zwischen Parusie-Herrn und der Gemeinde (vgl. 1,20) betont.<br />
• Neu ist lediglich, dass der Herr inmitten der Leuchter umhergeht (peripateô). In 9,20<br />
heißt es von den Götzenbilder, dass sie »weder sehen noch hören noch wandeln<br />
können«. Der endzeitliche Richter sieht, hört und ist in den Gemeinden gegenwärtig.<br />
• Deswegen kennt er genau ihre Werke…<br />
2,2 Ich kenne deine Werke:<br />
(nämlich 91 ) deine Mühe und dein Durchhalten,<br />
und dass du Böse nicht ertragen kannst;<br />
und du hast die auf die Probe gestellt, die sich selbst<br />
›Apostel‹ nennen und es nicht sind,<br />
und hast sie als Lügner entlarvt;<br />
3 und du hast Durchhaltevermögen<br />
und erträgst um meines Namens willen<br />
und bist (dabei) nicht müde geworden.<br />
2:2 O~ida tà ‘erga sou<br />
kaì tòn kópon kaì t`jn Hupomon´jn sou,<br />
kaì “oti ohu dún∆ bastásai kakoúß,<br />
kaì hepeírasaß toùß légontaß Heautoùß<br />
hapostólouß kaì ohuk ehisín,<br />
kaì eûreß ahutoùß yeudeïß≥<br />
2:3 kaì Hupomon`jn ‘eceiß,<br />
kaì hebástasaß dià tò ‘onomá mou,<br />
kaì ohu kekopíakeß.<br />
• Die Hervorhebung der positiven Werke bleibt sehr allgemein 92 : Mühe,<br />
Durchhaltevermögen und kritischer Umgang mit falschen Aposteln. Die Gemeinde<br />
zeichnet sich durch Unermüdlichkeit aus und ist bereit, für den eigenen Glauben<br />
Strapazen zu ertragen (vom Erleiden physischer Gewalt ist hier nicht die Rede).<br />
• Ein konkretes Bedrohungsszenarium von außen ist in diesem Sendschreiben nicht zu<br />
finden,<br />
90 Plato, Alc. 2,149b: táde légei ‘ Ammwn.<br />
91 Ich deute das erste kai epexegetisch.<br />
92 Sind die Anklänge an 1Thess 1,3 zufällig? 1Thess 1,2 Wir danken Gott allezeit für euch alle, indem wir<br />
euch erwähnen in unseren Gebeten und unablässig 3 vor unserem Gott und Vater an euer Werk des Glaubens<br />
gedenken und die Bemühung der Liebe und das Ausharren [in] der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus<br />
(mnhmoneu/onteß uJmw◊n touv ergou thvß pi÷stewß kai« touv ko/pou thvß aÓga¿phß kai« thvß uJpomonhvß thvß<br />
e˙lpi÷doß touv kuri÷ou hJmw◊n Δ∆Ihsouv Cristouv emprosqen touv qeouv kai« patro\ß hJmw◊n)…<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
36 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Die »Falschapostel« (die wohl als Beispiel für den Umgang mit den kakoi / bösen<br />
Menschen aufgeführt werden) deuten bereits innerkirchliche Konflikte an. Dass diese<br />
auf die Probe gestellt (peirazô) werden müssen, setzt Verwechselbarkeit voraus. Es<br />
muss sich daher um »Apostel« handeln, die als christliche Autoritätsträger auftreten. 93<br />
• Ungewöhnlich ist die Prüfung von »Aposteln«; viel häufiger ist die Prüfung von<br />
Propheten belegt (1Kor 14,29; 1Joh 4,1-3; vgl. aber Did 11,3-12).<br />
• Anders als in 21,14 kann der Apostel-Begriff hier sich nicht auf die zwölf Apostel<br />
beziehen, sondern auf Gemeindegesandte, die jedoch mit einer gewissen Autorität<br />
auftreten (vgl. die »Gegner« des Paulus in 2Kor 11,5.13; 12,11).<br />
Vgl. Did 11,3 Aber hinsichtlich der Apostel und Propheten verfahrt nach der Weisung des Evangeliums so:<br />
4. Jeder Apostel, der zu euch kommt, soll aufgenommen werden wie der Herr. 5. Er soll aber nur einen Tag<br />
lang bleiben; wenn aber eine Notwendigkeit besteht, auch den zweiten. Wenn er aber drei bleibt, ist er ein<br />
Pseudoprophet. 6. Wenn aber der Apostel weggeht, soll er nichts mitnehmen außer Brot, bis er übernachtet;<br />
wenn er aber um Geld bittet, ist er ein Pseudoprophet.<br />
7. Und jeden Propheten, der im Geist redet, stellt keinen auf die Probe und fällt kein Urteil über ihn; denn<br />
jede Sünde wird vergeben werden, diese Sünde aber wird nicht vergeben werden. 8. Nicht jeder, der im Geist<br />
redet, ist ein Prophet; sondern wenn er die dem Herrn entsprechenden Verhaltensweisen hat. An den<br />
Verhaltensweisen also werden der Pseudoprophet und der Prophet erkannt werden. 9. Und kein Prophet, der<br />
im Geist einen Tisch bestellt, ißt selbst daran; andernfalls ist er ein Pseudoprophet. 10. Jeder Prophet aber,<br />
der die Wahrheit lehrt, ist, wenn er nicht tut, was er lehrt, ein Pseudoprophet. 11. Jeder bewährte, wahrhaftige<br />
Prophet aber, handelnd für das irdische Geheimnis der Kirche, aber nicht lehrend das zu tun, was er selbst<br />
tut, soll nicht bei euch gerichtet werden; denn bei Gott hat er (sein) Gericht. Ebenso nämlich haben es auch<br />
die alten Propheten gemacht. 12. Wer aber im Geist sagt: ›Gib mir Geld oder irgendetwas anderes‹, auf den<br />
sollt ihr nicht hören; wenn er aber sagt, man soll für andere Bedürftige geben, so soll niemand ihn richten.<br />
12,1. Jeder aber, der kommt im Namen des Herrn, soll aufgenommen werden; dann aber werdet ihr (ihn)<br />
durch kritische Beurteilung erkennen; denn ihr habt Einsicht nach rechts und nach links (= richtig und<br />
falsch).<br />
• Ob diese Falschapostel mit den in V. 6 genannten Nikolaiten gleichzusetzen sind, ist<br />
fraglich (hier im Aorist, Nikolaiten im Präsens). Nähere Identifikationen erscheinen<br />
nicht möglich 94 .<br />
2,4 Ich habe jedoch gegen dich,<br />
dass du deine erste Liebe verloren hast.<br />
5 Erinnere dich nun daran, von wo du (ab)gefallen bist,<br />
und bereue (ändere deinen Sinn)<br />
und tue die ersten Werke!<br />
Wenn aber nicht, so komme ich zu dir<br />
und ich werde deinen Leuchter von seiner Stelle<br />
rücken,<br />
wenn du nicht bereust (deinen Sinn änderst).<br />
2:4 hallà ‘ecw katà soü<br />
“oti t`jn hagápjn sou t`jn prẃtjn haf¨jkeß.<br />
2:5 mnjmóneue o~un póqen péptwkaß,<br />
kaì metanójson<br />
kaì tà prẅta ‘erga poíjson≥<br />
ehi dè m´j, ‘ercomaí soi<br />
kaì kin´jsw t`jn lucnían sou hek toü tópou ahut¨jß,<br />
heàn m`j metano´js∆ß.<br />
• Von Liebe (agapê) ist in der Joh<strong>Apk</strong> nur hier und in 2,19 die Rede. Am ehesten wird<br />
die »erste Liebe« mit den »ersten Werken« in 2,5 zu verbinden sein (Werke und Liebe<br />
gehören auch in 2,19 zusammen). 95 Was genau damit gemeint ist, bleibt völlig offen.<br />
• Der Appell an die Erinnerung eines früheren Zustands setzt eine gemeinsame<br />
Erfahrungsbasis zwischen Autor und Gemeinde voraus.<br />
93 Interessanterweise kündigt »Paulus« in seiner Abschiedsrede an die Ältesten der Gemeinde in Ephesus an,<br />
dass Verführer von außen kommen werden (Apg 20,29f).<br />
94 Die alte Tübinger Schule musste im Zuge der Konstruktion von Ferdinand Baur dabei natürlich an Paulus<br />
selbst oder seine Mitarbeiter denken.<br />
95 Satake (KEK), 157 denkt an die »Liebe der Epheser zu Gott«; Bousset (KEK), 205 an Nächstenliebe;<br />
Karrer, Brief, 204f deutet umfassend: »von der emotionalen Grundkraft der Liebe über die Nächsten- bis zur<br />
Gottesliebe« (ähnlich Giesen [RNT], 99).<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 37<br />
• Durch Reue (metanoeô: Sinnesänderung, Wende in der Lebenseinstellung) sollen die<br />
Epheser wieder an die Qualität ihrer christlichen Lebensführung zu Beginn<br />
zurückfinden. Interessanterweise findet sich hier bereits eine typische Figur<br />
christlicher Erneuerungsrhetorik: die Idealisierung des Anfangs und damit zugleich<br />
auch die affektive Normativität der ersten Zeit. 96<br />
• Die Drohung des Kommens Jesu kann sich nicht auf die Parusie beziehen, ist doch das<br />
Kommen Jesu hier abhängig vom Handeln der ephesinischen Christen und<br />
Christinnen (vgl. 2,16; 3,3).<br />
• Das Bild vom »Leuchter« (oder Menorah) knüpft an die Selbstvorstellung in 2,1 an.<br />
Derjenige, der inmitten der »Leuchter« wandelt, kann diesen auch ihr Recht als<br />
Christus-Gemeinschaft entziehen. Die Drohung zeichnet die Konsequenz des<br />
Zuwiderhandlung (»wenn nicht… dann«).<br />
• Es ist (mir) nicht klar, wieso die Gemeinde in allem ausharrt und sich für den Glauben<br />
abmüht und trotzdem auf dem Weg ist, ihre Identität als christliche Gemeinschaft zu<br />
verlieren. Man könnte hier spekulieren: Ist es so etwas wie Strenge ohne Liebe? Die<br />
genauen Konturen der Problematik bleiben unscharf.<br />
• Die Drohung mit Konsequenzen ist ein rhetorisches Mittel zur Durchsetzung<br />
moralischer Ansprüche. Dass die Umkehr / die Sinnesänderung damit bewirkt werden<br />
soll, ist theologisch zumindest bedenklich.<br />
2,6 Aber dies hast du,<br />
dass du die Werke der Nikolaiten haßt, die auch ich<br />
hasse.<br />
2:6 hallà toüto ‘eceiß,<br />
“oti miseïß tà ‘erga tẅn Nikolavitẅn,<br />
”a khagẁ misẅ.<br />
• Nun folgt (einzig in diesem Sendschreiben) ein Nachtrag zu den positiven Aspekten<br />
der Gemeinde: der »Hass« gegen die Nikolaiten (die auch in Pergamon 2,15 erwähnt<br />
werden).<br />
• Der »Hass« Gottes bringt die Nikolaiten auf eine ähnliche Stufe wie die heidnischen<br />
Kulte im AT (Dtn 12,31; usw.).<br />
Exkurs: Die Nikolaiten<br />
Brox, Norbert. Nikolaos und Nikolaiten, Vigiliae Christianae 19 (1965), 23-30. – Heiligenthal, Roman. Wer<br />
waren die ›Nikolaiten‹? Ein Beitrag zur Theologiegeschichte des frühen Christentums, ZNW 82 (1991)<br />
133-137. – Räisänen, H. The Nicolaitans: Apoc. 2; Acta 6, in: ANRW II.26.2 (Berlin, 1995) 1602-1644<br />
= Challenges to biblical interpretation. Collected essays 1991-2000 (Biblical interpretation series 59),<br />
Leiden, 2001, 141-189. – Stowasser, Martin. ›Dies spricht für dich, dass du die Werke der Nikolaiten<br />
hasst‹ (Offb 2,6) - ein frühes Zeugnis für den Konflikt um Anpassung oder Widerstand?, in:<br />
Inkulturation. Historische Beispiele und theologische Reflexionen zur Flexibilität und Widerständigkeit<br />
des Christlichen, hg. Rupert Klieber & Martin Stowasser, Wien: Lit, 2006, 2<strong>03</strong>-227. – Walter, Nikolaus.<br />
Nikolaos, Proselyt aus Antiochien, und die Nikolaiten in Ephesus und Pergamon, ZNW 93 (2002) 200-<br />
226.<br />
• Wer sind die Nikolaiten (nur in 2,6 und 2,15)? Sind sie identisch mit der Lehre<br />
Bileams (2,14) oder der Prophetin Isebel (2,20)?<br />
96 Die Analogie zur romantischen Liebe bietet sich geradezu an...<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
38 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Text Ort Bezeichnung Was Reaktion<br />
Gemeinde<br />
2,6 Ephesus Nikolaiten Werke (erga) hassen hassen<br />
2,14 Pergamon »Lehre (didache) Bileams«<br />
(Bileam = pejorative<br />
Metapher)<br />
2,15 Pergamon »Lehre (didache) der<br />
Nikolaiten«<br />
2,20 Thyatira »die Frau Isebel« (pejorative<br />
Metapher), nennt sich<br />
Prophetin, V. 24: Lehre<br />
(didache), Stichwort »Tiefen<br />
des Satans«<br />
Verführung zum<br />
Verzehr von<br />
Götzenopferfleisch<br />
und Unzucht<br />
(von manchen<br />
akzeptiert)<br />
- (von manchen<br />
akzeptiert)<br />
lehrt Christen,<br />
verführt, Unzucht,<br />
Götzenopferfleisch<br />
Reaktion Jesus<br />
Christus<br />
(»habe gegen<br />
dich«)<br />
Mit Schwert<br />
gegen sie<br />
kämpfen (2,16)<br />
- Zeit zur Umkehr<br />
gegeben (21),<br />
Krankenbett,<br />
Strafe für alle,<br />
die ihr folgen,<br />
Tod ihren<br />
Kindern (22f)<br />
• Wer sind die Nikolaiten (nur in 2,6 und 2,15)? Sind sie identisch mit der Lehre<br />
Bileams (2,14) oder der Prophetin Isebel (2,20)?<br />
• Die Problematik von »Unzucht« und Götzenopferfleisch hat neutestamentliche<br />
Parallelen in zwei Richtungen:<br />
a) das sog. Aposteldekret in Apg 15,29; 21,25 verbietet den Christusgläubigen aus den<br />
Nationen, Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktes und Unzucht.<br />
b) in Korinth vertreten einige (»die Starlen«) ein liberale Anschauungen in Fragen von<br />
Sexualität (porneia: 1Kor 5,1; 6,13.18; 7,2) und bezüglich des Konsums von<br />
Götzenopferfleisch (1Kor 8–10). Eine direkte Verbindung zwischen den korinthischen<br />
Starken und den Gruppierungen in Kleinasien ist jedoch nicht ausfindig zu machen.<br />
• Die Bezeichnung »Nikolaiten« könnte auf Apg 6,5 zurückgehen: »Nikolaus, ein<br />
Proselyten aus Antiochien« wird als letzter der sieben Leiter der Hellenisten in<br />
Jerusalem genannt. Dass die Kirchenväter diese Verbinung explizit hergestellt haben,<br />
hat keine besondere Beweiskraft. 97<br />
• Es ist möglich, dass sich diese Gruppierung auf Nikolaus berief, ohne dass dieser<br />
direkt etwas damit zu tun hat. Theologisch könnte ein Grund darin zu suchen sein,<br />
dass die hellenistischen Diakone wohl für eine offenere Haltung der Torah gegenüber<br />
standen.<br />
• In der antihäretischen Literatur des 2.-3 Jh.s werden die Nikolaiten als gnostische<br />
Gruppierung bekämpft.<br />
2,7 Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den<br />
Gemeinden sagt!<br />
Dem Siegreichen werde ich vom Baum des Lebens, der<br />
im Paradiesgarten Gottes steht, zu speisen geben.<br />
2:7 Ho ‘ecwn o~uß hakousátw tí tò pneüma légei taïß<br />
hekkljsíaiß.<br />
t¨^w nikẅnti dẃsw ahut¨^w fageïn hek toü xúlou t¨jß<br />
zw¨jß, “o hestin hen t¨^w paradeís^w toü qeoü.<br />
• In der antihäretischen Literatur des 2.-3 Jh.s werden die Nikolaiten als gnostische<br />
Gruppierung bekämpft.<br />
• Die Botschaft des Pausie-Herrn ist zugleich Wort des Geistes an (im Plural!!) die<br />
Gemeinden.<br />
97 Irenäus, haer. I 26,3; Hippolyt, philos. VII 36.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 39<br />
• Der Weckruf (»Wer Ohren/Ohr hat, der höre«) steht in der Jesusverkündigung häufig<br />
am Ende von Parabeln oder Bildworten. 98 Außerhalb der Sendschreiben kommt diese<br />
prophetische Aufmerksamkeitsformel nur noch in 13,9 vor.<br />
• Die Siegesmetapher (nikaô) hat das Ende derer im Blick, die nach dem<br />
apokalyptischen Heilsdrama auf der Seite des Parusie-Herren stehen (vgl. 17,14;<br />
21,7).<br />
• Dieses Ende ist metaphorisch durchtränkt durch die Ur-Bilder eines paradiesischen<br />
Zustands. Der Lebensbaum von Gen 2f erscheint erneut in der Schilderung vom<br />
Neuen Jerusalem (22,2.14.19). 99<br />
2.2.3 An Smyrna (2,8-11)<br />
Duff, Paul. ›The synagogue of Satan‹: Crisis mongering and the Apocalypse of John, in: The reality of<br />
Apocalypse. Rhetoric and politics in the book of Revelation, ed. David L. Barr (SBL Symposium series<br />
39), Atlanta, Ga., 2006, 147-168. – Frankfurter, David. Jews or not? Reconstructing the ›other‹ in Rev<br />
2:9 and 3:9, HThR 94 (2001) 4<strong>03</strong>-425. – Lambrecht, Jan. ›Synagogues of Satan‹ (Rev 2:9 and 3:9):<br />
Anti-judaism in the book of Revelation, in: Anti-Judaism and the Fourth gospel, ed. Reimund Bieringer,<br />
Didier Pollefeyt & Frederique Vandecasteele-Vanneuville (Jewish and Christian heritage series 1), Assen,<br />
2001, 514-530 = Collected Studies on Pauline Literature and on the Book of Revelation (AnBib 147),<br />
Rom, 2001, 341-356. – Lambrecht, Jan. Jewish slander. A note on Revelation 2,9-10, EThL 75 (1999)<br />
421-429 = Collected Studies on Pauline Literature and on the Book of Revelation (AnBib 147), Rom,<br />
2001, 329-339.<br />
2,8 Und dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe:<br />
Dies sagt der Erste und der Letzte,<br />
der tot war und wieder lebte:<br />
2:8 Kaì t¨^w haggél^w t¨jß hen Smúrn∆ hekkljsíaß<br />
gráyon≥<br />
Táde légei Ho prẅtoß kaì Ho ‘escatoß,<br />
”oß hegéneto nekròß kaì ‘ezjsen≥<br />
• Smyrna, ca. 60km nördlich von Ephesus, am ägaischen Meer, Hafen, gute Verkehrslage<br />
• Nach »Wettkampf« mit anderen Städten erhielt Smyrna 26 n.Chr. die Erlaubnis zum<br />
Bau eines Kaisertempels. Die Verbindung zu Rom war besonders eng.<br />
• Der Beginn des Christentums in Smyrna ist unbekannt. Später schrieb Ignatius einen<br />
Brief an diese Gemeinde (Anfang 2. Jh.).<br />
• Die Vorstellung Jesu nimmt 1,17f auf: Erste/Letzte, tot/lebendig. Tod ist ein Leitmotiv<br />
dieses Briefes<br />
2,9 Ich kenne deine Bedrängnis<br />
und deine Armut – doch bist du reich –<br />
und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien<br />
Juden,<br />
und es nicht sind, sondern eine Synagoge des<br />
Satans.<br />
2:9 O~idá sou t`jn qlïyin<br />
kaì t`jn ptwceían, hallà ploúsioß e~i,<br />
kaì t`jn blasfjmían hek tẅn legóntwn<br />
h Ioudaíouß e~inai Heautoúß,<br />
kaì ohuk ehisìn hallà sunagwg`j toü Satanä.<br />
• Das Sendschreiben an Smyrna enthält kein Wort des Tadels. Es wird auch – anders als<br />
in den anderen Schreiben – nicht das Handeln (die erga) betont, sondern ihre<br />
gegenwärtige Lage.<br />
• Bedrängnis, Armut und Lästerung zeichnen die Situation in Smyrna aus.<br />
98 Mt 11,15 (Johannes der Täufer als neuer Elia); Mk 4,9/Mt 13,8/Lk 8,8b; Mt 13,43b (nach Gleichnissen);<br />
Mk 4,23 (Lichtwort); Lk 14,35b (Salzwort).<br />
99 Vgl. zum Motiv des Lebensbaums in der Apokalyptik: äthHen 24,4-25,5; TestLev 18,11; 4Esr 8,52;<br />
<strong>Apk</strong>MOs 28; Bousset, KEK, 207f.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
40 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Die Bedrängnis (thlipsis) wird in V. 10 spezifiziert: Gefängnisstrafe für manche<br />
Christusgläubige.<br />
• Finanzielle Armut (im Gegensatz zu 3,17f).<br />
• Der Lästerungsvorwurf ist schwer fassbar: Richtet er sich gegen den Christusglauben,<br />
gegen Gott oder gegen die Glaubenden. Lästerung ist im Rest des Buches<br />
charakteristisch für die Gottesfeinde (13,1.5f; 17,3) und für die Unbusswilligkeit der<br />
Gestraften (16,9.11.21).<br />
• Die »Feinde« sind in diesem Fall Menschen, die aus der Sicht der Autors keine wahren<br />
Juden sind (vgl. 3,9). Dass sie als »Synagoge des Satans« bezeichnet werden, legt<br />
nahe, dass es sich um eine mit der christlichen Gemeinschaft konkurrenzierende<br />
jüdisch geprägte religiöse Versammlung oder Vereinigung handelte.<br />
• Diese Gruppierung ist unterschiedlich in der Forschung genauer bestimmt worden als<br />
»heidnische Judaisierer« 100 oder schlicht eine jüdische Gemeinschaft, die dem<br />
Christentum kritisch gegenüber steht.<br />
• Da in 2,10 der Teufel einige im Gefängnis auf die Probe stellt, ist es denkbar, dass die<br />
Bezeichnung »Synagoge des Satans« damit in Verbindung steht, dass Vertreter der<br />
jüdischen Synagoge an duesen Verhaftungen maßgeblich beteiligt waren. 101<br />
2,10 Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst!<br />
Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis<br />
werfen, um euch auf die Probe zu stellen,<br />
und ihr werdet zehn Tage Bedrängnis erleiden.<br />
Sei treu bis zum Tod,<br />
und ich werde dir als Siegeskranz das Leben schenken.<br />
2:10 mjdèn foboü ”a mélleiß páscein.<br />
hidoù méllei bállein Ho diáboloß hex Humẅn ehiß<br />
fulak`jn “ina peirasq¨jte,<br />
kaì “exete qlïyin Hjmerẅn déka.<br />
gínou pistòß ‘acri qanátou,<br />
kaì dẃsw soi tòn stéfanon t¨jß zw¨jß.<br />
• Das Interessante an der Voraussage in diesem Vers ist die präzise Beschreibung: einige<br />
werden für zehn Tage im Gefängnis sein. 102 Einkerkerung war in der Antike in der<br />
Regel nicht die Strafe für Vergehen, sondern die Verwahrung bis zur<br />
Gerichtsverhandlung oder bis zur eigentliche Strafe (körperliche Züchtigung,<br />
Geldbuße, Verbannung, Tod).<br />
• Ist die Angabe »zehn Tage« symbolisch?<br />
Dan 1,11 Da sagte Daniel zu dem Aufseher, den der Oberste der Hofbeamten über Daniel, Hananja, Mischael<br />
und Asarja bestellt hatte: 12 Versuche (pei÷rason) es doch zehn Tage (hJme÷raß de÷ka) [lang] mit deinen<br />
Knechten, dass man uns Gemüse zu essen und Wasser zu trinken gebe! 13 Und dann möge unser Aussehen<br />
und das Aussehen der jungen Männer, die die Tafelkost des Königs essen, von dir geprüft werden! Dann<br />
verfahre mit deinen Knechten je nachdem, was du sehen wirst! 14 Und er hörte auf sie in dieser Sache und<br />
versuchte es zehn Tage mit ihnen (eṗei÷rasen aujtou\ß hJme÷raß de÷ka).<br />
• Das würde bedeuten, dass der Text in Aussicht stellt: »ihr werdet angezeigt werden und<br />
in Untersuchungshaft geraten, aber sie werden keinen Erfolg haben. Ihr werdet nach<br />
zehn Tagen wieder frei kommen.«<br />
• Treue bis zum Tod wird mit Leben belohnt. Da die Bedrängnis nur zehn Tage dauern<br />
soll, ist hier kaum an ein Martyrium gedacht.<br />
100 S.G. Wilson, Gentile Judaizers, NTS 38 (1992) 605-616:613ff.<br />
101 Satake, EKK, 160.<br />
102 Da die <strong>Apk</strong>Joh wohl nach der Vision auf Patmos geschrieben und verschickt wurde, könnte es sich<br />
hierbei durchaus um ein vaticinium ex eventu handeln.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 41<br />
2,11 Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den<br />
Gemeinden sagt!<br />
Der Siegreiche wird auf keinen Fall vom zweiten Tod<br />
Unrecht / Schaden erleiden.<br />
2:11 Ho ‘ecwn o~uß hakousátw tí tò pneüma légei<br />
taïß hekkljsíaiß.<br />
Ho nikẅn ohu m`j hadikjq¨∆ hek toü qanátou toü<br />
deutérou.<br />
• Überwinderspruch: »zweiter Tod« (20,6):<br />
»Glückselig und heilig, wer teilhat an der ersten Auferstehung! Über diese hat der zweite Tod keine Macht,<br />
sondern sie werden Priester Gottes und des Christus sein und mit ihm herrschen tausend Jahre.«<br />
2.2.4 An Pergamon (2,12-17)<br />
Klauck, Hans-Josef. Das Sendschreiben nach Pergamon und der Kaiserkult in der Johannesoffenbarung, Biblica<br />
73 (1992) 153-182 = Alte Welt und neuer Glaube. Beiträge zur Religionsgeschichte,<br />
Forschungsgeschichte und Theologie des Neuen Testaments (NTOA 29), Freiburg, Schweiz, 1994, 115-<br />
143. – Witulski, Thomas. Die PSÄPHOS LEUKÄ <strong>Apk</strong> 2,17 - Versuch einer neuen Deutung, SNTU-A<br />
32 (2007) 5-20.<br />
2,12 Und dem Engel der Gemeinde in Pergamon<br />
schreibe:<br />
Dies sagt der das-zweischneidige-scharfe-Schwert-<br />
Habende:<br />
2:12 Kaì t¨^w haggél^w t¨jß hen Pergám^w hekkljsíaß<br />
gráyon≥<br />
Táde légei Ho ‘ecwn t`jn Hromfaían t`jn dístomon<br />
t`jn hoxeïan≥<br />
• Pergamon: 80km nördlich von Smyrna, 24km von der Küste, stand im Schatten von<br />
Ephesus und Smyrna<br />
• Tempel für Roma von Oktavian 29 v.Chr. erlaubt (Beginn des Kaiserkults in Asia).<br />
• Entstehung des Christentums ist unklar.<br />
• Charakterisierung Jesu aus 1,16 steht in Verbindung zur Drohung in 2,16. Das Schwert<br />
betont das Kämpferische der Rhetorik.<br />
2,13 Ich weiß, wo du wohnst:<br />
2:13 O~ida poü katoikeïß,<br />
dort, wo der Thron des Satans (steht);<br />
“opou Ho qrónoß toü Satanä,<br />
und du hältst meinen Namen fest<br />
kaì krateïß tò ‘onomá mou,<br />
und hast deine Vertrauensbeziehung (Glauben) zu mir kaì ohuk hjrn´jsw t`jn pístin mou<br />
nicht verleugnet,<br />
selbst in den Tagen des Antipas, meines treuen<br />
kaì hen taïß Hjméraiß h Antipäß Ho mártuß mou Ho<br />
Zeugen,<br />
pistóß mou,<br />
der umgebracht worden ist bei euch,<br />
”oß hapektánqj parh Humïn,<br />
wo der Satan wohnt.<br />
“opou Ho Satanäß katoikeï.<br />
• »Thron des Satans«? Beliebt ist die Identifikation mit dem Tempel des Augustus und<br />
der Roma. Möglich wären auch andere Heiligtümer (Zeusaltar, Asklepeion).<br />
• Positiv hervorgehoben: a) »Festhalten« (krateô) und »nicht verleugnen« erklären sich<br />
gegenseitig. Die Christusgläubigen in Pergamon stehen zu ihrer Christusbeziehung.<br />
Sie verleugnen diese nicht. b) Von den sieben Gemeinden kann alleine Pergamon<br />
einen Glaubensmärtyrer aufweisen: Antipas ist umgebracht worden. Er ist damit ein<br />
treuer Zeuge. 1<strong>03</strong><br />
• Dass es sich um eine Einzelperson handelt, wirft durchaus die Frage auf, welche die<br />
Gründe dafür gewesen sein mögen. Wenn es um Verweigerung des Kaiserkultes ging,<br />
dann wäre es ja überraschend, dass nicht die gesamte Gemeinschaft davon betroffen<br />
1<strong>03</strong> An solchen Stellen erhält griech. martys den martyrologischen Beiklang, der dann charakteristisch<br />
werden sollte.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
42 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
war. Vielleicht war es Lynchjustiz? Wenn es der Tod das Ergebnis eines ordentlichen<br />
Verfahrens war, dann bleiben die Gründe unbekannt.<br />
2,14 Aber ich habe Weniges (eine Kleinigkeit) gegen<br />
dich, dass du (nämlich) solche dort (bei dir) hast, welche<br />
die Lehre Bileams festhalten,<br />
der den Balak lehrte,<br />
eine Falle vor die Kinder Israels zu stellen,<br />
um Götzenopfer zu essen und Unzucht zu<br />
trieben.<br />
2,15 So hast auch du solche, die in gleicher Weise die<br />
Lehre der Nikolaiten festhalten.<br />
2,16 Bereue nun (ändere deinen Sinn)!<br />
Wenn aber nicht,<br />
(so) komme ich schnell / bald zu dir<br />
und ich mit dem Schwert meines Mundes gegen sie<br />
Krieg führen.<br />
2:14 hallh ‘ecw katà soü holíga,<br />
“oti ‘eceiß hekeï kratoüntaß t`jn didac`jn<br />
Balaám,<br />
”oß hedídasken t¨^w Balàk<br />
baleïn skándalon henẃpion tẅn uHiẅn<br />
h Isra´jl,<br />
fageïn ehidwlóquta kaì porneüsai≥<br />
2:15 o“utwß ‘eceiß kaì sù kratoüntaß t`jn<br />
didac`jn [tẅn] Nikolavitẅn Homoíwß.<br />
2:16 metanójson o~un≥<br />
ehi dè m´j,<br />
‘ercomaí soi tacú,<br />
kaì polem´jsw meth ahutẅn hen t¨∆ Hromfaíâ toü<br />
stómatóß mou.<br />
• An Tadel hat der Parusie-Herr noch »weniges« vorzubringen. Mit oliga ist wohl kaum<br />
die Geringfügigkeit der folgenden Mahnung betont.<br />
• Bileam & Balak sind zwei schillernde »böse Gestalten« der Geschichte Israels.<br />
http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/dasbibellexikon/details/quelle/WIBI/zeichen/b/referenz/15381///cache/51287c4696/:<br />
Bileam, der Sohn Beors, ist<br />
der Hauptakteur der Erzählung in Num 22-24 (59 Erwähnungen; → Numeri): Aus Angst vor Israel, das in<br />
den Ebenen → Moabs lagert, ruft → Balak, der König von Moab, Bileam aus Petor, um Israel zu verfluchen.<br />
Doch sehr zum Ärger Balaks lässt Bileam sich auf Geheiß Gottes nicht holen. Er darf die Israeliten auch<br />
nicht verfluchen (Num 22,2-14). Ein zweites Mal schickt Balak seine Boten, um Bileam zum Kommen zu<br />
bewegen. Mit Erlaubnis Gottes sattelt Bileam nun seine Eselin und zieht mit den Boten (Num 22,15-21).<br />
Doch Gottes Zorn entbrennt, und der Engel JHWHs stellt sich mit gezücktem Schwert in den Weg, ohne dass<br />
Bileam ihn bemerkt. Nur die Eselin sieht ihn und weicht aus, indem sie den Weg verlässt. Daraufhin schlägt<br />
Bileam das Tier und kehrt auf den Weg zurück (Num 22,22-23). Ein zweites Mal stellt sich der Engel in den<br />
Weg, diesmal in einen Hohlweg. Die Eselin drängt sich an die Seite, quetscht Bileams Fuß ein und wird<br />
deswegen wieder geschlagen (Num 22,24-25). Als der Engel ein drittes Mal den Weg – diesmal völlig –<br />
versperrt, legt sich die Eselin hin und Bileam schlägt sie erneut. Nachdem JHWH ihr den Mund geöffnet hat,<br />
fängt die Eselin zu sprechen an: „Was habe ich dir getan, dass du mich schon dreimal geschlagen hast?“ Am<br />
Ende des Gesprächs öffnet JHWH Bileam die Augen. Nun erkennt auch er den Engel Gottes (Num 22,26-<br />
35). Das folkloristische Motiv der sprechenden Eselin kann mit der Schlange aus Gen 3 verglichen werden,<br />
allerdings muss der Mund der Eselin erst von JHWH geöffnet werden; sie besitzt also nicht aus sich selbst<br />
heraus die Fähigkeit zu reden. Nach dieser märchenhaften Episode endet die Erzählung damit, dass Bileam<br />
seinen Auftraggeber, den König von Moab erneut enttäuscht. Dreimal werden Opfer dargebracht, doch statt<br />
Israel zu verfluchen, segnet Bileam es jeweils auf Gottes Weisung hin. Dann vertreibt Balak ihn, muss aber<br />
noch einen vierten Segensspruch anhören (Num 22,36-24,25). Später, nach dem Sieg über die Midianiter,<br />
haben die Israeliten Bileam zusammen mit midianitischen Königen getötet (Num 31,8).<br />
• Es ist deutlich, dass der Autor die Typologien und Analogien aus der Geschichte Israels<br />
gebraucht, um die Gegenwart zu deuten. Dabei ist die christliche Kirche das neue<br />
Gottesvolk.<br />
• Götzenopferfleisch und Unzucht sind hier charakteristische Lehrinhalte der »Lehrer<br />
Bileams« (s.a. Isebel, V. 20). Es geht wahrscheinlich generell um die Hinwendung zu<br />
bestimmten paganen Praktiken, obwohl es sicherlich auch wörtlich zu verstehen ist.<br />
• V. 15 = Nikolaiten. Die Formulierung legt m.E. weder nahe noch negiert sie, dass es<br />
sich bei den Bileam-Leuten und den Nikolaiten um die gleiche Gruppierung handelt.<br />
• 16: Ruf zur Umkehr; Ankündigung des Kommens<br />
• Im Hinblick auf die Nikolaiten wird jedoch Kampf angesagt: »ich werde sie mit dem<br />
Schwert meines Mundes bekämpfen«. (vgl. 19,15)<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 43<br />
2,17 Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den<br />
Gemeinden sagt!<br />
Dem Siegreichen werde ich von dem verborgenen Manna<br />
geben;<br />
und ich werde ihm einen weißen Kieselstein geben<br />
und, auf den Kieselstein einen neuen Namen<br />
geschrieben,<br />
den niemand kennt außer der Empfangende.<br />
2:17 Ho ‘ecwn o~uß hakousátw tí tò pneüma légei<br />
taïß hekkljsíaiß.<br />
t¨^w nikẅnti dẃsw ahut¨^w toü mánna toü<br />
kekrumménou,<br />
kaì dẃsw ahut¨^w y¨jfon leuk`jn<br />
kaì hepì t`jn y¨jfon ‘onoma kainòn<br />
gegramménon<br />
”o ohudeìß o~iden ehi m`j Ho lambánwn.<br />
• Bileam gehört zur Mose-Geschichte; vielleicht wird daher hier Manna (allerdings:<br />
verborgenes) als endzeitliche Verheißung den Siegreichen in Aussicht gestellt. Das<br />
Manna steht vielleicht auch im Gegensatz zum Götzenopferfleisch.<br />
• »Weiße Kieselstein«: a) Amulett mit dem Schutznamen Christi, b) Siegesstein mit dem<br />
Namen des Siegers, c) so etwas wie eine Einladungsatein zum endzeitlichen Bankett.<br />
• Zum »neuen Namen« vgl. Jes 62,2; 65,15.<br />
2.2.5 An Thyatira (2,18-29)<br />
Duff, Paul B. ›I will give to each of you as your works deserve‹: Witchcraft accusations and the fiery-eyed Son<br />
of God in Rev 2.18-23, NTS 43 (1997) 116-133. – Friedrich, Nestor Paulo. Adapt or resist? A sociopolitical<br />
reading of Revelation 2.18-29, JSNT 25 (2002) 185-211. – Trocmé, Étienne. La Jezabel de<br />
Thyatire (Apoc. 2/20-24), Revue d'histoire et de philosophie religieuses 79 (1999) 51-55.<br />
2,18 Und dem Engel der Gemeinde in Thyatira<br />
schreibe:<br />
Dies sagt der Sohn Gottes,<br />
der Augen-wie-eine-Feuerflamme-hat<br />
und Füße-gleich-glänzendem-Erz:<br />
2:18 Kaì t¨^w haggél^w t¨jß hen Quateíroiß hekkljsíaß<br />
gráyon≥<br />
Táde légei Ho uHiòß toü qeoü,<br />
Ho ‘ecwn toùß hofqalmoùß ahutoü Hwß flóga<br />
puróß,<br />
kaì oHi pódeß ahutoü “omoioi calkolibán^w≥<br />
• Thyatira: relativ bedeutungslos am Ende des 1. Jhs., aufkeimende Wirtschaft (Lydia in<br />
Apg 16,14)<br />
• Entstehung des Christentums dort unklar, später Zentrum des Montanismus<br />
• »Gottes Sohn« ist einmalig hier! Es steht wahrscheinlich im Zusammenhang mit 2,28.<br />
• Feuerflamme und Erzfüsse stammt aus 1,14f.<br />
2,19 Ich kenne deine Werke<br />
und deine Liebe und deine Vertrauen (Glauben)<br />
und deinen Dienst und dein Ausharren<br />
und deine letzten Werke (, die sind) mehr als die<br />
ersten.<br />
2:19 O~idá sou tà ‘erga<br />
kaì t`jn hagápjn kaì t`jn pístin<br />
kaì t`jn diakonían kaì t`jn Hupomon´jn sou,<br />
kaì tà ‘erga sou tà ‘escata pleíona tẅn<br />
prẃtwn.<br />
• Der Lob bleibt wieder sehr allgemein: Liebe, Glaube, Dienst, Ausharren; anders als im<br />
Falle von Ephesus überragen die jetzign Werke die früheren.<br />
2,20 Aber ich habe gegen dich,<br />
dass du die Frau Isebel aushältst,<br />
die sich selbst Prophetin nennt<br />
und meine Diener lehrt und verführt,<br />
Unzucht zu treiben und Götzenopfer zu essen.<br />
2:20 hallà ‘ecw katà soü<br />
“oti hafeïß t`jn gunaïka h Iezábel,<br />
Hj légousa Heaut`jn prof¨jtin,<br />
kaì didáskei kaì plan¨â toùß hemoùß<br />
doúlouß<br />
porneüsai kaì fageïn ehidwlóquta.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
44 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Der Tadel konzentriert sich beinahe ausschließlich auf »Isebel«. Wieder wird eine<br />
»erzböse« Gestalt aus dem AT aufgeführt, um die Gegenwart zu deuten: als Frau des<br />
Königs Ahabs führte sie im Nordreich den Baalskult ein (1Kön 16,21f), ließ die<br />
Propheten töten (18,4.13; 2Kön 9,7) und wurde später selbst getötet (2Kön 9,30ff).<br />
Ihre Zauberei und sexuelle Ausschweifung war legendär (2Kön 9,22).<br />
• Es handelt sich um eine Lehrerin innerhalb der Gemeinde, deren Anspruch auf<br />
prophetische Autorität vom Autor radikal in Frage gestellt wird. Trotz seiner<br />
konservativen Haltung wirft er ihr (oder der Gemeinde) keineswegs vor, dass sie als<br />
prophetisch begabte Frau eine Rolle auf sich nimmt, die einer Frau nicht entspricht. Er<br />
kritisiert nicht die Tatsache, dass sie lehrt, sondern was sie lehrt, bzw. dass sie die<br />
Christen verführt: Götzenopfer und Unzucht.<br />
• In Thyatira gab es viele Handwerksverein, für deren Ablauf der gemeinsame Verzehr<br />
von Götzenopferfleisch wichtig sein konnte:<br />
»Wollte man weiterhin in den Handwerksvereinen bleiben und an ihrem geselligen Leben teilnehmen wie<br />
bisher, so war der Genuss von Götzenopferfleiosch geradezu unumgänglich.« 104<br />
• Bei »Unzucht« ist im übertragenen Sinne an Einstellungen und Handlungen zu denken,<br />
die der Autor nur für unangebracht halten konnte.<br />
• Die Gerichtsandrohung richtet sich nicht gegen die Gemeinde, sondern gegen Isebel.<br />
2,21 Und ich gab ihr Zeit, damit sie bereue (ihren Sinn<br />
ändere), und sie will ihre Unzucht nicht bereuen.<br />
2,22 Siehe, ich werfe sie aufs Bett<br />
und die, welche Ehebruch mit ihr treiben, in große<br />
Bedrängnis,<br />
wenn sie nicht ihren Werken bereuen.<br />
2,23 Und ihre Kinder werde ich mit dem [Pest-]Tod<br />
töten, und alle Gemeinden werden erkennen,<br />
dass ich es bin, der Nieren und Herzen erforscht;<br />
und ich werde euch einem jeden nach euren Werken<br />
geben.<br />
2:21 kaì ‘edwka ahut¨∆ crónon “ina metano´js∆,<br />
kaì ohu qélei metano¨jsai hek t¨jß porneíaß ahut¨jß.<br />
2:22 hidoù bállw ahut`jn ehiß klínjn,<br />
kaì toùß moiceúontaß meth ahut¨jß ehiß qlïyin<br />
megáljn,<br />
heàn m`j metano´jswsin hek tẅn ‘ergwn ahut¨jß≥<br />
2:23 kaì tà tékna ahut¨jß hapoktenẅ hen qanát^w≥<br />
kaì gnẃsontai päsai aHi hekkljsíai “oti<br />
hegẃ ehimi Ho heraunẅn nefroùß kaì kardíaß,<br />
kaì dẃsw Humïn Hekást^w katà tà ‘erga Humẅn.<br />
• Der endzeitliche Richter hat Isebel (wie auch immer) eine Galgenfrist zur Umkehr<br />
gewährt. Wahrscheinlich steht der Verfasser als Prophet in einem direkten<br />
Konkurrenzverhältnis mit dieser Prophetin. Er hat wohl bereits früher sie im Namen<br />
Jesu ermahnt, von ihrer Lehre abzulassen.<br />
• Drei Ebenen der Strafe (vaticinium ex eventu?):<br />
a) Gegen Isebel: Krankenbettt<br />
b) Gegen diejenigen »die mit ihr Unzucht treiben« = Anhänger in der Gemeinde:<br />
Bedrängnis, wenn sie nicht umkehren<br />
c) ihre Kinder (wohl ihre Jüngergruppe): Tod (durch Seuche oder schwere Krankheit=<br />
• Als Folge dieser Strafmaßnahme werden alle Gemeinden erkennen, wer der<br />
Auferstandene ist.<br />
• »Nieren und Herzen« untersuchen: Jer 17,10; Ps 7,10; Jer 11,20; 20,12.<br />
• Vergeltung nach Werken (Jer 17,10; Spr 24,12):<br />
104 Müller, <strong>Apk</strong> (ÖTB) 118.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 45<br />
2,24 Euch aber, den übrigen in Thyatira, sage ich,<br />
allen, die diese Lehre nicht teilen (haben),<br />
welche die Tiefen des Satans, wie sie es nennen,<br />
nicht erkannt haben:<br />
Ich werfe keine andere Last auf euch;<br />
2,25 doch was ihr habt, haltet fest, bis ich komme.<br />
2:24 Humïn dè légw toïß loipoïß toïß hen Quateíroiß,<br />
“osoi ohuk ‘ecousin t`jn didac`jn taútjn,<br />
o“itineß ohuk ‘egnwsan tà baqéa toü Satanä,<br />
Hwß légousin,<br />
ohu bállw hefh Humäß ‘allo bároß≥<br />
2:25 pl`jn ”o ‘ecete krat´jsate ‘acri[ß] oû ’an “jxw.<br />
• Die Treuen in Thyatira gebietet der Auferstande nichts als festzuhalten bis zur Parusie.<br />
• Die »Tiefen des Satans« scheint ein Schlagwort der Konkurrenzprophetin zu sein.<br />
Vielleicht ist »des Satans« eher Hinzufügung des Autors. Aber mit den Tiefen ist ein<br />
Begriff der Mysteriensprache aufgenommen. Vielleich werden hier durch besondere<br />
Initiaton oder ekstatische Erfahrungen Glaubensmysterien erschlossen.<br />
2,26 Und der Siegreiche und der meine Werke bis ans<br />
Ende bewahrt,<br />
dem werde ich Macht über die Nationen geben;<br />
2,27 und er wird sie weiden mit eisernem Stab,<br />
wie Töpfergefäße zerschmettert werden,<br />
2,28 wie auch ich von meinem Vater empfangen<br />
habe;<br />
und ich werde ihm den Morgenstern geben.<br />
2,29 Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den<br />
Gemeinden sagt!<br />
2:26 kaì Ho nikẅn kaì Ho tjrẅn ‘acri télouß tà ‘erga<br />
mou,<br />
dẃsw ahut¨^w hexousían hepì tẅn heqnẅn,<br />
2:27 kaì poimaneï ahutoùß hen Hrábd^w sidjr¨â,<br />
Hwß tà skeúj tà keramikà suntríbetai,<br />
2:28 Hwß khagẁ e‘iljfa parà toü patróß<br />
mou,<br />
kaì dẃsw ahut¨^w tòn hastéra tòn prwvinón.<br />
2:29 Ho ‘ecwn o~uß hakousátw tí tò pneüma légei<br />
taïß hekkljsíaiß.<br />
• Als »Prämie« wird die Teilnahme an der eschatologischen Macht in Aussicht gestellt.<br />
Vgl. dazu 20,4.6; 22,5.<br />
• V. 27 = Zitat aus Ps 2,9: »Mit eisernem Stab magst du sie zerschmettern, wie<br />
Töpfergeschirr sie zerschmeißen.« (LXX: poimanei√ß aujtou\ß eṅ rJa¿bdwˆ sidhra◊ˆ,<br />
wJß skeuvoß kerame÷wß suntri÷yeiß aujtou/ß.) Die Unterwerfung der Völker wird<br />
hierdurch zum Ausdruck gebracht.<br />
• Die Macht über die Nationen hat ist dem Sohn übergeben. Ps 2,7: »»Mein Sohn bist du,<br />
ich habe dich heute gezeugt.«<br />
• »Morgenstern« (22,16) => höchste Herrschermacht.<br />
2.2.6 An Sardes (3,1-6)<br />
Royalty, Robert M. Etched or sketched? Inscriptions and erasures in the messages to Sardis and Philadelphia<br />
(Rev. 3.1-13), JSNT 27 (2005) 447-463.<br />
3,1 Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe:<br />
Dies sagt der die-sieben-Geister-Gottes-und-die-sieben-<br />
Sterne-Haltende:<br />
3:1 Kaì t¨^w haggél^w t¨jß hen Sárdesin hekkljsíaß<br />
gráyon≥<br />
Táde légei Ho ‘ecwn tà Heptà pneúmata toü qeoü<br />
kaì toùß Heptà hastéraß≥<br />
• Sardes: ehemals Hauptstadt Lydiens, Entstehung des Christentums unklar<br />
• Selbstvorstellung aus 1,4; 1,16.20; s. 2,1<br />
Ich kenne deine Werke, daß du den Namen hast, du<br />
lebest, und bist tot.<br />
3,2 Werde wach<br />
und stärke das übrige, das im Begriff stand zu<br />
sterben! Denn ich habe vor meinem Gott deine Werke<br />
nicht als vollendet bewertet.<br />
O~idá sou tà ‘erga,<br />
“oti ‘onoma ‘eceiß “oti z¨∆ß, kaì nekròß e~i.<br />
3:2 gínou grjgorẅn,<br />
kaì st´jrison tà loipà ”a ‘emellon hapoqaneïn,<br />
ohu gàr e“urjká sou tà ‘erga pepljrwména<br />
henẃpion toü qeoü mou≥<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
46 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Kein Lob!<br />
• Tadel ist unklar; vielleicht: sie behaupten, bereits jetzt über das gesamte eschatologische<br />
Leben zu verfügen. Aber in Wirklichkeit sind sie in Glaubensdingen tot.<br />
• Was noch zu stärken ist… mal wieder unklar.<br />
3,3 Denke nun daran, wie du empfangen und gehört<br />
hast, und bewahre es und kehre um (bereue)!<br />
Wenn du nun nicht wachst,<br />
werde ich wie ein Dieb kommen,<br />
und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über<br />
dich kommen werde.<br />
3,4 Aber du hast einige wenige Namen in Sardes,<br />
die ihre Kleider nicht besudelt haben;<br />
und sie werden mit mir einhergehen in weißen<br />
[Kleidern], denn sie sind es wert.<br />
3:3 mnjmóneue o~un pẅß e‘iljfaß kaì ‘jkousaß,<br />
kaì t´jrei, kaì metanójson.<br />
heàn o~un m`j grjgor´js∆ß,<br />
“jxw Hwß kléptjß,<br />
kaì ohu m`j gn¨^wß poían “wran “jxw hepì sé.<br />
3:4 hallà ‘eceiß holíga honómata hen Sárdesin<br />
”a ohuk hemólunan tà Himátia ahutẅn,<br />
kaì peripat´jsousin meth hemoü hen leukoïß, “oti<br />
‘axioí ehisin.<br />
• Erinnerung an die Erstverkündigung, Bewahrung der »Ur-Zustandes« (daher Umkehr)<br />
• Wachsamkeit und Kommen Jesu (Thema in Mt 24-25)<br />
• Einige in Sardes haben die »Reinheit« bewahrt; Symbol der weiß leuchtenden Kleider<br />
(Zugehörigkeit zur himmlischen Welt; …)<br />
3,5 Wer überwindet, der wird so mit weißen Kleidern<br />
bekleidet werden,<br />
und ich werde seinen Namen aus dem Buch des Lebens<br />
nicht auslöschen<br />
und seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor<br />
seinen Engeln.<br />
3,6 Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den<br />
Gemeinden sagt!<br />
3:5 Ho nikẅn o“utwß peribaleïtai hen Himatíoiß<br />
leukoïß,<br />
kaì ohu m`j hexaleíyw tò ‘onoma ahutoü hek t¨jß<br />
bíblou t¨jß zw¨jß,<br />
kaì Homolog´jsw tò ‘onoma ahutoü henẃpion toü<br />
patróß mou kaì henẃpion tẅn haggélwn ahutoü.<br />
3:6 Ho ‘ecwn o~uß hakousátw tí tò pneüma légei taïß<br />
hekkljsíaiß.<br />
• 5a = 4b<br />
• Lebensbuch: »Sie sollen ausgelöscht werden aus dem Buch des Lebens und nicht<br />
eingeschrieben werden mit den Gerechten!« (Ps 69,29) Diese Vorstellung wurde<br />
eschatologisiert:<br />
Dan 12,1: Und in jener Zeit wird Michael auftreten, der große Fürst, der für die Söhne deines Volkes eintritt.<br />
Und es wird eine Zeit der Bedrängnis sein, wie sie [noch] nie gewesen ist, seitdem [irgend]eine Nation<br />
entstand bis zu jener Zeit. Und in jener Zeit wird dein Volk errettet werden, jeder, den man im Buch<br />
aufgeschrieben findet.<br />
• Vgl. äthHen 47,3; 104,1; 108,3; Lk 10,20; Phil 4,3; Hebr 12,23. <strong>Apk</strong>Joh 13,8; 17,8;<br />
20,12.15; 21,27...<br />
2.2.7 An Philadelphia (3,7-13)<br />
Wilkinson, Richard H. The STYLOS of Relevation 3:12 and Ancient Coronations Rites, JBL 107 (1988) 498-<br />
501.<br />
3,7 Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia<br />
schreibe:<br />
Dies sagt der Heilige, der Wahrhaftige,<br />
der den Schlüssel Davids hat,<br />
der öffnet, und niemand wird schließen,<br />
und schließt, und niemand wird öffnen:<br />
3:7 Kaì t¨^w haggél^w t¨jß hen Filadelfeíâ<br />
hekkljsíaß gráyon≥<br />
Táde légei Ho “agioß, Ho haljqinóß,<br />
Ho ‘ecwn t`jn kleïn Dauíd,<br />
Ho hanoígwn kaì ohudeìß kleísei,<br />
kaì kleíwn kaì ohudeìß hanoígei≥<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 47<br />
• Philadelphia: 45km südliche von Sardes, jüdische Gemeinschaft, Entstehung der<br />
christlichen Gemeinde unklar<br />
• Heilig und wahrhaftig / »Schlüssel Davids« (1,18: Schlüssel des Todes):<br />
Jes 22,22: »Und ich werde den Schlüssel des Hauses David auf seine Schulter legen. Er wird öffnen, und<br />
niemand wird schließen, er wird schließen, und niemand wird öffnen.«<br />
• Als Haus Davids galt Jerusalem und der Tempel; hier geht es wohl um den Eingang in<br />
das Neue Jerusalem.<br />
3,8 Ich kenne deine Werke.<br />
Siehe, ich habe eine geöffnete Tür vor dir gegeben,<br />
die niemand schließen kann;<br />
denn du hast eine kleine Kraft<br />
und hast mein Wort bewahrt<br />
und hast meinen Namen nicht verleugnet.<br />
3,9 Siehe, ich gebe aus der Synagoge des Satans<br />
von denen, die sich Juden nennen<br />
und es nicht sind, sondern lügen;<br />
siehe, ich werde sie dahin bringen,<br />
dass sie kommen und sich niederwerfen vor deinen<br />
Füßen und erkennen, dass ich dich geliebt habe.<br />
3,10 Weil du die Mahnung zum Durchhalten (das Wort<br />
vom Harren) auf mich bewahrt hast,<br />
werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der<br />
Versuchung,<br />
die über den ganzen Erdkreis kommen wird,<br />
um die zu versuchen, die auf der Erde wohnen.<br />
3:8 O~idá sou tà ‘erga -<br />
hidoù dédwka henẃpión sou qúran hjne^wgménjn,<br />
”jn ohudeìß dúnatai kleïsai ahut´jn -<br />
“oti mikràn ‘eceiß dúnamin,<br />
kaì het´jrjsáß mou tòn lógon,<br />
kaì ohuk hjrn´jsw tò ‘onomá mou.<br />
3:9 hidoù didẅ hek t¨jß sunagwg¨jß toü Satanä,<br />
tẅn legóntwn Heautoùß h Ioudaíouß e~inai,<br />
kaì ohuk ehisìn hallà yeúdontai≥<br />
hidoù poi´jsw ahutoùß<br />
“ina “jxousin kaì proskun´jsousin henẃpion<br />
tẅn podẅn sou, kaì gnẅsin “oti hegẁ hjgápjsá se.<br />
3:10 “oti het´jrjsaß tòn lógon t¨jß Hupomon¨jß mou,<br />
khagẃ se tjr´jsw hek t¨jß “wraß toü peirasmoü<br />
t¨jß melloúsjß ‘ercesqai hepì t¨jß ohikouménjß<br />
“oljß peirásai toùß katoikoüntaß hepì t¨jß g¨jß.<br />
• Zur Schlüsselmetapher passt die »geöffnete Tür«: worum es konkret geht, bleibt wieder<br />
offen. Metaphorisch werden dadurch Gegenwartserfahrungen des Heils als<br />
Antizipation gedeutet.<br />
• Kraft, Wort bewahrt & Namen nicht verleugnet => positive Bestimmungen<br />
• Wieder (vgl. 2,9) erscheint die Pejorativ-Metapher »Synagoge des Satans« für<br />
angefeindete Juden vor Ort. Steht hier der Synagogenausschluss dahinter?<br />
• Die Ausgrenzungs- und Demütigungserfahrung geht hier über in die Phantasie der<br />
Unterwerfung (vgl. auch Jes 45,14; 49,23; 60,14).<br />
Jes 60,14: Und gebeugt werden zu dir kommen die Söhne deiner Unterdrücker, und alle, die dich geschmäht<br />
haben, werden sich niederwerfen zu deinen Fußsohlen. Und sie werden dich nennen: Stadt des HERRN, Zion<br />
des Heiligen Israels<br />
• Die »Stunde der Versuchung« bezieht sich wohl auf die Endzeitplagen in Kap 6ff.<br />
3,11 Ich komme bald.<br />
Halte fest, was du hast,<br />
damit niemand deinen Siegeskranz nehme!<br />
3:11 ‘ercomai tacú≥<br />
krátei ”o ‘eceiß,<br />
“ina mjdeìß láb∆ tòn stéfanón sou.<br />
• Hinweis auf Parusie (ähnlich 2,25) und dem endzeitlichen Siegeskranz<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
48 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
3,12 Der Siegreiche, den werde ich im Tempel meines<br />
Gottes zu einer Säule machen,<br />
und er wird nie mehr hinausgehen;<br />
und ich werde auf ihn schreiben den Namen meines<br />
Gottes und den Namen der Stadt meines Gottes,<br />
des neuen Jerusalem, das aus dem Himmel herabkommt<br />
von meinem Gott, und meinen neuen Namen.<br />
3,13 Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den<br />
Gemeinden sagt!<br />
3:12 Ho nikẅn poi´jsw ahutòn stülon hen t¨^w na¨^w<br />
toü qeoü mou,<br />
kaì ‘exw ohu m`j hexélq∆ ‘eti,<br />
kaì gráyw heph ahutòn tò ‘onoma toü qeoü mou kaì<br />
tò ‘onoma t¨jß pólewß toü qeoü mou, t¨jß kain¨jß<br />
h Ierousal´jm, Hj katabaínousa hek toü ohuranoü<br />
hapò toü qeoü mou, kaì tò ‘onomá mou tò kainón.<br />
3:13 Ho ‘ecwn o~uß hakousátw tí tò pneüma légei<br />
taïß hekkljsíaiß.<br />
• Zwei Verheißungen: Tempelsäule => Teil des himmlischen Gottesvolkes (vielleicht so:<br />
sie sind zwar von der Synagoge ausgeschlossen worden, werden aber zum tragenden<br />
Teil des Tempels)<br />
• Name (vgl.3,8c) dreifach: Gottes (= Eigentum Gottes), der Stadt (= Bürgerrecht der<br />
Neuen Stadt) und den neuen Namen Jesu (neuer Name = Identitätszusage)<br />
2.2.8 An Laodizea (3,14-22)<br />
Beale, G K. The Old Testament Background of Rev 3.14, NTS 42 (1996) 133-152. – Berger, P.-R. Kollyrium<br />
für die Blinden Augen, <strong>Apk</strong> 3:18, NT 27 (1985) 174-195. – Koester, Craig R. The message to Laodicea<br />
and the problem of its local context: A study of the imagery in Rev 3.14-22, NTS 49 (20<strong>03</strong>) 407-424. –<br />
Trudinger, Paul. O AMHN (Rev. III: 14), and the case for a semitic original of the Apocalypse, NT 14<br />
(1972) 277-279.<br />
3,14 Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea<br />
schreibe:<br />
Dies sagt der ›Amen‹, der treue und wahrhaftige Zeuge,<br />
der Anfang der Schöpfung Gottes:<br />
3:14 Kaì t¨^w haggél^w t¨jß hen Laodikeíâ hekkljsíaß<br />
gráyon≥<br />
Táde légei Ho h Am´jn, Ho mártuß Ho pistòß kaì<br />
haljqinóß, Hj harc`j t¨jß ktísewß toü qeoü≥<br />
• Der »Amen« ist einzigartig (auch nicht in LXX); Amen in <strong>Apk</strong>Joh häufig am Ende von<br />
Hymnen und lobenden Abschnitten (1,6f; 5,14; 7,12; 19,4; 22,20 => Gewissheit der<br />
Parusie).<br />
• »Zeuge« vgl. 1,5 (Jesus als erster Zeuge s.a. 1,1)<br />
• Archê tês ktiseôs a) das erste Geschöpf, b) die Ursache der Schöpfung, c) Anfang der<br />
»neuen« Schöpfung (schwer da kein Adjektiv »neu« kainos), d) Herrscher über die<br />
Schöpfung (möglich).<br />
3,15 Ich kenne deine Werke,<br />
dass du weder kalt noch heiß bist.<br />
Ach, dass du kalt oder heiß wärest!<br />
3,16 Also, weil du lau bist und weder heiß noch kalt,<br />
werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.<br />
3,17 Weil du sagst: Ich bin reich und bin reich<br />
geworden und brauche nichts,<br />
und nicht weißt, dass du der Elende und<br />
bemitleidenswert und arm und blind und bloß bist,<br />
3,18 rate ich dir, von mir im Feuer geläutertes Gold zu<br />
kaufen, damit du reich wirst;<br />
und weiße Kleider, damit du bekleidet wirst<br />
und die Schande deiner Blöße nicht offenbar<br />
werde;<br />
und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du<br />
siehst.<br />
3:15 O~idá sou tà ‘erga,<br />
“oti o‘ute yucròß e~i o‘ute zestóß.<br />
‘ofelon yucròß ~jß ’j zestóß.<br />
3:16 o“utwß, “oti cliaròß e~i kaì o‘ute zestòß o‘ute<br />
yucróß, méllw se hemésai hek toü stómatóß mou.<br />
3:17 “oti légeiß “oti Ploúsióß ehimi kaì peploútjka<br />
kaì ohudèn creían ‘ecw,<br />
kaì ohuk o~idaß “oti sù e~i Ho talaípwroß kaì<br />
heleeinòß kaì ptwcòß kaì tuflòß kaì gumnóß,<br />
3:18 sumbouleúw soi hagorásai parh hemoü<br />
crusíon pepurwménon hek puròß “ina plout´js∆ß,<br />
kaì Himátia leukà “ina peribál∆ kaì m`j<br />
fanerwq¨∆ Hj ahiscúnj t¨jß gumnótjtóß sou,<br />
kaì koll[o]úrion hegcrïsai toùß hofqalmoúß sou<br />
“ina blép∆ß.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 49<br />
• lauwarm und reich; Verwerfungsszenario (»ausspeien«) => Kompromissbereitschaft<br />
mit der paganen Umwelt<br />
• Ironie: Die reichen Laodizäer sollen echtes Gold und wirkliche Prachtkleider kaufen.<br />
Sie sollen sehend werden (im Präs.)<br />
3,19 Ich überführe und züchtige alle, die ich liebe.<br />
Sei nun eifrig und bereue (ändere deinen Sinn)!<br />
3,20 Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe an;<br />
wenn jemand meine Stimme hört und die Tür<br />
öffnet,<br />
zu dem werde ich hineingehen und mit ihm essen, und<br />
er mit mir.<br />
3:19 hegẁ “osouß heàn filẅ helégcw kaì paideúw≥<br />
z´jleue o~un kaì metanójson.<br />
3:20 hidoù “estjka hepì t`jn qúran kaì kroúw≥<br />
heán tiß hakoús∆ t¨jß fwn¨jß mou kaì hanoíx∆ t`jn<br />
qúran,<br />
[kaì] ehiseleúsomai pròß ahutòn kaì deipn´jsw<br />
meth ahutoü kaì ahutòß meth hemoü.<br />
• V. 19 Anspielung auf Spr 3,12 (s.a. Hebr 12,5f; 1Klem 56,4): Leiden als pädagogische<br />
Maßnahme Gottes<br />
• Eifer & Umkehr<br />
• Wechsel zu ersten P. Sg. in V. 20 klingt wie ein Abschlusswort für alle Sendschreiben<br />
(vgl. das Jesuslogion in Lk 12,35-38).<br />
• Trotz Präsens geht es um die Parusie (die ja als besonders nahe gedacht wird).<br />
3,21 Der Siegreiche, dem werde ich geben, mit mir auf<br />
meinem Thron zu sitzen,<br />
wie auch ich gesiegt und mich mit meinem Vater<br />
auf seinen Thron gesetzt habe.<br />
3,22 Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den<br />
Gemeinden sagt!<br />
3:21 Ho nikẅn dẃsw ahut¨^w kaqísai meth hemoü hen t¨^w<br />
qrón^w mou,<br />
Hwß khagẁ heníkjsa kaì hekáqisa metà toü<br />
patróß mou hen t¨^w qrón^w ahutoü.<br />
3:22 Ho ‘ecwn o~uß hakousátw tí tò pneüma légei<br />
taïß hekkljsíaiß.<br />
• Sieg als Teilnahme in Analogie zu Christus<br />
2.3 Prolog im Himmel (Kap. 4–5)<br />
Davis, Robert D. The Heavenly Court Judgment of Revelation 4-5, Lanham, Univ. Press of America, 1992. –<br />
* DeSilva, David A. The strategic arousal of emotion in John's visions of Roman imperialism. A<br />
rhetorical-critical investigation of Revelation 4-22, Neotestamentica 42 (2008) 1-34. – Glonner, Georg.<br />
Zur Bildersprache des Johannes von Patmos. Untersuchung der Johannesapokalypse anhand einer um<br />
Elemente der Bildinterpretation erweiterten historisch-kritischen Methode (NTA 34), Münster, 1999. –<br />
Hasitschka, Martin. Singing of redemption in the midst of tribulation. Hymnic texts in the Revelation of<br />
John, in: Led by the Spirit (FS Herbert Schneider), ed. M.E. Locker, Loyola School of Theology, 2002,<br />
131-140. – * Hurtado, L. W. Revelation 4-5 in the Light of Jewish Apocalyptic Analogies. JSNT 25<br />
(1985) 105-124 = The Johannine Writings, ed. S.E. Porter & C.A. Evans (The Biblical Seminar 32),<br />
Sheffield, 1995, 193-211. – Luttikhuizen, Gerard P. The poetic character of Revelation 4 and 5, in: Early<br />
Christian Poetry. A Collection of Essays, ed. Jan den Boeft & A. Hilhorst (VigChr.S 22), Leiden, 1993,<br />
15-22. – McDaniel, Karl J. Qumran and 1 Chronicles: Backgrounds for Revelation 4-5 and the Enigmatic<br />
24, in: The Changing Face of Judaism, Christianity and other Greco-Roman Religions in Antiquity, ed.<br />
Ian H. Henderson et al. (JSHRZ Studien 2), Gütersloh, 2006, 130-145. – Morton, Russell S. One Upon<br />
the Throne and the Lamb. A Tradition Historical-Theological Analysis of Revelation 4-5 (Studies in<br />
Biblical Literature 110), New York, NY: Lang, 2007. – * Ders., Glory to God and to the Lamb: John’s<br />
use of Jewish and Hellenistic-Roman Themes in Formatting his Theology in Revelation 4-5, JSNT 83<br />
(2001) 89-109. – Ruiz, Jean-Pierre. Revelation 4:8-11; 5:9-14: Heavenly hymns of creation and<br />
redemption, in: Prayer from Alexander to Constantine. A critical anthology, ed. Mark Kiley, London,<br />
1997, 244-249. – * Schimanowski, Gottfried. Die himmlische Liturgie in der Apokalypse des Johannes.<br />
Die frühjüdischen Traditionen in Offenbarung 4-5 unter Einschluß der Hekhalotliteratur (WUNT 2:154),<br />
Tübingen, 2002. – Toribio Cuadrado, J.F. Apocalipsis 4-5. Díptico litúrgico de creación y redención,<br />
Mayéutica 22/53 (1996) 9-65. – Tóth, Franz. Der himmlische Kult. Wirklichkeitskonstruktion und<br />
Sinnbildung in der Johannesoffenbarung (AzBG 22), Leipzig, 2006.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
50 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Kap. 4 + 5 sind eine Doppelvision.<br />
• Der Text schreitet fort in Form von insg. fünf Lobgesängen, deren Anordnung<br />
intentional und komponiert ist:<br />
Text Form Sprecher Adressat Funktion Weiteres<br />
4,8 Trishagion 4 Lebewesen Gott Einleitung allgemein<br />
4,11 axios ei 24 Älteste Gott Würde allgemein<br />
5,9f axios ei 4 Lebewesen + 24<br />
Älteste<br />
Lamm Würde der mittlere Hymnus ist eng mit<br />
Kontext verzahnt<br />
5,12 axion estin Unzählige Engel Lamm Würde allgemein<br />
5,13f Eulogie +<br />
Amen<br />
Alle Geschöpfe Gott +<br />
Lamm<br />
Schluss<br />
allgemein<br />
2.3.1 Der Thron, der auf ihm Sitzende und alles drum herum (4,1-11)<br />
Aune, David E. The influence of Roman imperial court ceremonial on the Apocalpse of John, in:<br />
Apocalypticism, Prophecy and Magic in Early Christianity. Collected Essays (WUNT 199), Tübingen,<br />
2006, 99-119. – Böttrich, Christfried. Das ›gläserne Meer‹ in <strong>Apk</strong> 4,6/15,2, BibNot 80 (1995) 5-15. –<br />
Giblin, Charles H. From and Before the Throne: Revelation 4:5-6a integrating the imagery of Revelation<br />
4-16, CBQ 60 (1998) 500-513. – Grelot, Pierre. L'imagerie des quatre vivants symboliques, in: Études<br />
sémitiques et samaritaines, ed. Christian-Bernard Amphoux et al. (Histoire du texte biblique 4),<br />
Lausanne, 1998, 241-250. – Hall, Robert G. Living Creatures in the Midst of the Throne: Another Look<br />
at Revelation 4.6, NTS 36 (1990) 609-613. – Hasitschka, Martin. Die Priestermetaphorik der<br />
Apokalypse als Ausdruck der Verbundenheit der auf Erden lebenden und den zur Auferstehung gelangten<br />
Christen, SNTU-A 29 (2004) 179-192. – Paciorek, Piotr. Les diverses Interprétations patristiques des<br />
quatre vivants d'Ezéchiel 1,10 et de l'Apocalypse 4,6-7 jusqu'au XIIe siècle, Augustiniana 51/1-2 (2001)<br />
151-218. – * Parker, Floyd O. ›Our Lord and God‹ in Rev 4,11: Evidence for the late date of<br />
Revelation?, Biblica 82 (2001) 207-231. – Rotz, Carol J. & Du Rand, Jan A. The One Who Sits on the<br />
Throne: Towards a theory of theocentric characterisation to the Apocalypse of John, Neotestamentica 33<br />
(1999) 91-111. – Seal, David. Shouting in the Apocalypse. The influence of first-century acclamations on<br />
the praise utterances in Revelation 4:8 and 11, JETS 51 (2008) 339-352. – Stevenson, Gregory M.<br />
Conceptual Background to Golden Crown Imagery in the Apocalypse of John (4:4, 10; 14:14), JBL 114<br />
(1995) 257-272.<br />
• Mit metá tauta setzt in 4,1 deutlich ein neuer Abschnitt ein 105 . Der Sprecher wechselt;<br />
die erste Pers. Sg. bezieht sich nicht mehr auf den Parusie-Herrn, sondern auf den<br />
Seher Johannes.<br />
• Dennoch ist die Thronsaalvision eng mit den Sendschreiben verbunden 106 , etwa durch<br />
das Stichwort »Tür« (3,20; 4,1) und v.a. durch die Verheißung in 3,21 an die<br />
Siegreichen, auf den Thron zu sitzen. Der Thron bildet in Kap. 4 das zentrale<br />
architektonische Strukturelement.<br />
• Kap. 4 setzt durchgehend die Eröffnungsvision in Ezechiel 1 voraus. 107 Die<br />
auffälligsten Unterschiede sind:<br />
105 Vgl. die gleiche Wendung (»danach sah ich«) führt in 7,1; 18,1 (und 19,1: »danach hörte ich«) einen<br />
neuen Abschnitt ein. Eine Zäsur zwischen zwei Visionsteilen wird in 7,9 und 15,5 dadurch angezeigt. Zur<br />
Verwendung in der jüd. Apokalyptik vgl. äthHen (1Hen) 85,1; 89,30; syrBar 37; 53,8-<br />
106 Vgl. Schimanowski, Liturgie, 39-42.<br />
107 Zur Wirkungsgeschichte von Ezechiel in der Apokalyptik: Halperin, David J. The Faces of the chariot.<br />
Early Jewish responses to Ezekiel's vision (TSAJ 16), Tübingen, 1988. – Jonge, Henk Jan de (ed.). The Book of<br />
Ezekiel and its Influence, Aldershot: Ashgate, 2007. – Kowalski, Beate. Die Rezeption des Propheten Ezechiel<br />
in der Offenbarung des Johannes (SBB 52), Stuttgart, 2004. – Nielsen, Kirsten. Ezekiel's visionary call as<br />
prologue: from complexity and changeability to order and stability? JSOT 33 (2008) 99-114. – Ruiz, Jean-<br />
Pierre. Ezekiel in the Apocalypse. The transformation of prophetic language in Revelation 16,17-19,10 (EHS<br />
23:376), Frankfurt aM., 1989. – Sänger, Dieter (Hg.). Das Ezechielbuch in der Johannesoffenbarung (BThSt<br />
76), Neukirchen-Vluyn, 2006.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 51<br />
a) <strong>Apk</strong>Joh lässt die Räder aus der Ezechielvision aus und nimmt dadurch der ganzen<br />
Szene jegliche Dynamik.<br />
b) Im Zentrum der <strong>Apk</strong>Joh steht der Thron, im Zentrum von Ez 1 steht der<br />
Sturmwind, in dem sich die vier Gestalten und die Räder bewegen. Der Thron<br />
erscheint erst am Ende in Ez 1,26.<br />
c) Die Gestalt in Ez 1 ist eine menschenähnliche Gestalt (1,6) aus vier Lebewesen<br />
(also mit vier Gesichtern). Es handelt sich wohl um ein tetramorphes Wesen,<br />
wohingegen <strong>Apk</strong>Joh deutlich von vier Lebewesen spricht.<br />
d) Die Aufgabe der Lebewesen in der Apokalypse besteht darin, Gott zu loben. Sie<br />
sind gänzlich auf den Thronenden ausgerichtet.<br />
• Die Vision durchsetzt aber weiterhin Elemente aus Ez 1 mit Elementen aus Jes 6:<br />
a) Von Beginn an handelt es sich um eine Thronvision (6,1),<br />
b) Seraphim-Engel sind über ihn und haben sechs Flügel (6,2; in Ez 1,6 sind es vier<br />
Flügel),<br />
c) sie stimmen das Trishagion »Heilig, heilig, heilig« an (6,3).<br />
• Gegenüber beiden Visionen fehlt in <strong>Apk</strong>Joh 4-5 eine Berufung und eine Reaktion der<br />
Furcht vonseiten des Sehers (vgl. Ez 2,1; Jes 6,5-7). Neu gegenüber beiden Texten<br />
sind die 24 Ältesten.<br />
4,1 Danach sah ich:<br />
Und siehe, eine Tür, geöffnet im Himmel,<br />
und die Anfangsstimme, die ich gehört hatte wie eine<br />
mit mir sprechende Posaune, sprach:<br />
Komm hier herauf!<br />
Und ich werde dir zeigen, was danach geschehen muss.<br />
4,2 Sogleich war ich im Geist:<br />
4:1 Metà taüta e~idon,<br />
kaì hidoù qúra hjne^wgménj hen t¨^w ohuran¨^w,<br />
kaì Hj fwn`j Hj prẃtj ”jn ‘jkousa Hwß sálpiggoß<br />
laloúsjß meth hemoü légwn,<br />
h Anába ŵde,<br />
kaì deíxw soi ”a deï genésqai metà taüta.<br />
4:2 ehuqéwß hegenómjn hen pneúmati≥<br />
• Der geöffnete Himmel ist bereits in Ez 1,1 (»und die Himmel öffneten sich und ich<br />
sah Visionen Gottes«) Bedingung für die anschließende Vision.<br />
• Die »Tür« suggeriert womöglich das Tor eines Tempels 108 . Sie eröffnet dem Seher<br />
den Zugang in die himmlischen Sphären. 109<br />
• Die Stimme wird identifiziert mit der Redestimme aus 1,10, die durchgehend in Kap.<br />
2-3 zu hören war.<br />
• Der Befehl der »Posaunenstimme« ist identisch mit dem Vollzug. Der Seher muss sich<br />
nicht fragen, wie er heraufzukommen vermag. Er wird gleich in den pneumatischen<br />
Zustand versetzt (vgl. bereits 1,10: »ich war an des Herrn Tag im Geist«).<br />
• Die Posaunenstimme wird, genau nach dem »Plan« von 1,1, Johannes zeigen »was zu<br />
geschehen hat«.<br />
• Nach dieser Befehlseinladung und Eröffnung der Vision verschwindet jedoch die<br />
»Posaunenstimme«.<br />
und siehe, ein Thron stand im Himmel,<br />
und auf dem Thron ein Sitzender.<br />
4,3 Und der Sitzende glich in der Erscheinung<br />
einem Jaspisstein und einem Karneol;<br />
und ein »Lichtbogen« rings um den Thron<br />
glich in der Erscheinung einem Smaragd.<br />
kaì hidoù qrónoß ‘ekeito hen t¨^w ohuran¨^w,<br />
kaì hepì tòn qrónon kaq´jmenoß,<br />
4:3 kaì Ho kaq´jmenoß “omoioß Horásei<br />
líq^w hiáspidi kaì sardí^w,<br />
kaì ~iriß kuklóqen toü qrónou “omoioß Horásei<br />
smaragdín^w.<br />
108 Der Himmel ist explizit als Tempel in 7,15 gedacht: »Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen<br />
ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen.«<br />
109 Anders als Ezechiel, der von der Erde in den offenen Himmel schaut.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
52 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Im Zentrum der Vision steht ein Thron. Alles weitere gruppiert sich um diesen Thron.<br />
Darin liegt auch die besondere Statik der ganzen Vision, obwohl überall irgendetwas<br />
singt und schwirrt, hat die Szene keine Dynamik:<br />
a) auf dem Thron (epí): ein Sitzender (4,2c; vgl. 4,9b.10b; 5,1a.7b.13d)<br />
b) (kreisförmig) um den Thron herum (kyklothen): ein Regenbogen (4,3c) + 24 Throne<br />
mit Ältesten (4, 4); später: vier Lebewesen (4,6c: kyklô), und viele Engel (5,11b:<br />
kyklô)<br />
c) aus dem Thron heraus (ek): Blitze, Stimmen und Donner (4,5)<br />
d) vor dem Thron (enôpion): Glasmeer (4,6a; vgl. 4,10d: Siegeskränze vor dem<br />
Thron)<br />
e) inmitten des Thrones (en mesô): vier Lebewesen (4,6b), später: ein geschlachtetes<br />
Lamm (5,6a)<br />
• Der Thron Gottes ist identisch mit dem Himmel als dem Machtbereich Gottes. 110 Der<br />
»Thron« gehört zum Arsenal an Begriffen, die das Göttlichen mit den Aussageformen<br />
politischer Macht zur Sprache bringen. Theologisch gesagt: Im biblischen »Himmel«<br />
gibt es nur deswegen einen »Thron«, weil auf der Erde Befehlsgewalt und gerichtliche<br />
Macht symbolisch mit einem Thron in Verbindung gebracht wird. 111<br />
• Die Beschreibung Gottes ist sehr zurückhaltend. Sie limitiert sich beinahe<br />
ausschließlich auf die simple Feststellung, dass er »ein Sitzender« auf dem Thron ist.<br />
Damit ist alles gesagt.<br />
• Der »Thronende« wird im Verlauf der Joh<strong>Apk</strong> weiterhin eine Umschreibung für Gott<br />
sein (6,16; 7,10.15; 19,4; 20,11; 21,5). Auffällig dabei ist immer seine Regungs- und<br />
Wortlosigkeit: Erst in 21,5 (also gegen Ende des Buches) spricht der unbeweglich<br />
Thronende zwei Sätze: »Siehe, ich mache alles neu. Und er spricht: Schreibe, denn<br />
diese Worte sind gewiss und wahrhaftig.«<br />
• Die visionäre Erscheinung (horasis) Thronenden könnte einen Moment der<br />
gespannten Erwartung markieren: Wie sieht Gott aus? Doch hält sich der Seher<br />
wesentlich mehr zurück als seine prophetischen Vorbilder (Ez 1,26ff): Gott erscheint<br />
ähnlich einem Jaspisstein und rot funkelnden Karneolstein:<br />
Jaspis und Karneol zieren später auch das<br />
himmlische Jerusalem (21,11.18-20; vgl. Jes<br />
54,12). In Ex 28,17 und 39,10 erscheinen<br />
beide Steine (mit zwei weiteren) als Schmuck<br />
des priesterlichen Gewands. Nach Ez 28,13<br />
war der Fürst von Tyrus im Garten Eden mit<br />
Edelsteinen geschmückt (darunter Jaspis und<br />
Karneol). Beide Steine gehören damit zum<br />
göttlichen Inventar: Man findet sie im<br />
Paradies, im Tempel, im Himmel und im<br />
Neuen Jerusalem.<br />
Jaspis<br />
Karneol<br />
110 Mt 23,22: Und wer bei dem Himmel schwört, schwört bei dem Thron Gottes und bei dem, der darauf<br />
sitzt. (s.a. Apg. 7,49)<br />
111 Wie stark die Joh<strong>Apk</strong> auf die imperiale Bildwelt verweist, zeigt sich gerade auch an der Statistik von<br />
thronos: 62x im NT, davon 10x in den Synoptikern, 1x im Kol, 4x im Hebr und 47x in <strong>Apk</strong>Joh. (Zum Vergleich:<br />
160x in LXX, ohne jetzt genau zwischen irdischen und himmlischen Thronen zu unterscheiden.)<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 53<br />
• Der Thronende wird umringt von griech. iris in Form<br />
eines Smaragds. Damit könnte ein grün schimmernder<br />
Regenbogen oder ein »Heiligkeitsschein« / Halo /<br />
Corona.<br />
• Der Regenbogen könnte eine Erinnerung an Gen 9,13<br />
(Zeichen nach der Sintflut) sein; allerdings gebraucht<br />
die LXX griech. toxon und nicht iris. Und die grüne<br />
Färbung lässt auch nicht gerade an einen Regenbogen<br />
denken.<br />
Smaragd<br />
Wieder steht die Ezechiel-Vision Pate: »Wie der Anblick eines Bogens, wenn er in der Wolke ist am Tag des<br />
Regens, so war der Anblick des Glanzes ringsum.« (wß o¢rasiß to/xou o¢tan hØ eṅ thvØ nefe÷lhØ eṅ hJme÷raˆ<br />
uJetouv ou¢twß hJ sta¿siß touv fe÷ggouß kuklo/qen) (1,28)<br />
• Die Beschreibung Gottes über Edelsteine bezeugt womöglich eine starke Abneigung<br />
gegen Anthropomorphismen. Sie ist in der Religionsgeschichte sehr selten 112 .<br />
• Neben dem Symbolwert dieser Elemente, ihrem unermesslichen Wert und der<br />
Betonung der himmlischen Herrlichkeit, hat diese Szene auch eine prachtvolle<br />
Farbästhetik (von rot und grün).<br />
4,4 Und rings um den Thron vierundzwanzig Throne,<br />
und auf den Thronen saßen vierundzwanzig Älteste,<br />
bekleidet mit weißen Kleidern,<br />
und auf ihren Häuptern goldene Siegeskränze.<br />
4,5 Und aus dem Thron<br />
gehen hervor Blitze und Stimmen und Donner;<br />
und sieben Feuerfackeln brennen vor dem Thron,<br />
welche die sieben Geister Gottes sind.<br />
4,6a Und vor dem Thron [war es] wie ein gläsernes<br />
Meer, gleich Kristall;<br />
4:4 kaì kuklóqen toü qrónou qrónouß e‘ikosi<br />
téssareß,<br />
kaì hepì toùß qrónouß e‘ikosi téssaraß<br />
presbutérouß<br />
kaqjménouß peribebljménouß hen Himatíoiß<br />
leukoïß,<br />
kaì hepì tàß kefalàß ahutẅn stefánouß<br />
crusoüß.<br />
4:5 kaì hek toü qrónou<br />
hekporeúontai hastrapaì kaì fwnaì kaì<br />
brontaí≥<br />
kaì Heptà lampádeß puròß kaiómenai henẃpion toü<br />
qrónou, “a ehisin tà Heptà pneúmata toü qeoü,<br />
4:6 kaì henẃpion toü qrónou Hwß qálassa Hualínj<br />
Homoía krustáll^w.<br />
• In V. 4 erscheinen Figuren, die gegenüber den prophetischen Texten aus Ez und Jes<br />
neu sind: 24 Throne mit 24 Ältesten. Diese sind kreisförmig um den Thron gruppiert.<br />
Es ist weiterhin überraschend, dass die Ältesten auf Thronen sitzen. Sie haben damit<br />
eine mitregierende Funktion.<br />
• Die 24 Ältesten erscheinen zusammen mit den vier Gestalten im Zentrum himmlischer<br />
Macht (11,16; 14,3; 19,4).<br />
• Ihre weißen Roben sind Zeichen von Heiligkeit (3,5.18). Die Kleidung ist in der<br />
Joh<strong>Apk</strong> ein wichtiges Mittel der Charakterisierung (7,9; 10,1; 11,3; 12,1; 17,4; 18,16;<br />
19,8).<br />
• Goldene Kronen oder Siegeskränze gehörten zur Grundausstattung bei religiösen<br />
Festprozessionen 113 .<br />
• Es wird in der Forschung diskutiert, ob es sich um a) Glaubende (z.B. die 12 Söhne<br />
Jakobs und die 12 Apostel) oder b) um Engel handelt. 114<br />
112 Schimanowski, Liturgie, 98f verweist nur auf Hekhalot Rabbati §166: Topas, Jaspis, Saphir, Granat,<br />
Smaragd und weißer Marmor.<br />
113 Domitian mit einer corona aurea wird von Sueton, Dom 4,4 erwähnt.<br />
114 Ausführlich Aune, I, 287-292.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
54 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
a) Für Glaubende: sie sitzen (Engel sitzen nicht auf Thronen), sie tragen weiße Kleider<br />
und Kränze (Zeichen der Heiligung und des Sieges)<br />
b) Für Engel: sie loben Gott, sie reden mit dem Seher (5,5; 7,13f), in 7,14 spricht<br />
Johannes einen der Ältesten mit »mein Herr« an.<br />
• Die Frage ob Glaubende oder Engel ist vielleicht irreführend. Dass im Himmel noch<br />
weitere Throne stehen, gehört seit Dan 7,9 zu den Vorstellungen eines himmlischen<br />
Hofstaats. Die 24 Ältesten werden jedoch an keiner Stelle der Joh<strong>Apk</strong> in regierenden<br />
oder richtenden Funktionen gezeigt; sie sind stets Dienende und Lobende.<br />
Einfluss von Jes 24,23: »Und der Mond wird schamrot werden und die Sonne sich schämen, wenn der HERR<br />
Zebaoth König sein wird auf dem Berg Zion und zu Jerusalem und vor seinen Ältesten in Herrlichkeit (kai«<br />
eṅw¿pion tw◊n presbute÷rwn doxasqh/setai).«<br />
• Die Zahl 24 wird von Alters her gerne auf die 12 Stämme und die 12 Apostel bezogen<br />
(vgl. Mt 19,28 par Lk 22,30). Allerdings ist die Szene zeitlich vor dem Opfertod des<br />
Lammes zu situieren. Angesichts der starken Tempelmetaphorik könnte die Zahl eine<br />
Anspielung auf die 24 Ordnungen des Tempeldienstes sein.<br />
• Weitere mögliche Deutungen sind: a) 24 Sterngötter, b) 24 Stunden des Tages, c)<br />
Tempelchor (1Chr 25,9-31).<br />
• V. 5: Blitze, Stimmen & Donner sind Begleiterscheinungen des Göttlichen (8,5c;<br />
11,19c; 16,18-21; vgl. Ex 19,16ff; Jes 29,6; Ps 77,18).<br />
• Dazu kommen noch 7 Feuerfackeln (Ez 1,13: Fackeln in der Mitte der Gestalten) = 7<br />
Geister (vgl. 1,4; 3,1; 5,6).<br />
• V. 6a: Vor dem Thron liegt ein Meer aus Glas kristallgleich (vgl. Ez 1,22) 115 . Glas<br />
charakterisiert auch das Neue Jerusalem (21,18.21; 22,1): ein Zeichen von<br />
Transparenz, Klarheit und Reichtum.<br />
4,6b und inmitten des Thrones<br />
und rings um den Thron vier Lebewesen,<br />
voller Augen vorn und hinten.<br />
Kaì hen més^w toü qrónou<br />
kaì kúkl^w toü qrónou téssara z¨^wa<br />
gémonta hofqalmẅn ‘emprosqen kaì ‘opisqen≥<br />
• Die vier Lebewesen bilden die wichtigste Brücke zur Ezechiel-Vision. Sie gehören mit<br />
den 24 Ältesten zum innersten Kreis Gottes und haben die Aufgabe, ihn zu loben.<br />
• Johannes »borgt« sich die Lebwesen von Ezechiel, nimmt ihnen jedoch die Räder<br />
(und damit die Bewegung) und legt ihnen das Trishagion aus Jes 6 in den Mund. Seine<br />
Thronsaalvision hat nicht eine Berufung zum Inhalt, sondern im Wesentlichen die<br />
hymnische Kommentierung des Geschehens.<br />
• Die vier Lebewesen werden auf zweifache Weise situiert: inmitten des Thrones und<br />
rings um den Thron. Beides zugleich ist schwer vorstellbar?<br />
• Die »Augen« der Lebewesen können für Himmelssterne stehen. Metaphorisch wird<br />
damit ihre Wahrnehmungskraft ausgesagt.<br />
115 Grössere Wassermengen gehörten als Reservat für den Regen zu den antiken Vorstellungswelten<br />
himmlischer Innenräume.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 55<br />
4,7 Und das erste Lebewesen gleich einem Löwen<br />
und das zweite Lebewesen gleich einem jungen Stier,<br />
und das dritte Lebewesen hatte das Gesicht wie das<br />
eines Menschen,<br />
und das vierte Lebewesen gleich einem Adler im Flug.<br />
4,8 Und die vier Lebewesen hatten,<br />
eines wie das andere, je sechs Flügel<br />
und ringsum und innen voller Augen,<br />
und sie hören Tag und Nacht nicht auf zu sagen:<br />
Heilig, heilig, heilig,<br />
Herr, Gott, Allmächtiger,<br />
der Gewesene und der Seiende<br />
und der Kommende!<br />
4:7 kaì tò z¨^won tò prẅton “omoion léonti,<br />
kaì tò deúteron z¨^won “omoion mósc^w,<br />
kaì tò tríton z¨^won ‘ecwn tò próswpon Hwß<br />
hanqrẃpou,<br />
kaì tò tétarton z¨^won “omoion haet¨^w petomén^w.<br />
4:8 kaì tà téssara z¨^wa,<br />
”en kaqh ”en ahutẅn ‘ecwn hanà ptérugaß “ex,<br />
kuklóqen kaì ‘eswqen gémousin hofqalmẅn≥<br />
kaì hanápausin ohuk ‘ecousin Hjméraß kaì nuktòß<br />
légonteß,<br />
“ Agioß “agioß “agioß<br />
kúrioß Ho qeòß Ho pantokrátwr,<br />
Ho ~jn kaì Ho ’wn<br />
kaì Ho hercómenoß.<br />
• Die vier Lebewesen haben seit Ez 1,5-14 ein phantasievolles Weiterleben: Ez 10,14<br />
(nicht in LXX); 4Q385-389 (ein Lebewesen mit vier Gesichtern); bHag 13b (Mensch,<br />
Stier, Löwe, Adler); ApokAbr 18 (Löwe, Mensch, Stier, Adler); TragEzek 1,6 (jedes<br />
Gesicht hatte vier weitere Gesichter); hebrHen (3Hen) 21,1-3. 116<br />
• Die sechs Flügel und der Text des Hymnus stammen aus Jes 6,2f 117 :<br />
6,2 Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien<br />
deckten sie ihre Füsse, und mit zweien flogen sie. 3 Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig<br />
ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!<br />
• Ihr Lob lässt nicht nach.<br />
• Im Zentrum des Hymnus steht die besondere Bezeichnung Gottes aus 1,4.<br />
• Der Thronende ist als Allmächtiger derjenige, der alle irdische Macht überbietet. Die<br />
ganze Darstellung zielt darauf ab, alles in der Welt Bekannte in den Schatten zu<br />
stellen. Im Himmel konzentriert sich Gottes absolute Macht. Das ist der alles<br />
»verwaltende« Ordnungspunkt des Weltgeschehens: Dort ist so etwas wie die<br />
Gleichzeitigkeit der Geschichte (was war, was ist und was kommt).<br />
• Der erste Hymnus bringt damit in Anlehnung an Jes 6,3 das zur Sprache, was die<br />
ganze Inszenierung bereits deutlich gemacht hat. Hier thront der Heilige, der<br />
Allmächtige, der Ewige. Die höchste Form von Ehre bündelt sich in Gott. Dieses gilt<br />
es anzuerkennen.<br />
• Die theologische Frage ist: Braucht Gott das Lob? Der erste Hymnus zumindest dient<br />
dazu, die Lesenden einzuladen, sie teilnehmen zu lassen an einem »Gottesdienst« im<br />
himmlischen Tempel.<br />
116 Vgl. die Darstellungen in Keel, Yahweh-Visionen 194-216.<br />
117 Vgl. Williamson, Hugh G. M. Holy, holy, holy. The story of a liturgical formula. Julius-Wellhausen-<br />
Vorlesung 1. Berlin [u.a.]: de Gruyter, 2008.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
56 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
4,9 Und wenn die Lebewesen Herrlichkeit und Ehre<br />
und Danksagung geben werden<br />
dem, der auf dem Thron sitzt,<br />
der da lebt in alle Ewigkeit,<br />
4,10 so werden die vierundzwanzig Ältesten<br />
niederfallen vor dem,<br />
der auf dem Thron sitzt,<br />
und den anbeten,<br />
der in alle Ewigkeit lebt,<br />
und werden ihre Siegeskränze niederwerfen vor dem<br />
Thron und sagen:<br />
4,11 Du bist würdig, unser Herr und Gott,<br />
die Herrlichkeit und die Ehre und die Macht zu<br />
empfangen,<br />
denn du hast alle Dinge erschaffen,<br />
und deines Willens wegen waren sie<br />
und sind sie erschaffen worden.<br />
4:9 kaì “otan dẃsousin tà z¨^wa dóxan kaì<br />
tim`jn kaì ehucaristían<br />
t¨^w kaqjmén^w hepì t¨^w qrón^w,<br />
t¨^w zẅnti ehiß toùß ahiẅnaß tẅn ahiẃnwn,<br />
4:10 pesoüntai oHi e‘ikosi téssareß presbúteroi<br />
henẃpion<br />
toü kaqjménou hepì toü qrónou<br />
kaì proskun´jsousin<br />
t¨^w zẅnti ehiß toùß ahiẅnaß tẅn ahiẃnwn,<br />
kaì baloüsin toùß stefánouß ahutẅn henẃpion toü<br />
qrónou légonteß,<br />
4:11 ‘ Axioß e~i, Ho kúrioß kaì Ho qeòß Hjmẅn,<br />
labeïn t`jn dóxan kaì t`jn tim`jn kaì t`jn<br />
dúnamin,<br />
“oti sù ‘ektisaß tà pánta,<br />
kaì dià tò qéljmá sou ~jsan<br />
kaì hektísqjsan.<br />
• Der Wechsel zum Futur in V. 9f hat keine futurische Bedeutung, sondern betont die<br />
immer währende Wiederholung des Trishagion. Der himmlische Lob ist in gewisser<br />
Weise unendlich iterativ.<br />
• Die Aktion der Lebewesen wird umschrieben mit Herrlichkeit, Ehre und Dank.<br />
• Immer wenn die vier Lebewesen ihren Hymnus wiederholen, beginnen die 24 Ältesten<br />
ihr Ritual: niederfallen, anbeten und Übergabe der Siegeskränze (also:<br />
Machtübergabe).<br />
• Die Kombination »unser Herr und Gott« ist relativ selten belegt (vgl. Joh 20,28), so<br />
dass ein Bezug zur Bezeichnung Domitians als domis ac deus noster (Sueton, Domit<br />
13,2; vgl. Cassius Dio 67,4,7; 67,13,4) naheliegt.<br />
• Der Hymnus bekennt die Würde Gottes zum Empfangen des Lobes… Als Grund für<br />
den Lob reicht dies aus: Er hat es »verdient«, er »ist es wert«.<br />
• Als neuer Aspekt kommt die Würde Gottes als Schöpfer ins Spiel. Hier wird bereits<br />
der letzte Hymnus vorweggenommen, der von alle Geschöpfen angestimmt wird.<br />
• Eine abschließende Beobachtung zu Kap 4: Nach 19,4 kommen die Ältesten und die<br />
vier Lebewesen nicht mehr vor. Die himmlische Welt am Ende sieht nicht so aus wie<br />
die Visionen in Kap. 4-19.<br />
2.3.2 Das Lamm und das Buch mit den sieben Siegeln (5,1-14)<br />
Aune, David Edward. Revelation 5 as ancient Egyptian enthronement scene? The origin and development of a<br />
scholarly myth, in: Apocalypticism, Prophecy and Magic in Early Christianity. Collected Essays (WUNT<br />
199), Tübingen, 2006, 233-239. – Bauckham, Richard. The lion, the lamb and the dragon, in: The<br />
Climax of Prophecy. Studies on the Book of Revelation, Edinburgh, 1993, 174-198. – Bergmeier,<br />
Roland. Die Buchrolle und das Lamm (<strong>Apk</strong> 5 und 10), ZNW 76 (1985) 225-242 = Das Gesetz im<br />
Römerbrief und andere Studien zum Neuen Testament (WUNT 121), Tübingen, 2000, 283-300. –<br />
Hannah, Darrell D. Of Cherubim and the Divine Throne: Rev 5.6 in Context, NTS 49 (20<strong>03</strong>) 528-542. –<br />
Harrington, Daniel J. The slain lamb (Rev 5,6.12; 13,8) as an image of Christian hope, in: ›Il Verbo di<br />
Dio è vivo‹. Studi sul Nuovo Testamento (FS Albert Vanhoye), ed. José Enrique Aguilar Chiu et al. (AnB<br />
165), Roma, 2007, 511-519. – Hengel, Martin. Die Throngemeinschaft des Lammes mit Gott in der<br />
Johannesapokalypse, ThBeitr 27 (1996) 159-175 = Studien zur Christologie. Kleine Schriften IV, hg.<br />
Claus-Jürgen Thornton (WUNT 201), Tübingen, 2006, 368-385. – Hoffmann, Matthias Reinhard. The<br />
destroyer and the lamb. The relationship between angelomorphic and lamb christology in the Book of<br />
Revelation (WUNT 2:2<strong>03</strong>), Tübingen, 2005. – Hofius, Otfried. ARNION – Widder oder Lamm?<br />
Erwägungen zur Bedeutung des Wortes in der Johannesapokalypse, ZNW 89 (1998) 272-281. – Johns,<br />
Loren L. The lamb christology of the Apocalypse of John. An investigation into its origins and rhetorical<br />
force (WUNT 2:167), Tübingen, 20<strong>03</strong>. – Knight, Jonathan. The enthroned Christ of Revelation 5:6 and<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 57<br />
the development of Christian theology, in: Studies in the book of Revelation, ed. Steve Moyise,<br />
Edinburgh, 2001, 43-50. – Mathewson, David. Verbal aspect in the Apocalypse of John: An analysis of<br />
Revelation 5, Novum Testamentum 50 (2008) 58-77. – Perrone, Lorenzo. ›Goldene Schalen voll von<br />
Räucherwerk‹ (Apc. 5,8). Das Bild vom Gebet bei Origenes, Jahrbuch für Antike und Christentum 50<br />
(2007) 51-71. – Schreiber, Stefan. Die Lamm-Perspektive. Bemerkungen zu Offb 5, in: Jesus als Bote<br />
des Heils. Heilsverkündigung und Heilserfahrung in frühchristlicher Zeit (FS Detlev Dormeyer), hg.<br />
Linus Hauser et al. (SBB 60), Stuttgart, 2008, 294-307. – Skaggs, Rebecca / Doyle, Thomas. Lion/lamb<br />
in Revelation, Currents in Biblical Research 7.3 (2009) 362-375. – Strawn, Brent A. Why does the lion<br />
disappear in Revelation 5? Leonine imagery in early Jewish and Christian literatures, Journal for the<br />
study of the pseudepigrapha 17/1 (2007) 37-74.<br />
5,1 Und ich sah in der Rechten dessen,<br />
der auf dem Thron saß,<br />
ein Buch, innen und auf der Rückseite beschrieben,<br />
mit sieben Siegeln versiegelt.<br />
5,2 Und ich sah einen starken Engel,<br />
der mit lauter Stimme ausrief:<br />
Wer ist würdig, das Buch zu öffnen<br />
und seine Siegel zu brechen?<br />
5:1 Kaì e~idon hepì t`jn dexiàn<br />
toü kaqjménou hepì toü qrónou<br />
biblíon gegramménon ‘eswqen kaì ‘opisqen,<br />
katesfragisménon sfragïsin Heptá.<br />
5:2 kaì e~idon ‘aggelon hiscuròn<br />
kjrússonta hen fwn¨∆ megál∆,<br />
Tíß ‘axioß hanoïxai tò biblíon<br />
kaì lüsai tàß sfragïdaß ahutoü;<br />
• Die Himmelsvision könnte hiermit abgeschlossen sein, aber plötzlich gibt es eine<br />
Grosseinstellung auf ein Detail des Gesamtbildes. Der Thronende der nur mit<br />
wertvollen Steinen verglichen werden konnte, lässt eine Hand sichtbar werden.<br />
• Der Seher folgt hier weiterhin den Spuren von Ezechiel:<br />
Ez. 2,9 Und ich sah, und siehe, da war eine Hand gegen mich ausgestreckt, die hielt eine Schriftrolle. 10 Die<br />
breitete sie aus vor mir, und sie war aussen und innen beschrieben (gegramme÷na hn ta» o¡pisqen kai« ta»<br />
emprosqen), und darin stand geschrieben Klage, Ach und Weh.<br />
• Dass das Buch auf beiden Seiten beschrieben ist, mutet merkwürdig an, wenn es sich<br />
(wie eigentlich üblich) um eine Schriftrolle handeln sollte. 118 Es wäre (in der Folge<br />
von Theodor Zahn) möglich, dass hier bereits an einen Kodex zu denken ist (obwohl<br />
der Gebrauch des Kodex im ersten Jahrhundert sehr selten war).<br />
• Das Versiegeln mit (bis zu) sieben Siegeln war nichts Seltenes in der Antike. 119<br />
• In Ez 2,10 sagt Gott selbst, was in dem Buch steht. An unserer Stelle wird nun – wider<br />
Erwarten – das Öffnen der Siegel problematisiert.<br />
• Dass es in der himmlischen Ratsversammlung zu Komplikationen kommen kann,<br />
begegnet auch in 1Kön 22,20-22:<br />
20 Und der HERR sprach: Wer will Ahab betören, dass er hinaufzieht und vor Ramot in Gilead fällt? Und<br />
einer sagte dies, der andere das. 21 Da trat ein Geist vor und stellte sich vor den HERRN und sprach: Ich<br />
will ihn betören. Der HERR sprach zu ihm: Womit? 22 Er sprach: Ich will ausgehen und will ein Lügengeist<br />
sein im Munde aller seiner Propheten. Er sprach: Du sollst ihn betören und sollst es ausrichten; geh aus und<br />
tu das!<br />
• Wenn am Anfang von V. 2 jedoch ein starker Engel auftritt (s.a. 10,1; 18,21), würde<br />
man erwarten, dass dieser zur Tat schreitet. Er stellt jedoch die entscheidende Frage<br />
und macht dadurch zugleich deutlich, dass selbst »starke Engel« nicht in der Lage<br />
sind, die Siegel aufzubrechen.<br />
• Es geht bei der Frage des Engels nach dem Würdenträger offensichtlich nicht darum,<br />
den Inhalt des Buches zu lesen, sondern lediglich darum, es zu öffnen, was<br />
gleichbedeutend damit ist, dass die Siegel gelöst werden.<br />
118 Es gab zwar sog. Opistographen, beidseitig beschriebene Rolle, aber normalerweise wurden Rollen nur<br />
einseitig beschrieben. Es könnte sich ansonsten noch um eine Doppelurkunde handeln, bei der vorne eine Kopie<br />
und innen ein versiegeltes Original zu finden war.<br />
119 Aune, I, 342.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
58 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
5,3 Und niemand in dem Himmel,<br />
noch auf der Erde,<br />
noch unter der Erde<br />
konnte das Buch öffnen noch es anblicken.<br />
5,4 Und ich weinte sehr,<br />
weil niemand würdig erfunden wurde,<br />
das Buch zu öffnen noch es anzublicken.<br />
5,5 Und einer von den Ältesten spricht zu mir:<br />
Weine nicht!<br />
Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamm<br />
Juda, die Wurzel Davids,<br />
um das Buch und seine sieben Siegel zu öffnen.<br />
5:3 kaì ohudeìß hedúnato hen t¨^w ohuran¨^w<br />
ohudè hepì t¨jß g¨jß<br />
ohudè Hupokátw t¨jß g¨jß<br />
hanoïxai tò biblíon o‘ute blépein ahutó.<br />
5:4 kaì ‘eklaion polù<br />
“oti ohudeìß ‘axioß eHuréqj<br />
hanoïxai tò biblíon o‘ute blépein ahutó.<br />
5:5 kaì eîß hek tẅn presbutérwn légei moi,<br />
M`j klaïe≥<br />
hidoù heníkjsen Ho léwn Ho hek t¨jß ful¨jß h Ioúda, Hj<br />
Hríza Dauíd,<br />
hanoïxai tò biblíon kaì tàß Heptà sfragïdaß<br />
ahutoü.<br />
• Die Lage ist dramatisch, da sich auf die Frage / Aufforderung des Engels hin niemand<br />
findet an absolut keinen Ort der Schöpfung. Es ist nicht nur so, dass niemand es<br />
öffnen kann; es kann nicht einmal angeblickt werden. (Immerhin konnte der Seher in<br />
5,1 es sehen.)<br />
• Warum Gott selbst das Buch nicht öffnet, wird nicht gesagt. Theologisch muss es so<br />
sein: Wenn »der Gewesene, Seiende und Kommende« ein Buch in der Hand hält, dann<br />
muss darin alles zum Ausdruck kommen, was die Geschichte an ihr Ziel führt. Es ist<br />
klar, dass mit diesem Buch etwas in Gang gesetzt wird.<br />
• Es mag ein bewusster Bezug darin liegen, dass Johannes selbst ein Buch schreibt, in<br />
dem die Visionen beschrieben werden, die jene Ereignisse zum Inhalt haben, die in<br />
dem himmlischen Buch geschrieben sind. Beide Bücher stehen daher miteinander in<br />
Bezug.<br />
• V. 4: Die einzige emotionelle Reaktion des Sehers im ganzen Buch findet sich hier: Er<br />
weint sehr. Dadurch wird die Dramatik des Geschehens unterstrichen. Der göttliche<br />
Himmelsstaat befindet sich in einer ausweglosen Situation. Die Hörenden sind<br />
gespannt, wie die Situation gelöst wird.<br />
• V. 5: Zur Beruhigung schaltet sich einer der 24 Ältesten ein: Er verknüpft ein<br />
Trostwort mit der messianischen Erwartung eines »Löwen aus dem Stamme Juda«<br />
(vgl. Gen 49,9), der »Wurzel Davids« (4Q252).<br />
• Mit beiden Begriffen greift der Autor in das Repertoire messianisch-politischer<br />
Hoffnungen. Ein Davidide wird die Theokratie in Israel wieder einführen. Wir<br />
erwarten eine »Löwen«. Damit scheint das Drama sich auf eine Lösung hin zu<br />
bewegen.<br />
5,6 Und ich sah inmitten des Thrones<br />
und der vier Lebewesen<br />
und inmitten der Ältesten<br />
ein Lamm stehen wie geschlachtet,<br />
das sieben Hörner<br />
und sieben Augen hatte;<br />
die sind die sieben Geister Gottes,<br />
ausgesandt über die ganze Erde.<br />
5,7 Und es kam<br />
und nahm [das Buch] aus der Rechten dessen entgegen,<br />
der auf dem Thron saß.<br />
5:6 Kaì e~idon hen més^w toü qrónou<br />
kaì tẅn tessárwn z´^wwn<br />
kaì hen més^w tẅn presbutérwn<br />
harníon Hestjkòß Hwß hesfagménon,<br />
‘ecwn kérata Heptà<br />
kaì hofqalmoùß Heptá,<br />
o“i ehisin tà [Heptà] pneúmata toü qeoü<br />
hapestalménoi ehiß päsan t`jn g¨jn.<br />
5:7 kaì ~jlqen<br />
kaì e‘iljfen hek t¨jß dexiäß toü kaqjménou<br />
hepì toü qrónou.<br />
• Nun kehrt der Seher wieder zum innersten mittleren Punkt des Szenarios zurück:<br />
Mitten im Thron, mitten zwischen den vier Lebewesen und der vier Ältesten – also<br />
dort, wo Gott auf dem Thron sitzt – steht ein Lamm (griech. arnion).<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 59<br />
• Hier finden wir ein Stück Kreuzestheologie: Angekündigt wird der Löwe aus Juda, es<br />
kommt jedoch ein Lamm, welches wie geschlachtet aussieht (was es jedoch nicht ist,<br />
weil es lebt). Dennoch ist dies keine Korrektur gegenüber der Ankündigung des<br />
Ältesten, sondern zwei Dimensionen (eine himmlische und eine irdische) der<br />
Betrachtung Jesu.<br />
• Die sieben Hörner sind ein Hinweis auf politische Macht (dazu später). Die sieben<br />
Augen stehen (wieder: vgl. 4,5) für die sieben Geister (vgl. 1,4), die in der ganzen<br />
Welt wirken (vgl. Sach 4,10). »Gott wirkt durch das geschlachtete Lamm in die ganze<br />
Welt.« 120<br />
Die Hörner werfen die Frage auf, ob es sich bei griech. arnion um ein Lamm oder doch nicht eher um einen<br />
Widder handelt. JohEv zieht griech. amnos vor. Die »Widder-These« kann nicht nur durch die Hörner<br />
untermauert werden, sondern auch durch den Hinweis auf den Zorn des Lammes oder Widders, der Bedeutung<br />
des Widders als Sternbild und der apokalyptischen Vorliebe für Widder (Dan 8,3; äthHen 90,9.37). In den<br />
wenigen LXX-Belegen von arnion bedeutet es jedoch Lamm (Jer 11,19; 27,45 [MT: 50,45]; Ps 113,4.6 [MT:<br />
114,4-6]). Vielleicht spielt der Autor bewusst mit dieser Ambivalenz, um die Dimension von Opfer und<br />
Herrscher in einem Bild zu fassen.<br />
• Das Lamm ist die zentrale Christus-Bezeichnung der <strong>Apk</strong>Joh.<br />
5:6 Kai« ei•don eṅ me÷swˆ touv qro/nou kai« tw◊n tessa¿rwn zwˆ¿wn<br />
kai« eṅ me÷swˆ tw◊n presbute÷rwn aÓrni÷on e˚sthko\ß w ß<br />
eṡfagme÷non ecwn ke÷rata e˚pta» kai« ojfqalmou\ß e˚pta» oiº<br />
eiṡin ta» [e˚pta»] pneu/mata touv qeouv aÓpestalme÷noi ei˙ß<br />
pa◊san th\n ghvn.<br />
5:8 Kai« o¢te elaben to\ bibli÷on, ta» te÷ssara zwˆ◊a kai« oi˚<br />
eikosi te÷ssareß presbu/teroi epesan eṅw¿pion touv aÓrni÷ou<br />
econteß eºkastoß kiqa¿ran kai« fia¿laß crusa◊ß gemou/saß<br />
qumiama¿twn, aiº eiṡin ai˚ proseucai« tw◊n a gi÷wn,<br />
5:12 le÷gonteß fwnhØv mega¿lhØ: a‡xio/n eṡtin to\ aÓrni÷on to\<br />
eṡfagme÷non labei√n th\n du/namin kai« plouvton kai« sofi÷an<br />
kai« iṡcu\n kai« timh\n kai« do/xan kai« eujlogi÷an.<br />
5:13 kai« pa◊n kti÷sma o§ eṅ twˆ◊ oujranwˆ◊ kai« eṗi« thvß ghvß kai«<br />
uJpoka¿tw thvß ghvß kai« eṗi« thvß qala¿sshß kai« ta» eṅ aujtoi√ß<br />
pa¿nta h¡kousa le÷gontaß: twˆ◊ kaqhme÷nwˆ eṗi« twˆ◊ qro/nwˆ kai«<br />
twˆ◊ aÓrni÷wˆ hJ eujlogi÷a kai« hJ timh\ kai« hJ do/xa kai« to\ kra¿toß<br />
ei˙ß tou\ß aiẇ◊naß tw◊n aiẇ¿nwn.<br />
6:1 Kai« ei•don o¢te h¡noixen to\ aÓrni÷on mi÷an e˙k tw◊n e˚pta»<br />
sfragi÷dwn, kai« h¡kousa e˚no\ß e˙k tw◊n tessa¿rwn zwˆ¿wn<br />
le÷gontoß w ß fwnh\ bronthvß: ercou.<br />
6:16 kai« le÷gousin toi√ß o¡resin kai« tai√ß pe÷traiß: pe÷sete eḟΔ∆<br />
hJma◊ß kai« kru/yate hJma◊ß aÓpo\ prosw¿pou touv kaqhme÷nou eṗi«<br />
touv qro/nou kai« aÓpo\ thvß ojrghvß touv aÓrni÷ou,<br />
7:9 Meta» tauvta ei•don, kai« iḋou\ o¡cloß polu/ß, o§n aÓriqmhvsai<br />
aujto\n oujdei«ß eḋu/nato, e˙k panto\ß eqnouß kai« fulw◊n kai«<br />
law◊n kai« glwssw◊n e˚stw◊teß eṅw¿pion touv qro/nou kai«<br />
eṅw¿pion touv aÓrni÷ou peribeblhme÷nouß stola»ß leuka»ß kai«<br />
foi÷nikeß eṅ tai√ß cersi«n aujtw◊n,<br />
7:10 kai« kra¿zousin fwnhØv mega¿lhØ le÷gonteß: hJ swthri÷a twˆ◊<br />
qewˆ◊ hJmw◊n twˆ◊ kaqhme÷nwˆ eṗi« twˆ◊ qro/nwˆ kai« twˆ◊ aÓrni÷wˆ.<br />
7:14 kai« eirhka aujtwˆ◊: ku/rie÷ mou, su\ oi•daß. kai« ei•pe÷n moi:<br />
ou∞toi÷ eiṡin oi˚ eṙco/menoi e˙k thvß qli÷yewß thvß mega¿lhß kai«<br />
eplunan ta»ß stola»ß aujtw◊n kai« e˙leu/kanan aujta»ß eṅ twˆ◊<br />
aiºmati touv aÓrni÷ou.<br />
7:17 o¢ti to\ aÓrni÷on to\ aÓna» me÷son touv qro/nou poimanei√<br />
aujtou\ß kai« oJdhgh/sei aujtou\ß eṗi« zwhvß phga»ß uJda¿twn, kai«<br />
eẋalei÷yei oJ qeo\ß pa◊n da¿kruon e˙k tw◊n ojfqalmw◊n aujtw◊n.<br />
12:11 kai« aujtoi« eṅi÷khsan aujto\n dia» to\ ai–ma touv aÓrni÷ou<br />
kai« dia» to\n lo/gon thvß marturi÷aß aujtw◊n kai« oujk hjga¿phsan<br />
th\n yuch\n aujtw◊n a‡cri qana¿tou.<br />
13:8 kai« proskunh/sousin aujto\n pa¿nteß oi˚ katoikouvnteß<br />
eṗi« thvß ghvß, ou∞ ouj ge÷graptai to\ o¡noma aujtouv eṅ twˆ◊ bibli÷wˆ<br />
thvß zwhvß touv aÓrni÷ou touv eṡfagme÷nou aÓpo\ katabolhvß<br />
ko/smou.<br />
5:6 Und ich sah inmitten des Thrones und der vier lebendigen<br />
Wesen und inmitten der Ältesten ein Lamm stehen wie geschlachtet,<br />
das sieben Hörner und sieben Augen hatte; die sind die sieben Geister<br />
Gottes, ausgesandt über die ganze Erde.<br />
5:8 Und als es das Buch nahm, fielen die vier lebendigen Wesen und<br />
die vierundzwanzig Ältesten nieder vor dem Lamm, und sie hatten<br />
ein jeder eine Harfe und goldene Schalen voll Räucherwerk; das sind<br />
die Gebete der Heiligen.<br />
5:12 die mit lauter Stimme sprachen: Würdig ist das Lamm, das<br />
geschlachtet worden ist, zu empfangen die Macht und Reichtum und<br />
Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Lobpreis.<br />
5:13 Und jedes Geschöpf, das im Himmel und auf der Erde und unter<br />
der Erde und auf dem Meer ist, und alles, was in ihnen ist, hörte ich<br />
sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm den Lobpreis<br />
und die Ehre und die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit!<br />
6:1 Und ich sah, als das Lamm eines von den sieben Siegeln<br />
öffnete, und hörte eines von den vier lebendigen Wesen wie mit einer<br />
Donnerstimme sagen: Komm!<br />
6:16 und sie sagen zu den Bergen und zu den Felsen: Fallt auf uns<br />
und verbergt uns vor dem Angesicht dessen, der auf dem Thron sitzt,<br />
und vor dem Zorn des Lammes!<br />
7:9 Nach diesem sah ich: und siehe, eine große Volksmenge, die<br />
niemand zählen konnte, aus jeder Nation und aus Stämmen und<br />
Völkern und Sprachen, stand vor dem Thron und vor dem Lamm,<br />
bekleidet mit weißen Gewändern und Palmen in ihren Händen.<br />
7:10 Und sie rufen mit lauter Stimme und sagen: Das Heil unserem<br />
Gott, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm!<br />
7:14 Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach<br />
zu mir: Diese sind es, die aus der großen Drangsal kommen, und sie<br />
haben ihre Gewänder gewaschen und sie weiß gemacht im Blut des<br />
Lammes.<br />
7:17 denn das Lamm, das in der Mitte des Thrones ist, wird sie hüten<br />
und sie leiten zu Wasserquellen des Lebens, und Gott wird jede Träne<br />
von ihren Augen abwischen.<br />
12:11 Und sie haben ihn überwunden um des Blutes des Lammes und<br />
um des Wortes ihres Zeugnisses willen, und sie haben ihr Leben nicht<br />
geliebt bis zum Tod!<br />
13:8 Und alle, die auf der Erde wohnen, werden ihn anbeten, [jeder,]<br />
dessen Name nicht geschrieben ist im Buch des Lebens des<br />
geschlachteten Lammes von Grundlegung der Welt an.<br />
120 Satake, EKK, 210.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
60 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
13:11 Kai« ei•don a‡llo qhri÷on aÓnabai√non e˙k thvß ghvß, kai«<br />
ei•cen ke÷rata du/o o¢moia aÓrni÷wˆ kai« e˙la¿lei w ß dra¿kwn.<br />
14:1 Kai« ei•don, kai« iḋou\ to\ aÓrni÷on e˚sto\ß eṗi« to\ o¡roß Siw»n<br />
kai« metΔ∆ aujtouv e˚kato\n tessera¿konta te÷ssareß cilia¿deß<br />
ecousai to\ o¡noma aujtouv kai« to\ o¡noma touv patro\ß aujtouv<br />
gegramme÷non eṗi« tw◊n metw¿pwn aujtw◊n.<br />
14:4 ou∞toi÷ eiṡin oi≠ meta» gunaikw◊n oujk eṁolu/nqhsan,<br />
parqe÷noi ga¿r eiṡin, ou∞toi oi˚ aÓkolouqouvnteß twˆ◊ aÓrni÷wˆ o¢pou<br />
a·n uJpa¿ghØ. ou∞toi hjgora¿sqhsan aÓpo\ tw◊n aÓnqrw¿pwn aÓparch\<br />
twˆ◊ qewˆ◊ kai« twˆ◊ aÓrni÷wˆ,<br />
14:10 kai« aujto\ß pi÷etai e˙k touv oinou touv qumouv touv qeouv<br />
touv kekerasme÷nou aÓkra¿tou eṅ twˆ◊ pothri÷wˆ thvß ojrghvß<br />
aujtouv kai« basanisqh/setai eṅ puri« kai« qei÷wˆ eṅw¿pion<br />
aÓgge÷lwn a gi÷wn kai« eṅw¿pion touv aÓrni÷ou.<br />
15:3 kai« aˆ‡dousin th\n wˆÓdh\n Mwu¨se÷wß touv dou/lou touv qeouv<br />
kai« th\n wˆÓdh\n touv aÓrni÷ou le÷gonteß: mega¿la kai« qaumasta»<br />
ta» erga sou, ku/rie oJ qeo\ß oJ pantokra¿twr: di÷kaiai kai«<br />
aÓlhqinai« ai˚ oJdoi÷ sou, oJ basileu\ß tw◊n e˙qnw◊n:<br />
17:14 ou∞toi meta» touv aÓrni÷ou polemh/sousin kai« to\ aÓrni÷on<br />
nikh/sei aujtou/ß, o¢ti ku/rioß kuri÷wn eṡti«n kai« basileu\ß<br />
basile÷wn kai« oi˚ metΔ∆ aujtouv klhtoi« kai« e˙klektoi« kai« pistoi÷.<br />
19:7 cai÷rwmen kai« aÓgalliw◊men kai« dw¿swmen th\n do/xan<br />
aujtwˆ◊, o¢ti hlqen oJ ga¿moß touv aÓrni÷ou kai« hJ gunh\ aujtouv<br />
hJtoi÷masen eåuth\n<br />
19:9 Kai« le÷gei moi: gra¿yon: maka¿rioi oi˚ ei˙ß to\ dei√pnon touv<br />
ga¿mou touv aÓrni÷ou keklhme÷noi. kai« le÷gei moi: ou∞toi oi˚ lo/goi<br />
aÓlhqinoi« touv qeouv eiṡin.<br />
21:9 Kai« hlqen ei–ß e˙k tw◊n e˚pta» aÓgge÷lwn tw◊n eċo/ntwn ta»ß<br />
e˚pta» fia¿laß tw◊n gemo/ntwn tw◊n e˚pta» plhgw◊n tw◊n eṡca¿twn<br />
kai« e˙la¿lhsen metΔ∆ eṁouv le÷gwn: deuvro, dei÷xw soi th\n nu/mfhn<br />
th\n gunai√ka touv aÓrni÷ou.<br />
21:14 kai« to\ tei√coß thvß po/lewß ecwn qemeli÷ouß dw¿deka kai«<br />
eṗΔ∆ aujtw◊n dw¿deka ojno/mata tw◊n dw¿deka aÓposto/lwn touv<br />
aÓrni÷ou.<br />
21:22 Kai« nao\n oujk ei•don eṅ aujthØv, oJ ga»r ku/rioß oJ qeo\ß oJ<br />
pantokra¿twr nao\ß aujthvß eṡtin kai« to\ aÓrni÷on.<br />
21:23 kai« hJ po/liß ouj crei÷an ecei touv hJli÷ou oujde« thvß<br />
selh/nhß iºna fai÷nwsin aujthØv, hJ ga»r do/xa touv qeouv eḟw¿tisen<br />
aujth/n, kai« oJ lu/cnoß aujthvß to\ aÓrni÷on.<br />
21:27 kai« ouj mh\ eiṡe÷lqhØ ei˙ß aujth\n pa◊n koino\n kai« [oJ] poiw◊n<br />
bde÷lugma kai« yeuvdoß ei˙ mh\ oi˚ gegramme÷noi eṅ twˆ◊ bibli÷wˆ thvß<br />
zwhvß touv aÓrni÷ou.<br />
22:1 Kai« edeixe÷n moi potamo\n u¢datoß zwhvß lampro\n w ß<br />
kru/stallon, e˙kporeuo/menon e˙k touv qro/nou touv qeouv kai«<br />
touv aÓrni÷ou.<br />
22:3 kai« pa◊n kata¿qema oujk estai eti. kai« oJ qro/noß touv<br />
qeouv kai« touv aÓrni÷ou eṅ aujthØv estai, kai« oi˚ douvloi aujtouv<br />
latreu/sousin aujtwˆ◊<br />
13:11 Und ich sah ein anderes Tier aus der Erde aufsteigen: und es<br />
hatte zwei Hörner gleich einem Lamm, und es redete wie ein Drache.<br />
14:1 Und ich sah: und siehe, das Lamm stand auf dem Berg Zion<br />
und mit ihm hundertvierundvierzigtausend, die seinen Namen und<br />
den Namen seines Vaters an ihren Stirnen geschrieben trugen.<br />
14:4 Diese sind es, die sich mit Frauen nicht befleckt haben, denn sie<br />
sind jungfräulich; diese sind es, die dem Lamm folgen, wohin es auch<br />
geht. Diese sind aus den Menschen als Erstlingsfrucht für Gott und<br />
das Lamm erkauft worden.<br />
14:10 so wird auch er trinken vom Wein des Grimmes Gottes, der<br />
unvermischt im Kelch seines Zornes bereitet ist; und er wird mit<br />
Feuer und Schwefel gequält werden vor den heiligen Engeln und vor<br />
dem Lamm.<br />
15:3 Und sie singen das Lied Moses, des Knechtes Gottes, und das<br />
Lied des Lammes und sagen: Groß und wunderbar [sind] deine<br />
Werke, Herr, Gott, Allmächtiger! Gerecht und wahrhaftig [sind]<br />
deine Wege, o König der Nationen!<br />
17:14 Diese werden mit dem Lamm Krieg führen, und das Lamm<br />
wird sie überwinden; denn es ist Herr der Herren und König der<br />
Könige, und die mit ihm [sind, sind] Berufene und Auserwählte und<br />
Treue.<br />
19:7 Laßt uns fröhlich sein und frohlocken und ihm die Ehre geben;<br />
denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und sein Weib hat sich<br />
bereitgemacht.<br />
19:9 Und er spricht zu mir: Schreibe: Glückselig, die geladen sind<br />
zum Hochzeitsmahl des Lammes! Und er spricht zu mir: Dies sind<br />
die wahrhaftigen Worte Gottes.<br />
21:9 Und es kam einer von den sieben Engeln, welche die sieben<br />
Schalen hatten, voll der sieben letzten Plagen, und redete mit mir und<br />
sprach: Komm her, ich will dir die Braut, das Weib des Lammes,<br />
zeigen.<br />
21:14 Und die Mauer der Stadt hatte zwölf Grundsteine und auf<br />
ihnen zwölf Namen der zwölf Apostel des Lammes.<br />
21:22 Und ich sah keinen Tempel in ihr, denn der Herr, Gott, der<br />
Allmächtige, ist ihr Tempel, und das Lamm.<br />
21:23 Und die Stadt bedarf nicht der Sonne noch des Mondes, damit<br />
sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes hat sie erleuchtet, und<br />
ihre Lampe ist das Lamm.<br />
21:27 Und alles Gemeine wird nicht in sie hineinkommen, noch<br />
[derjenige], der Greuel und Lüge tut, sondern nur die, welche<br />
geschrieben sind im Buch des Lebens des Lammes.<br />
22:1 Und er zeigte mir einen Strom von Wasser des Lebens,<br />
glänzend wie Kristall, der hervorging aus dem Thron Gottes und des<br />
Lammes.<br />
22:3 Und keinerlei Fluch wird mehr sein; und der Thron Gottes und<br />
des Lammes wird in ihr sein; und seine Knechte werden ihm dienen,<br />
• Es ist schwer zu sagen, dass bei all diesen Belegen eine eindeutige Konnotation<br />
mitschwingt, etwa das Passalamm, das alltägliche Tamid-Opferlamm, die Verfolgung<br />
des Gerechten (Jes 53,7)…<br />
• V. 7: Das Lamm empfängt das Buch: Das ist der Höhepunkt der gesamte Vision und<br />
löst weitere Lobgesänge aus.<br />
• In gewisser Weise bietet diese Vision einen Blick auf das Sterben Jesu und seine<br />
Bedeutung aus der Perspektive des Himmelsstaates. Es konnte dort niemand gefunden<br />
werden, der das endzeitliche Geschehen in Buchform in Gang setzt, bis zum Tod Jesu.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 61<br />
5,8 Und als es das Buch nahm,<br />
fielen die vier Lebewesen und die vierundzwanzig<br />
Ältesten nieder vor dem Lamm,<br />
und sie hatten ein jeder eine Harfe<br />
und goldene Schalen voll Räucherwerk;<br />
das sind die Gebete der Heiligen.<br />
5,9 Und sie singen ein neues Lied und sagen:<br />
Du bist würdig, das Buch zu nehmen<br />
und seine Siegel zu öffnen;<br />
denn du bist geschlachtet worden<br />
und hast durch dein Blut für Gott erkauft<br />
aus jedem Stamm und jeder Sprache<br />
und jedem Volk und jeder Nation<br />
5,10 und hast sie unserem Gott zu Königen und<br />
Priestern gemacht,<br />
und sie werden über die Erde herrschen!<br />
5:8 kaì “ote ‘elaben tò biblíon,<br />
tà téssara z¨^wa kaì oHi e‘ikosi téssareß<br />
presbúteroi ‘epesan henẃpion toü harníou,<br />
‘econteß “ekastoß kiqáran<br />
kaì fiálaß crusäß gemoúsaß qumiamátwn,<br />
a“i ehisin aHi proseucaì tẅn Hagíwn.<br />
5:9 kaì ‘âdousin h^wd`jn kain`jn légonteß,<br />
‘ Axioß e~i labeïn tò biblíon<br />
kaì hanoïxai tàß sfragïdaß ahutoü,<br />
“oti hesfágjß<br />
kaì hjgórasaß t¨^w qe¨^w hen t¨^w a“imatí sou<br />
hek pásjß ful¨jß kaì glẃssjß<br />
kaì laoü kaì ‘eqnouß,<br />
5:10 kaì hepoíjsaß ahutoùß t¨^w qe¨^w Hjmẅn<br />
basileían kaì Hiereïß,<br />
kaì basileúsousin hepì t¨jß g¨jß.<br />
• Die Ältesten haben (auf einmal) Harfen (eher eine Zither) und weisen sich damit<br />
(auch) as Tempelmusiker aus.<br />
• Die Ältesten nehmen zudem die Gebete der Glaubenden als Räucherwerk (also<br />
duftend) in die göttliche Sphäre hinein. 121<br />
• Dass Engel Gebete vermitteln, ist weit verbreitet (TestLev 3,7; Tob 12,12.15; äthHen<br />
39,5).<br />
• Das Loblied hat eine neue Qualität, weil es die »neue« Zeit einleitet. Es nimmt viele<br />
Elemente der bisherigen Charakterisierung des Lammes auf und dient v.a. als<br />
Begründung seiner Würde, das Buch zu öffnen. Warum kann nur das Lamm alles in<br />
Gang setzen?<br />
a) Er ist eine gewaltsamen Todes gestorben als Opfer.<br />
b) Dadurch hat er aus allen Nationen (vgl. 7,9; 11,9; 13,7; 14,6) ein neues Volk für<br />
Gott gesammelt (aus Königen und Priestern; vgl. 1,6).<br />
c) Diese neue Gemeinschaft wird mit Gott über die Erde herrschen (vgl. 2,26; 20,4.6).<br />
5,11 Und ich sah:<br />
und ich hörte eine Stimme vieler Engel<br />
rings um den Thron her<br />
und um die lebendigen Wesen<br />
und um die Ältesten;<br />
und ihre Zahl war Zehntausende mal Zehntausende und<br />
Tausende mal Tausende,<br />
5,12 die mit lauter Stimme sprachen:<br />
Würdig ist das Lamm,<br />
das geschlachtet worden ist,<br />
zu empfangen die Macht und Reichtum<br />
und Weisheit und Stärke<br />
und Ehre und Herrlichkeit<br />
und Lobpreis.<br />
5:11 Kaì e~idon,<br />
kaì ‘jkousa fwn`jn haggélwn pollẅn<br />
kúkl^w toü qrónou<br />
kaì tẅn z´^wwn<br />
kaì tẅn presbutérwn,<br />
kaì ~jn Ho hariqmòß ahutẅn muriádeß muriádwn kaì<br />
ciliádeß ciliádwn,<br />
5:12 légonteß fwn¨∆ megál∆,<br />
‘ Axión hestin tò harníon<br />
tò hesfagménon<br />
labeïn t`jn dúnamin<br />
kaì sofían<br />
kaì tim`jn<br />
kaì ehulogían.<br />
kaì ploüton<br />
kaì hiscùn<br />
kaì dóxan<br />
• Eine unmöglich hohe Zahl von Engeln tritt nun auf und stimmt den vierten Hymnus<br />
der Himmelsvision an.<br />
• Der Hymnus kommentiert die Bedeutung des Lammes: Es empfängt die gesamte<br />
Macht und Ehre Gottes. In der Reihe ist das Wort »Reichtum« auffällig. Damit wird<br />
wohl angedeutet, dass die Ehre des Lammes alles Irdische übersteigt, auch was den<br />
Reichtum anbelangt.<br />
121 Vgl. Ps 141,2 Mein Gebet möge vor dir gelten als ein Räucheropfer, das Aufheben meiner Hände als ein<br />
Abendopfer.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
62 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
5,13 Und jedes Geschöpf,<br />
das im Himmel und auf der Erde<br />
und unter der Erde und auf dem Meer ist,<br />
und alles, was in ihnen ist, hörte ich sagen:<br />
Dem, der auf dem Thron sitzt,<br />
und dem Lamm<br />
den Lobpreis und die Ehre<br />
und die Herrlichkeit und die Macht<br />
in alle Ewigkeit!<br />
5,14 Und die vier lebendigen Wesen sprachen:<br />
Amen!<br />
Und die Ältesten fielen nieder<br />
und beteten an.<br />
5:13 kaì pän ktísma<br />
”o hen t¨^w ohuran¨^w kaì hepì t¨jß g¨jß<br />
kaì Hupokátw t¨jß g¨jß kaì hepì t¨jß qalássjß,<br />
kaì tà hen ahutoïß pánta, ‘jkousa légontaß,<br />
T¨^w kaqjmén^w hepì t¨^w qrón^w<br />
kaì t¨^w harní^w<br />
Hj ehulogía kaì Hj tim`j<br />
kaì Hj dóxa kaì tò krátoß<br />
ehiß toùß ahiẅnaß tẅn ahiẃnwn.<br />
5:14 kaì tà téssara z¨^wa ‘elegon,<br />
h Am´jn≥<br />
kaì oHi presbúteroi ‘epesan<br />
kaì prosekúnjsan.<br />
• Jetzt sprechen (in einer stetigen Steigerung) alle Geschöpfe.<br />
• Der letzte Hymnus nimmt frühere Elemente auf und richtet sich an Gott und dem<br />
Lamm.<br />
• Mit dem Amen der vier Wesen und der Proskynese der Ältesten wird die Vision<br />
beendet.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 63<br />
2.4 Die sieben Siegel (6,1-8,1)<br />
• Obwohl in 6,1 die Perspektive wechselt, ist dies die natürliche Fortführung der<br />
Thronsaalvision. Die Kapiteleinteilung sollte daher nicht als ein allzu tiefer<br />
literarischer Einschnitt gewertet werden. Es ist das Lamm, welches zur Öffnung der<br />
Siegel schreitet. 122<br />
• Die Siebenerfolge beginnt stereotyp, wird aber zunehmend variiert und unterbrochen<br />
(ähnlich auch später die sieben Posaunen) 123 :<br />
a) Die vier Reiter bilden den Anfang (6,1-8),<br />
b) dann folgen zwei Siegel, die mit der Reaktion von Menschen im Himmel (6,9-11)<br />
und auf der Erde zu tun hat (6,12-17).<br />
c) Vor dem siebten Siegel (der erwarteten Klimax) wird das ganze Geschehen durch<br />
eine »Seitenvision« von zwei Menschengruppe (144'000 und Unzählige) unterbrochen<br />
(7,1-17).<br />
d) Die Öffnung des siebten Siegels (8,1) ist antiklamaktisch, denn es stellt sich<br />
zunächst Ruhe ein. Nahtlos geht das siebte Siegel über in die sieben Posaunen (8,2-<br />
11,18).<br />
2.4.1 Die ersten sechs Siegel (6,1-17)<br />
Bachmann, M. Der erste apokalyptische Reiter und die Anlage des letzten Buches der Bibel, Bib 67 (1986)<br />
240-275. – Ders., Noch ein Blick auf den ersten apokalyptischen Reiter (von <strong>Apk</strong> 6.1-2), NTS 44 (1998)<br />
257-278. – Considine, J. S. The Rider on the White Horse. Apocalypse 6:1-8, CBQ 6 (1944) 406-422. –<br />
Feuillet, A. Les martyrs de l’humanité et Agneau égorgé: Une interprétation nouvelle de la prière des<br />
égorgés en Ap. 6,9-11, NRTh 99 (1977) 189-207. – Frenschkowski, M. Parthica apocalyptica.<br />
Mythologie und Militärwesen iranischer Völker in ihrer Rezeption durch die Offenbarung des Johannes,<br />
JAC 47 (2004) 16-57. – Giesen, H. Im Dienst der Weltherrschaft Gottes und des Lammes: Die vier<br />
apokalyptischen Reiter (Offb 6,1-8), SNTU-A 22 (1997) 92-124 = Studien zur Johannesapokalypse (SBA<br />
29), Stuttgart, 2000, 260-285. – Grappe, Chr. L'immolation terrestre comme gage de la communion<br />
céleste (Apocalypse 6,9; 7,14-15; 20,6), RHPhR 79,1 (1999) 71-82. – Heil, J.P. The Fifth Seal (Rev 6,9-<br />
11) as a Key to the Book of Revelation, Bib 74 (1993) 220-243. – Herzer, J. Der erste apokalyptische<br />
Reiter und der König der Könige. Ein Beitrag zur Christologie der Johannesapokalypse, NTS 45 (1999)<br />
230-249. – Kerkeslager, A. Apollo, Greco-Roman Prophecy, and the Rider on the White Horse in Rev<br />
6:2, JBL 112 (1993) 116-121. – Lambrecht, J. The opening of the seals (Rev 6,1-8,6), Bib 79 (1998)<br />
198-220 = Collected studies on Pauline literature and on the book of Revelation (AnB 147), Rom, 2001,<br />
357-377. – Mathews, S.F. The power to endure and be transformed: Sun and moon imagery in Joel and<br />
Revelation 6, in: Imagery and imagination in biblical literature (FS A. Fitzgerald), ed. L. Boadt / M.S.<br />
Smith (CBQ.MS 32), Washington, 2001, 35-49. – Öhler, M. Die vier Reiter (<strong>Apk</strong> 6,1-8): Die<br />
Apokalypse des Johannes und ihre Rezeption, Wiener Jahrbuch für Theologie 6 (2006) 85-98. – Poirier,<br />
J:C. The first rider: A response to Michael Bachmann, NTS 45 (1999) 257-262. – Ruiten, J. v. Der<br />
Alttestamentliche Hintergrund von Apokalypse 6:12-17, EstB 53 (1995) 239-260. – Schwindt, R. Der<br />
Klageruf der Märtyrer. Exegetische und theologische Überlegungen zu Offb 6,9-11, BN 141 (2009)<br />
117-136; 142 (2009) 119-130. – Taeger, J.-W. Hell oder dunkel? Zur neueren Debatte um die Auslegung<br />
des ersten apokalyptischen Reiters, in: Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte (FS J.<br />
Becker), hg. U. Mell / U.B. Müller (BZNW 100), Berlin, 1999, 369-389 = Johanneische Perspektiven.<br />
Aufsätze zur Johannesapokalypse und zum johanneischen Kreis 1984-20<strong>03</strong>, hg. D.C. Bienert / D.-A.<br />
Koch (FRLANT 215), Göttingen, 2006, 139-156. – Wold, B.G. Revelation's Plague Septets: New exodus<br />
and exile, in: Echoes from the caves: Qumran and the New Testament, ed. F. García Martínez (STDJ 85),<br />
Leiden, 2009, 279-297.<br />
122 Dass ein Lamm kaum ein Siegel öffnen kann, interessiert den Seher natürlich nicht.<br />
123 Wie relevant ist die eschatologisch-messianischer Siebener-Reihe in bSanh 97a?<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
64 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
2.4.1.1 Die vier ersten Siegel: Die vier Reiter (6,1-8)<br />
• Die ersten vier Siegel sind durch das Motiv des Reiters eng miteinander verbunden:<br />
Text Eingangsformel<br />
(komplett: 1;<br />
stereotyp kurz: 2-<br />
4)<br />
Ruf-Motiv<br />
(Audition)<br />
(komplett: 1;<br />
stereotyp kurz:<br />
2-4)<br />
Pferd<br />
(Vision)<br />
(und ich<br />
sah, und<br />
siehe:<br />
1,3,4)<br />
Reiter (Vision)<br />
(und auf ihn: 1-4;<br />
der Sitzende im<br />
Nom.: 1,3,4;<br />
habend: 1+3)<br />
Passiv (gegeben)<br />
(es wurde ihm<br />
gegeben: 1,2,4)<br />
Aktiv<br />
6,1f Kai« ei•don o¢te<br />
h¡noixen to\<br />
aÓrni÷on mi÷an e˙k<br />
tw◊n e˚pta»<br />
sfragi÷dwn<br />
kai« h¡kousa<br />
e˚no\ß e˙k tw◊n<br />
tessa¿rwn<br />
zwˆ¿wn<br />
le÷gontoß wJß<br />
fwnh\<br />
bronthvß:<br />
ercou.<br />
weiß: kai«<br />
ei•don, kai«<br />
iḋou\<br />
iºppoß<br />
leuko/ß<br />
Bogen: kai« oJ<br />
kaqh/menoß eṗΔ∆<br />
aujto\n ecwn<br />
to/xon<br />
Siegeskranz: kai«<br />
eḋo/qh aujtwˆ◊<br />
ste÷fanoß<br />
ausziehen &<br />
siegen: kai«<br />
eẋhvlqen nikw◊n<br />
kai« iºna<br />
nikh/shØ<br />
6,3f Kai« o¢te<br />
h¡noixen th\n<br />
sfragi√da th\n<br />
deute÷ran<br />
h¡kousa touv<br />
deute÷rou<br />
zwˆ¿ou<br />
le÷gontoß:<br />
ercou.<br />
feuerrot:<br />
kai«<br />
eẋhvlqen<br />
a‡lloß<br />
iºppoß<br />
purro<br />
kai« twˆ◊<br />
kaqhme÷nwˆ eṗΔ∆<br />
aujto\n<br />
Frieden nehmen; Menschen<br />
schlachten einander, Schwert:<br />
eḋo/qh aujtwˆ◊ labei√n th\n<br />
eiṙh/nhn e˙k thvß ghvß kai« iºna<br />
aÓllh/louß sfa¿xousin kai«<br />
eḋo/qh aujtwˆ◊ ma¿caira mega¿lh<br />
6,5f Kai« o¢te<br />
h¡noixen th\n<br />
sfragi√da th\n<br />
tri÷thn,<br />
h¡kousa touv<br />
tri÷tou zwˆ¿ou<br />
le÷gontoß:<br />
ercou.<br />
schwarz:<br />
kai« ei•don,<br />
kai« iḋou\<br />
iºppoß<br />
me÷laß<br />
Waage in der<br />
Hand: kai« oJ<br />
kaqh/menoß eṗΔ∆<br />
aujto\n ecwn<br />
zugo\n eṅ thØv<br />
ceiri« aujtouv.<br />
(Audition zu Tauschhandel, Öl,<br />
Wein: kai« h¡kousa wJß fwnh\n<br />
eṅ me÷swˆ tw◊n tessa¿rwn zwˆ¿wn<br />
le÷gousan: coi√nix si÷tou<br />
dhnari÷ou kai« trei√ß coi÷nikeß<br />
kriqw◊n dhnari÷ou, kai« to\<br />
elaion kai« to\n oi•non mh\<br />
aÓdikh/shØß.)<br />
6,7f Kai« o¢te<br />
h¡noixen th\n<br />
sfragi√da th\n<br />
teta¿rthn,<br />
h¡kousa<br />
fwnh\n touv<br />
teta¿rtou<br />
zwˆ¿ou<br />
le÷gontoß:<br />
ercou.<br />
grün-grau:<br />
kai« ei•don,<br />
kai« iḋou\<br />
iºppoß<br />
clwro/ß,<br />
Name »Tod«;<br />
Hades folgt ihn:<br />
kai« oJ<br />
kaqh/menoß<br />
eṗa¿nw aujtouv<br />
o¡noma aujtwˆ◊ [oJ]<br />
qa¿natoß, kai« oJ<br />
aˆ‚dhß hjkolou/qei<br />
metΔ∆ aujtouv<br />
Macht über den vierten Teil, töten<br />
mit Schwert, Hunger, Pest, wilde<br />
Tiere: kai« eḋo/qh aujtoi√ß<br />
eẋousi÷a eṗi« to\ te÷tarton thvß<br />
ghvß aÓpoktei√nai eṅ rJomfai÷aˆ<br />
kai« eṅ limwˆ◊ kai« eṅ qana¿twˆ<br />
kai« uJpo\ tw◊n qhri÷wn thvß ghvß.<br />
• Die vier Reiter bilden eine Einheit: Nur vom ersten wird gesagt, dass er auch zum<br />
Sieg auszog (6,2b). Der Plural in der eḋo/qh-Formel in 6,8c nimmt alle vier Reiter auf.<br />
• Ein besonderer Bezug besteht zu Sach 1,7-11 und 6,1-8 124 :<br />
1,7 Am vierundzwanzigsten Tage des elften Monats das ist der Monat Schebat im zweiten Jahr des Königs<br />
Darius geschah das Wort des HERRN zu Sacharja, dem Sohn Berechjas, des Sohnes Iddos, dem Propheten:<br />
8 Ich sah in dieser Nacht, und siehe, ein Mann sass auf einem roten Pferde (kai« iḋou\ aÓnh\r eṗibebhkw»ß<br />
eṗi« iºppon purro/n),<br />
und er hielt zwischen den Myrten im Talgrund,<br />
und hinter ihm waren rote, gefleckte, mehrfarbige und weisse Pferde (iºppoi purroi« kai« yaroi« kai«<br />
poiki÷loi kai« leukoi÷).<br />
9 Und ich sprach: Mein Herr, wer sind diese?<br />
Und der Engel, der mit mir redete, sprach zu mir: Ich will dir zeigen, wer diese sind.<br />
10 Und der Mann, der zwischen den Myrten hielt, antwortete:<br />
124 Weiter entfernt ist der astrologische Mythos in Dio Chrys., Orat. 36,42-53, wonach der Wagen des Zeus<br />
von vier Pferden gezogen wird: 1) einen flammenfarbenen, der einen Siegeskranz (wie in Joh<strong>Apk</strong> 6,2) erhält, 2)<br />
einen schwarzen, der eine Flut verursachte, 3) einen weiteren, der eine Quelle zum Sprudeln brachte und 4)<br />
schließlich den letzten, der unbeweglich ist.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 65<br />
Diese sind’s, die der HERR ausgesandt hat, die Lande zu durchziehen.<br />
11 Sie aber antworteten dem Engel des HERRN, der zwischen den Myrten hielt, und sprachen:<br />
Wir haben die Lande durchzogen, und siehe, alle Lande liegen ruhig und still.<br />
6,1 Und ich hob meine Augen abermals auf und sah, und siehe, da waren vier Wagen (te÷ssara a‚rmata),<br />
die kamen zwischen den zwei Bergen hervor; die Berge aber waren aus Kupfer.<br />
2 Am ersten Wagen waren rote Rosse, am zweiten Wagen waren schwarze Rosse, 3 am dritten Wagen waren<br />
weisse Rosse, am vierten Wagen waren scheckige Rosse, allesamt stark. (eṅ tw◊ˆ a‚rmati tw◊ˆ prw¿twˆ iºppoi<br />
purroi÷ kai« eṅ tw◊ˆ a‚rmati tw◊ˆ deute÷rwˆ iºppoi me÷laneß 3 kai« eṅ tw◊ˆ a‚rmati tw◊ˆ tri÷twˆ iºppoi leukoi÷<br />
kai« eṅ tw◊ˆ a‚rmati tw◊ˆ teta¿rtwˆ iºppoi poiki÷loi yaroi÷)<br />
4 Und ich hob an und sprach zum Engel, der mit mir redete: Mein Herr, wer sind diese?<br />
5 Der Engel antwortete und sprach zu mir: Es sind die vier Winde unter dem Himmel, die hervorkommen,<br />
nachdem sie gestanden haben vor dem Herrscher aller Lande.<br />
6 Die schwarzen Rosse ziehen nach Norden, die weissen ziehen nach Westen und die scheckigen ziehen nach<br />
Süden.<br />
1 Und ich sah, dass (als) das Lamm eines<br />
von den sieben Siegeln öffnete,<br />
und hörte eines<br />
von den vier Lebewesen<br />
wie eine Donnerstimme sagen: Komm!<br />
2 Und ich sah: und siehe,<br />
ein weißes Pferd,<br />
und der darauf Sitzende hatte einen Bogen;<br />
und ihm wurde ein Siegeskranz gegeben,<br />
und er zog als Siegender aus und um zu siegen.<br />
6:1 Kaì e~idon “ote ‘jnoixen tò harníon mían<br />
hek tẅn Heptà sfragídwn,<br />
kaì ‘jkousa Henòß<br />
hek tẅn tessárwn z´^wwn<br />
légontoß Hwß fwn`j bront¨jß, ‘ Ercou.<br />
6:2 kaì e~idon, kaì hidoù<br />
“ippoß leukóß,<br />
kaì Ho kaq´jmenoß heph ahutòn ‘ecwn tóxon,<br />
kaì hedóqj ahut¨^w stéfanoß,<br />
kaì hex¨jlqen nikẅn kaì “ina nik´js∆.<br />
• Das Lamm ist Handlungssouverän. Es öffnet alle sieben Siegel (s.a. 6,3.5.7.9.12; 8,1).<br />
Christologisch wird damit der unmittelbare Zusammenhang beleuchtet zwischen dem<br />
Tod Jesu als Opfer für die Menschen und dem Beginn des endzeitlichen Heilsdramas.<br />
• Das Buch (bzw. die Buchrolle) selbst spielt keine Rolle. Es wird nicht daraus<br />
vorgelesen oder sonst auf Inhalt oder Form referiert. Lediglich die Siegel sind von<br />
Bedeutung.<br />
• Mit einer lauten Gottesstimme (Donner = Lautstärke = himmlische Autorität; vgl.<br />
14,2; 19,6) 125 ruft einer der vier Lebewesen aus der Thronsaalvision (Kap. 5–6):<br />
Komm! Damit ruft er nicht den Seher zu sich (von ihm wird keine räumliche<br />
Veränderung berichtet), sondern er ruft Pferd und Reiter heraus. Der Text spiegelt die<br />
Vorstellung von Engelshierarchien wider: Der Älteste, der zum engsten Kreis der<br />
Thron-Engeln gehört, gibt nun eine Anweisung. 126<br />
• Mit der Formel »und ich sah und siehe« (vgl. 5,1; 6,2.5.8; 7,9; 14,1.14; 19,11)<br />
»imitiert« der Autor bewusst Formelsprache des Propheten Ezechiel. 127<br />
• Weißes Pferd, Reiter & Bogen (Konnotationen):<br />
a) Obwohl die Wendung kai« iḋou\ iºppoß leuko/ß kai« oJ kaqh/menoß eṗΔ∆ aujto\n<br />
verbatim in 19,11 begegnet, kann der endzeitliche Richter-Messias in Kap. 19 nicht<br />
identisch mit diesem Reiter sein. 128 Dies (mind.) aus zwei Gründen: Der endzeitliche<br />
Reiter ist eine Metamorphose des Lammes. In Kap. 6 öffnet das Lamm jedoch gerade<br />
selbst die Siegel. Und: Der erste Reite in Kap. 6 erhält die Anweisung zu kommen,<br />
125 AT: 2Sam 22,14; Hiob 37,2-5; Ps 18,13; 29,3-9; Jes 29,6; 30,30f; Jer 25,30; Am 1,2.<br />
126 Ähnlich in 7,2f; 14,15.18.<br />
127 Vgl. Hes 1,4.15; 2,9; 8,7.10; 10,1.9; 37,8; 44,4.<br />
128 Diese Gleichsetzung hat eine lange Tradition seit Irenäus, Adv. haer. IV,21,3 (im Rahmen einer<br />
christologischen Jakob-Typologie »Johannes sagt von ihm [von Christus, MMM] in der Apokalypse: ›Er ging<br />
hinaus siegend, um zu siegen‹ [= Joh<strong>Apk</strong> 6,2b]«). Unter den aktuellen Beiträgen vgl. Bachmann, Reiter; Ders.,<br />
Noch ein Blick; Heil, Fifth Seal, 223.<br />
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66 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
von einem der Ältesten; untersteht ihm damit hierarchisch.<br />
b) Weitere positive Auslegungen (meist durch die positive Konnotation der weißen<br />
Farbe begründet) sind nicht besonders kohärent in den Zusammenhang der vier Reiter<br />
einzupassen. Etwa: der Sieg des Evangeliums im römischen Reich (Zahn; Allo)<br />
c) Der Reiter mit dem Bogen hat starke militärische Konnotationen. Vielleicht weckt<br />
er sogar eine Erinnerung an die Parther-Einfälle mit ihren beeindruckenden reitenden<br />
Bogenschützen. 129 Der Bogen weckt auch Assoziationen mit Apollo. 130<br />
• Eine mögliche Aussage des Textes wäre, dass berittene Feinde Roms (vielleicht aus<br />
dem Osten einfallend) »Vollzugsorgane« göttlicher Strafe sind. Der Siegeskranz in der<br />
Formulierung eines passivum divinum hedóqj macht deutlich, dass der Sieg des ersten<br />
Reiters auf Gott selbst zurückgeht. 131<br />
• Damit ist bereits eine theologische Ambivalenz der Joh<strong>Apk</strong> berührt: Der Seher denkt<br />
in einem so hohen Maße theo-zentrisch, dass nichts seiner Wirkmacht entgeht. Es gibt<br />
in der Welt des Apokalyptikers trotz (oder gerade wegen) der für die christlichen<br />
Gemeinden instabilen Lage nichts Kontingentes in der Geschichte. Alles ist Teil eines<br />
Plans, alles ist letztlich gelenkt, von Intentionalität durchweht.<br />
• Apokalyptik ist geschichtliche Sinnsuche und damit eine hermeneutische<br />
Grundleistung!<br />
3 Und als es das zweite Siegel öffnete,<br />
hörte ich das zweite Lebewesen sagen: Komm!<br />
4 Und es zog aus ein anderes, ein feuerrotes Pferd;<br />
und dem darauf Sitzenden wurde gegeben,<br />
den Frieden von der Erde zu nehmen<br />
und zwar: damit sie einander schlachteten;<br />
und ihm wurde ein großes Schwert gegeben.<br />
6:3 Kaì “ote ‘jnoixen t`jn sfragïda t`jn<br />
deutéran,<br />
‘jkousa toü deutérou z´^wou légontoß, ‘ Ercou.<br />
6:4 kaì hex¨jlqen ‘alloß “ippoß purróß,<br />
kaì t¨^w kaqjmén^w heph ahutòn hedóqj ahut¨^w<br />
labeïn t`jn ehir´jnjn hek t¨jß g¨jß<br />
kaì “ina hall´jlouß sfáxousin,<br />
kaì hedóqj ahut¨^w mácaira megálj.<br />
• Einleitung: Öffnen des 2. Siegels, 2. Lebewesen, Befehl an Pferd & Reiter<br />
• Rote Farbe viell. im Zusammenhang mit Blut (schlachten; großes Schwert).<br />
• Wieder handelt es sich um einen Kriegsherren; in diesem Fall wird nicht (in<br />
blendendem weiß) der Sieg ins Zentrum gerückt, sondern (in feurigem rot) die blutige<br />
Kehrseite des Krieges: »schlachten« in Bezug auf Menschen nennt die Brutalität des<br />
Krieges beim Namen.<br />
• Mit dem großen Schwert wird ihm (wieder von Gott!) Macht über Leben und Tod<br />
gegeben. Vielleicht steht dies auch in Verbindung mit dem römischen Vorrecht, das<br />
Schwert als Symbol dieser Macht zu führen (das sog. ius gladii).<br />
• Ironie: der zweite Reiter stört die größte Errungenschaft des Augustus, die pax<br />
romana.<br />
129 In diese Richtung u.a. Lohse, Offb (NTD), 47; Bousset, Offb (KEK), 266; kritisch hingegen Kraft, Offb<br />
(HNT), 116. Über das Militärwesen der Parther schreibt Justin, Historia Philippicae (3. Jh. n.Chr.) XLI 3,5-7.10;<br />
3,4: »Sie kämpfen nur zu Pferdem und zwar stürmisch vorwärtsreitend und schleunigst sich wieder<br />
zurückziehend…« vgl. Text in Neuer Wettstein, II,2, 1506). Eine Erinnerung an die Parther bedeutet jedoch<br />
nicht, dass der erste Reiter mit den Parthern zu identifizieren sei. Ein solche naive »this-is-that«-Deutung tut<br />
m.E. der Joh<strong>Apk</strong> keinen Dienst.<br />
130 Bachmann, Reiter, 263f und Kerkeslager, Apollo schlachten dieses Detail übermäßig aus.<br />
131 Wahrscheinlich steht die weiße Farbe bereits im Zusammenhang mit dem Sieges-Gedanken (vgl. Vergil,<br />
Aen. 3,537-547).<br />
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Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 67<br />
5 Und als es das dritte Siegel öffnete,<br />
hörte ich das dritte Lebewesen sagen: Komm!<br />
Und ich sah: und siehe,<br />
ein schwarzes Pferd,<br />
und der darauf Sitzende hatte eine Waage in seiner<br />
Hand.<br />
6 Und ich hörte wie eine Stimme inmitten der vier<br />
Lebewesen sagen:<br />
Ein Maß Weizen für einen Denar<br />
und drei Maß Gerste für einen Denar!<br />
Und dem Öl und dem Wein füge kein Unrecht zu!<br />
6:5 Kaì “ote ‘jnoixen t`jn sfragïda t`jn trítjn,<br />
‘jkousa toü trítou z´^wou légontoß, ‘ Ercou.<br />
kaì e~idon, kaì hidoù<br />
“ippoß mélaß,<br />
kaì Ho kaq´jmenoß heph ahutòn ‘ecwn zugòn hen t¨∆<br />
ceirì ahutoü.<br />
6:6 kaì ‘jkousa Hwß fwn`jn hen més^w tẅn tessárwn<br />
z´^wwn légousan,<br />
Coïnix sítou<br />
djnaríou,<br />
kaì treïß coínikeß kriqẅn djnaríou≥<br />
kaì tò ‘elaion kaì tòn o~inon m`j hadik´js∆ß.<br />
• Stereotype Einleitung: Öffnen des 3. Siegels, Audition des 3. Lebewesens, Befehl an<br />
Reiter<br />
• Schwarz war in der Antike stark negativ konnotiert: Tod, Unterwelt, Hunger...<br />
• »Waagen« werden im AT häufig erwähnt, um den Betrug im Warenverkauf auf<br />
Kosten der Ärmsten anzuprangern 132 .<br />
• In 6,6 wird das Schema durchbrochen und eine weitere Audition berichtet. Die<br />
Stimme »inmitten der vier Lebewesen« kann nach den Angaben in Kap. 4 nur die<br />
Stimme Gottes sein.<br />
• Die Menge Weizen und Gerste wären in der Antike ausreichend, um den Tagesbedarf<br />
für eine Person (Weizen zur Herstellung von Brot) und ein Pferd abzudecken. Die<br />
Preisangaben sind in etwa um das achtfache höher als üblich. 133<br />
• Ähnliche wie in 7,3 werden jedoch dem Treiben der Gerichtsengel auch Einhalt<br />
geboten: Öl und Wein sollen nicht vernichtet werden. 134<br />
7 Und als es das vierte Siegel öffnete,<br />
hörte ich die Stimme des vierten Lebewesens sagen:<br />
Komm!<br />
8 Und ich sah: und siehe,<br />
ein grün-graues Pferd,<br />
und der darauf Sitzende,<br />
dessen Name »Tod«<br />
und der Hades folgte ihm.<br />
Und ihnen wurde Macht gegeben über den vierten Teil<br />
der Erde,<br />
zu töten mit dem Schwert und mit Hunger<br />
und mit [Pest-]Tod und durch die wilden<br />
Tiere der Erde.<br />
6:7 Kaì “ote ‘jnoixen t`jn sfragïda t`jn tetártjn,<br />
‘jkousa fwn`jn toü tetártou z´^wou légontoß,<br />
‘ Ercou.<br />
6:8 kaì e~idon, kaì hidoù<br />
“ippoß clwróß,<br />
kaì Ho kaq´jmenoß hepánw ahutoü<br />
‘onoma ahut¨^w [Ho] Qánatoß,<br />
kaì Ho “âdjß hjkoloúqei meth ahutoü≥<br />
kaì hedóqj ahutoïß hexousía hepì tò tétarton t¨jß<br />
g¨jß,<br />
hapokteïnai hen Hromfaíâ kaì hen lim¨^w<br />
kaì hen qanát^w kaì Hupò tẅn qjríwn<br />
t¨jß g¨jß.<br />
• Stereotyper Anfang...<br />
• Die Farbe grün bezeichnet zwar in der Natur das Gras und die Pflanzenwelt, aber in<br />
Bezug auf Lebewesen ist es eher ein Zeichen von Bläße, Krankheit und Tod.<br />
• Der Tod wird in der Joh<strong>Apk</strong> mehrere Male personifiziert: 1,18; 6,8; 20,13f. Das<br />
Totenreich (Hades) gehört dabei immer dazu.<br />
• Der Plural (»ihnen wurde gegeben«) kann sich zwar auf Tod und Hades beziehen, aber<br />
da es nicht um zwei getrennten Instanzen geht, bezieht diese letzte Aussage<br />
möglicherweise die ersten drei Reiter mit ein.<br />
• Schwert, Hunger und Pesttod bilden bereits im AT eine unheilvolle Trias. 135<br />
132 Spr 11,1; 16,11; 20,23; Jes 40,12; 46,6; Hos 12,7; Am 8,5; Mi 6,11.<br />
133 Vgl. im Einzelnen Aune, Rev (WBC), II, 397f und die Text im Neuen Wettstein II/2, 1508-1510.<br />
134 Besteht ein Zusammenhang mit einem Edikt Domitians, welches den Anbau von Weinreben in den<br />
Provinzen um die Hälfte reduzierte (Suetonius, Dom 7,2; 14,2; Philostratus, Vita Apoll 6,42; Vit. Soph. 1,21;<br />
Statius, Silvae 4,3,11f). Vgl. dazu Aune, Tev (WBC), II, 399f.<br />
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68 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
PsSal 13,2f: der Arm des Herrn rettete uns vor dem durchbohrenden Schwert, vor Hunger und vor dem Tod<br />
der Sünder. 3 Böse Wildtiere stürzten sich auf sie, mit ihren Zähnen zerrissen sie ihr Fleisch, und mit ihren<br />
Kiefern zermalmten sie ihre Knochen.<br />
2.4.1.2 Das fünfte und sechste Siegel (6,9-17)<br />
9 Und als es das fünfte Siegel öffnete,<br />
sah ich unter dem Altar die Seelen derer,<br />
die geschlachtet worden waren um des Wortes<br />
Gottes und um des Zeugnisses willen, das sie hatten.<br />
10 Und sie riefen mit lauter Stimme und sprachen:<br />
Bis wann, heiliger und wahrhaftiger Herrscher,<br />
richtest<br />
und rächst du nicht unser Blut an denen,<br />
die auf der Erde wohnen?<br />
11 Und es wurde ihnen einem jeden ein weißes<br />
Gewand gegeben;<br />
und es wurde ihnen gesagt,<br />
dass sie noch eine kurze Zeit abwarten sollten,<br />
bis auch ihre Mitknechte<br />
und ihre Brüder vollendet seien,<br />
die getötet werden sollten<br />
ebenso wie sie.<br />
6:9 Kaì “ote ‘jnoixen t`jn pémptjn sfragïda,<br />
e~idon Hupokátw toü qusiastjríou tàß yucàß<br />
tẅn hesfagménwn dià tòn lógon toü qeoü<br />
kaì dià t`jn marturían ”jn e~icon.<br />
6:10 kaì ‘ekraxan fwn¨∆ megál∆ légonteß,<br />
“ Ewß póte, Ho despótjß Ho “agioß kaì haljqinóß,<br />
ohu kríneiß<br />
kaì hekdikeïß tò aîma Hjmẅn<br />
hek tẅn katoikoúntwn hepì t¨jß g¨jß;<br />
6:11 kaì hedóqj ahutoïß Hekást^w stol`j leuk´j,<br />
kaì herréqj ahutoïß<br />
“ina hanapaúsontai ‘eti crónon mikrón,<br />
“ewß pljrwqẅsin kaì oHi súndouloi ahutẅn<br />
kaì oHi hadelfoì ahutẅn<br />
oHi méllonteß hapokténnesqai<br />
Hwß kaì ahutoí.<br />
• Aufbau: Umstand (9a), Vision: a) Objekt des Sehens (9b.c), b) Klage der Seelen (10),<br />
c) Antwort Gottes (11): Weißes Gewand & Verheißung<br />
• In der <strong>Apk</strong>Joh ist der Himmel ein Tempel (9b) 136 :<br />
7,15: Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel... 11,19: Und<br />
der Tempel Gottes im Himmel wurde geöffnet, und die Lade seines Bundes wurde in seinem Tempel<br />
gesehen… 14,15: Und ein anderer Engel kam aus dem Tempel hervor und rief dem, der auf der Wolke saß,<br />
mit lauter Stimme zu: Schicke deine Sichel und ernte!<br />
• Der Ruf nach Rache (6,10): Dass »unschuldiges Blut« zu Gott schreit, ist seit der<br />
Kain-und-Abel-Geschichte belegt (Gen 4,10) 137 . Dass Motiv kommt häufig in<br />
apokalyptischen Texten vor:<br />
äthHen 22,5-7: »5 Ich sah den Geist eines Menschenkindes, das verstorben war und seine Stimme drang bis<br />
zum Himmel und klagte. 6 Da fragte ich Rufael (= Rafael), den Engel, der bei mir war, und sprach zu ihm:<br />
›Wessen Geist ist das, dessen Stimme so heraufdringt und klagt?‹ 7 Und er antwortete und sprach zu mir,<br />
indem er sagte: ›Dieser Geist ist der, der von Abel ausging, den sein Bruder Kain tötete; und er (= Abels<br />
Geist) klagt gegen ihn, bis dass seine ganze Nachkommenschaft von der Erdoberfläche vertilgt sein wird<br />
und aus der Nachkommenschaft der Menschen seine Nachkommenschaft vernichtet sein wird.‹«<br />
äthHen 9,1.3.9f: »1 Da blickten Michael, Sure‘el (= Uriel), Rufael (= Rafael) und Gabriel vom Himmel<br />
herab, und sie sahen das viele Blut, das auf der Erde vergossen wurde, und all das Unrecht, das auf der<br />
Erde verübt wurde. 2 Und sie sprachen zueinander: ›Mit der Stimme ihres (= der Menschen) Geschreis<br />
schreit die leere (= entvölkerte) Erde bis zu der Pforte des Himmels. 3 Und jetzt klagen zu euch, den<br />
Heiligen des Himmels, die Seelen der Menschen, indem sie sprechen: Bringt für uns den Rechtsfall vor den<br />
Höchsten!‹ 4 Und sie sprachen zu ihrem Herrn, dem König: ›Herr der Herren, Gott der Götter, König der<br />
Könige! […] 6 Du hast gesehen, was Azaz’el getan hat, wie er alle Ungerechtigkeit auf Erden gelehrt und die<br />
ewigen Geheimnisse preisgegeben hat, die im Himmel bereitet werden; 7 (wie) Semyaza den Menschen<br />
135 Jer 14,12; 21,9; 24,10; 27,8.13; 29,17f; 32,24.36; 38,2; 42,17.22; 44,13; Hes 6,11; 12,16. Wilde Tiere<br />
treten noch in Hes 14,21 hinzu: »Denn so spricht Gott der HERR: Wenn ich meine vier schweren Strafen,<br />
Schwert, Hunger, wilde Tiere und Pest, über Jerusalem schicken werde, um darin auszurotten Menschen und<br />
Vieh...«<br />
136 Vgl. M. Barker, On Earth as it is in Heaven. Temple Symbolism in the New Testament, Edinburgh, 1995;<br />
A. Spatafora, From the Temple of God to God as the Temple: A Biblical and Theological Study of the Temple in<br />
the Book of Revelation (Tesi Gregoriana. Serie Teologia 27), Rom, 1997.<br />
137 Vgl. auch die Klagelied in Ps 6,3f; 13,2f; 79,5; 80,5 u.a.<br />
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Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 69<br />
Kenntnis gebracht hat, dem du Vollmacht gegeben hast, dass er herrsche über die, die zu ihm gehören. 8<br />
Und sie sind zu den Töchtern der Menschen auf Erden gegangen und haben mit ihnen, mit jenen Frauen,<br />
geschlafen und sich verunreinigt und mit ihnen alle Sünden offenbar gemacht. 9 Und die Frauen haben<br />
Riesen geboren, und dadurch wurde die ganze Erde mit Blut und Unrecht angefüllt. 10 Und nun siehe, die<br />
Seelen derer, die tot sind, schreien und klagen bis zu den Pforten des Himmels, und ihr Seufzen ist<br />
aufgestiegen und vermag nicht zu entkommen angesichts des Unrechts, das auf Erden geschieht. 11<br />
Und du weisst alles, bevor es geschieht, und du weisst dies und was sie betrifft, und du sprichst nicht zu uns.<br />
Und was sollen wir darum mit ihnen tun?«<br />
äthHen 47,1 Und in jenen Tagen wird das Gebet der Gerechten und das Blut der Gerechten von der Erde<br />
aufsteigen vor den Herrn der Geister. 2 In diesen Tagen werden die Heiligen, die oben in den Himmeln<br />
wohnen, gemeinsam mit einer Stimme Fürbitte halten, beten, preisen, danken und rühmen den Namen des<br />
Herrn der Geister wegen des Blutes der Gerechten, das vergossen worden ist und (wegen) des Gebetes der<br />
Gerechten - dass es nicht vergeblich sein möge - vor dem Herrn der Geister, dass für sie Gericht gehalten<br />
werde und ihre Geduld nicht ewig währen muss. 3 In jenen Tagen sah ich das Haupt der Tage, wie es sich<br />
auf den Thron seiner Herrlichkeit setzte und die Bücher der Lebenden vor ihm geöffnet wurden, und sein<br />
ganzes Heer, das oben in den Himmeln und rings um ihn ist (oder: und seine Ratsversammlung), vor ihm<br />
stand. 4 Die Herzen der Heiligen wurden voll von Freude, weil die Zahl der Gerechtigkeit erreicht und<br />
das Gebet der Gerechten erhört und das Blut der Gerechten vor dem Herrn der Geister<br />
zurückgefordert (= gesühnt) ist.<br />
äthHen 97,3-5: »2 Euch (Sündern) wird mitgeteilt, dass der Höchste an eure Vernichtung denkt und (dass)<br />
sich die Engel des Himmels über eure Vernichtung freuen. 3 Was wollt ihr, (die) ihr Sünder seid, tun, und<br />
wohin wollt ihr fliehen an jenem Tage des Gerichtes, wenn ihr die Stimme des Gebets der Gerechten<br />
hören werdet? 4 Und euch wird es wie denen gehen, gegen die dieses Wort zum Zeugnis sein wird: ›Ihr seid<br />
Gefährten der Sünder gewesen.‹ 5 Und in jenen Tagen wird das Gebet der Gerechten zu dem Herrn<br />
dringen, aber für euch werden die Tage eures Gerichtes kommen. 6 Und alle eure ungerechten Reden<br />
werden vor dem grossen Heiligen vorgelesen werden, und euer Angesicht wird mit Schande bedeckt werden,<br />
und jedes Werk, das auf Ungerechtigkeit gegründet ist, wird er verwerfen.« [Dieser Text macht den<br />
Zusammenhang zwischen Gebet der Gerechten und Gericht über die Ungerechten in <strong>Apk</strong>Joh 6,9-17<br />
deutlich!]<br />
äthHen 99,3-16: »1 Wehe euch, die Gottlosigkeiten begehen und Lügenworte preisen und verherrlichen; ihr<br />
werdet vertilgt werden und kein gutes Leben haben. 2 Wehe euch, die die Worte der Wahrheit verdrehen und<br />
das ewige Gesetz übertreten und sich selbst - auf Erden werden sie niedergetreten<br />
werden. 3 Macht euch in jenen Tagen bereit, ihr Gerechten, um eure Gebete ins Gedächtnis zu bringen, und<br />
legt sie als Zeugnis vor den Engeln nieder, damit sie die Sünde der Sünder vor dem Höchsten zum<br />
Gedächtnis niederlegen. […] 15 Wehe euch, die da Unrecht tun und die Gewalttat unterstützen und ihren<br />
Nächsten töten bis zum Tag des grossen Gerichts; 16 denn es wird eure Herrlichkeit zu Boden gestossen<br />
werden, und er wird Unglück in euer Herz bringen, und er wird seinen Zorn erregen, und sein Geist wird<br />
euch alle mit dem Schwert vertilgen; und alle Heiligen und Gerechten werden an eure Sünden denken.«<br />
äthHen 104,3: »1 Ich schwöre euch, dass die Engel im Himmel euer zum Guten gedenken werden vor der<br />
Herrlichkeit des Grossen; und eure Namen werden aufgeschrieben vor der Herrlichkeit des Grossen. 2 Hofft,<br />
denn zuerst (hattet) ihr Schmach durch Unglück und Not, aber jetzt werdet ihr leuchten wie das Licht des<br />
Himmels, ihr werdet leuchten und werdet scheinen, und das Tor des Himmels wird für euch geöffnet werden.<br />
3 Und mit eurem Geschrei schreit nach Gericht, und es wird erscheinen, denn von den Herrschern wird<br />
Rechenschaft gefordert (für) all eure Bedrängnis und von all jenen, die denen geholfen haben, die euch<br />
beraubten. 4 Hofft und gebt eure Hoffnung nicht auf, denn ihr werdet grosse Freude haben wie die Engel im<br />
Himmel. 5 Was werdet ihr (dann) tun müssen? Ihr müsst euch nicht verbergen an dem Tag des grossen<br />
Gerichtes, und ihr werdet nicht als Sünder erachtet werden; und das ewige Gericht wird für alle ewigen<br />
Generationen fern von euch sein. 6 Und nun fürchtet euch nicht, ihr Gerechten, wenn ihr die Sünder stark<br />
werden und (mit) ihrem Weg Glück haben seht, habt keine Gemeinschaft mit ihnen, sondern haltet euch von<br />
ihrer Gewalttat fern, denn ihr sollt Gemeinschaft mit den Guten des Himmels haben.<br />
4Esra 4,33-36: »33 Ich antwortete und sagte: Wie lange noch? Und wann wird das sein? Unsere Jahre sind<br />
ja so kurz und böse. 34 Er antwortete mir und sagte: Eile nicht mehr als der Höchste! Du hast nämlich nur<br />
Eile deinetwegen, der Höchste aber für viele. 35 Haben nicht schon die Seelen der Gerechten in ihren<br />
Kammern die Fragen gestellt, als sie sagten: Wie lange soll ich noch so warten? Wann kommt die<br />
Frucht auf der Tenne unseres Lohnes? 36 Darauf hat der Erzengel Jeremiel geantwortet und gesagt: Dann,<br />
wenn die Zahl derer voll ist, die euch ähnlich sind. Denn er hat die Welt auf der Waage gewogen, mit dem<br />
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70 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Mass die Zeiten gemessen, nach der Zahl die Epochen abgezählt. Er setzt nicht in Bewegung und weckt nicht<br />
auf, bis das festgesetzte Mass erfüllt ist.«<br />
4Esra 6,59: »59 Wenn aber die Welt unseretwegen geschaffen ist, warum besitzen wir unsere Welt nicht als<br />
Erbe? Wie lange soll das noch so sein?«<br />
4Esra 7,71-74: »Nun aber lern aus deinen eigenen Worten! Du hast doch gesagt, dass der Verstand mit uns<br />
aufwächst. 72 Gerade deshalb werden die, die auf der Erde weilen, gequält, weil sie Verstand hatten und<br />
dennoch Sünden begingen, die Gebote empfingen und sie nicht beachteten, das Gesetz erhielten und es, das<br />
sie doch erhalten hatten, brachen. 73 Was haben sie im Gericht vorzubringen, oder wie werden sie am<br />
Jüngsten Tag antworten? 74 Denn wie lange hat doch der Höchste Langmut an denen geübt, die die Welt<br />
bewohnen, allerdings nicht um ihretwillen, sondern wegen der Zeiten, die er vorherbestimmt hatte.«<br />
syrBar<strong>Apk</strong> 21,15-23: »15 Denn stets verwandelt sich die menschliche Natur. 16 Denn wie wir einmal waren,<br />
sind wir doch längst nicht mehr, und wie wir jetzt sind, werden wir einst doch nicht bleiben. 17 Denn wäre<br />
das Ende der Dinge nicht vorbereitet, so würde auch ihr Anfang nichtig sein. 18 Doch lass mich wissen alles,<br />
was von dir kommt, und über das, was ich dich bitte, gib mir deine Erleuchtung! 19 Wie lange noch wird<br />
das Vergängliche bestehen, wie lange ist die Zeit der Sterblichen voll Glück, wie lange werden die, die<br />
doch vergehn, in dieser Welt mit soviel Gottlosigkeit besudelt sein? 20 Befiehl darum in Gnade; mach alles<br />
wahr, was du gesagt, du wolltest es geschehen lassen, dass die erkennen deine Macht, die deine Langmut für<br />
Schwäche halten. 21 Und zeige es denen, die nicht wissen, doch gesehen haben, was uns und unsre Stadt<br />
betroffen hat bis jetzt, gemäss der Langmut deiner Macht; denn du hast uns genannt ‘Geliebtes Volk’ um<br />
deines Namens willen. 22 Darum ist alles nun im Sterben (denn) begriffen. 23 Schilt darum auch den<br />
Todesengel, lass deine Herrlichkeit erscheinen, erkennen (jetzt) die Grösse deiner Schönheit, und lass das<br />
Totenreich versiegelt sein, dass es von nun an keine Toten mehr empfange. Die Schatzkammern der<br />
Seelen sollen wiedergeben die, die noch darin verschlossen sind.«<br />
• V. 9: Die Märtyrer, »die offenkundig den Christen auf Erde ihre Stimme leihen«,<br />
bringen ein »wirkliches Problem vieler Christen« zur Sprache 138 .<br />
• Altar = Rauchopferaltar (8,3-5; 9,13; 14,18; 16,7). Am Fuß des Altars war im Tempel<br />
das Blut der Opfertiere, daher sind hier die Märtyrer lokalisiert.<br />
• Der Ausdruck »Seele« hat zwei Deutungsmöglichkeiten: a) Es geht um »Seelen ohne<br />
Körper«, weil sie noch auf die leibliche Auferstehung warten 139 ; b) oder: es geht<br />
semitisch um das Leben ohne einen Gegensatz zum Leib 140 . Solche anthropologischen<br />
Fragen überstrapazieren die Symbolsprache der Joh<strong>Apk</strong>.<br />
• Wer sind die »Märyter«?<br />
a) AT-Heilige, 141<br />
b) Christen und AT-Heilige, 142<br />
c) christliche Propheten, 143<br />
d) Christen allgemein 144 .<br />
• M.E. sprechen viele Argumente für den letzten Vorschlag (d):<br />
o Die Wendung »unser Blut« bezieht sich an anderen Stellen auch auf Christen<br />
(16,6; 17,6; 18,24; 19,2).<br />
o Die Christen sind ihre »Mitknechte und Brüder« (V. 11)<br />
138 Giesen, Offenbarung (RNT), 182. Roloff, Offenbarung (ZNT), 82 spricht von einer »Märtyrerkirche«.<br />
139 Müller, Offenbarung (ÖTB), 170; Roloff, Offb (ZNT), 83.<br />
140 Sand, EWNT 3:12<strong>03</strong>; Giesen, Offb (RNT), 183: »Der Seher stellt sich die ›Seelen‹ also nicht körperlos<br />
vor; sonst wären sie für ihn kaum sichtbar geworden«.<br />
141 Kraft, Offb (HNT), 119; Feuillet, Martyrs, 194-196.201 (weil der Text nicht vom »Zeugnis Jesu«<br />
spreche).<br />
142 Hadorn, Offb (1928) 8f; R. Stuhlmann, Das eschatologische Mass im Neuen Testament (FRLANT 132),<br />
Göttingen, 1983, 155f; Beasley-Murray, Revelation (NCB), 135: die Märtyrer aller Zeiten.<br />
143 Strathmann, ThWNT 4:506f.<br />
144 Giesen, Offb (RNT), 183; Lohmeyer, Offenbarung (HNT 16, 1926), 63; A. Satake, Die<br />
Gemeindeordnung in der Johannesapokalypse (WMANT 21), Neukirchen-Vluyn, 1966, 102; H.W. Günther, Der<br />
Nah- und Enderwartungshorizont in der Apokalypse des heiligen Johannes (FzB 41), Würzburg, 1980, 78f; J.W.<br />
Taeger, Johannesapokalypse und johanneischer Kreis (BZNW 51), Berlin, 1989, 145.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 71<br />
o Die Wendung »um des Wortes Gottes und des Zeugnisses willen« erscheint<br />
stereotyp in 1,2.9; 12,11.17; 19,10; 20,4 und bezieht sich auf das christliche<br />
Zeugnis. Obwohl Jesus hier nicht explizit erwähnt wird, ist es sehr<br />
wahrscheinlich, dass hier der gleiche Gebrauch vorliegt.<br />
o In diesem Falle ist nicht an Antipas (2,13) zu denken, sondern an die Märtyrer<br />
unter Nero 145 .<br />
• ”jn e~icon ist im Sinne ihrer Ausdauer zu deuten 146 .<br />
• V. 10: Die in der Joh<strong>Apk</strong> einmalige Anrede Gottes mit despótjß spielt vielleicht auf<br />
die Herrschertitulatur dominus und princeps in Bezug auf Domitian. 147<br />
• Wie lange? Vgl. Lk 18,7: »Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten,<br />
die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er’s bei ihnen lange hinziehen?« 148<br />
• V. 11: Die weißen Roben sind an dieser Stelle erstaunlich. Werden sie dadurch schon<br />
vorzeitig mit dem Siegespreis versehen?<br />
• Die Vollzahl der Märtyrer als Begründung der Naherwartung (vgl. Texte oben).<br />
• Der Ruf nach Rache gehört zu den theologisch problematischen Aspekten der Joh<strong>Apk</strong>.<br />
Die Einschätzungen variieren:<br />
Giesen, Offb (RNT), 183f: Der Ruf nach Rache erscheint nur »auf den ersten Blick […] befremdlich«, weil<br />
es der Botschaft Jesu oder dem Gebet des Stephanus (Apg 6,4) zu widersprechen »scheint«. »Man wird<br />
dieses Urteil jedoch revidieren müssen, wenn man auf die eigentliche Stoßrichtung der Klage achtet.« (184)<br />
Und weiterhin: »Persönliche Rachegefühle des Sehers sind völlig ausgeschlossen«.<br />
Ganz anders Bousset, Offb (KEK), 271: »Die starke Rachestimmung, welche dies Gebet atmet […],<br />
abzuschwächen, müht man sich vergebens.« 149<br />
• Was ist die Stoßrichtung? Wie das Klagelied setzt die Frage die andauernde Not des<br />
Volkes oder des Einzelnen voraus. In der jüd. Apokalyptik (s.o.) fordern die Getöteten<br />
Gerechtigkeit von Gott, weil es in der Welt keinen Zugang zu Gerechtigkeit gibt.<br />
• Zum Umgang mit dem Text macht Ritt (Rachephantasie, 128) folgende Aspekte<br />
geltend:<br />
a) AT-Kontext Klagelieder (Ps 13.2f; 79,5; 80,5; 85,6: »wie lange«)<br />
b) Johannes blickt »auf die ständig zunehmende Verfolgungsgeschichte der jungen<br />
Kirche«.<br />
c) »Es handelt sich keinesfalls um Rachegier der Verfolgten noch um eine Angst vor<br />
dem möglichen Märtyrertod; vielmehr kommt an dieser Stelle der Hunger nach<br />
Gerechtigkeit und nach dem Sieg der Wahrheit zum Ausdruck.«<br />
S. 129 wird kategorisch affirmiert: »Es ist ein gewaltiger Unterschied feststellbar zwischen dem primitiven<br />
Racheschrei und dem hoffnungsvollen Gotteslob: Die Apokalypse des Johannes fordert keinesfalls einen<br />
gewaltsamen Ausgleich zwischen widerstreitenden (und sich auf eine metaphysisch verstandene<br />
Gerechtigkeit berufenden) Machtpositionen; das würde man unter Rache verstehen. Im Gegenteil: Wenn die<br />
Heilsgemeinde aufblickt und zum Himmel ›schreit‹, dann stimmt sie trotz aller Bedrängnisse ein<br />
siegesgewisses Loblied an (Offb 4,8.11; 5,9f.12f; 7,10-12; 11,15-18; 12,10-12).«<br />
• Ist das nicht eine Beschönigung? Es ist m.E. nicht zu leugnen, dass der Wunsch nach<br />
Gerechtigkeit eben mit dem persönlichen Wunsch nach Rache zusammenfällt. Mit<br />
dem paulinischen Heilsverständnis der dikaiosynê theou hat dies nichts mehr viel zu<br />
tung!<br />
234.<br />
145 Wikenhauser, Offenbarung (RNT), 63; Müller, Offb (ÖTB), 172; Mounce, Revelation (NIC), 160.<br />
146 Charles, Revelation (ICC), I 174; Satake, Gemeindeordnung, 102f; Stuhlmann, Maß, 155.<br />
147 Dio Chrysost., Orat. 45,1.<br />
148 Vgl. Ps 6,3f; 13,1f; 35,17; 74,9f; 79,5; 80,4; 89,6; 1Makk 6,22; 4Esr 4,35.<br />
149 Vgl. auch Charles, Rev (ICC), I 175f; W. Sattler, Das Buch mit sieben Siegeln, ZNW 20 (1921) 231-240:<br />
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72 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
12 Und ich sah, als es das sechste Siegel öffnete:<br />
und es geschah ein großes Erdbeben;<br />
und die Sonne wurde schwarz<br />
wie haariges Sacktuch,<br />
und der ganze Mond wurde<br />
wie Blut,<br />
13 und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde,<br />
wie ein Feigenbaum seine Feigen abwirft,<br />
geschüttelt von einem starken Wind.<br />
14 Und der Himmel verschwand<br />
wie ein Buch, das zusammengerollt wird,<br />
und jeder Berg und jede Insel wurden von ihren Stellen<br />
gerückt.<br />
6:12 Kaì e~idon “ote ‘jnoixen t`jn sfragïda t`jn<br />
“ektjn,<br />
kaì seismòß mégaß hegéneto,<br />
kaì Ho “jlioß hegéneto mélaß<br />
Hwß sákkoß trícinoß,<br />
kaì Hj sel´jnj “olj hegéneto<br />
Hwß aîma,<br />
6:13 kaì oHi hastéreß toü ohuranoü ‘epesan ehiß t`jn<br />
g¨jn,<br />
Hwß suk¨j bállei toùß holúnqouß ahut¨jß<br />
Hupò hanémou megálou seioménj,<br />
6:14 kaì Ho ohuranòß hapecwrísqj<br />
Hwß biblíon Helissómenon,<br />
kaì pän ‘oroß kaì n¨jsoß hek tẅn tópwn ahutẅn<br />
hekin´jqjsan.<br />
• Das sechste Siegel eröffnet eine Reihe von Naturkatastrophen, die in ihrer Häufung als<br />
Naturzeichen größtes Unheil ankündigen.<br />
• Im Rahmen des römischen Prodigienwesens ist jedes ungewöhnliche Naturereignis<br />
zwingend als Hinweis auf politische Ereignisse zu deuten. 150 Es gab ganze Listen mit<br />
Aufzählungen solcher Prodigien, die vom Senat anerkannt und gewertet werden<br />
mussten.<br />
• 1. Erdbeben: Am himmlischen Altar »lagern« Donner, Stimmen, Blitze und Erdbeben,<br />
die als Strafgericht über die Erde kommen (8,5; 11,19). »Große Erdbeben« werden<br />
drei Mal in der Joh<strong>Apk</strong> erwähnt: 6,12; 11,13; 16,18.<br />
Jes 29,5 Aber die Menge deiner Feinde soll werden wie Staub und die Menge der Tyrannen wie wehende<br />
Spreu. Und plötzlich wird’s geschehen, 6 dass Heimsuchung kommt vom HERRN Zebaoth mit Wetter und<br />
Erdbeben und grossem Donner, mit Wirbelsturm und Ungewitter und mit Flammen eines verzehrenden<br />
Feuers (meta» bronthvß kai« seismouv kai« fwnhvß mega¿lhß kataigi«ß ferome÷nh kai« flo\x puro\ß<br />
katesqi÷ousa). Jer 10,22 Horch, es kommt eine Kunde daher und ein grosses Getöse (seismo\ß me÷gaß)<br />
aus dem Lande des Nordens, dass die Städte Judas verwüstet und zur Wohnung der Schakale werden sollen.<br />
Ez 3,11-13 Und geh hin zu den Weggeführten deines Volks und verkündige ihnen und sprich zu ihnen: »So<br />
spricht Gott der HERR!«, sie hören oder lassen es. 12 Und der Geist hob mich empor, und ich hörte hinter<br />
mir ein Getöse wie von einem grossen Erdbeben (fwnh\n seismouv mega¿lou), als die Herrlichkeit des<br />
HERRN sich erhob von ihrem Ort. 13 Und es war ein Rauschen von den Flügeln der Gestalten, die<br />
aneinander schlugen, und auch ein Rasseln der Räder neben ihnen wie das Getöse eines grossen Erdbebens<br />
(kai« fwnh\ touv seismouv).<br />
Wichtig ist der Völkerspruch Ezechiels gegen Gog (Ez 38,18-23):<br />
18 Und es wird geschehen zu der Zeit, wenn Gog kommen wird über das Land Israels, spricht Gott der<br />
HERR, wird mein Zorn (oJ qumo/ß mou) in mir aufsteigen. 19 Und ich sage in meinem Eifer und im Feuer<br />
meines Zorns (eṅ puri« thvß ojrghvß mou): Wahrlich, zu der Zeit wird ein grosses Erdbeben (seismo\ß<br />
me÷gaß) sein im Lande Israels, 20 dass vor meinem Angesicht (aÓpo\ prosw¿pou kuri÷ou) erbeben sollen die<br />
Fische im Meer, die Vögel unter dem Himmel, die Tiere auf dem Felde und alles, was sich regt und bewegt<br />
auf dem Lande, und alle Menschen, die auf der Erde sind. Und die Berge (ta» o¡rh) sollen niedergerissen<br />
werden und die Felswände und alle Mauern zu Boden fallen. 21 Und ich will über ihn das Schwert<br />
herbeirufen auf allen meinen Bergen, spricht Gott der HERR, dass jeder sein Schwert gegen den andern<br />
erhebt. 22 Und ich will ihn richten mit Pest und Blutvergiessen und will Platzregen mit Hagel, Feuer und<br />
Schwefel über ihn und sein Heer und über die vielen Völker kommen lassen, die mit ihm sind. 23 So will ich<br />
mich herrlich und heilig erweisen und mich zu erkennen geben vor vielen Heiden, dass sie erfahren, dass ich<br />
der HERR bin.<br />
150 Zum antiken Prodigienwesen vgl. den Exkurs in Aune, Rev (WBC), II 416-419.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 73<br />
• 2. Sonnenfinsternisse (Vergleich: haariges Sacktuch) 151 ; 3. Mondfinsternis (Vergleich:<br />
Blut): Beide Phänomene gehörten zu den herausragenden Prodigien in der römischen<br />
Politik; sie waren Vorzeichen von üblen Ereignissen.<br />
Joel 3,4 Die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe denn der grosse und<br />
schreckliche Tag des HERRN kommt.<br />
• 4. Sternenhagel (Vergleich: Feigenbaum im Wind): Der Fall der Sterne ist häufig auch<br />
ein Bild für den Fall des Satans oder der Engel.<br />
Is 34,4 Und alles Heer des Himmels wird dahinschwinden, und der Himmel wird zusammengerollt werden<br />
wie eine Buchrolle, und all sein Heer wird hinwelken, wie ein Blatt verwelkt am Weinstock und wie ein<br />
dürres Blatt am Feigenbaum.<br />
• 5. Auflösung des Himmels (Vergleich: Buchrolle)<br />
• 6. Dislozierung von Bergen und Inseln<br />
15 Und die Könige der Erde und die Großen<br />
und die Obersten und die Reichen und die Mächtigen<br />
und jeder Sklave und Freie<br />
verbargen sich in die Höhlen<br />
und in die Felsen der Berge;<br />
16 und sie sagen zu den Bergen und zu den Felsen:<br />
Fallt auf uns<br />
und verbergt uns vor dem Angesicht dessen,<br />
der auf dem Thron sitzt,<br />
und vor dem Zorn des Lammes!<br />
17 Denn gekommen ist der große Tag ihres Zorns.<br />
Und wer vermag zu bestehen?<br />
6:15 kaì oHi basileïß t¨jß g¨jß kaì oHi megistäneß<br />
kaì oHi cilíarcoi kaì oHi ploúsioi kaì oHi hiscuroì<br />
kaì päß doüloß kaì heleúqeroß<br />
‘ekruyan Heautoùß ehiß tà sp´jlaia<br />
kaì ehiß tàß pétraß tẅn horéwn≥<br />
6:16 kaì légousin toïß ‘oresin kaì taïß pétraiß,<br />
Pésete hefh Hjmäß<br />
kaì krúyate Hjmäß hapò prosẃpou<br />
toü kaqjménou hepì toü qrónou<br />
kaì hapò t¨jß horg¨jß toü harníou,<br />
6:17 “oti ~jlqen Hj Hjméra Hj megálj t¨jß horg¨jß<br />
ahutẅn, kaì tíß dúnatai staq¨jnai;<br />
• Jetzt erst geraten die Menschen ins Blickfeld; etwas umständlich formuliert: alle<br />
Menschen, alle Stände (vgl. 19,18).<br />
• Motiv: Flucht in die Höhlen und Felsen<br />
Jes 2,19 Da wird man in die Höhlen der Felsen gehen und in die Klüfte der Erde vor dem Schrecken des<br />
HERRN und vor seiner herrlichen Majestät, wenn er sich aufmachen wird, zu schrecken die Erde. 20 An<br />
jenem Tage wird jedermann wegwerfen seine silbernen und goldenen Götzen, die er sich hatte machen<br />
lassen, um sie anzubeten, zu den Maulwürfen und Fledermäusen, 21 damit er sich verkriechen kann in die<br />
Felsspalten und Steinklüfte vor dem Schrecken des HERRN und vor seiner herrlichen Majestät, wenn er sich<br />
aufmachen wird, zu schrecken die Erde.<br />
• Todeswunsch: Fallt auf uns! Flucht vor dem Gericht 152<br />
• Das fünfte und das sechste Siegel sind inhaltlich durch zwei ergänzende Perspektiven<br />
verbunden: dort die Märtyrer mit ihrem Wunsch nach göttlicher Rache, hier die<br />
Menschen mit ihrer Angst vor Zorn. Beide Haltungen stehen für den Apokalyptiker in<br />
Bezug zueinander. Die Angst der Menschen entspricht dem Wunsch nach Rache.<br />
• Der auf dem Thron Sitzende und das Lamm sind im Zorn miteinander verbunden (vgl.<br />
Plural autôn in V. 17). 6,16f weist deutlich auf Kap. 5 zurück.<br />
• Motiv: »der große Tag des Zorns« (vgl. 16,14)<br />
151 Vgl. Mk 13,24f; SibOr 5,346-351; PsPhilo LAB 19,13; TestMos 10,5f; Laktanz, Epitome 71.<br />
152 Hos. 10:8 Die Höhen zu Awen sind verwüstet, auf denen sich Israel versündigte; Disteln und Dornen<br />
wachsen auf ihren Altären. Und sie werden sagen: Ihr Berge, bedecket uns! und: Ihr Hügel, fallet über uns! (toi√ß<br />
o¡resin kalu/yate hJma◊ß kai« toi√ß bounoi√ß pe÷sate eḟΔ∆ hJma◊ß)<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
74 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
2.4.2 Die Versiegelung der 144'000 und die Unzähligen (7,1-17)<br />
Bauckham, R. The List of the Tribes in Revelation 7 Again, JSNT 42 (1991) 99-115 = The Jewish World<br />
around the New Testament. Collected essays I (WUNT 233), Tübingen, 2008. – Bergmeier, R.<br />
›Jerusalem, du hochgebaute Stadt‹, ZNW 75 (1984) 86-106 = Das Gesetz im Römerbrief und andere<br />
Studien zum Neuen Testament (WUNT 121), Tübingen, 2000, 262-282. – Dalrymple, Rob. These are the<br />
ones ... (Rev 7), Bib 86 (2005) 398-406. – Draper, J.A. The Heavenly Feast of Tabernacles: Revelation<br />
7,1-17, JSNT 19 (1983) 133-147. – Feuillet, A. Les 144.000 Israélites marqués d'un sceau, NT 9 (1967)<br />
191-224. – Geyser, A. The Twelve Tribes in Revelation: Judean and Judeo-Christian Apocalypticism,<br />
NTS 28 (1982) 388-399. – Goranson, S. The Exclusion of Ephraim in Rev. 7:4-8 and Essene Polemic<br />
Against Pharisees, Dead Sea Discoveries 2 (1995) 80-85. – Grappe, Christian. L'immolation terrestre<br />
comme gage de la communion céleste (Apocalypse 6,9; 7,14-15; 20,6), RHPR 79 (1999) 71-82. –<br />
Hirschberg, P. Das eschatologische Israel. Untersuchungen zum Gottesvolkverständnis der<br />
Johannesoffenbarung (WMANT 84), Neukirchen-Vluyn, 1999. – Huber, Konrad. Volk Gottes als<br />
Tempel in der Offenbarung des Johannes, in: Volk Gottes als Tempel, ed. Andreas Vonach / Reinhard<br />
Meßner, Münster, 2008, 195-231. – Lambrecht, J. The opening of the seals (Rev 6,1-8,6), Bib 79 (1998)<br />
198-220 = Collected studies on Pauline literature and on the book of Revelation (AnBib 147), Rom, 2001,<br />
357-377. – Perry, P.S. The rhetoric of digressions. Revelation 7:1-17 and 10:1-11:13 and ancient<br />
communication (WUNT 2:268), Tübingen, 2009. – Smith, C.R. The Portrayal of the Church as the New<br />
Israel in the Names and Order of the Tribes in Revelation 7.5-8, JSNT 39 (1990) 111-118. – Ulfgard, H.<br />
Feast and future. Revelation 7:9-17 and the Feast of tabernacles (CB.NTS 22), Stockholm, 1989.<br />
• Die Vision der 144'000 besteht aus zwei Teilen (je mit metà toüto in 7,1 und metà<br />
taüta in 7,9 eingeleitet)<br />
1 Nach diesem sah ich vier Engel<br />
auf den vier Ecken der Erde stehen;<br />
die hielten die vier Winde der Erde fest,<br />
damit kein Wind wehe auf der Erde,<br />
noch auf dem Meer,<br />
noch über irgendeinen Baum.<br />
2 Und ich sah einen anderen Engel<br />
von Sonnenaufgang heraufsteigen,<br />
der das Siegel des lebendigen Gottes hatte;<br />
und er rief mit lauter Stimme den vier Engeln zu,<br />
denen gegeben worden war,<br />
der Erde<br />
und dem Meer Schaden zuzufügen,<br />
3 und sagte:<br />
Schadet nicht der Erde, noch dem Meer,<br />
noch den Bäumen,<br />
bis wir die Knechte unseres Gottes an ihren Stirnen<br />
versiegelt haben.<br />
1 Metà toüto e~idon téssaraß haggélouß<br />
Hestẅtaß hepì tàß téssaraß gwníaß t¨jß g¨jß,<br />
kratoüntaß toùß téssaraß hanémouß t¨jß g¨jß,<br />
“ina m`j pné∆ ‘anemoß hepì t¨jß g¨jß<br />
m´jte hepì t¨jß qalássjß<br />
m´jte hepì pän déndron.<br />
2 kaì e~idon ‘allon ‘aggelon<br />
hanabaínonta hapò hanatol¨jß Hjlíou,<br />
‘econta sfragïda qeoü zẅntoß,<br />
kaì ‘ekraxen fwn¨∆ megál∆ toïß téssarsin<br />
haggéloiß<br />
oîß hedóqj ahutoïß<br />
hadik¨jsai t`jn g¨jn<br />
kaì t`jn qálassan,<br />
3 légwn,<br />
M`j hadik´jsjte t`jn g¨jn m´jte t`jn qálassan<br />
m´jte tà déndra<br />
‘acri sfragíswmen toùß doúlouß toü qeoü<br />
Hjmẅn hepì tẅn metẃpwn ahutẅn.<br />
• Bedenkt man den Zusammenhang zwischen den vier Pferden und den vier<br />
Windrichtungen, ist es gut möglich, dass hier vier Engel eben diese vier Reiter<br />
zurückhalten.<br />
• Da in V. 2 diese Engel Macht haben, der Erde und dem Meer Schaden zuzufügen,<br />
liegt eine Identifikation mit den vier Reitern nahe. Diese werden jetzt aber noch<br />
zurückgehalten. Es stehen aus dem 5. und 6. Siegel noch zwei Fragen im Raum: Wie<br />
schützt Gott die Seinen? Wie kann man dem Zorn entgehen. Beide Fragen werden hier<br />
aufgenommen.<br />
• Motiv: Versiegelung von Menschen. Normalerweise wären in der Antike körperliche<br />
Zeichen (»Tattoos«) meist als Zeichen von Knechtschaft gedeutet worden. 153<br />
Körperzeichen waren aber auch in religiösen Kontexten belegt (als Zeichen der<br />
Übergabe an die Gottheit).<br />
153 Vgl. dem Exkurs von Aune, Rev (WBC), II, 456-459.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 75<br />
• Während die Buchrolle entsiegelt wird, werden die Glaubenden versiegelt. Der<br />
Wortlaut des Siegels wird in 14,1 gelüftet:<br />
Und ich sah, und siehe, das Lamm stand auf dem Berg Zion und mit ihm Hundertvierundvierzigtausend, die<br />
hatten seinen Namen und den Namen seines Vaters geschrieben auf ihrer Stirn.<br />
• Dass Gott (wie jeder Herrscher) einen Siegelring hat, ist bereits im AT belegt (Hiob<br />
9,7; Jer 22,24; Hag 2,23; Sir 17,22).<br />
• Zur Identifikation der 144'000 (s.a. 14,1.3) sind ganz unterschiedliche Vorschläge<br />
gemacht worden: a) Juden, b) Judenchristen, c) Christen, allgemein, d) christliche<br />
Märtyrer, e) eine ausgesuchte Gruppe von Christen.<br />
• Der Hinweis auf die Stämme Israels in 4ff legt eine Deutung in Richtung a) oder b)<br />
nahe.<br />
4 Und ich hörte die Zahl der Versiegelten:<br />
Hundertvierundvierzigtausend Versiegelte,<br />
aus jedem Stamm der Söhne Israels.<br />
5 Aus dem Stamm Juda zwölftausend Versiegelte,<br />
aus dem Stamm Ruben zwölftausend,<br />
aus dem Stamm Gad zwölftausend,<br />
6 aus dem Stamm Asser zwölftausend,<br />
aus dem Stamm Naftali zwölftausend,<br />
aus dem Stamm Manasse zwölftausend,<br />
7 aus dem Stamm Simeon zwölftausend,<br />
aus dem Stamm Levi zwölftausend,<br />
aus dem Stamm Issaschar zwölftausend,<br />
8 aus dem Stamm Sebulon zwölftausend,<br />
aus dem Stamm Joseph zwölftausend,<br />
aus dem Stamm Benjamin zwölftausend Versiegelte.<br />
4 kaì ‘jkousa tòn hariqmòn tẅn hesfragisménwn,<br />
Hekatòn tesserákonta téssareß ciliádeß,<br />
hesfragisménoi hek pásjß ful¨jß uHiẅn h Isra´jl≥<br />
5 hek ful¨jß h Ioúda dẃdeka ciliádeß<br />
hesfragisménoi,<br />
hek ful¨jß H Roub`jn dẃdeka ciliádeß,<br />
hek ful¨jß Gàd dẃdeka ciliádeß,<br />
7:6 hek ful¨jß h As`jr dẃdeka ciliádeß,<br />
hek ful¨jß Nefqalìm dẃdeka ciliádeß,<br />
hek ful¨jß Manass¨j dẃdeka ciliádeß,<br />
7:7 hek ful¨jß Sumeẁn dẃdeka ciliádeß,<br />
hek ful¨jß Leuì dẃdeka ciliádeß,<br />
hek ful¨jß h Issacàr dẃdeka ciliádeß,<br />
7:8 hek ful¨jß Zaboulẁn dẃdeka ciliádeß,<br />
hek ful¨jß h Iws`jf dẃdeka ciliádeß,<br />
hek ful¨jß Beniamìn dẃdeka ciliádeß<br />
hesfragisménoi.<br />
• 144'000 = 12x12x1000 (Israel / Kirche). Die Aufzählung erinert an militärische<br />
Zensus-Listen.<br />
• Bei der Aufzählung der Zwölf Stämme ist Dan durch Manasse ersetzt worden. Hat<br />
dies mit Gen 49,17 zu tun? 154<br />
9 Nach diesem sah ich: und siehe,<br />
eine große Volksmenge,<br />
die niemand zählen konnte,<br />
aus jeder Nation und aus Stämmen<br />
und Völkern und Sprachen,<br />
stand vor dem Thron und vor dem Lamm,<br />
bekleidet mit weißen Gewändern<br />
und Palmen in ihren Händen.<br />
10 Und sie rufen mit lauter Stimme und sagen:<br />
Das Heil unserem Gott,<br />
der auf dem Thron sitzt,<br />
und dem Lamm!<br />
7:9 Metà taüta e~idon, kaì hidoù<br />
‘ocloß polúß,<br />
”on hariqm¨jsai ahutòn ohudeìß hedúnato,<br />
hek pantòß ‘eqnouß kaì fulẅn<br />
kaì laẅn kaì glwssẅn,<br />
Hestẅteß henẃpion toü qrónou kaì henẃpion toü<br />
harníou,<br />
peribebljménouß stolàß leukáß,<br />
kaì foínikeß hen taïß cersìn ahutẅn≥<br />
7:10 kaì krázousin fwn¨∆ megál∆ légonteß,<br />
H J swtjría t¨^w qe¨^w Hjmẅn<br />
t¨^w kaqjmén^w hepì t¨^w qrón^w<br />
kaì t¨^w harní^w.<br />
• Die unzählbare Menge kann nicht mit den 144'000 identisch sein. Dass hier ihre nichtjüdische<br />
Herkunft betont wird, lässt Rückschlüsse auf die Identität der 144'000 zu.<br />
154 17 Dan wird eine Schlange werden auf dem Wege und eine Otter auf dem Steige und das Pferd in die<br />
Fersen beissen, dass sein Reiter zurückfalle.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
76 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• »Unzählbar« erinnert an die Abrahamsverheißung (Gen 13,16; 15,5; 16,10; s.a. 17.4-<br />
6: Segen für alle Nationen)<br />
• Weiße Gewänder und Palmen: Insignien des Sieges (Anspielung an das<br />
Laubhüttenfest?)<br />
• V. 10: Lob durch Menschen<br />
11 Und alle Engel standen rings um den Thron und die<br />
Ältesten<br />
und die vier lebendigen Wesen,<br />
und sie fielen vor dem Thron auf ihre Angesichter<br />
und beteten Gott an 12 und sagten:<br />
Amen!<br />
Den Lobpreis und die Herrlichkeit<br />
und die Weisheit und die Danksagung<br />
und die Ehre und die Macht<br />
und die Stärke unserem Gott<br />
in alle Ewigkeit!<br />
Amen.<br />
7:11 kaì pánteß oHi ‘aggeloi eHist´jkeisan kúkl^w<br />
toü qrónou<br />
kaì tẅn presbutérwn kaì tẅn tessárwn z´^wwn,<br />
kaì ‘epesan henẃpion toü qrónou hepì tà próswpa<br />
ahutẅn kaì prosekúnjsan t¨^w qe¨^w, 7:12 légonteß,<br />
h Am´jn≥<br />
Hj ehulogía kaì Hj dóxa<br />
kaì Hj sofía kaì Hj ehucaristía<br />
kaì Hj tim`j kaì Hj dúnamiß<br />
kaì Hj hiscùß t¨^w qe¨^w Hjmẅn<br />
ehiß toùß ahiẅnaß tẅn ahiẃnwn≥<br />
ham´jn.<br />
• V. 11: Lob der Engel (Synchronisierung)<br />
13 Und einer von den Ältesten antwortete<br />
und sprach zu mir:<br />
Diese, die mit weißen Gewändern bekleidet sind,<br />
wer sind sie,<br />
und woher sind sie gekommen?<br />
14 Und ich sprach zu ihm:<br />
Mein Herr, du weißt es.<br />
Und er sprach zu mir:<br />
Diese sind es, die aus der großen Drangsal kommen,<br />
und sie haben ihre Gewänder gewaschen<br />
und sie weiß gemacht im Blut des Lammes.<br />
7:13 Kaì hapekríqj eîß hek tẅn presbutérwn<br />
légwn moi,<br />
Oûtoi oHi peribebljménoi tàß stolàß tàß leukàß<br />
tíneß ehisìn<br />
kaì póqen ~jlqon;<br />
7:14 kaì e‘irjka ahut¨^w,<br />
Kúrié mou, sù o~idaß.<br />
kaì e~ipén moi,<br />
Oûtoí ehisin oHi hercómenoi hek t¨jß qlíyewß t¨jß<br />
megáljß,<br />
kaì ‘eplunan tàß stolàß ahutẅn<br />
kaì heleúkanan ahutàß hen t¨^w a“imati toü harníou.<br />
• In einem Gespräch wird die Identität der Unzähligen gelüftet: Das sind jene, die die<br />
»große Drangsal« überstanden haben.<br />
15 Darum sind sie vor dem Thron Gottes<br />
und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel;<br />
und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen.<br />
16 Sie werden nicht mehr hungern,<br />
auch werden sie nicht mehr dürsten,<br />
noch wird die Sonne auf sie fallen<br />
noch irgendeine Glut;<br />
17 denn das Lamm, das in der Mitte des Thrones ist,<br />
wird sie hüten<br />
und sie leiten zu Wasserquellen des Lebens,<br />
und Gott wird jede Träne von ihren Augen abwischen.<br />
7:15 dià toütó ehisin henẃpion toü qrónou toü<br />
qeoü,<br />
kaì latreúousin ahut¨^w Hjméraß kaì nuktòß hen t¨^w<br />
na¨^w ahutoü,<br />
kaì Ho kaq´jmenoß hepì toü qrónou skjnẃsei heph<br />
ahutoúß.<br />
7:16 ohu peinásousin ‘eti<br />
ohudè diy´jsousin ‘eti,<br />
ohudè m`j pés∆ heph ahutoùß Ho “jlioß<br />
ohudè pän kaüma,<br />
7:17 “oti tò harníon tò hanà méson toü qrónou<br />
poimaneï ahutoúß,<br />
kaì Hodjg´jsei ahutoùß hepì zw¨jß pjgàß Hudátwn≥<br />
kaì hexaleíyei Ho qeòß pän dákruon hek tẅn<br />
hofqalmẅn ahutẅn.<br />
• Der Stil erinnert stark an die Überwindersprüche am Ende jedes Sendschreibens.<br />
22,14 Selig sind, die ihre Kleider waschen, dass sie teilhaben an dem Baum des Lebens und zu den Toren<br />
hineingehen in die Stadt.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 77<br />
Jes 49,10 Sie werden weder hungern noch dürsten, sie wird weder Hitze noch Sonne stechen; denn ihr<br />
Erbarmer wird sie führen und sie an die Wasserquellen leiten.<br />
2.5 Das siebte Siegel (8,1)<br />
und die ersten sechs Posaunen (8,2-9,21)<br />
Lit.:<br />
Frenschkowski, M. Parthica apocalyptica. Mythologie und Militärwesen iranischer Völker in ihrer<br />
Rezeption durch die Offenbarung des Johannes, JbAC 47 (2004) 16-57. – Giesen, H. Lasterkataloge und<br />
Kaiserkult in der Offenbarung des Johannes, in: Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung<br />
(FS Otto Böcher), hg. Friedrich Wilhelm Horn et al., Neukirchen-Vluyn, 2005, 210-231. – Gordon, R.P.<br />
Loricate locusts in the Targum to Nahum III 17 and Revelation IX 9, VT 33 (1983) 338-339. – Martin,<br />
F. ›Quand le septième ange sonnera de la trompette ...‹. Apc 8,1-11,19, in: Le judaïsme à l'aube de l'ère<br />
chrétienne. XVIIe congrès de l'ACFEB (Lyon, septembre 1999), ed. Philippe Abadie / Jean-Pierre<br />
Lémonon (Lectio divina 186), Paris, 2001, 247-268. – Michl, J. ›Sie hatten Haare wie Weiberhaare‹ (<strong>Apk</strong><br />
9,8), BZ 23 (1935) 266-288. – Müller, H.-P. Die Plagen der Apokalypse. Eine formgeschichtliche<br />
Untersuchung, ZNW 51 (1960) 268-278. – Mussies, G. DYO in Apocalypse IX 12 and 16, NT 9 (1967)<br />
151-154. – Richard, P. Die Plagen in der Bibel, Concilium 33/5 (1997) 624-632. – Tilborg, Sjef van.<br />
The danger at midday: Death threats in the Apocalypse, Biblica 85 (2004) 1-23. – Tóth, F. Der<br />
himmlische Kult. Wirklichkeitskonstruktion und Sinnbildung in der Johannesoffenbarung (Arbeiten zur<br />
Bibel und ihrer Geschichte 22), Leipzig, 2006. – Villiers, P.G.R. de. The eschatological celebration of<br />
salvation and the prophetic announcement of judgment: The message of Revelation 8:1-6 in the light of<br />
its composition, Neotestamentica 41/1 (2007) 67-96. – Wick, P. There was silence in heaven (Revelation<br />
8:1): An annotation to Israel Knohl's ›Between voice and silence‹, JBL 117/3 (1998) 512-514. – Wilcox,<br />
M. ›Silence in Heaven‹ (Rev 8:1) and Early Jewish Thought, in: The Teacher of Righteousness. Literary<br />
Studies, ed. Z.J. Kapera, Kraków, 1991, 241-244. – Wold, B.G. Revelation's plague septets: New exodus<br />
and exile, in: Echoes from the caves: Qumran and the New Testament, ed. Florentino García Martínez<br />
(STDJ 85), Leiden, 2009, 279-297.<br />
2.5.1 Das siebte Siegel (8,1)<br />
Und als es das siebente Siegel öffnete,<br />
entstand ein Schweigen im Himmel,<br />
etwa eine halbe Stunde.<br />
Kaì “otan ‘jnoixen t`jn sfragïda t`jn Hebdómjn,<br />
hegéneto sig`j hen t¨^w ohuran¨^w<br />
Hwß Hjmiẃrion.<br />
• Die Öffnung des letzten Siegels wird mit Spannung erwartet. Das Buch (bzw. die<br />
Buchrolle) kann danach endlich »gelesen« werden.<br />
• Die Stille steigert die Spannung ungemein. Doch darauf folgt keine symbolische<br />
Strafankündigung. Es folgt keine Klimax!<br />
• Man könnte die sieben Posaunen als den Inhalt des siebten Siegels verstehen.<br />
Allerdings wird durch das Zwischenstück im Himmel (8,2-6) eine deutliche Zäsur<br />
markiert.<br />
• Eine halbe Stunde Stille: a) eine kurze Zeit; b) Anspielung auf das »Schweigen der<br />
Urzeit« als Eintritt in die Endzeit 155 ; c) Motiv des Kommens Gottes (Stille vor der<br />
Ankunft des Herrschers); d) Liturgische Stille im Zusammenhang mit dem<br />
Rauchopfer in 8,2-6; e) Kontrast zum kommenden Posaunenschall.<br />
60,2.<br />
155 4Esr 7,30f: »Dann wird sich die Welt zum Schweigen der Urzeit wandeln…« syrBar 3,7; PsPhilo LAB<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
78 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
2.5.2 Vorspiel im Himmel (8,2-6)<br />
8/2 Und ich sah die sieben Engel,<br />
die vor Gott stehen;<br />
und es wurden ihnen sieben Posaunen gegeben.<br />
8:2 kaì e~idon toùß Heptà haggélouß<br />
o”i henẃpion toü qeoü Hest´jkasin,<br />
kaì hedóqjsan ahutoïß Heptà sálpiggeß.<br />
• Vor jeder Siebener-Reihe (Siegel, Posaunen, Schalen) gibt es einen Vorspiel im<br />
Himmel: Kap. 4f; 8,2-6; Kap. 15.<br />
• Das Szenario von Kap. 4 wird weiterhin vorausgesetzt (daran erinnert 8,2). Der Seher<br />
schaut weiterhin vom Himmel aus. 156<br />
• Die sieben Engel: Der bestimmte Artikel deutet auf eine bekannte Größe hin;<br />
wahrscheinlich die sieben Erzengel (Tob 12,15: »Denn ich bin Rafael, einer von den<br />
sieben Engeln, die vor den Herrn stehen«; äthHen 20) 157 .<br />
• Posaune (salpigx) = nicht eine Posaune oder Trompete im modernen Sinne, sondern<br />
eher ein Signal-Horn (das gekrümmte Widderhorn, die sog, schofar) oder ein anderes<br />
Blasinstrument, welches im Militär als Signal zum Kampf oder als Warnung vor<br />
Gefahr gebraucht wurde. Übertragen gebraucht für den Gerichtstag des Herrn (Joel<br />
2,1; Zeph 1,16; 4Esra 6,23).<br />
• Militarisierung der Endzeitsprache...<br />
• Engel und Posaunen sind im frühen Christentum Zeichen der Parusie Jesu und der<br />
Totenauferstehung (1Thess 4,16; 1Kor 15,52; s.a. Mt 24,31; Did 16,6).<br />
• Posaunen in Serie: Zerstörung Jerichos (Josh 6), Qumran Kriegsrolle (1QM 7,14)<br />
8/3 Und ein anderer Engel kam<br />
und stellte sich an den Altar,<br />
und er hatte eine goldene Räucherpfanne;<br />
und es wurde ihm viel Räucherwerk gegeben,<br />
damit er es mit den Gebeten aller Heiligen auf den<br />
goldenen Altar bringe,<br />
der vor dem Thron ist.<br />
8/4 Und der Rauch des Räucherwerks stieg<br />
mit den Gebeten der Heiligen auf<br />
aus der Hand des Engels vor Gott.<br />
8/5 Und der Engel nahm die Räucherpfanne<br />
und füllte sie mit dem Feuer vom Altar<br />
und warf es auf die Erde;<br />
und es geschahen Donner und Getöse<br />
und Blitze und ein Erdbeben.<br />
8:3 Kaì ‘alloß ‘aggeloß ~jlqen<br />
kaì hestáqj hepì toü qusiastjríou<br />
‘ecwn libanwtòn crusoün,<br />
kaì hedóqj ahut¨^w qumiámata pollà<br />
“ina dẃsei taïß proseucaïß tẅn Hagíwn<br />
pántwn hepì tò qusiast´jrion tò crusoün<br />
tò henẃpion toü qrónou.<br />
8:4 kaì hanébj Ho kapnòß tẅn qumiamátwn<br />
taïß proseucaïß tẅn Hagíwn<br />
hek ceiròß toü haggélou henẃpion toü qeoü.<br />
8:5 kaì e‘iljfen Ho ‘aggeloß tòn libanwtón,<br />
kaì hegémisen ahutòn hek toü puròß toü<br />
qusiastjríou<br />
kaì ‘ebalen ehiß t`jn g¨jn≥<br />
kaì hegénonto brontaì kaì fwnaì<br />
kaì hastrapaì kaì seismóß.<br />
• Ähnlich wie beim fünften Siegel richtet sich der Blick wieder zum Altar im<br />
himmlischen Tempel. Dass dort das Blut der Märtyrer zu Gott schreit (6,9-11), ist<br />
weiterhin im Bewusstsein der Hörenden. 158<br />
• Die Engelwesen (4 Lebewesen und 24 Älteste) haben nach 5,8 »eine Harfe und<br />
goldene Schalen voll Räucherwerk, das sind die Gebete der Heiligen«. Räucherwerk<br />
gehört in jeden Tempel.<br />
• Rauchwerk und Gebet (wobei im Text, streng genommen, der Rauch nicht die Gebete<br />
symbolisiert, sondern mit diesen emporsteigt):<br />
156 Während das Brechen der Siegel noch mit dem Problem behaftet war, wer dazu würdig ist, werden jetzt<br />
die Posaunen einfach von Gott Engeln gegeben.<br />
157 Vgl. dazu O. Michel, Art. Engel II, RAC 5:77f.<br />
158 Ob an dieser Stelle ein Altar (Rauchopferalter) oder zwei (noch ein Brandopferaltar) vorausgesetzt sind,<br />
finde ich schwer zu entscheiden.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 79<br />
Ps 141,2 Mein Gebet möge vor dir gelten als ein Räucheropfer, das Aufheben meiner Hände als ein<br />
Abendopfer. [kateuqunqh/tw hJ proseuch/ mou wß qumi÷ama eṅw¿pio/n sou eparsiß tw◊n ceirw◊n mou<br />
qusi÷a e˚sperinh/]<br />
• Die Gebete der Heiligen: a) allgemein oder b) das Rachegebet der Märtyrer?<br />
• Symbolische Aktion: Das Feuer des Altars erinnert an Ez 10,2:<br />
»Und er sprach zu dem Mann in dem Kleid von Leinwand: Geh hinein zwischen das Räderwerk unter dem<br />
Cherub und fülle deine Hände mit glühenden Kohlen, die zwischen den Cherubim sind, und streue sie über<br />
die Stadt. Und er ging hinein vor meinen Augen.«<br />
• Zeichen des Gerichts: Donner, Getöse, Blitze, Erdbeben (vgl. 4,5; 11,19; 16,18).<br />
8/6 Und die sieben Engel,<br />
welche die sieben Posaunen hatten,<br />
machten sich bereit, um zu posaunen.<br />
8:6 Kaì oHi Heptà ‘aggeloi<br />
oHi ‘econteß tàß Heptà sálpiggaß<br />
Hjtoímasan ahutoùß “ina salpíswsin.<br />
• Abfolge: Ruhe, Übergabe der Instrumente, Gebet, symbolische Aktion, alles ist bereit…<br />
2.5.3 Die ersten vier Posaunen (8,7-12)<br />
• Ähnlich wie im Fall der sieben Siegel bilden die ersten vier eine Einheit (8,7-12), die<br />
fünfte und sechste Posaune sind demgegenüber ausführlicher (8,13-9,12; 9,13-21) und<br />
die siebte Posaune wird schließlich durch ein »Zwischenstück« (10,1-11,14)<br />
unterbrochen (11,15-19).<br />
• Inhaltlich knüpfen die sieben Posaunen und später die sieben Schalen (deutlicher als<br />
die sieben Siegel) an die Tradition der göttlichen Strafplagen (bes. in der Exodus-<br />
Geschichte gegen Ägypten) an:<br />
7 Posaunen<br />
(<strong>Apk</strong> 8,1-11,19)<br />
8,7: Hagel und<br />
Feuer mit Blut<br />
8,8: Brennender<br />
Berg ins Meer<br />
8,10: Stern vom<br />
Himmel,<br />
Wasservergiftung<br />
8,12: Ein-Drittel-<br />
Verdunkelung<br />
9,1ff: Stern<br />
öffnet Schlund<br />
(Heuschrecken)<br />
9,13ff: Vier<br />
Engel,<br />
Kriegsheere töten<br />
1/3 Menschen<br />
11,15-18: Reich<br />
Christi<br />
7 Schalen<br />
(<strong>Apk</strong> 15,1-16,21)<br />
10 Plagen Ägyp.<br />
(Ex 7,8-13,16)<br />
16,2: Geschwür 7,17-21: Nil wird<br />
zu Blut<br />
16,3: Meer wird<br />
zu Blut<br />
16,4: Flüsse und<br />
Quellen werden<br />
zu Blut<br />
16,8: Sonne<br />
verbrennt<br />
Menschen<br />
16,10f:<br />
Finsternis im<br />
Reich des Tieres<br />
16,12ff: Euphrat<br />
trocknet aus,<br />
Könige aus dem<br />
Osten =><br />
Armaggedon<br />
16,17-21:<br />
Erdbeben<br />
zerstört Babylon<br />
7 Plagen Ägyp.<br />
(Ps 78,42-51)<br />
44: Ströme in<br />
Blut<br />
7 Plagen Agpyp.<br />
(Ps 105,27-36)<br />
8,1-7: Frösche 45a: Ungeziefer 29: Wasser in<br />
Blut<br />
8,16-19: Stechmücken<br />
8,20-24: Stechfliegen<br />
9,1-7: Viehpest<br />
9,8-12:<br />
Geschwüre<br />
7 Plagen Israel<br />
(Amos 4,6-13)<br />
28: Finsternis 6: Nahrungsmangel<br />
7f: Dürre<br />
45b: Frösche 30: Frösche 9a: Getreidebrand<br />
46: Raupen &<br />
Heuschrecken<br />
9,22-26: Hagel 47: Hagel &<br />
Frost<br />
10,12-20:<br />
Heuschrecken<br />
10,21-29:<br />
Finsternis drei<br />
Tage<br />
12,29-32: Tod<br />
der<br />
Erstgeborenen<br />
48: Hagel &<br />
Blitz<br />
49-51: Tod der<br />
Erstgeborenen<br />
31: Ungeziefer &<br />
Stechmücken<br />
32f: Hagel &<br />
Feuerflammen<br />
34f:<br />
Heuschrecken<br />
36: Tod der<br />
Erstgeborenen<br />
9b: Raupen /<br />
Heuschrecken<br />
10a: Pest<br />
10b.c: Verlust in<br />
Krieges<br />
11: Zerstörung<br />
wie Sodom &<br />
Gomorra<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
80 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Vgl. weiterhin Tragiker Ezechiel (Exagoge) 132-151 (es spricht Gott!):<br />
»Mit diesem Stabe wirst du alle (möglichen) Übel bewirken; /<br />
1. als erstes wird der (Nil-)Fluss Blut führen / und alle Quellen und (stehenden) Gewässer. /<br />
2. (135) Eine Unzahl Frösche und Mücken werde ich dem Lande schicken.<br />
3. Dann werde ich ihnen Ofenasche streuen, / (und) es werden an den Menschen schlimme Geschwüre<br />
aufbrechen.<br />
4. Die Hundsfliege wird kommen und viele Ägypter übel zurichten.<br />
5. Danach wiederum wird (140) eine Seuche ausbrechen, und sterben werden, die ein hartes Herz haben.<br />
6. Bitter will ich (ihnen) den Himmel machen;<br />
7. Hagel wird nun mit Feuer herabfallen und die Menschen töten; / und die Früchte werden verderben und die<br />
Tiere.<br />
8. Und Finsternis werde ich schicken drei volle Tage lang,<br />
9. (145) und Heuschrecken werde ich senden, und alle Vorräte / werden sie vertilgen und das junge Grün der<br />
Frucht.<br />
10. Zu alledem werde ich die Erstgeburt der Menschen töten. / Ein Ende machen werde ich dem Hochmut der<br />
elenden Menschen. / König Pharao wird nicht hören auf das, was ich sage, (150) bis dass sein erstgeborenes<br />
Kind tot ist.<br />
Weitere Texte: Artapanus-Fragment (in Eusebius, Praep. evang. 9,27,1-37); Jub 48,5-8; Ps.-Philo, LAB 10,1;<br />
SapSal 11,1-15; 16,9.15-19; 17,1-20; 18,5-25; 19,1-9; Philo, Mos. 1,90-146; T. Benj. 7,1-4; mAb 5,8<br />
Eine apokalyptische Verwendung des Motivs ist selten bezeugt; vgl. <strong>Apk</strong>Abr 30,1-8 (ca. 70-150 n.Chr.):<br />
»3 Höre, was ich dir künden will. Es wird also sein:<br />
Die erste Plage (wird kommen) durch eine grosse Not;<br />
die zweite, durch den Brand der Städte;<br />
die dritte, das Verderben des Viehs durch Seuche;<br />
die vierte, die Hungersnot der ganzen Erde, ihrer Bevölkerung;<br />
4 die fünfte, die Zerstörung der Mächtigen durch Erdbeben und Schwert;<br />
die sechste Plage, die Vermehrung des Hagels und des Schnees;<br />
die siebente: Die wilden Tiere werden ihr Grab sein;<br />
die achte: Hungersnot und Pest werden für ihr Verderben abwechseln;<br />
5 die neunte, die Strafe durch das Schwert und die Flucht ins Elend;<br />
die zehnte, Blitz und Getöse (des Donners) und die Erdbeben zu ihrer Zerstörung.<br />
31,1: 1 Und ich werde dann die Posaune aus den Lüften ertönen lassen und werde dir meinen Auserwählten<br />
senden, der in sich ein Mass meiner ganzen Kraft haben wird. Und dieser wird mein von den Heiden<br />
unterworfenes Volk rufen.<br />
• Theologisch hat die Tradition der Plagen zwei Aussagerichtungen: a) Gott straft jene,<br />
die sich gegen sein Volk richten; b) er gibt ihnen damit aber auch eine Chance zur<br />
Umkehr, welche diese allerdings ablehnen.<br />
• Da die Anknüpfung an die Exodus-Plagen-Tradition nicht fest in der Apokalyptik<br />
verankert zu sein scheint, spiegelt sich hier auch das ekklesiologische<br />
Selbstverständnis des Sehers wider: Christliche Gemeinschaften sind bedroht inmitten<br />
einer übermächtigen feindlichen Umgebung (wie Israel in Ägypten).<br />
8/7 Und der erste posaunte:<br />
und es entstand Hagel und Feuer,<br />
mit Blut vermischt,<br />
und wurde auf die Erde geworfen.<br />
Und der dritte Teil der Erde verbrannte,<br />
und der dritte Teil der Bäume verbrannte,<br />
und alles grüne Gras verbrannte.<br />
8:7 Kaì Ho prẅtoß hesálpisen≥<br />
kaì hegéneto cálaza kaì pür<br />
memigména hen a“imati,<br />
kaì hebl´jqj ehiß t`jn g¨jn≥<br />
kaì tò tríton t¨jß g¨jß katekáj,<br />
kaì tò tríton tẅn déndrwn katekáj,<br />
kaì päß córtoß clwròß katekáj.<br />
• Das Blasen des Signalinstruments löst unmittelbar das Strafgeschehen aus.<br />
• Hagel => siebte ägyptische Plage (Ex 9,23-26); Feuer ist wohl Zeichen für Blitze<br />
• Das Blut dient dazu, den Schreckenscharakter hervorzuheben 159 .<br />
• Erde, Bäume, Gras => Vegetation, Lebensgrundlage der Menschen<br />
159 Einfluss von Joel 3,3? »Und ich will Wunderzeichen geben am Himmel und auf Erden: Blut, Feuer und<br />
Rauchdampf.«<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 81<br />
• Dass alles verbrennt, zeigt dass der Hagel nicht die eigentliche Plage ist, sondern das<br />
Feuer der Blitze.<br />
• Dass immer nur ein Drittel vernichtet wird, ist ein interessantes Merkmal dieser<br />
Reihe, welches nicht einfach aus einem apokalyptischen Inventar hergeleitet werden<br />
kann 160 . Eine mögliche Erklärung: In 6,8 nimmt ein vierter Teil Schaden; hier ist es<br />
bereits ein Drittel und im Falle der Schalen sind dann alle betroffen. Der Autor macht<br />
dadurch deutlich, dass der Schrecken hier noch nicht seinen Höhepunkt erreicht hat.<br />
8/8 Und der zweite Engel posaunte:<br />
und [etwas] wie ein großer feuerflammender Berg<br />
wurde ins Meer geworfen;<br />
und der dritte Teil des Meeres wurde zu Blut.<br />
8/9 Und es starb der dritte Teil der Geschöpfe im Meer,<br />
die Leben hatten,<br />
und der dritte Teil der Schiffe wurde zerstört.<br />
8:8 Kaì Ho deúteroß ‘aggeloß hesálpisen≥<br />
kaì Hwß ‘oroß méga purì kaiómenon hebl´jqj ehiß t`jn<br />
qálassan≥<br />
kaì hegéneto tò tríton t¨jß qalássjß aîma,<br />
8:9 kaì hapéqanen tò tríton tẅn ktismátwn tẅn<br />
hen t¨∆ qaláss∆, tà ‘econta yucáß,<br />
kaì tò tríton tẅn ploíwn diefqárjsan.<br />
• Meer wird zu Blut: erinnert an die erste ägyptische Plage (Ex 7,20f).<br />
• Der Berg, der ins Meer fällt, könnte Erinnerungen an den Ausbruch des Vesuv im<br />
Jahre 79 n.Chr. wachrufen (dazu gibt es Quellen in der Plinius-Korrspondenz, bei Dio<br />
Chrys., in den OracSib als Strafe; usw. s. Aune z.St.).<br />
• Vernichtung einer weiteren Lebensgrundlage der Menschen: Schiffe und Fische.<br />
8/10 Und der dritte Engel posaunte:<br />
und es fiel vom Himmel ein großer Stern,<br />
brennend wie eine Fackel,<br />
und er fiel auf den dritten Teil der Ströme<br />
und auf die Wasserquellen.<br />
8/11 Und der Name des Sternes heißt<br />
›Wermut‹;<br />
und der dritte Teil der Wasser wurde zu Wermut,<br />
und viele der Menschen starben von den Wassern,<br />
weil sie bitter gemacht waren.<br />
8:10 Kaì Ho trítoß ‘aggeloß hesálpisen≥<br />
kaì ‘epesen hek toü ohuranoü hast`jr mégaß<br />
kaiómenoß Hwß lampáß,<br />
kaì ‘epesen hepì tò tríton tẅn potamẅn<br />
kaì hepì tàß pjgàß tẅn Hudátwn.<br />
8:11 kaì tò ‘onoma toü hastéroß légetai<br />
Ho ‘ Ayinqoß.<br />
kaì hegéneto tò tríton tẅn Hudátwn ehiß ‘ayinqon,<br />
kaì polloì tẅn hanqrẃpwn hapéqanon hek tẅn<br />
Hudátwn, “oti hepikránqjsan.<br />
• Diese Plage knüpft an keine ägyptische an.<br />
• Hier fällt ein brennender Stern (eine Art Meteor? ein Komet?) auf die Erde und<br />
vergiftet das Trinkwasser.<br />
• »Wermut« erscheint zwar einige Male als giftig im AT (»bitteres Wasser«: Jer 9,14;<br />
23,15; Klgl 3,19; Dtn 29,17), aber der Ausdruck apsinthos wird in der LXX nicht<br />
gebraucht.<br />
• Zu den Zeichen der Endzeit rechnet 4Esr 5,9a: »Und im Süsswasser findet man<br />
Salziges…«<br />
• Viele Menschen sterben am vergifteten Wasser.<br />
8/12 Und der vierte Engel posaunte:<br />
und es wurde geschlagen der dritte Teil der Sonne<br />
und der dritte Teil des Mondes<br />
und der dritte Teil der Sterne,<br />
so dass der dritte Teil von ihnen verfinstert wurde<br />
und der Tag seinen dritten Teil nicht schien<br />
und die Nacht gleicherweise.<br />
8:12 Kaì Ho tétartoß ‘aggeloß hesálpisen≥<br />
kaì hepl´jgj tò tríton toü Hjlíou<br />
kaì tò tríton t¨jß sel´jnjß<br />
kaì tò tríton tẅn hastérwn,<br />
“ina skotisq¨∆ tò tríton ahutẅn<br />
kaì Hj Hjméra m`j fán∆ tò tríton ahut¨jß,<br />
kaì Hj nùx Homoíwß.<br />
• Die vierte Plage erinnert an die neunte ägyptische (Ex 10,21ff): Sonnenfinsternis.<br />
160 Ein schwacher Bezug mag zu Ez 5,2.12 bestehen.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
82 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Dennoch ist die Vorstellung in der Joh<strong>Apk</strong> merkwürdig: Die Sonne wird nicht<br />
verfinstert, sondern alle kosmischen Lichtspender büssen einen dritten Teil ihrer<br />
Leuchtkraft ein. 161<br />
• Die Auswirkung auf die Menschen wird nicht ausgemalt.<br />
Ich finde es interessant, in welchem Umfang und mit welcher Sehschärfe die Schädigung der Natur als<br />
Unheilszeichen gedeutet wird. Viele dieser Bilder sind unglaublich anschlussfähig an moderne ökologische<br />
Sensibilitäten (Waldsterben, Wasserverschmutzung, Ozonloch, usw.). Die »Unruhe« in der Natur ist für den<br />
Apokalyptiker jedoch Ankündigung einer definitiven Wende zum Heil. Er wäre nicht auf die Idee gekommen,<br />
dass es Aufgabe der Menschen sei, aktiv gegen diese Form von Naturzerstörung vorzugehen. Damit ist ein<br />
wichtiger Unterschied markiert: diese Form von Apokalyptik appelliert nicht an die ökologische Verantwortung<br />
von Menschen. Sie analysiert den Schrecken, setzt ihn aber in einen eschatologischen Bezug mit Gottes<br />
Handeln.<br />
Der Apokalyptiker denkt so stark theozentrisch, dass sogar die Schädigung der Schöpfung nicht als etwas<br />
betrachtet werden kann, das Gott gleichsam »aus der Hand gleitet«. Dass Gott mit diesen Gerichtszeichen seine<br />
eigene Schöpfung schadet, ist ein theologisches Problem, welches m.E. hier nicht bedacht wird (Stichwort:<br />
creatio continua). 162<br />
2.5.4 Die fünfte Posaune<br />
8/13 Und ich sah: und ich hörte einen Adler<br />
hoch oben am Himmel fliegen<br />
und mit lauter Stimme sagen:<br />
Wehe, wehe, wehe denen,<br />
die auf der Erde wohnen,<br />
wegen der übrigen Stimmen der Posaune der drei<br />
Engel, die posaunen werden!<br />
8:13 Kaì e~idon, kaì ‘jkousa Henòß haetoü<br />
petoménou hen mesouran´jmati<br />
légontoß fwn¨∆ megál∆,<br />
Ohuaì ohuaì ohuaì<br />
toùß katoikoüntaß hepì t¨jß g¨jß<br />
hek tẅn loipẅn fwnẅn t¨jß sálpiggoß tẅn triẅn<br />
haggélwn tẅn mellóntwn salpízein.<br />
• Der Ablauf wird unterbrochen: Adler-Vision<br />
• Adler: a) Wappentier Roms, b) Botentier (syrBar 77,19ff)<br />
• Dreifaches Wehe bezieht sich auf die 5.-7. Posaune (vgl. 9,12; 11,14).<br />
• Ein Wehruf ist ein »performativer Sprechakt«; d.h. er setzt das in Gang, was es<br />
aussagt.<br />
• Das Wehe gilt den Menschen. Diese waren bisher nur indirekt von den<br />
Schreckensereignissen betroffen. Das ändert sich jetzt.<br />
9/1 Und der fünfte Engel posaunte:<br />
und ich sah einen Stern,<br />
[der] vom Himmel auf die Erde gefallen [war];<br />
und es wurde ihm der Schlüssel zum Schlund des<br />
Abgrundes gegeben.<br />
9/2 Und er öffnete den Schlund des Abgrundes;<br />
und ein Rauch stieg auf aus dem Schlund<br />
wie der Rauch eines großen Ofens,<br />
und die Sonne und die Luft wurden von dem Rauch des<br />
Schlundes verfinstert.<br />
9:1 Kaì Ho pémptoß ‘aggeloß hesálpisen≥<br />
kaì e~idon hastéra<br />
hek toü ohuranoü peptwkóta ehiß t`jn g¨jn,<br />
kaì hedóqj ahut¨^w Hj kleìß toü fréatoß t¨jß<br />
habússou.<br />
9:2 kaì ‘jnoixen tò fréar t¨jß habússou,<br />
kaì hanébj kapnòß hek toü fréatoß<br />
Hwß kapnòß kamínou megáljß,<br />
kaì heskotẃqj Ho “jlioß kaì Ho ha`jr hek toü kapnoü<br />
toü fréatoß.<br />
161 Im Anschluss an den Ausbruch des Vesuvs wurde durch die Asche Tag und Nacht merklich verdunkelt.<br />
Aber das würde hier wohl zu weit als Analogie führen...<br />
162 Das Thema Schöpfung in der Apokalyptik ist kaum behandelt worden; vgl. J.T. Carroll, Creation and<br />
Apocalypse, in: God Who Creates (FS W.S. Towner), ed. W.P. Brown et al., Grand Rapids, 2000; D.M. Russel,<br />
The ›New Heavens and New Earth‹. Hope for the Creation in Jewish Apocalyptic and the New Testament<br />
(Studies in Biblical Apocalyptic Literature 1), Philadelphia, 1996.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 83<br />
• Fallende Sterne werden häufig mit dem Fall von Engeln assoziiert; sie repräsentieren<br />
damit böse Himmelswesen (äthHen 86,3; 88,1; 90,24; TestSal 20,14-17; Judas 13).<br />
• Der Stern ist hier deutlich ein Engelswesen, welches mit besonderen Schlüsselbefugnissen<br />
ausgestattet ist.<br />
• »Abgrund« ist hier Aufenthaltsort böser Geister. 163 Beim Öffnen kommt Rauch usw.<br />
9/3 Und aus dem Rauch kamen Heuschrecken hervor<br />
auf die Erde,<br />
und es wurde ihnen Macht gegeben,<br />
wie die Skorpione der Erde Macht haben.<br />
9/4 Und es wurde ihnen gesagt,<br />
dass sie nicht dem Gras der Erde<br />
noch irgendetwas Grünem,<br />
noch irgendeinem Baum Schaden zufügen sollten,<br />
sondern den Menschen,<br />
die nicht das Siegel Gottes an den Stirnen haben.<br />
9/5 Und es wurde ihnen [der Befehl] gegeben,<br />
dass sie sie nicht töteten,<br />
sondern dass sie fünf Monate gequält würden;<br />
und ihre Qual war die Qual eines Skorpions,<br />
wenn er einen Menschen sticht.<br />
9/6 Und in jenen Tagen werden die Menschen den Tod<br />
suchen<br />
und werden ihn nicht finden<br />
und werden zu sterben begehren,<br />
und der Tod flieht vor ihnen.<br />
9:3 kaì hek toü kapnoü hex¨jlqon hakrídeß ehiß t`jn<br />
g¨jn,<br />
kaì hedóqj ahutaïß hexousía<br />
Hwß ‘ecousin hexousían oHi skorpíoi t¨jß g¨jß.<br />
9:4 kaì herréqj ahutaïß<br />
“ina m`j hadik´jsousin tòn córton t¨jß g¨jß<br />
ohudè pän clwròn<br />
ohudè pän déndron,<br />
ehi m`j toùß hanqrẃpouß<br />
o“itineß ohuk ‘ecousi t`jn sfragïda toü qeoü hepì<br />
tẅn metẃpwn.<br />
9:5 kaì hedóqj ahutoïß<br />
“ina m`j hapokteínwsin ahutoúß,<br />
hallh “ina basanisq´jsontai m¨jnaß pénte≥<br />
kaì Ho basanismòß ahutẅn Hwß basanismòß<br />
skorpíou, “otan país∆ ‘anqrwpon.<br />
9:6 kaì hen taïß Hjméraiß hekeínaiß zjt´jsousin oHi<br />
‘anqrwpoi tòn qánaton<br />
kaì ohu m`j eHur´jsousin ahutón,<br />
kaì hepiqum´jsousin hapoqaneïn<br />
kaì feúgei Ho qánatoß haph ahutẅn.<br />
• Die Heuschrecken erinnern zwar an die achte ägyptische Plage (Ex 10,1ff), sind aber<br />
hier apokalyptisch gesteigert. Die ägyptischen Plagen werden dadurch überboten.<br />
• Nachdem die Natur durch die ersten Posaunen genug geschädigt worden ist, geht es<br />
jetzt direkt darum, den Menschen weh zu tun (V. 4). 164<br />
• Erstmals wird ein wichtiges Motiv aus der Exodus-Tradition aufgenommen: Von den<br />
Plagen sind ausdrücklich nur die Gegner des Gottesvolkes betroffen (vgl. zu den<br />
Versiegelten 7,1-8).<br />
• Es geht um Qual, um Folter! Auch hier kommt die eigentliche Theologie an ihre<br />
Grenzen (Stichwort: Gott als Folterer).<br />
• Fünf Monate entspricht in etwa der Lebensdauer von Heuschrecken<br />
• 9,6 unterbricht den Visionsstil und kündigt im Futur etwas für die Zukunft an (»in<br />
jenen Tagen«).<br />
163 Dies eine typisch apokalyptische Vorstellung: Jub 5,6ff; äthHen 10,4ff; 18,11ff; 19,1; 21,1ff; Lk 8,31.<br />
Gebet Manasses 3 (spätestens 1. Jh. n.Chr): »… der du (Gott) den Abgrund verschlossen und versiegelt hast<br />
durch deinen furchtbaren und gepriesenen Namen.«<br />
164 Auch handeln diese Heuschrecken schrecklich unheuschreckig, wenn sie nicht die Natur schädigen.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
84 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
9/7 Und die Gestalten der Heuschrecken waren gleich<br />
zum Kampf gerüsteten Pferden,<br />
und auf ihren Köpfen [war es] wie Siegeskränze gleich<br />
Gold,<br />
und ihre Angesichter [waren] wie<br />
Menschenangesichter;<br />
9/8 und sie hatten Haare wie Frauenhaare,<br />
und ihre Zähne waren wie die von Löwen.<br />
9/9 Und sie hatten Panzer wie eiserne Panzer,<br />
und das Geräusch ihrer Flügel war wie das Geräusch<br />
von Wagen mit vielen Pferden,<br />
die in den Kampf laufen;<br />
9/10 und sie haben Schwänze gleich Skorpionen und<br />
Stacheln,<br />
und ihre Macht ist in ihren Schwänzen,<br />
den Menschen fünf Monate zu schaden.<br />
9/11 Sie haben über sich einen König,<br />
den Engel des Abgrundes;<br />
sein Name ist auf hebräisch Abaddon,<br />
und im Griechischen hat er den Namen Apollyon.<br />
9:7 Kaì tà Homoiẃmata tẅn hakrídwn “omoia “ippoiß<br />
Hjtoimasménoiß ehiß pólemon,<br />
kaì hepì tàß kefalàß ahutẅn Hwß stéfanoi “omoioi<br />
crus¨^w,<br />
kaì tà próswpa ahutẅn Hwß próswpa hanqrẃpwn,<br />
9:8 kaì e~icon trícaß Hwß trícaß gunaikẅn,<br />
kaì oHi hodónteß ahutẅn Hwß leóntwn ~jsan,<br />
9:9 kaì e~icon qẃrakaß Hwß qẃrakaß sidjroüß,<br />
kaì Hj fwn`j tẅn pterúgwn ahutẅn Hwß fwn`j<br />
Harmátwn “ippwn pollẅn<br />
trecóntwn ehiß pólemon.<br />
9:10 kaì ‘ecousin ohuràß Homoíaß skorpíoiß kaì<br />
kéntra,<br />
kaì hen taïß ohuraïß ahutẅn Hj hexousía ahutẅn<br />
hadik¨jsai toùß hanqrẃpouß m¨jnaß pénte.<br />
9:11 ‘ecousin heph ahutẅn basiléa<br />
tòn ‘aggelon t¨jß habússou≥<br />
‘onoma ahut¨^w H Ebravistì h Abaddẁn<br />
kaì hen t¨∆ H Elljnik¨∆ ‘onoma ‘ecei h Apollúwn.<br />
• Die Beschreibung des Skorpions-Heers ist in hohem Maße kreativ. Sie lehnt sich nur<br />
schwach an atl. Modelle an.<br />
• In Joel 1–2 ist von Raupen, Heuschrecken und Käfern die Rede (1,4), die über das<br />
Land herziehen. Sie haben »Zähne wie die Löwen und Backenzähne wie die<br />
Löwinnen« (vgl. <strong>Apk</strong>Joh 9,8), »sie sind gestaltet wie Pferde und rennen wie die<br />
Rosse« (Joel 2,4; vgl. <strong>Apk</strong>Joh 9,7; vgl. auch Joel 2,5 und <strong>Apk</strong>Joh 9,9: Rasseln der<br />
Streitwagen).<br />
• Goldkränze zeichnen sie als Sieger aus; dass sie Menschengesichter haben, soll es<br />
wohl leichter machen, sie mit menschlichen Heeren zu identifizieren. Dazu zählen<br />
auch die Brustpanzer.<br />
• Seltsam: Lange Haare wie Frauen (bei Samson Zeichen von Stärke; aus römischer<br />
Sicht Zeichen der Barbarei und vielleicht auch Angst vor Parthern, s. Plutarch,<br />
Crassus 24,2).<br />
• V. 11: Das Heer zieht mit einem König; seine Identität bildet den Höhepunkt dieser<br />
Posaune: »Engel des Abgrunds«: a) hebr. Abaddôn = das Totenreich (Hi 26,6; 28,22;<br />
Ps 88,12); b) griech. Apollyôn = Verderber (LXX übersetzt abaddôn meist mit<br />
apôleia) 165<br />
9/12 Das eine Wehe ist vorüber;<br />
siehe, es kommen noch zwei Wehe nach diesen<br />
Dingen.<br />
9:12 H J ohuaì Hj mía hap¨jlqen≥<br />
hidoù ‘ercetai ‘eti dúo ohuaì metà taüta.<br />
• Wer spricht hier?<br />
• »Szenenanweisung«<br />
165 Vielleicht soll auch an den namensähnlichen Apollon erinnert werden, der u.a. auch für Plagen und<br />
Medizin »zuständig« war. Aeschylos, Agamemnon 1080-1082 leitet den griech. Namen »Apollo« von griech.<br />
apollynai her.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 85<br />
2.5.5 Die sechste Posaune<br />
9/13 Und der sechste Engel posaunte:<br />
und ich hörte eine Stimme aus den vier Hörnern des<br />
goldenen Altars,<br />
der vor Gott ist,<br />
9/14 zu dem sechsten Engel,<br />
der die Posaune hatte, sagen:<br />
Löse die vier Engel,<br />
die an dem großen Strom Euphrat gebunden sind.<br />
9/15 Und die vier Engel wurden losgebunden,<br />
die auf Stunde und Tag und Monat und Jahr<br />
gerüstet waren,<br />
den dritten Teil der Menschen zu töten.<br />
9:13 Kaì Ho “ektoß ‘aggeloß hesálpisen≥<br />
kaì ‘jkousa fwn`jn mían hek tẅn [tessárwn]<br />
kerátwn toü qusiastjríou toü crusoü<br />
toü henẃpion toü qeoü,<br />
9:14 légonta t¨^w “ekt^w haggél^w,<br />
Ho ‘ecwn t`jn sálpigga,<br />
Lüson toùß téssaraß haggélouß<br />
toùß dedeménouß hepì t¨^w potam¨^w t¨^w megál^w<br />
Ehufrát∆.<br />
9:15 kaì helúqjsan oHi téssareß ‘aggeloi<br />
oHi Hjtoimasménoi ehiß t`jn “wran kaì Hjméran kaì<br />
m¨jna kaì heniautón,<br />
“ina hapokteínwsin tò tríton tẅn hanqrẃpwn.<br />
• Die sechste Posaune bedeutet eine Steigerung gegenüber der fünften.<br />
• Das Posaunen des sechsten Engels löst nicht gleich die enstprechende Katastrophe<br />
aus, sondern erst einmal eine Audition.<br />
• Dass der Altar im Himmel dem Altar des irdischen Tempels »gleich« ist, machen die<br />
vier Hörner deutlich:<br />
Ex 27,2 Und du sollst auf seinen [des Altars] vier Ecken Hörner machen, die sollen mit ihm verbunden sein,<br />
und sollst ihn mit Kupfer überziehen. 166<br />
• Dass die Stimme aus dem Altar tönt, erinnert wieder an den Ort der Gebete (8,3-5)<br />
und der Klagen der Märtyrer (6,9-11).<br />
• Die vier Engel am Euphrat sind keine vorgegebene Größe; allerdings wird mit dem<br />
Euphrat die Ost-Grenze des römischen Reiches markiert und damit auch die Gefahr<br />
der Partherheere, vor denen man in ganz Rom Angst hatte.<br />
äthHen (1Hen) 56,5-8: 5 Und in jenen Tagen werden sich die Engel versammeln und sich nach Osten gegen<br />
die Parther und Meder wenden, sie werden die Könige aufwiegeln, so dass ein Geist der Erregung über sie<br />
kommt, und sie werden sie aufscheuchen von ihren Thronen, und sie werden wie Löwen aus ihren Lagern<br />
hervorbrechen und wie hungrige Wölfe mitten unter ihre Herde. 6 Und sie werden heraufziehen und das<br />
Land seiner Auserwählten niedertreten, und das Land seiner Auserwählten wird vor ihnen zur Dreschtenne<br />
und zum (Trampel)Pfad. 7 Aber die Stadt meiner Gerechten wird ein Hindernis für ihre Rosse sein, und sie<br />
werden das Morden (oder: den Kampf) untereinander beginnen, und ihre rechte (Hand) wird mächtig gegen<br />
sie (selbst) sein. Ein Mann wird nicht seinen Bruder, und der Sohn nicht seine Mutter kennen, bis eine<br />
(ausreichende) Zahl von Leichen dasein wird durch ihr Sterben; und das Strafgericht über sie soll nicht<br />
umsonst sein. 8 In jenen Tagen wird das Totenreich seinen Rachen öffnen, und sie werden hineinsinken, und<br />
ihre Vernichtung wird vollzogen; das Totenreich wird die Sünder verschlingen vor dem Angesicht der<br />
Auserwählten.<br />
166 Andererseits ist der irdische Altar »aus Akazienholz« (Ex 27,1) und nicht aus Gold.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
86 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
9/16 Und die Zahl der Kriegsheere zu Roß [war]<br />
zweimal zehntausend mal zehntausend;<br />
ich hörte ihre Zahl.<br />
9/17 Und so sah ich im Gesicht die Rosse<br />
und die, welche auf ihnen saßen:<br />
sie hatten feurige und hyazinthfarbene und<br />
schwefelgelbe Panzer;<br />
und die Köpfe der Rosse waren wie Löwenköpfe,<br />
und aus ihren Mäulern geht Feuer und Rauch und<br />
Schwefel hervor.<br />
9/18 Von diesen drei Plagen wurde der dritte Teil der<br />
Menschen getötet,<br />
von dem Feuer und dem Rauch und dem Schwefel,<br />
die aus ihren Mäulern hervorkamen.<br />
9/19 Denn die Macht der Rosse ist in ihrem Maul<br />
und in ihren Schwänzen;<br />
denn ihre Schwänze sind gleich Schlangen<br />
und haben Köpfe,<br />
und mit ihnen fügen sie Schaden zu.<br />
9:16 kaì Ho hariqmòß tẅn strateumátwn toü<br />
Hippikoü dismuriádeß muriádwn≥<br />
‘jkousa tòn hariqmòn ahutẅn.<br />
9:17 kaì o“utwß e~idon toùß “ippouß hen t¨∆ Horásei<br />
kaì toùß kaqjménouß heph ahutẅn,<br />
‘econtaß qẃrakaß purínouß kaì Huakinqínouß kaì<br />
qeiẃdeiß≥<br />
kaì aHi kefalaì tẅn “ippwn Hwß kefalaì leóntwn,<br />
kaì hek tẅn stomátwn ahutẅn hekporeúetai pür kaì<br />
kapnòß kaì qeïon.<br />
9:18 hapò tẅn triẅn pljgẅn toútwn<br />
hapektánqjsan tò tríton tẅn hanqrẃpwn,<br />
hek toü puròß kaì toü kapnoü kaì toü qeíou<br />
toü hekporeuoménou hek tẅn stomátwn ahutẅn.<br />
9:19 Hj gàr hexousía tẅn “ippwn hen t¨^w stómati<br />
ahutẅn hestin<br />
kaì hen taïß ohuraïß ahutẅn≥<br />
aHi gàr ohuraì ahutẅn “omoiai ‘ofesin,<br />
‘ecousai kefaláß,<br />
kaì hen ahutaïß hadikoüsin.<br />
• Die Zahl der Krieger wird 2x10'000x10'000 angegeben. 167 [10000 = eine gesamte<br />
Armee]<br />
• 17: Die Beschreibung von Pferd und Reiter ist wieder bizarr...<br />
• Wichtig sind Feuer, Rauch und Schwefel => das sind Ausdrucksformen der Hölle. Es<br />
handelt sich um ein »dämonisches Heer«. 168<br />
9/20 Und die übrigen der Menschen,<br />
die durch diese Plagen nicht getötet wurden,<br />
taten nicht Buße von den Werken ihrer Hände,<br />
nicht [mehr] anzubeten die Dämonen<br />
und die goldenen und die silbernen<br />
und die bronzenen und die steinernen<br />
und die hölzernen Götzenbilder,<br />
die weder sehen noch hören<br />
noch wandeln können.<br />
9/21 Und sie taten nicht Buße von ihren Mordtaten,<br />
noch von ihren Zaubereien,<br />
noch von ihrer Unzucht,<br />
noch von ihren Diebstählen.<br />
9:20 Kaì oHi loipoì tẅn hanqrẃpwn,<br />
o”i ohuk hapektánqjsan hen taïß pljgaïß<br />
taútaiß,<br />
ohudè metenójsan hek tẅn ‘ergwn tẅn ceirẅn<br />
ahutẅn, “ina m`j proskun´jsousin tà daimónia<br />
kaì tà e‘idwla tà crusä kaì tà hargurä<br />
kaì tà calkä kaì tà líqina<br />
kaì tà xúlina,<br />
”a o‘ute blépein dúnantai o‘ute hakoúein<br />
o‘ute peripateïn,<br />
9:21 kaì ohu metenójsan hek tẅn fónwn ahutẅn<br />
o‘ute hek tẅn farmákwn ahutẅn<br />
o‘ute hek t¨jß porneíaß ahutẅn<br />
o‘ute hek tẅn klemmátwn ahutẅn.<br />
• Die Pointe der ersten sechs Posaunen dürfte angesichts der Anknüpfung an die<br />
Plagen-Tradition nicht überraschen: die Überlebenden sind nicht bereit umzukehren.<br />
• Zentral geht es hier um den Götzendienst, der bereits in den Sendschreiben auch als<br />
innerchristliches Problem thematisiert worden ist.<br />
• Dann folgen Mord, Zauberei, Unzucht und Diebstahl.<br />
• => Lasterkatalog<br />
167 Verweist der Seher darauf, dass er diese Zahl hörte, weil er damit deutlich machen will, dass er die Zahl<br />
nicht geraten oder gerade selbst nachgezählt hat?<br />
168 Feuerspeiende Pferde sind in der Antike belegt.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 87<br />
Die Bamberger Apokalypse ist ein Werk der ottonischen Buchmalerei aus der Zeit um das Jahr 1000, die zu<br />
den bekanntesten Werken aus dem <strong>Skript</strong>orium des Klosters Reichenau gehört. Der Engel der sechsten<br />
Posaune, in der unteren Bildhälfte reiten drei unheilbringende Reiter auf asche- und feuerspeienden Pferden<br />
über Leichen<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
88 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
2.6 Zwischenstück: Das zweite Wehe (10,1-11,14)<br />
2.6.1 Der Engel mit dem Büchlein (10,1-11)<br />
Lit.:<br />
Bergmeier, R. Die Buchrolle und das Lamm (<strong>Apk</strong> 5 und 10), ZNW 76 (1985) 225-242 = Das Gesetz im<br />
Römerbrief und andere Studien zum Neuen Testament (WUNT 121), Tübingen, 2000, 283-300. –<br />
Dautzenberg, G. Die siebte Posaune. Beobachtungen zur Eschatologie und Christologie der Offenbarung<br />
des Johannes in ihrem Verhältnis zur paulinischen Theologie und zur frühjüdischen Eschatologie, in:<br />
Paradigmen auf dem Prüfstand. Exegese wider den Strich (FS Karlheinz Müller), hg. Martin Ebner u.a.<br />
(NTA 47), Münster, 2004, 1-15. – Feuillet, A. Le chapitre X de l'Apocalypse: son apport dans la solution<br />
du problème eschatologique, in: Sacra pagina: Miscellanea biblica congressus internationalis catholici de<br />
re biblica; vol. 2, ed. Joseph Coppens et al. (BEThL 12/13), Paris, 1959, 414-429. – Glonner, G. Zur<br />
Bildersprache des Johannes von Patmos. Untersuchung der Johannesapokalypse anhand einer um<br />
Elemente der Bildinterpretation erweiterten historisch-kritischen Methode (NTA 34), Münster, 1999. –<br />
Hall, M.S. The hook interlocking structure of Revelation: The most important verses in the book and how<br />
they may unify its structure, NT 44 (2002) 278-296. – Horn, F.W. Die sieben Donner. Erwägungen zu<br />
Offb 10, SNTU-A 17 (1992) 215-229. – McGarry, E.P. The ambidextrous angel (Daniel 12:7 and<br />
Deuteronomy 32:40): Inner-biblical Exegesis and Textual Criticism in counterpoint, JBL 124 (2005) 211-<br />
228. – Perry, P.S. The Rhetoric of Digressions. Revelation 7:1-17 and 10:1-11:13 and Ancient<br />
Communication (WUNT 2:268), Tübingen, 2009. – Ruiz, J.-P. Hearing and Seeing but Not Saying: A<br />
Look at Revelation 10:4 and 2 Corinthians 12:4, The reality of Apocalypse. Rhetoric and Politics in the<br />
Book of Revelation, ed. David L. Barr (SBL Symposium Series 39), Atlanta, 2006, 91-111.<br />
• Die Reihe der sieben Posaunen wird hier unterbrochen.<br />
• Nach 1,11.19 kommt der Verfasser hier ausführlich auf seine Beauftragung zurück.<br />
Dort war Christus der Auftraggeber, hier ein »starker Engel«.<br />
• Ein inverses Verhältnis besteht auch zu Kap. 5: Dort erhält das Lamm ein versiegeltes<br />
Buch und bricht die Siegel, um das Geschehen in Gang zu setzen; hier versiegelt der<br />
Prophet, was er hört und erhält dann ein Buch, welches er »isst«.<br />
• Der prägende AT-Text ist in diesem Fall Ez 2,8-3,3<br />
Ezechiel 2:8 Aber du, Menschenkind, höre, was ich dir<br />
sage,<br />
und widersprich nicht wie das Haus des Widerspruchs.<br />
Tu deinen Mund auf<br />
und iss, was ich dir geben werde.<br />
9 Und ich sah, und siehe, da war eine Hand gegen mich<br />
ausgestreckt, die hielt eine Schriftrolle.<br />
10 Die breitete sie aus vor mir, und sie war aussen und<br />
innen beschrieben,<br />
und darin stand geschrieben Klage, Ach und Weh.<br />
3:1 Und er sprach zu mir:<br />
Du Menschenkind, iss, was du vor dir hast!<br />
Iss diese Schriftrolle und geh hin und rede zum Hause<br />
Israel!<br />
2 Da tat ich meinen Mund auf,<br />
und er gab mir die Rolle zu essen<br />
3 und sprach zu mir:<br />
Du Menschenkind, du musst diese Schriftrolle,<br />
die ich dir gebe,<br />
in dich hinein essen und deinen Leib damit füllen.<br />
Da ass ich sie,<br />
und sie war in meinem Munde so süss wie Honig.<br />
8 kai« su/ ui˚e« aÓnqrw¿pou a‡koue touv lalouvntoß<br />
pro\ß se÷<br />
mh\ gi÷nou parapikrai÷nwn kaqw»ß oJ oi•koß oJ<br />
parapikrai÷nwn<br />
ca¿ne to\ sto/ma sou<br />
kai« fa¿ge a± eġw» di÷dwmi÷ soi<br />
9 kai« ei•don kai« iḋou\ cei«r e˙ktetame÷nh pro/ß me<br />
kai« eṅ aujthvØ kefali«ß bibli÷ou<br />
10 kai« aÓnei÷lhsen aujth\n eṅw¿pion eṁouv kai« eṅ<br />
aujthvØ gegramme÷na hn ta» o¡pisqen kai« ta»<br />
emprosqen<br />
kai« eġe÷grapto ei˙ß aujth\n qrhvnoß kai« me÷loß kai«<br />
oujai÷<br />
1 kai« ei•pen pro/ß me<br />
ui˚e« aÓnqrw¿pou kata¿fage th\n kefali÷da tau/thn<br />
kai« poreu/qhti kai« la¿lhson toi√ß ui˚oi√ß Israhl<br />
2 kai« dih/noixa to\ sto/ma mou<br />
kai« eẏw¿mise÷n me th\n kefali÷da<br />
3 kai« ei•pen pro/ß me<br />
ui˚e« aÓnqrw¿pou to\ sto/ma sou fa¿getai<br />
kai« hJ koili÷a sou plhsqh/setai thvß<br />
kefali÷doß tau/thß thvß dedome÷nhß ei˙ß se÷<br />
kai« efagon aujth/n<br />
kai« eġe÷neto eṅ tw◊ˆ sto/mati÷ mou wß me÷li<br />
gluka¿zon<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 89<br />
• Die sprunghafte Abfolge von wenig miteinander verbundenen Elementen (z.B. 3b-4:<br />
die sieben Donner) lässt Quellengebrauch vermuten.<br />
10/1 Und ich sah einen anderen starken Engel<br />
herabsteigen vom Himmel,<br />
bekleidet mit einer Wolke,<br />
und der Regenbogen über seinem Kopf,<br />
und sein Angesicht wie die Sonne,<br />
und seine Füße wie Feuersäulen;<br />
10/2 und er hatte in seiner Hand ein geöffnetes<br />
Büchlein.<br />
Und er stellte seinen rechten Fuß auf das Meer,<br />
und den linken auf das Land (oder: Erde);<br />
10/3 und er rief mit lauter Stimme,<br />
wie ein Löwe brüllt.<br />
Und als er rief,<br />
redeten die sieben Donner mit ihren eigenen Stimmen.<br />
10/4 Und als die sieben Donner geredet hatten,<br />
machte ich mich daran (es) aufzuschreiben;<br />
und ich hörte eine Stimme aus dem Himmel sagen:<br />
Versiegle, was die sieben Donner geredet haben,<br />
und schreibe dies nicht auf!<br />
10:1 Kaì e~idon ‘allon ‘aggelon hiscuròn<br />
katabaínonta hek toü ohuranoü,<br />
peribebljménon neféljn,<br />
kaì Hj ~iriß hepì t¨jß kefal¨jß ahutoü,<br />
kaì tò próswpon ahutoü Hwß Ho “jlioß,<br />
kaì oHi pódeß ahutoü Hwß stüloi puróß,<br />
10:2 kaì ‘ecwn hen t¨∆ ceirì ahutoü biblarídion<br />
hjne^wgménon.<br />
kaì ‘eqjken tòn póda ahutoü tòn dexiòn hepì t¨jß<br />
qalássjß, tòn dè ehuẃnumon hepì t¨jß g¨jß,<br />
10:3 kaì ‘ekraxen fwn¨∆ megál∆<br />
“wsper léwn mukätai.<br />
kaì “ote ‘ekraxen,<br />
heláljsan aHi Heptà brontaì tàß Heautẅn fwnáß.<br />
10:4 kaì “ote heláljsan aHi Heptà brontaí,<br />
‘jmellon gráfein≥<br />
kaì ‘jkousa fwn`jn hek toü ohuranoü légousan,<br />
Sfrágison ”a heláljsan aHi Heptà brontaí,<br />
kaì m`j ahutà gráy∆ß.<br />
• 1: Der »starke Engel« wird als ein »anderer« starker Engel eingeführt; damit wird an<br />
den »starken Engel« in 5,2 erinnert (ein dritter starker Engel begegnet schließlich in<br />
18,21).<br />
• Als »Stellvertreter« Gottes bringt er göttliche Insignien mit 169 : er kommt vom<br />
Himmel, kleidet mit Wolken (als Toga um den Körper geworfen), bringt den (Regen-<br />
)bogen aus der Thronsaalvision (4,3), strahlt wie die Sonne 170 und hat feurige Füße<br />
(vgl. 2,18), die er gleich auf Wasser und Land setzen wird.<br />
• 2: Das Büchlein (biblaridion ist Diminutiv von biblos) in seiner Hand ist (im<br />
Gegensatz zu dem in Kap. 5) nicht versiegelt, sondern offen.<br />
• Mit Wasser und Land beansprucht der Engel Macht über die gesamte Erde. Was das<br />
Büchlein zu »sagen« hat, ist von universaler Bedeutung für den Seher.<br />
• 3a: Seine Löwen-Stimme ist ein weiteres Zeichen göttlicher Autorität (Hos 11,10; Am<br />
3,8)<br />
• 3b-4: Das Rufen des Engels wird unterbrochen (störend?) durch sieben Donner.<br />
Donner gehören zwar fest zum Repertoire göttlicher Epiphanien 171 , aber »sieben<br />
Donner« sind neu und einmalig in der Literatur (obwohl der Erzähler sie mit dem<br />
bestimmten Artikel so einführt, als ob sie bekannt wären).<br />
• Der Inhalt der Donner-Rede ist dem Seher verständlich und er macht sich daran, es<br />
aufzuschreiben. Doch greift die übergeordnete göttliche Autorität in Forn einer<br />
Himmelsstimme direkt in die Handlung ein: Die Donner-Reden sollen versiegelt und<br />
nicht aufgeschrieben werden. Sie sind nicht der Öffentlichkeit in schriftlicher Form<br />
zugänglich zu machen. 172<br />
169 In der Alten Kirche wurde der starke Engel zuweilen mit Christus identifiziert. Dass der Engel in 10,6 bei<br />
Gott schwört, macht diese Annahme schwer.<br />
170 Häufiges Motiv göttlichen Glanzes: Mt 13,43; 17,2; <strong>Apk</strong> 1,16; usw.<br />
171 <strong>Apk</strong> 6,1; 14,2; 19,6; vgl. im AT 1Sam 2,10; 7,10; 2Sam 22,14; Hiob 17,4f; 40,9; Ps 18,14; 29,3.<br />
172 Vgl. 22,10: Versiegle nicht die Worte der Weissagung in diesem Buch; denn die Zeit ist nahe! Dan 12,9<br />
LXX: Geh hin, Daniel; denn es ist verborgen und versiegelt (katakekalumme÷na kai« eṡfragisme÷na) bis auf<br />
die letzte Zeit.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
90 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Bousset, <strong>Apk</strong> (KEK) 309 vermutete seinerzeit, der Apokalyptiker wolle hier andeuten,<br />
dass er eine Quelle mit sieben Donnervisionen zwar habe, aber nicht in sein Werk<br />
integriert habe. M.E. handelt es sich aber nicht um einen Hinweis auf<br />
Quellengebrauch (das wäre im Werk einmalig), sondern um einen genialen Trick von<br />
bewusster »Rezipienten-Verunsicherung«.<br />
• Nach den sieben Siegel und den sieben Posaunen würde man mit den sieben Donnern<br />
eine weitere Siebener-Reihe erwarten, welche die Schrecken der Endzeit<br />
»entschlüssel« (oder eher: verschlüsselt). Diese Siebener-Reihe wird jedoch auf<br />
Anweisung Gottes selbst ausgelassen. Anders als das »entsiegelte« Buch von Kap. 5<br />
werden hier also »endzeitrelevante« Inhalte versiegelt.<br />
• Der Autor umgibt sich mit einer Aura des Vorsprungs; er hat mehr gehört und mehr<br />
gesehen, als das, was im Buch, welches wir lesen, geschrieben steht. Damit macht er<br />
auch deutlich, dass er nicht alles sagt: Es bleiben Geheimnisse (vgl. 10,7!).<br />
• Bezug zu 2Kor 12,4 (Paulus »wurde entrückt in das Paradies und hörte<br />
unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann«)? 173<br />
10/5 Und der Engel,<br />
den ich auf dem Meer und auf der Erde stehen sah,<br />
erhob seine rechte Hand zum Himmel<br />
10/6 und schwor bei dem,<br />
der in alle Ewigkeit lebt,<br />
der den Himmel erschuf und was in ihm ist,<br />
und die Erde und was auf ihr ist,<br />
und das Meer und was in ihm ist:<br />
Es wird keine Zeit mehr sein,<br />
10/7 sondern in den Tagen der Stimme des siebenten<br />
Engels, wenn er posaunen wird,<br />
wird auch das Geheimnis Gottes vollendet sein,<br />
wie er es seinen eigenen Knechten, den Propheten,<br />
als frohe Botschaft verkündigt hat.<br />
10:5 Kaì Ho ‘aggeloß<br />
”on e~idon Hestẅta hepì t¨jß qalássjß kaì hepì t¨jß<br />
g¨jß ~jren t`jn ceïra ahutoü t`jn dexiàn ehiß tòn<br />
ohuranòn<br />
10:6 kaì ‘wmosen<br />
hen t¨^w zẅnti ehiß toùß ahiẅnaß tẅn ahiẃnwn,<br />
10:6 ”oß ‘ektisen tòn ohuranòn kaì tà hen ahut¨^w<br />
kaì t`jn g¨jn kaì tà hen ahut¨∆<br />
kaì t`jn qálassan kaì tà hen ahut¨∆, “oti<br />
crónoß ohukéti ‘estai,<br />
10:7 hallh hen taïß Hjméraiß t¨jß fwn¨jß toü Hebdómou<br />
haggélou, “otan méll^j salpízein,<br />
kaì hetelésqj tò must´jrion toü qeoü,<br />
Hwß ehujggélisen toùß Heautoü doúlouß toùß<br />
prof´jtaß.<br />
• Einfluss von Dan 12,5-7:<br />
12,5 Und ich, Daniel, sah, und siehe, es standen zwei andere da, einer an diesem Ufer des Stroms, der andere<br />
an jenem Ufer. 6 Und er sprach zu dem Mann in leinenen Kleidern, der über den Wassern des Stroms stand:<br />
Wann sollen denn diese grossen Wunder geschehen? 7 Und ich hörte den Mann in leinenen Kleidern, der<br />
über den Wassern des Stroms stand. Er hob seine rechte und linke Hand auf gen Himmel und schwor bei<br />
dem, der ewiglich lebt, dass es eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit währen soll; und wenn die<br />
Zerstreuung des heiligen Volks ein Ende hat, soll dies alles geschehen.<br />
• Der Engel macht eine Voraussage über den Ablauf der Ereignisse (über den plot der<br />
Erzählung) und zwar in Form einen absolut feierlichen Schwurs beim<br />
Allmächtigen 174 .<br />
• Anders als Dan 12,7 sind es jetzt nicht mehr 3,5 Zeiteinheiten (wohl Jahre), sondern<br />
überhaupt keine Zeit mehr.<br />
• Der Zeitpunkt wird allerdings in Relation zum Text des Apokalyptikers gesetzt: mit<br />
dem Schall der siebten Posaune vollendet sich die Geschichte. (In 11,14 wird das<br />
zweite Wehe beendet und in 11,15 ertönt die siebte Posaune.)<br />
• Die siebte Posaune ist aber kein Ereignis in der geschichtlichen Realität, sondern ein<br />
offenes Symbol in der textlichen Welt! Mit dieser »Zeitangabe« wird Naherwartung<br />
geschürt, aber kein genauer Zeitpunkt anvisiert!<br />
173 Seit Origines, Contra Celsum 6,6 hergestellt. Vgl. dazu Ruiz, Hearing and Seeing.<br />
174 Soviel mal zu Mt 5,34ff und Jak 5,12!<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 91<br />
• Was aber wird mit der siebten Posaune geschehen? Das Geheimnis (mystêrion als<br />
Inhalt der Evangeliumsverkündigung) wird vollendet werden. 175 Es geht also in einem<br />
sehr allgemeinen Sinne um das gesamte Geschick der Schöpfung.<br />
• Das Verb teleô taucht hier erstmals auf und wird ab jetzt leitend sein: 11,7; 15,1; 15,8;<br />
17,17; 20,3.5.7.<br />
10/8 Und die Stimme, die ich aus dem Himmel hörte,<br />
redete wieder mit mir und sprach:<br />
Gehe hin,<br />
nimm das geöffnete Buch in der Hand des Engels,<br />
der auf dem Meer und auf der Erde steht!<br />
10/9 Und ich ging zu dem Engel und sagte ihm,<br />
er möge mir das Büchlein geben.<br />
Und er spricht zu mir:<br />
Nimm es und iß es auf!<br />
Und es wird deinen Bauch bitter machen,<br />
aber in deinem Mund wird es süß sein wie Honig.<br />
10/10 Und ich nahm das Büchlein aus der Hand des<br />
Engels und aß es auf;<br />
und es war in meinem Mund süß wie Honig,<br />
und als ich es gegessen hatte,<br />
wurde mein Bauch bitter gemacht.<br />
10/11 Und sie sagen mir:<br />
Du musst wieder weissagen über Völker und Nationen<br />
und Sprachen und viele Könige.<br />
10:8 Kaì Hj fwn`j ”jn ‘jkousa hek toü ohuranoü,<br />
pálin laloüsan meth hemoü kaì légousan,<br />
“ Upage<br />
lábe tò biblíon tò hjne^wgménon hen t¨∆ ceirì toü<br />
haggélou toü Hestẅtoß hepì t¨jß qalássjß kaì hepì<br />
t¨jß g¨jß.<br />
10:9 kaì hap¨jlqa pròß tòn ‘aggelon légwn ahut¨^w<br />
doünaí moi tò biblarídion.<br />
kaì légei moi,<br />
Lábe kaì katáfage ahutó,<br />
kaì pikraneï sou t`jn koilían,<br />
hallh hen t¨^w stómatí sou ‘estai glukù Hwß méli.<br />
10:10 kaì ‘elabon tò biblarídion hek t¨jß ceiròß<br />
toü haggélou kaì katéfagon ahutó,<br />
kaì ~jn hen t¨^w stómatí mou Hwß méli glukú≥<br />
kaì “ote ‘efagon ahutó,<br />
hepikránqj Hj koilía mou.<br />
10:11 kaì légousín moi,<br />
Deï se pálin profjteüsai hepì laoïß kaì ‘eqnesin<br />
kaì glẃssaiß kaì basileüsin polloïß.<br />
• Die Stimme, die vorher das Schreibverbot erteilt hatte, gibt jetzt den Ess-Befehl. Die<br />
Metapher des Essens weist auf die völlige Verinnerlichung der prophetischen<br />
Botschaft hin.<br />
• Anders jedoch als das Buch Ezechiels ist der Geschmack dieses Büchleins nicht nur<br />
»süß wie Honig«, sondern auch bitter. Die Durchsetzung des göttlichen Mysteriums<br />
wird dem Propheten eine Freude sein, aber auch für ihn bitter.<br />
• 11: Pluralform: Himmlische Stimme und starker Engel?<br />
• Erneuerung des universellen prophetischen Auftrags des Johannes<br />
2.6.2 Der Tempel und die beiden Zeugen (11,1-14)<br />
Lit.:<br />
Bachmann, M. Ausmessung von Tempel und Stadt. <strong>Apk</strong> 11,1f und 21,15ff auf dem Hintergrund des<br />
Buches Ezechiel, in: Das Ezechielbuch in der Johannesoffenbarung, hg. D. Sänger (BThS 76),<br />
Neukirchen-Vluyn, 2006, 61-83. – Bachmann, M. Himmlisch: Der ›Tempel Gottes‹ von <strong>Apk</strong> 11.1, NTS<br />
40 (1994) 474-480. – Dalrymple, R. The Use of KAI in Revelation 11,1 and the Implications for the<br />
Identification of the Temple, the Altar, and the Worshippers, Biblica 87 (2006) 387-394. – Dulk, M. den.<br />
Measuring the Temple of God: Revelation 11.1-2 and the Destruction of Jerusalem, NTS 54/3 (2008)<br />
436-449. – Giblin, C.H. Revelation 11.1-13: Its Form, Function, and Contextual Integration, NTS 30<br />
(1984) 433-459. – Jauhiainen, M. The Measuring of the Sanctuary Reconsidered (Rev 11,1-2), Biblica<br />
83 (2002) 507-526. – Lietaert Peerbolte, B.J. Sodom, Egypt, and the two witnesses of Revelation 11:8,<br />
in: Sodom's sin. Genesis 18-19 and its interpretations, ed. E. Noort / E. Tigchelaar (Themes in Biblical<br />
Narrative 7), Leiden, 2004, 63-82. – Oberweis, M. Das Martyrium der Zebedaiden in Mk 10.35-40 (Mt<br />
20.20-3) und Offb 11.3-13, NTS 44 (1998) 74-92. – Paschke, B.A. Die damnatio und consecratio der<br />
zwei Zeugen (Offb 11), Biblica 89 (2008) 555-575. – Perry, P.S. The Rhetoric of Digressions, 2009 (s.<br />
zu 10,1ff) – Reader, W.W. The Riddle of the Identification of the Polis in Rev. 11:1-13, Studia<br />
175 Die Begriffe »Myterium« und »Evangelium« begegnen in der paulinischen Tradition: Röm 16,25 (Dem<br />
aber, der euch stärken kann gemäss meinem Evangelium und der Predigt von Jesus Christus, durch die das<br />
Geheimnis offenbart ist, das seit ewigen Zeiten verschwiegen war…); Eph 6,19.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
92 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Evangelica 7 (1973; TU 126, 1982) 407-414. – Royse, J.R. ›Their Fifteen Enemies‹: The Text of Rev. xi.<br />
12 in P47 and 1611, JThS 31 (1980) 78-80. – Schwemer, A.M. Prophet, Zeuge und Märtyrer. Zur<br />
Entstehung des Märtyrerbegriffs im frühesten Christentum, ZThK 96 (1999) 320-350. – Seal, D.<br />
Shouting in the Apocalypse. The influence of first-century Acclamations on the Praise Utterances in<br />
Revelation 4:8 and 11, JEThS 51 (2008) 339-352. – Seng, H. <strong>Apk</strong> 11,1-14 im Zusammenhang der<br />
Johannesapokalypse. Aufschluss aus Lactantius und Hippolytos, Vetera Christianorum 27 (1990) 111-<br />
121. – Siew, A.K.W. The War Between the Two Beasts and the Two Witnesses. A chiastic reading of<br />
Revelation 11.1-14.5 (Library of New Testament Studies 283), London, 2005. – Tavo, F. The outer court<br />
and holy city in Rev 11:1-2: Arguing for a positive appraisal, Australian Biblical Review 54 (2006) 56-<br />
72. – Tóth, F. Der himmlische Kult. Wirklichkeitskonstruktion und Sinnbildung in der<br />
Johannesoffenbarung (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 22), Leipzig, 2006.<br />
11/1 Und es wurde mir ein Rohr, gleich einem Stab,<br />
gegeben und gesagt:<br />
Steh auf und miss den Tempel Gottes<br />
und den Altar<br />
und die, welche darin anbeten!<br />
11/2 Und den Hof, der außerhalb des Tempels ist,<br />
lass aus und miss ihn nicht!<br />
Denn er ist den Nationen gegeben worden,<br />
und sie werden die heilige Stadt zertreten<br />
zweiundvierzig Monate.<br />
11:1 Kaì hedóqj moi kálamoß “omoioß Hrábd^w,<br />
légwn,<br />
‘ Egeire kaì métrjson tòn naòn toü qeoü<br />
kaì tò qusiast´jrion<br />
kaì toùß proskunoüntaß hen ahut¨^w.<br />
11:2 kaì t`jn ahul`jn t`jn ‘exwqen toü naoü ‘ekbale<br />
‘exwqen kaì m`j ahut`jn metr´js∆ß,<br />
“oti hedóqj toïß ‘eqnesin,<br />
kaì t`jn pólin t`jn Hagían pat´jsousin m¨jnaß<br />
tesserákonta [kaì] dúo.<br />
• Dieser Abschnitt kommt unvermittelt und ist schwer erklärbar: Während der »Tempel<br />
Gottes« in V. 1 sich auf den himmlischen Tempel beziehen könnte, ist in V. 2<br />
ausdrücklich vom Vorhof der Heiden die Rede.<br />
• Ein literarisches Vorbild findet sich in Ez 40,1-42,20 (der Prophet sieht von einem<br />
Berg aus, wie ein Engel einen »visionären« Tempel ausmisst).<br />
Seit Wellhausen, Analyse der Offenbarung Johannis (Berlin, 1907) 15ff wird in diesen beiden mysteriösen<br />
Versen ein »zelotisches Flugblatt« vermutet, welches prophezeit, dass die Römer alles nur nicht den Tempel<br />
zerstören würden. Damit wäre zwar der seltsame Ton dieser Verse erklärt (vgl. Josephus, Bell. 6,122.285-287),<br />
aber nicht, warum sie hier aufgenommen worden sind. Eine andere Vermutung wäre, dass es sich hier um eine<br />
Vision des Autor als jüdischer Apokalyptiker aus der Zeit vor 70 handele (Satake, Offb, KEK, 259). Doch ist<br />
wieder zu fragen: Warum wird diese Vision hier eingefügt?<br />
• Sinn unklar! Vielleicht ist der Tempel ein Bild für die Gemeinschaft der Heiligen, die<br />
unter dem Schutz Gottes steht (und daher vermessen wird). Dafür würde sprechen,<br />
dass nicht nur Tempel und Altar, sondern auch die darin Anbetenden »vermessen«<br />
werden. Der Vorhof der Heiden wäre dann ein Symbol für die Feinde Gottes.<br />
• 42 Monate = 3,5 Jahre: stammen aus Dan 7,25; 12,7; vgl. Joh<strong>Apk</strong> 11,3; 12,6.14; 13,5.<br />
11/3 Und ich werde meinen zwei Zeugen [Vollmacht]<br />
geben,<br />
und sie werden tausendzweihundertsechzig Tage<br />
weissagen, mit Sacktuch bekleidet.<br />
11/4 Diese sind die zwei Ölbäume<br />
und die zwei Leuchter,<br />
die vor dem Herrn der Erde stehen.<br />
11/5 Und wenn jemand ihnen schaden will,<br />
so geht Feuer aus ihrem Mund<br />
und verzehrt ihre Feinde;<br />
und wenn jemand ihnen schaden will,<br />
muss er ebenso getötet werden.<br />
11/6 Diese haben die Macht,<br />
den Himmel zu verschließen,<br />
damit während der Tage ihrer Weissagung kein<br />
Regen falle;<br />
und sie haben Gewalt über die Wasser,<br />
sie in Blut zu verwandeln<br />
und die Erde zu schlagen mit jeder Plage,<br />
sooft sie nur wollen.<br />
11:3 kaì dẃsw toïß dusìn mártusín mou,<br />
kaì profjteúsousin Hjméraß cilíaß diakosíaß<br />
Hex´jkonta peribebljménoi sákkouß.<br />
11:4 oûtoí ehisin aHi dúo helaïai<br />
kaì aHi dúo lucníai<br />
aHi henẃpion toü kuríou t¨jß g¨jß Hestẅteß.<br />
11:5 kaì e‘i tiß ahutoùß qélei hadik¨jsai,<br />
pür hekporeúetai hek toü stómatoß ahutẅn<br />
kaì katesqíei toùß hecqroùß ahutẅn≥<br />
kaì e‘i tiß qel´js∆ ahutoùß hadik¨jsai,<br />
o“utwß deï ahutòn hapoktanq¨jnai.<br />
11:6 oûtoi ‘ecousin t`jn hexousían<br />
kleïsai tòn ohuranón,<br />
“ina m`j Huetòß bréc∆ tàß Hjméraß t¨jß<br />
profjteíaß ahutẅn,<br />
kaì hexousían ‘ecousin hepì tẅn Hudátwn<br />
stréfein ahutà ehiß aîma<br />
kaì patáxai t`jn g¨jn hen pás∆ pljg¨∆<br />
Hosákiß heàn qel´jswsin.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 93<br />
• Auch dieser Abschnitt schliesst sich unvermittelt an. Seltsam ist er nicht nur in<br />
sprachlicher Hinsicht (viele Begriffe begegnen nur hier), sondern auch weil die beiden<br />
Hauptfiguren (die zwei Zeugen) weder in der Apokalyptik vorgeprägt sind noch im<br />
weiteren Verlauf der Joh<strong>Apk</strong> eine Rolle spielen.<br />
• Anspielungen auf Elia und Mose (V. 3.5.f); Tod, Auferstehung und Himmelfahrt der<br />
beiden Zeugen tragen deutlich christologische Züge.<br />
• Parallelen (und Unterschiede!) zu einem Text in der Elia-Apokalypse 176 :<br />
<strong>Apk</strong>Elia 34,7,4-35,17: 34,7,4 Wenn dann hören Elia und Henoch, dass sich der Unverschämte gezeigt hat an<br />
der heiligen Stätte, kommen sie herab und kämpfen mit ihm, indem sie sprechen: 10 »Schämst du dich nicht,<br />
dass du dich herandrängst an die Heiligen, denen du doch fremd bist allezeit. Du wurdest feind den<br />
Himmlischen und wurdest es den 15 Irdischen. Du wurdest feind den Thronen und wurdest es den Engeln.<br />
Du bist ein Fremder allezeit. Du bist vom Himmel gefallen wie die Morgensterne. 20 Du hast dich<br />
verwandelt. Dein Stamm wurde finster für dich. Schämst du dich nicht selbst, wenn du dich herandrängst an<br />
Gott, obwohl du ein Teufel bist?« Der Unverschämte wird es hören 25 und zornig werden und kämpfen mit<br />
ihnen auf dem Markt der grossen Stadt. Und er wird sieben Tage kämpfend mit ihnen zubringen. Und sie<br />
werden drei 30 und einen halben Tag tot auf dem Markt liegen, wobei das ganze Volk sie sieht. Am vierten<br />
Tage aber werden sie auferstehen und ihn schelten mit den Worten: 35,1 »Unverschämter, Sohn der<br />
Gesetzlosigkeit, schämst du dich nicht, zu verführen das Volk Gottes, für das du nicht gelitten hast? Weisst<br />
du nicht, dass wir leben 5 im Herrn, um dich zu widerlegen allezeit, wenn du sagst: Ich habe Macht<br />
gewonnen über diese? Wir werden ablegen das Fleisch des Leibes und dich töten, ohne dass du zu reden<br />
vermagst an jenem Tage, 10 denn wir sind stark im Herrn allezeit, du aber bist Gott feind allezeit.« Der<br />
Unverschämte wird es hören, zornig werden und kämpfen mit ihnen. Die ganze Stadt (wird) sie umgeben. 15<br />
An jenem Tage werden sie jubeln zum Himmel hinauf, wobei sie leuchten und das ganze Volk und die ganze<br />
Welt sie sieht. Der Sohn der Gesetzlosigkeit wird nichts gegen sie vermögen.« (Übers. W. Schrage, 1980)<br />
[Die Unterschiede zu Joh<strong>Apk</strong> 11 sind derart zahlreich, dass eine christliche Überarbeitung hier nicht<br />
vorzuliegen scheint. Manche vermuten eine gemeinsame Vorlage für beide Texte]<br />
• Zwei Zeugen treten aber immer als Einheit auf: Gesamtkirche (aus Juden und Nicht-<br />
Juden)? Oder doch zwei konkrete Personen?<br />
a) Petrus und Paulus (würde die Tradition vom zeitnahen Martyrium in Rom<br />
voraussetzen) Aber: Die »große Stadt« in 11,8 (die durchaus Rom sein könnte) wird<br />
eindeutig mit Jerusalem identifiziert.<br />
b) Johannes der Täufer und Jesus: Aber ihr Leben und Tod kann kaum so parallelisiert<br />
werden...<br />
c) Die Zebedaiden Jakobus und Johannes (die nach Mk 10,35-40 beide das Martyrium<br />
sterben sollten, obgleich in Apg 12,2 nur der Tod des Johannes berichtet wird).<br />
d) AT-Gesalten: Henoch & Elia, Moses & Elia (immerhin begegnen beide in der<br />
Verklärung Jesu; Mk 9,4f; Mt 17,3f; Lk 9,30-33)<br />
• Vielleicht doch eher die Gesamtkirche? Sie stehen wie der Tempel und die darin<br />
Anbetenden in 11,1f und die Sonnenfrau mit dem Kind in Kap. 12 zeitweilig unter<br />
dem Schutz Gottes.<br />
• 3: 1260 Tage = wieder 3,5 Jahre<br />
• Prophetische Kleidung, auch Zeichen von Trauer<br />
• 4: Ölbäume & Leuchter aus Sach 4 (hier handelt es sich um zwei Gesalbte, der<br />
politische Führer und der Hohepriester)<br />
• 5f: Strafaktionen nehmen Elemente von Moses und Elia auf:<br />
Num 16,35 Und Feuer fuhr aus von dem HERRN und frass die zweihundertundfünfzig Männer, die das<br />
Räucherwerk opferten. [Aufstand des Korach und seiner Sippe gegen Moses] 177 Regen zurückhalten konnte<br />
Elia nach 1Kön 17,1ff (vgl. Lk 4,25f; Jak 5,17ff; Sir 48,3). Die Plagen spielen deutlich auf Moses an.<br />
176 In der Endfassung ist die Elia-Apokalypse eine christliche Schrift (wohl aus dem 3. Jh.), die jedoch aus<br />
einer jüdsichen Apokalypse erwächst. Datierung und Entstehung ist kaum zu erheben. Leider!<br />
177 Zum »Feuer aus dem Mund« vgl. Jer 5,14; 4Esr 13,10; Sir 48,1.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
94 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
11/7 Und wenn sie ihr Zeugnis vollendet haben<br />
werden,<br />
wird das Tier, das aus dem Abgrund heraufsteigt,<br />
Krieg mit ihnen führen<br />
und wird sie besiegen<br />
und sie töten.<br />
11/8 Und ihr Leichnam [wird] auf der Straße der<br />
großen Stadt [liegen],<br />
die, geistlich gesprochen, Sodom und Ägypten<br />
heißt, wo auch ihr Herr gekreuzigt wurde.<br />
11:7 kaì “otan teléswsin t`jn marturían ahutẅn,<br />
tò qjríon tò hanabaïnon hek t¨jß habússou<br />
poi´jsei meth ahutẅn pólemon<br />
kaì nik´jsei ahutoùß<br />
kaì hapokteneï ahutoúß.<br />
11:8 kaì tò ptẅma ahutẅn hepì t¨jß plateíaß t¨jß<br />
pólewß t¨jß megáljß,<br />
“jtiß kaleïtai pneumatik¨wß<br />
Sódoma kaì A‘iguptoß,<br />
“opou kaì Ho kúrioß ahutẅn hestaurẃqj.<br />
• Das Tier wird hier aus Kap. 13 und 17 vorweggenommen (dazu dort).<br />
• Die öffentliche Zurschaustellung von Leichnamen war die grösst mögliche Entehrung.<br />
• »Große Stadt« ist sonst Babylon (= Rom; vgl. 16,19; 17,18; 18,10.16.18f.21); hier<br />
aber Jerusalem<br />
• V. 8 bietet einen wichtigen Hinweis auf die Sprachverwendung der Joh<strong>Apk</strong>: kaleitai<br />
pneuamtikôs. Der Autor codiert seine Sprachbilder auf pneumatische Art und Weise.<br />
Das bedeutet nicht einfach metaphorisch (also »uneigentlich« ode »übertragen«),<br />
sondern ist mit dem prophetischen Charisma des Autors verbunden. Mit seiner<br />
Sprache will er prophetisch-bildhaft das Wesen der Dinge aufdecken. Jerusalem ist in<br />
diesem Zusammenhang nicht die »heilige Stadt«, sondern »Sodom« als Symbol für<br />
eine moralisch verkommene Stadt (s.a. Jer 23,14; Ez 16,46.49; usw.) und »Ägypten«<br />
als Symbol für Sklaverei.<br />
• Der Tod der Zeugen in Jerusalem wird mit dem Tod Jesu in Verbindung gebracht.<br />
11/9 Und [viele] aus den Völkern und Stämmen<br />
und Sprachen und Nationen<br />
sehen ihren Leichnam drei Tage und einen halben<br />
und erlauben nicht, ihre Leichname ins Grab zu legen.<br />
11/10 Und die auf der Erde wohnen,<br />
freuen sich über sie<br />
und frohlocken<br />
und werden einander Geschenke senden,<br />
denn diese zwei Propheten quälten die auf der Erde<br />
Wohnenden.<br />
11/11 Und nach den drei Tagen und einem halben kam<br />
der Geist des Lebens aus Gott in sie,<br />
und sie standen auf ihren Füßen;<br />
und große Furcht befiel die, welche sie schauten.<br />
11/12 Und sie hörten eine laute Stimme aus dem<br />
Himmel zu ihnen sagen:<br />
Steigt hier herauf!<br />
Und sie stiegen in den Himmel hinauf in der Wolke,<br />
und es schauten sie ihre Feinde.<br />
11/13 Und in jener Stunde geschah ein großes<br />
Erdbeben,<br />
und der zehnte Teil der Stadt fiel,<br />
und siebentausend Menschennamen wurden in dem<br />
Erdbeben getötet;<br />
und die übrigen gerieten in Furcht<br />
und gaben dem Gott des Himmels Ehre.<br />
11:9 kaì blépousin hek tẅn laẅn kaì fulẅn<br />
kaì glwssẅn kaì heqnẅn<br />
tò ptẅma ahutẅn Hjméraß treïß kaì “jmisu,<br />
kaì tà ptẃmata ahutẅn ohuk hafíousin teq¨jnai ehiß<br />
mn¨jma.<br />
11:10 kaì oHi katoikoünteß hepì t¨jß g¨jß<br />
caírousin heph ahutoïß<br />
kaì ehufraínontai,<br />
kaì dẅra pémyousin hall´jloiß,<br />
“oti oûtoi oHi dúo prof¨jtai hebasánisan toùß<br />
katoikoüntaß hepì t¨jß g¨jß.<br />
11:11 kaì metà tàß treïß Hjméraß kaì “jmisu<br />
pneüma zw¨jß hek toü qeoü ehis¨jlqen hen ahutoïß,<br />
kaì ‘estjsan hepì toùß pódaß ahutẅn,<br />
kaì fóboß mégaß hepépesen hepì toùß qewroüntaß<br />
ahutoúß.<br />
11:12 kaì ‘jkousan fwn¨jß megáljß hek toü<br />
ohuranoü legoúsjß ahutoïß,<br />
h Anábate ŵde≥<br />
kaì hanébjsan ehiß tòn ohuranòn hen t¨∆ nefél∆,<br />
kaì heqeẃrjsan ahutoùß oHi hecqroì ahutẅn.<br />
11:13 Kaì hen hekeín∆ t¨∆ “wrâ hegéneto seismòß<br />
mégaß,<br />
kaì tò dékaton t¨jß pólewß ‘epesen,<br />
kaì hapektánqjsan hen t¨^w seism¨^w honómata<br />
hanqrẃpwn ciliádeß Heptá,<br />
kaì oHi loipoì ‘emfoboi hegénonto<br />
kaì ‘edwkan dóxan t¨^w qe¨^w toü ohuranoü.<br />
• 9f: Reaktion der Menschen: a) keine Grablegung (3,5 Tage), b) Schadenfreude.<br />
• 11f: Auferstehung, Furcht & Himmelfahrt<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 95<br />
• Das Tier wird hier völlig ausgeblendet.<br />
• 13: Apokalyptisches Erdbeben<br />
11/14 Das zweite Wehe ist vorüber: siehe, das dritte<br />
Wehe kommt bald.<br />
11:14 H J ohuaì Hj deutéra hap¨jlqen≥ hidoù Hj ohuaì Hj<br />
trítj ‘ercetai tacú.<br />
• Vgl. 9,12: Das erste Wehe ist vorüber; siehe, es kommen noch zwei Wehe danach.<br />
2.7 Die siebte Posaune (11,15-18)<br />
Lit.:<br />
Dautzenberg, G. Die siebte Posaune. Beobachtungen zur Eschatologie und Christologie der Offenbarung<br />
des Johannes in ihrem Verhältnis zur paulinischen Theologie und zur frühjüdischen Eschatologie, in:<br />
Paradigmen auf dem Prüfstand. Exegese wider den Strich (FS K. Müller), hg. Martin Ebner et al. (NTA<br />
47), Münster, 2004, 1-15. – Muñoz León, D. La proclamación del reinado de Dios y de su Cristo sobre el<br />
mundo en Ap 11,15. Contactos con Targum de Éxodo 15,18, Estudios Bíblicos 57 (1999) 441-457.<br />
11/15 Und der siebente Engel posaunte:<br />
und es geschahen laute Stimmen im Himmel,<br />
die sprachen:<br />
Das Reich der Welt unseres Herrn und seines Christus<br />
ist gekommen,<br />
und er wird herrschen in alle Ewigkeit.<br />
11/16 Und die vierundzwanzig Ältesten,<br />
die vor Gott auf ihren Thronen sitzen,<br />
fielen auf ihre Angesichter<br />
und beteten Gott an 11/17 und sprachen:<br />
Wir danken dir, Herr, Gott, Allmächtiger,<br />
der ist und der war,<br />
dass du deine große Macht ergriffen<br />
und deine Herrschaft angetreten hast.<br />
11/18 Und die Nationen sind zornig gewesen,<br />
und dein Zorn ist gekommen<br />
und die Zeit der Toten, dass sie gerichtet werden<br />
und dass [du] den Lohn gibst deinen Knechten,<br />
den Propheten,<br />
und den Heiligen<br />
und denen, die deinen Namen fürchten,<br />
den Kleinen und den Großen,<br />
und die verdirbst, welche die Erde verderben.<br />
11:15 Kaì Ho “ebdomoß ‘aggeloß hesálpisen≥<br />
kaì hegénonto fwnaì megálai hen t¨^w ohuran¨^w<br />
légonteß,<br />
h Egéneto Hj basileía toü kósmou toü kuríou<br />
Hjmẅn kaì toü Cristoü ahutoü,<br />
kaì basileúsei ehiß toùß ahiẅnaß tẅn ahiẃnwn.<br />
11:16 kaì oHi e‘ikosi téssareß presbúteroi<br />
[oHi] henẃpion toü qeoü kaq´jmenoi hepì toùß<br />
qrónouß ahutẅn ‘epesan hepì tà próswpa ahutẅn<br />
kaì prosekúnjsan t¨^w qe¨^w 11:17 légonteß,<br />
Ehucaristoümén soi, kúrie Ho qeòß Ho pantokrátwr,<br />
Ho ’wn kaì Ho ~jn,<br />
“oti e‘iljfaß t`jn dúnamín sou t`jn megáljn<br />
kaì hebasíleusaß≥<br />
11:18 kaì tà ‘eqnj hwrgísqjsan,<br />
kaì ~jlqen Hj horg´j sou<br />
kaì Ho kairòß tẅn nekrẅn kriq¨jnai<br />
kaì doünai tòn misqòn toïß doúloiß sou<br />
toïß prof´jtaiß<br />
kaì toïß Hagíoiß<br />
kaì toïß fobouménoiß tò ‘onomá sou,<br />
toùß mikroùß kaì toùß megálouß,<br />
kaì diafqeïrai toùß diafqeírontaß t`jn g¨jn.<br />
• Nach den sechs Siegeln folgte (nach einem »Unterbruch«) im siebten Siegel Stille im<br />
Himmel. Jetzt folgt die Sieges-Proklamation.<br />
• Das ist der Zeitpunkt, an dem sich nach der Prolepse des starken Engels das<br />
Geheimnis erfüllen wird (10,7): die Gottesherrschaft verwirklicht sich nun (11,15).<br />
• Vgl. zur Proklamation <strong>Apk</strong> 12,10-12<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
96 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
2.8 Kampf mit den feindlichen Mächten (11,19-14,20)<br />
2.8.1 Die Frau und der Drache (11,19-12,18)<br />
Lit.:<br />
Abir, P.A. The cosmic conflict of the church. An exegetico-theological study of Revelation 12,7-12 (EHS<br />
23:547), Frankfurt a.M. u.a, 1995. – Balch, D.L. ›A woman clothed with the sun‹ and the ›great red<br />
dragon‹ seeking to ›devour her child‹ (Rev 12:1, 4) in Roman domestic art, in: The New Testament and<br />
early Christian literature in Greco-Roman context (FS D.E. Aune), ed. J. Fotopoulos (NT.S 122), Leiden,<br />
2006, 287-314. – Balch, D.L. Roman Domestic Art and Early House Churches (WUNT 228), Tübingen,<br />
2008. – Bergmeier, R. Die Erzhure und das Tier: <strong>Apk</strong> 12,18-13,18 und 17 f. Eine quellen- und<br />
redaktionskritische Analyse, in: ANRW II.25.5 (1988), 3899-3916 = Das Gesetz im Römerbrief und<br />
andere Studien zum Neuen Testament (WUNT 121), Tübingen, 2000, 301-320. – Bergmeier, R. Altes<br />
und Neues zur ›Sonnenfrau am Himmel (<strong>Apk</strong> 12)‹. Religionsgeschichtliche und quellenkritische<br />
Beobachtungen zu <strong>Apk</strong> 12,1-17, ZNW 73 (1982) 97-109 = Das Gesetz im Römerbrief und andere Studien<br />
zum Neuen Testament (WUNT 121), Tübingen, 2000, 249-261. – Busch, P. Der gefallene Drache.<br />
Mythenexegese am Beispiel von Apokalypse 12 (TANZ 19), Tübingen, 1996. – Dochhorn, J. Und die<br />
Erde tat ihren Mund auf: Ein Exodusmotiv in Apc 12,16, ZNW 88 (1997) 140-142. – Farkas, P. La<br />
›donna‹ di Apocalisse 12. Storia, bilancio, nuove prospettive (Tesi Gregoriana. Serie Teologia 25), Roma,<br />
1997. – Feuillet, A. Le Messie et sa Mere d'apres le chapitre XII de l'Apocalypse, RB 66 (1959) 55-86. –<br />
Frey, J. Die Himmelskönigin, die Sonnenfrau und die Johannesapokalypse. Zum mythologischen<br />
Hintergrund und zur textpragmatischen Funktion eines wirkmächtigen Bildmotivs, Wiener Jahrbuch für<br />
Theologie 5 (2004) 95-112. – Gielen, M. Satanssturz und Gottesherrschaft (Offb 12). Das Verhältnis von<br />
Macht und Religion in der pragmatischen Konzeption der Johannesoffenbarung, in: Liebe, Macht und<br />
Religion. Interdisziplinäre Studien zu Grunddimensionen menschlicher Existenz, hg. M. Gielen et al.<br />
Stuttgart, 20<strong>03</strong>, 163-183. – Gollinger, H. Das ›Große Zeichen‹. Offb 12 – das zentrale Kapitel der<br />
Offenbarung des Johannes, BiKi 39 (1984) 66-75. – Häfner, G. Die ›Sonnenfrau‹ im Himmel und ihr<br />
Kind (Offb 12). Ein altes Rätsel neu bedacht, Münchener theologische Zeitschrift 56 (2005) 113-133. –<br />
Henten, J.W. van. Dragon myth and imperial ideology in Revelation 12-13, in: The reality of<br />
Apocalypse. Rhetoric and politics in the book of Revelation, ed. D.L. Barr (SBL.Symposium series 39),<br />
Atlanta, 2006, 181-2<strong>03</strong>. – Humphrey, E.M. To rejoice or not to rejoice? Rhetoric and the fall of Satan in<br />
Luke 10:17-24 and Rev 12:1-17, in: The reality of Apocalypse. Rhetoric and politics in the book of<br />
Revelation, ed. D.L. Barr (SBL.Symposium series 39), Atlanta, 2006, 113-125. – Kalms, J.H. Der Sturz<br />
des Gottesfeindes. Traditionsgeschichtliche Studien zu Apokalypse 12 (WMANT 93), Neukirchen-<br />
Vluyn, 2001. – Keller, C. Die Frau in der Wüste. Ein feministisch-theologischer Midrasch zu Offb 12,<br />
EvTh 50 (1990) 414-432. – Koch, M. Drachenkampf und Sonnenfrau. Zur Funktion des Mythischen in<br />
der Johannesapokalypse am Beispiel von <strong>Apk</strong> 12 (WUNT 184), Tübingen, 2004. – Köhler, K. Die Frau<br />
und der Drache – ein Kampf in drei Episoden. Die Vision in der Mitte der Offenbarung, Welt und<br />
Umwelt der Bibel 52 (2009) 39. – Lichtenberger, H. The down-throw of the dragon in Revelation 12<br />
and the down-fall of God's enemy, in: The fall of the angels, ed. Chr. Auffarth & L.T. Stuckenbruck<br />
(Themes in Biblical Narrative 6), Leiden, 2004, 119-147. – Metzger, P. ›Der Teufel hat wenig Zeit‹<br />
(Offb 12,12) - Hans Blumenberg, die Wahrheit der Apokalyptik und die Legitimität der Auslegung, ZNT<br />
22/12 (2008) 34- 43. – Minear, P.S. Far as the Curse is Found: The Point of Revelation 12:15-16, NT 33<br />
(1991) 71-77. – Mußner, F. Sonnenweih und Drache. Eine Auslegung von <strong>Apk</strong> 12, in: Maria, die Mutter<br />
Jesu im Neuen Testament, St. Ottilien: EOS-Verlag, 1993, 119-155. – Nanz, Chr. ›Hinabgeworfen wurde<br />
des Ankläger unserer Brüder ...‹ (Offb 12,10). Das Motiv vom Satanssturz in der Johannes-Offenbarung,<br />
in: Theologie als Vision. Studien zur Johannes-Offenbarung, hg. K. Backhaus (SBS 191), Stuttgart, 2001,<br />
151-171. – Omerzu, H. Die Himmelsfrau in <strong>Apk</strong> 12. Ein polemischer Reflex des römischen Kaiserkults,<br />
in: Apokalyptik als Herausforderung neutestamentlicher Theologie, hg. M. Becker / M. Öhler (WUNT<br />
2:214), Tübingen, 2006, 167-194. – Paul, I. The use of the Old Testament in Revelation 12, in: The Old<br />
Testament in the New Testament (FS J.L. North), ed. S. Moyise (JSNT.S 189), Sheffield, 2000, 256-276.<br />
– Piastra, C.M. / Santi, F. (ed.). Maria, l'apocalisse e il medioevo. Firenze: SISMEL Edizioni del<br />
Galluzzo [u.a.], 2006. – Schreiber, S. Die Sternenfrau und ihre Kinder (Offb 12): Zur Wiederentdeckung<br />
eines Mythos, NTS 53/3 (2007) 436-457. – Siew, A.K.W. The war between… 2005 (s. zu Kap. 11) –<br />
Testa, E. La struttura di Apoc 12,1-17, Liber annuus. Studium Biblicum Franciscanum 34 (1984) 225-<br />
238. – Trummer, P. Die Frau und der Drache. Skizzen zu Offenbarung 12, in: Im Geist und in der<br />
Wahrheit. Studien zum Johannesevangelium und zur Offenbarung des Johannes sowie andere Beiträge<br />
(FS Martin Hasitschka), hg. K. Huber et al. (NTA 52), Münster, 2008, 363-384. – Ulland, H. Die Vision<br />
als Radikalisierung der Wirklichkeit in der Apokalypse des Johannes. Das Verhältnis der sieben<br />
Sendschreiben zu Apokalypse 12-13 (TANZ 21), Tübingen, 1997. – Vögtle, A. Mythos und Botschaft in<br />
Apokalypse 12, in: Tradition und Glaube. Das frühe Christentum in seiner Umwelt (FS K.G. Kuhn), hg.<br />
G. Jeremias et al., Göttingen, 1971, 395-415. – Wink, W. Das apokalyptische Tier und die Kultur der<br />
Gewalt, Concilium 33/5 (1997) 647-653.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 97<br />
11/19 Und der Tempel Gottes im Himmel wurde<br />
geöffnet,<br />
und die Lade seines Bundes wurde in seinem Tempel<br />
gesehen;<br />
und es geschahen Blitze und Stimmen<br />
und Donner und ein Erdbeben und ein großer Hagel.<br />
11:19 kaì hjnoígj Ho naòß toü qeoü Ho hen t¨^w<br />
ohuran¨^w,<br />
kaì ‘wfqj Hj kibwtòß t¨jß diaq´jkjß ahutoü hen t¨^w<br />
na¨^w ahutoü≥<br />
kaì hegénonto hastrapaì kaì fwnaì<br />
kaì brontaì kaì seismòß kaì cálaza megálj.<br />
• Dieser kurze Abschnitt dient entweder als Abschluss der Posaunen-Reihe oder (eher)<br />
als Eröffnung der folgenden Vision 178 .<br />
• Vorbereitende Epiphanie<br />
Die folgenden Visionen zeichnen sich durch einige Aspekte besonders aus:<br />
• Zusammenhängender »plot« bis zur nächsten Siebener-Reihe<br />
• Keine direkten AT-Bezüge, sondern mythologische Redeweise<br />
2.8.2 Exkurs: Mythologische Bezüge und das Problem der Auslegung<br />
• Hermann Gunkel fragte:<br />
»Woher kommen alle diese Einzelzüge? Was sind sie eigentlich? Wer sich unbefangen dem ästhetischen<br />
Eindruck der brennenden Farben dieser grotesken Schilderung hingiebt, sollte es dem nicht wie Schuppen<br />
vond en Augen fallen, wenn er hört, daß dies ein Mythus sei?« [H. Gunkel, Aus Wellhausens neuesten<br />
apokalyptischen Forschungen. Einige principielle Erörterungen, in: ZWTh 42 (1899), 581-611 = in: K. Koch<br />
(Hg.), Apokalyptik (WdF), Darmstadt 1982, 67-90 (Zitat: S. 83)]<br />
In seiner bahnbrechenden religionsgeschichtlichen Studie von 1899 Schöpfung und Chaos in Urzeit und Endzeit<br />
hat er die mythologischen Bezüge klar herausgearbeitet.<br />
• Es ist deutlich, dass Joh<strong>Apk</strong> 12 Elemente aus antiken Mythen von Götterkämpfen<br />
aufnimmt 179 . Manche Forscher versuchen die mythologische Dimension des Textes<br />
nur als bedeutungslose Schale für die »wahren« christlichen Inhalte zu verstehen,<br />
andere sehen im Mythologischen eine genuine Ausdruckform apokalyptischer<br />
Redeweise 180 .<br />
• Eine griffige Definition von Mythos bietet Jürgen Roloff in seinem Kommentar (1987,<br />
S. 123):<br />
»Unter Mythos versteht die Religionswissenschaft eine erzählende Darstellung von urzeitlichen Vorgängen<br />
zwischen Göttern, dämonischen Mächten und Heroen, die Auskunft geben will über Ursprung und Wesen<br />
der Welt, die Stellung des Menschen in ihr und die Entstehung der seine Existenz bestimmenden<br />
Verhältnisse und Normen. Das, was jetzt ist und geltend erfahrend wird, will der Mythos erklären, indem er<br />
es als Auswirkung eines Geschehens zwischen übernatürlichen Wesen deutet.«<br />
• Eine weitgehend sehr breit behandelte Fragestellung, ist das Woher des in <strong>Apk</strong> 12<br />
verwendeten mytholischen Schemas. In der Forschung werden zwei Bezüge<br />
favorisiert 181 .<br />
1. Der Isis-Mythos 182 hat einige Elemente, die auch in Joh<strong>Apk</strong> 12 begegnen. Generell<br />
erinnern die astralen Elemente (Sonne, Mond und Sterne) an typische Erscheinungsformen<br />
der Isis.<br />
178 Ausführlich dazu Aune, Rev. (WBC) II, 661f.<br />
179 A. Yarbro Collins, The Combat Myth in the Book of Revelation (Harvard Dissertations in Religion),<br />
Atlanta, 1976.<br />
180 Vgl. den instruktiven Überblick in Koch, Drachenkampf, 13-25.<br />
181 DIe These Gunkels von einem babylonischen Urkampf-Mythos ist mittlerweile aufgegeben worden.<br />
182 Quellen (wichigste): altägyptsche Hymnen, Plutarch (46-120), De Iside et Osiride 355D-358F (passim);<br />
Diodorus Siculus 1,21f; 1,88,4-7. Vgl. Bousset, <strong>Apk</strong> (KEK), 353-355; Busch, Drache, 75-81.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
98 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Isis war von den orientalischen Gottheiten die »Lieblingsgöttin« der Römer. 183 Nach dem Tod Caesars wurde<br />
ihr in Rom ein Tempel geweiht. Spätestens seit Caligula wurden in Rom innerhalb der politischen Eliten Isis-<br />
Weihen gefeiert (vgl. Apuleius, Metamorphosen XI). Vespasian und Titus ließen sich im römischen Iseum<br />
weihen. Trajan porträtiert sich auf einem Triumphbogen mit einer Opfergabe für Isis und Horus. Kaiser Hadrian<br />
dekorierte seine Villa mit Isis-Szenen; usw.<br />
Sargspruch 148 (ca. 2. Jht. v.Chr.):<br />
Sie sagt »O Götter, ich bin Isis, die Schwester des Osiris, die über den Vater<br />
der Götter weint, Osiris, der den Kampf der beiden Länder schlichtete. Sein<br />
Same ist in meinem Leib. (Ich) habe die Gestalt eines Gottes gebildet im Ei<br />
als Sohn dessen, der an der Spitze der Neunheit ist, (als den,) der dieser Erde<br />
beherrschen wird, der Geb beerben wird, der Fürsprache einlegen wird für<br />
seinen Vater, der Seth töten wird, den Feind seines Vaters Osiris. Kommt<br />
Götter, macht seinen Schutz in meiner Vulva!…«<br />
Da sagte Re-Atum: »Dein Empfangener, dein Verborgener (im Leib),<br />
Jungfrau, ist es, den du empfingst (eigentlich: mit dem du schwanger bist)<br />
und gebären wirst den Göttern. Denn der Same des Osiris ist er. Nicht soll<br />
kommen dieser Feind, der seinen (= Horus’) Vater getötet hat. Er wird sonst<br />
das Ei zerstören in seinem Kindesstadium. Erschrecken soll der Große-an-<br />
Zaubern (= Seth).«<br />
»Hört dies, Götter«, sagt Isis, »was Re-Atum, der Herr des Hauses der chmw<br />
gesagt hat: Er hat für mich den Schutz meines Sohnes in meinem Leib<br />
befohlen. Er hat Schutzgötter um ihn gebildet in dieser meiner Vulva (…).<br />
Es kommt hervor die Wut in meinem Leib, die Kraft in meinem Leib ist ans<br />
Ziel gelangt, die Kraft hat sein ... erreicht. Der den Sonnenglanz befährt, er<br />
hat seinen Platz selbst gemacht, indem er an der Spitze der Götter sitzt im<br />
Hofstaat des Whc. (...)« (Text nach Busch, Drache, 77)<br />
Isis-Statue<br />
Metternichtsstele (4. Jh. v.Chr.): Ich Isis floh aus dem Gefängnis, in das mein Bruder Seth mich geworfen hatte.<br />
Ich floh zur Abendzeit und sieben Skorpione flohen hinter mir und halfen mir.<br />
Ich bin Isis, die von ihrem Gatten empfangen hat und den göttlichen Horus trägt. Ich gebar Horus, den Sohn des<br />
Osiris, im Papyrusdickicht und jauchzte darüber sehr, als ich ihn sah, de für seinen Vater eintritt. Ich verbarg ihn,<br />
ich versteckt ihn aus Furcht, er möchte in eine feindliche Stadt (??) laufen, und aus Furcht vor dem Mörder (?).<br />
Ich verbrachte den Tag damit, auf den Knaben zu warten und seinen Unterhalt zu besorgen. (Text nach Busch,<br />
Drache, 78)<br />
Der gesamte Isis/Osirismythos nach Plutarch, De Iside et Osiride 12-19<br />
(12) Der Mythos, um den es hier geht, sei in aller Kürze berichtet ... Es heißt, daß Rhea sich heimlich mit Kronos vereinigte;<br />
Helios habe es bemerkt und einen Fluch über sie gesprochen, daß sie weder in einem Monat noch in einem Jahr gebären<br />
solle. Da habe Hermes, der in die Göttin verliebt war, ihr beigewohnt, und dann habe er beim Brettspiel mit der Mondgöttin<br />
ihr von jedem Lichttag den siebzigsten Teil abgewonnen, aus all diesen fünf Tage zusammengesetzt und den 360 zugefügt.<br />
Die Ägypter nennen sie heute »Zugesetzte« (Epagomenen) und begehen sie als Geburtstage der Götter. Am ersten soll Osiris<br />
geboren sein, und eine Stimme sei, als er aus dem Mutterleib kam, gleichzeitig mit ihm hervorgedrungen: „Der Herr von<br />
allem tritt ans Licht hervor.“ Dagegen sagen einige, eine gewisse Pamyle habe in Theben, als sie aus dem Zeus-Heiligtum<br />
Wasser holte, eine Stimme gehört, die ihr auftrug, mit lautem Ruf zu verkünden: „Der große König, der Wohltäter, Osiris ist<br />
geboren.“ Darauf habe Kronos ihr den Osiris zum Aufziehen anvertraut ... Am zweiten Tage soll Arueris geboren sein, am<br />
dritten Typhon. Dessen Geburt sei nicht zur rechten Zeit und nicht am rechten Ort geschehen; er sei mit einem gewaltsamen<br />
Stoß hervorgebrochen und durch die Seite der Mutter herausgesprungen. Am vierten Tag sei Isis in der Nähe des Feuchten<br />
geboren worden, am fünften Nephthys, die man auch Teleutē (,Ende‘) und Aphrodite nennt, einige auch Nike (‚Sieg‘).Osiris<br />
und des Arueris stammten Helios, Isis von Hermes, Typhon und Nephthys von Kronos. ... Nephthys habe eine Ehe mit<br />
Typhon geschlossen; Isis und Osiris hätten einander schon vor der Geburt begehrt und im Mutterleib unter dem Schutz des<br />
Dunkels miteinander verkehrt. Manche sagen auch, auf diese Weise sei Arueris gezeugt worden, und er werde von den<br />
Ägyptern Horus der Ältere genannt, von den Griechen Apollon.<br />
(13) Als König habe Osiris die Ägypter sogleich von ihrem hilflosen und tierhaften Dasein befreit, ihnen den Anbau von<br />
Feldfrüchten gezeigt, Gesetze gegeben und sie gelehrt, die Götter zu ehren. Später habe er die ganze Welt durchzogen, um sie<br />
zu befrieden; er habe dabei ganz selten Waffen gebraucht, sondern die meisten Menschen mit Überredung, durch Wort und<br />
durch Gesang und Musenkunst aller Art bezaubert und für sich gewonnen. Darum hätten die Griechen den Eindruck, er sei<br />
mit Dionysos gleichzusetzen. Typhon habe, solange Osiris abwesend war, keinerlei Auflehnung versucht; denn Isis sei gut<br />
auf der Hut gewesen, habe scharf achtgegeben und eine unnachgiebige Haltung bewahrt. Aber als er zurückkehrte, habe<br />
Typhon gegen ihn einen listigen Anschlag ins Werk gesetzt. Er habe zweiundsiebzig Männer zu seinen Mitverschworenen<br />
183 Vgl. dazu R.E. Witt, Isis in the Ancient World (Baltimore, 1997), bes. Kap. 17.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 99<br />
gemacht und die Hilfe einer Königin gehabt, die aus Äthiopien gekommen war; ihr Name wird als Aso angegeben. Typhon<br />
maß insgeheim die Körpergröße des Osiris und ließ danach eine schöne, reich verzierte Truhe machen. Die brachte er zum<br />
Trinkgelage mit; und als man sich über ihren Anblick freute und staunte, habe er scherzhaft versprochen, wer sich hineinlege<br />
und genau dieselbe Größe habe, solle die Truhe zum Geschenk erhalten. Da hätten es alle der Reihe nach versucht, und als<br />
niemand hineinpaßte, sei Osiris hineingestiegen und habe sich hingelegt; da seien die Teilnehmer des Gelages herbeigestürzt,<br />
hätten den Deckel zugeklappt und mit Holzkeilen außen befestigt, dann über diese heißes Blei gegossen; so hätten sie die<br />
Truhe zum Fluß gebracht und ... ins Meer treiben lassen. ...<br />
(14) ... Als Isis davon erfuhr, habe sie sich eine Haarlocke abgeschnitten und Trauerkleidung angelegt ... Isis sei al lenthalben<br />
umhergeirrt und habe keinen Rat gewußt; sie sei an niemand vorübergegangen, ohne ihn anzusprechen; sogar als sie einmal<br />
Kinder traf, habe sie nach der Truhe gefragt. Zufällig hätten die Kinder diese gesehen und Isis die Nilmündung gezeigt, durch<br />
die Typhons Genossen das Behältnis ins Meer hatten treiben lassen. ...<br />
(15) Hiernach habe sie Kunde erhalten von der Truhe: Im Gebiet von Byblos hätten die Meereswogen sie ans Land gespült<br />
und ganz sanft im Geäst einer Baumheide abgesetzt. Die Baumheide sei dann in kurzer Zeit zu einem prachtvollen großen<br />
Baum aufgeschossen und habe die Truhe umfangen, umwachsen und in ihrem Innem verborgen. Der König habe die Größe<br />
des Gewächses bestaunt, den Stamm zurechthauen lassen, welcher den Sarg enthielt, ohne daß man ihn sehen konnte, und ihn<br />
als Stütze unter das Dach stellen lassen. Und dies, so heißt es, habe der Wind des Gerüchtes, von höheren Mächten gelenkt,<br />
der Isis zugetragen; sie sei nach Byblos gekommen und habe sich an einem Brunnen niedergesetzt, demütig und<br />
tränenüberströmt. Sie habe mit niemand sonst gesprochen; nur mit den Dienerinnen der Königin habe sie Bekanntschaft<br />
geschlossen und ihnen freundschaftliche Dienste geleistet ...<br />
(16) ... Die Göttin habe ihre wahre Gestalt angenommen und die Säule des Daches verlangt; sie habe diese ohne Mühe unter<br />
dem Dach weggenommen und das Holz der Baumheide rundherum weggeschlagen, habe es in ein Leinentuch gehüllt, mit<br />
Salbe übergossen und dem Königspaar ausgehändigt; die Bewohner von Byblos verehrten auch heute noch dieses Holz, das<br />
in einem Isisheiligtum aufbewahrt wird. Den Sarg aber habe sie umarmt und einen so lauten Schmerzensschrei ausgestoßen,<br />
daß das jüngere Kind des Königs wie tot umsank; das ältere habe sie mitgenommen, den Sarg auf ein Schiff gebracht und sei<br />
abgefahren. ...<br />
(17) An einem Orte, wo sie zum ersten Male fern von Menschen und für sich allein war, habe sie die Truhe geöffnet, ihr<br />
Gesicht an das Gesicht des Toten geschmiegt, ihn geküßt und Tränen vergossen. Da sei das Kind leise von hinten<br />
dazugekommen und habe zugeschaut; sie habe das gemerkt, sich umgedreht und ihm im Zorn furchtbare Blicke zugeworfen;<br />
das Kind habe die Angst nicht ertragen, sondern sei gestorben. ...<br />
(18) Als sich Isis nun zu ihrem Sohn Horus, der in Buto aufwuchs, auf den Weg machte und das Behältnis unterdessen an<br />
einer entlegenen Stelle verwahrte, soll Typhon des Nachts, als er beim Mondschein jagte, darauf gestoßen sein. Er habe die<br />
Leiche erkannt, in vierzehn Teile zerstückelt und diese zerstreut. Als Isis das erfuhr, habe sie die Teile wieder gesucht, in<br />
einem Papyrusboot durch die Sümpfe fahrend. ... Daher komme es auch, daß es in Ägypten viele angebliche Gräber des<br />
Osiris gibt: Isis habe, wo immer sie auf einen Kötperteil stieß, ein Grab bereitet. Andere bestreiten das; Isis habe vielmehr<br />
Abbilder hergestellt und sie jeder einzelnen Stadt geschenkt, so als ob sie ihr die Leiche schenkte, damit er an mehr Stellen<br />
Ehren genieße und Typhon, wenn er über Horus obsiegen würde, bei der Suche nach dem wahren Grab unter den vielen, die<br />
genannt und gezeigt werden, aufgeben müßte. ...<br />
(19) Dann sei Osiris aus dem Totenreich zu Horus gekommen und habe ihn für den Kampf vorbereitet und trainiert. Da habe<br />
er ihn gefragt: „Was hältst du für das Schönste?“, und dieser habe geantwortet: „Vater und Mutter zu rächen, wenn ihnen<br />
Böses getan worden ist.“ Zum zweiten habe er gefragt: „Welches Tier dünkt dich am nützlichsten, wenn man zum Kampf<br />
auszieht?“ Horus habe gesagt: „Ein Pferd“, und Osiris sei verwundert gewesen und habe nicht verstanden, warum er nicht<br />
lieber einen Löwen statt eines Pferdes genannt habe. Da habe Horus gesagt: „Ein Löwe ist von Nutzen, wenn man Beistand<br />
braucht; aber ein Pferd, wenn es gilt, den fliehenden Feind zu zerstreuen und aufzureiben.“ Über diese Worte habe Osiris sich<br />
gefreut als ein Zeichen, daß Horus sich für den Kampf wohl vorbereitet habe. Immer wieder sollen viele zur Partei des Horus<br />
übergegangen sein ... Die Schlacht sei über viele Tage gegangen, und Horus habe die Oberhand behalten. Er habe Typhon<br />
gefesselt der Isis übergeben, aber sie habe ihn nicht getötet, sondern sogar aus den Fesseln gelöst und freige- lassen. Horus<br />
habe das nicht gleichmütig hingenommen, sondern Hand an seine Mutter gelegt und ihr die Königskrone vom Kopf gerissen.<br />
Hermes habe ihr dafür einen Helm in Form eines Kuhkopfes aufgesetzt. Typhon habe nun gegen Horus eine gerichtliche<br />
Klage wegen unehelicher Geburt erhoben, Hermes habe ihn verteidigt, und Horus sei von den Göttern als echtbürtig erklärt<br />
worden. Dann sei Typhon in zwei weiteren Schlachten niedergerungen worden. Isis habe von Osiris, der ihr nach seinem<br />
Tode noch beiwohnte, ein weiteres Kind geboren, eine Frühgeburt, an den unteren Gliedmaßen schwächlich: Harpokrates.<br />
(20) Dies ist in großen Zügen der Hauptinhalt des Mythos ... 184<br />
184 Übersetzung nach: Plutarch, Religionsphilosophische Schriften. Über den Aberglauben – Über die späte<br />
Strafe der Gottheit – Über Isis und Osiris, Griechisch – deutsch, übers. und hg. v. H. Görgemanns, Tusculum,<br />
Düsseldorf /Zürich 20<strong>03</strong>, 155-167.<br />
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100 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
2. Der Leto-Mythos 185 : Leto, die Mutter des Apollon, ist von Zeus schwanger und sucht<br />
einen Ort, wo sie gebären kann. Sie wird dabei von einen Drachen (Python) verfolgt. Leto<br />
kann schließlich auf der Insel Delos Apollon und Artemis zur Welt bringen. Apollon wird<br />
dann später, um seine Mutter zu rächen, den Drachen töten. Wie alle Mythen sind die<br />
wichtigsten Elemente des plots vorgegeben, Einzelheiten jedoch variieren. Hier zwei<br />
Beispiele aus den Quellen:<br />
Apollodor, Bibliotheka 2,21f: Leto wurde wegen ihres Umganges mit Zeus von Hera über die ganze Erde<br />
verfolgt, bis sie endlich nach Delos kam, wo sie zuerst die Artemis, sodann von dieser bei der Geburtsarbeit<br />
unterstützt, den Apollon gebar. 22 Artemis blieb als Liebhaberin der Jagd Jungfrau. Apollon, von Pan, einem<br />
Sohn des Zeus und der Thymbris, in der Wahrsagekunst unterrichtet, kam nach Delphoi, wo damals Themis<br />
weissagte. Hier wollte der Wächter des Orakels, die Schlange Python, nicht gestatten, dass er sich der Kluft<br />
der Weissagungen näherte; doch Apoll tötete ihn und übernahm selbst das Orakel. (Moser & Vollbach, Die<br />
griechsiche Sagenwelt. Apollodors mythische Bibliothek, Leipzig, 1988, 12)<br />
Hygin(ius), Fabulae 140: Python, der Sohn der Ge, war ein Drache von ungeheurer Größe. Vor Apollon<br />
pflegt er auf dem Parnaß Orakelsprüche zu verkünden, doch war ihm vom Schicksal bestimmt, durch einen<br />
Sohn der Leto den Untergang zu finden. Um diese Zeit hielt Zeus Beilager mit Leto, der Tochter des Polus.<br />
Als Hera das erfuhr, sollte nach ihrem Willen Leto dort gebären, wo die Sonne niemals hinkommt. Von dem<br />
Augenblick an, da Python gewahrte, dass Leto von Zeus schwanger war, verfolgte er sie beharrlich, um sie<br />
zu töten. Auf des Zeus Geheiß indes hob der Windgott Boreas Leto auf und trug sie zu Poseidon; dieser<br />
nahm sie in seinen Schutz, um aber die Entscheidung der Hera nicht zu durchkreuzen, verbrachte er sie auf<br />
die Insel Ortygia, die er dann mit seinen Fluten bedeckte. Als Python sie nicht fand, kehrte er zum Parnaß<br />
zurück. Poseidon aber ließ die Insel Ortygia wieder an die Oberfläche kommen; sie wurde nachher Delos<br />
genannt. Dort gebar Leto, indem sie sich an einem Ölbaum festhielt, Apollon und Artemis, denen Hephaistos<br />
Pfeile zum Geschenk gab. Am vierten Tag nach ihrer Geburt vollzog Apollon die Rache für seine Mutter: er<br />
begab sich zum Parnaß, erlegte den Python mit seinen Pfeilen – danach hieß er dann Pythios – und sammelte<br />
die Gebeine in einem Kessel, den er in seinem Tempel aufstellte. Dann veranstaltete er Leichenspiele für ihn,<br />
die bis heute die Pythischen Spiele heißen.<br />
• Trotz dieser Texte ist festzuhalten: a) Antike Mythen waren nicht festgelegt, sondern<br />
waren flexibel und anpassungsfähig. (So konnten auch Isis und Leto ohne Weiteres<br />
miteinander identifiziert werden.) b) Es sollte nicht die Frage so gestellt werden, als<br />
ob der Verfasser der Joh<strong>Apk</strong> entweder von hier oder dort sein Material übernommen<br />
hat. Er war sicherlich kreativ in seinem Umgang mit einem breiten und Motivfeld.<br />
• Theologisch interessant: Der Prophet kann eine mythologische Story verwenden, um<br />
das Christusgeschehen zur Sprache zu bringen!<br />
12/1 Und ein großes Zeichen erschien im Himmel:<br />
Eine Frau, bekleidet mit der Sonne,<br />
und der Mond [war] unter ihren Füßen<br />
und auf ihrem Haupt ein Kranz von zwölf Sternen.<br />
12/2 Und sie ist schwanger<br />
und schreit in Geburtswehen<br />
und in Schmerzen [und soll] gebären.<br />
12:1 Kaì sjmeïon méga ‘wfqj hen t¨^w ohuran¨^w,<br />
gun`j peribebljménj tòn “jlion,<br />
kaì Hj sel´jnj Hupokátw tẅn podẅn ahut¨jß,<br />
kaì hepì t¨jß kefal¨jß ahut¨jß stéfanoß hastérwn<br />
dẃdeka,<br />
12:2 kaì hen gastrì ‘ecousa,<br />
kaì krázei hwdínousa<br />
kaì basanizoménj tekeïn.<br />
• Großes Zeichen (12,3: ein anderes Zeichen; 15,1: großes Zeichen) am Himmel<br />
(astrologische Dimension der Vision).<br />
• Die Identität der Frau hat in der Forschungsgeschichte eine Unzahl von Meinungen<br />
produziert 186 :<br />
1. Die Kirche, die verfolgt wird, 2. Maria, die Mutter Jesu (bes. in der röm.-kathol. Auslegungstradition), 3.<br />
Israel, das Volk aus dem Jesus kam, 4. Judenchristen, 5. Astralkörper, 6. das Weibliche (an sich), usw.<br />
185 Quellen: Homer, Od 11,578; Pindar, Pyth 4,90; Apollon. Rhod. 1,759; Apollod., Bibl. 1,23; Vergil, Aen.<br />
6,597; Lukrez, Rer. nat. 3,990f. Vgl. Busch, Drache, 81-83.<br />
186 Vgl. neben den Kommentaren Koch, Drachenkampf, 160-210.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 101<br />
• Sonne, Mond und 12 Sterne erinnern an Gen 37,9 187 , dennoch sind hier die Sterne<br />
nicht einfach auf Israel oder die Kirche (12 Apostel) zu beziehen, da sonst auch Sonne<br />
und Mond irgendwie »übertragen« werden müssten. Die Frau erscheint als<br />
Himmelsgöttin (durchaus mit Isis-Assoziationen).<br />
• Die Schwangerschaft und ihre Schmerzen passen auch zu dem Motiv des dreifachen<br />
Wehes (8,13; 9,12; 11,14). Dadurch wird ihre Verletztlichkeit im Moment des Lebens<br />
hervorgehoben.<br />
12/3 Und es erschien ein anderes Zeichen im Himmel:<br />
und siehe, ein großer, feuerroter Drache,<br />
der sieben Köpfe und zehn Hörner<br />
und auf seinen Köpfen sieben Diademe hatte;<br />
12/4 und sein Schwanz zieht den dritten Teil der Sterne<br />
des Himmels fort;<br />
und er warf sie auf die Erde.<br />
Und der Drache stand vor der Frau,<br />
die im Begriff war, zu gebären,<br />
um, wenn sie geboren hätte, ihr Kind zu<br />
verschlingen.<br />
12/5 Und sie gebar einen Sohn, ein männliches [Kind],<br />
der alle Nationen hüten soll mit eisernem Stab;<br />
und ihr Kind wurde entrückt zu Gott<br />
und zu seinem Thron.<br />
12/6 Und die Frau floh in die Wüste,<br />
wo sie eine von Gott bereitete Stätte hat,<br />
damit man sie dort ernähre<br />
tausendzweihundertsechzig Tage.<br />
• Der rote Drache entstammt nun ganz dem Mythos<br />
(keine AT-Modelle; s.a. Ez 29,3ff; 32,2ff)<br />
• Allerdings ist bei seiner Schilderung Einfluss von<br />
Dan 7 erkennbar, wodurch der Drache auch dem<br />
Tier in 13,1 und 17,3 ähnlich wird: Sieben Köpfe,<br />
zehn Hörner, Diademe => Machterweis<br />
• Sternenschwanz in Anlehnung an Dan 8,10: Und es<br />
[eines der Hörner] wuchs bis an das Heer des<br />
Himmels und warf einige von dem Heer und von<br />
den Sternen zur Erde und zertrat sie.<br />
• Der Mythos-Drache stellt eine Gefahr für Mutter<br />
und Kind da.<br />
• Die Aufgabe des Kindes wird unter Hinweis auf Ps<br />
2,9 umrissen: Du sollst sie mit einem eisernen<br />
Zepter zerschlagen, wie Töpfe sollst du sie<br />
zerschmeissen. 188 Der Christus-Bezug ist deutlich.<br />
12:3 kaì ‘wfqj ‘allo sjmeïon hen t¨^w ohuran¨^w,<br />
kaì hidoù drákwn mégaß purróß,<br />
‘ecwn kefalàß Heptà kaì kérata déka<br />
kaì hepì tàß kefalàß ahutoü Heptà diad´jmata,<br />
12:4 kaì Hj ohurà ahutoü súrei tò tríton tẅn<br />
hastérwn toü ohuranoü<br />
kaì ‘ebalen ahutoùß ehiß t`jn g¨jn.<br />
kaì Ho drákwn “estjken henẃpion t¨jß gunaikòß<br />
t¨jß melloúsjß tekeïn,<br />
“ina “otan ték∆ tò téknon ahut¨jß katafág∆.<br />
12:5 kaì ‘eteken uHión, ‘arsen,<br />
”oß méllei poimaínein pánta tà ‘eqnj hen Hrábd^w<br />
sidjr¨â≥<br />
kaì Hjrpásqj tò téknon ahut¨jß pròß tòn qeòn<br />
kaì pròß tòn qrónon ahutoü.<br />
12:6 kaì Hj gun`j ‘efugen ehiß t`jn ‘erjmon,<br />
“opou ‘ecei hekeï tópon Hjtoimasménon hapò toü<br />
qeoü,<br />
“ina hekeï tréfwsin ahut`jn Hjméraß cilíaß<br />
diakosíaß Hex´jkonta.<br />
William Blake, The Great Red Dragon<br />
and the Woman Clothed in Sun<br />
(1805-1810)<br />
• Da das Kind direkt nach der Geburt entrückt wird, kann es kaum um die irdische<br />
Geburt Jesu gehen. Werden hier eher Tod und Auferstehung mit der Geburtsmetapher<br />
ausgedrückt?<br />
187 Traum Josephs: Und er hatte noch einen zweiten Traum, den erzählte er seinen Brüdern und sprach: Ich<br />
habe noch einen Traum gehabt; siehe, die Sonne und der Mond und elf Sterne neigten sich vor mir. (Vgl.<br />
TestNaph 5)<br />
188 Die Nähe zu Ps 2,7 ist sicherlich intendiert: Kundtun will ich den Ratschluss des HERRN. Er hat zu mir<br />
gesagt: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
102 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• 6: Dennoch folgt der Mythos noch dem Geschick der Frau: Sie flieht in die Wüste für<br />
3,5 Jahre. Exodus-Motiv (wird in VV 13-16 noch weiter ausgebaut).<br />
12/7 Und es entstand ein Kampf im Himmel:<br />
Michael und seine Engel kämpften mit dem Drachen.<br />
Und der Drache kämpfte und seine Engel;<br />
12/8 und sie waren nicht stärker,<br />
auch wurde ihr Ort/Platz/Position im Himmel nicht<br />
gefunden.<br />
12/9 Und es wurde geworfen der große Drache,<br />
die alte Schlange,<br />
der Teufel und Satan genannt wird,<br />
der den ganzen Erdkreis verführt,<br />
geworfen wurde er auf die Erde,<br />
und seine Engel wurden mit ihm geworfen.<br />
12:7 Kaì hegéneto pólemoß hen t¨^w ohuran¨^w,<br />
Ho Mica`jl kaì oHi ‘aggeloi ahutoü toü polem¨jsai<br />
metà toü drákontoß.<br />
kaì Ho drákwn hepolémjsen kaì oHi ‘aggeloi ahutoü,<br />
12:8 kaì ohuk ‘iscusen,<br />
ohudè tópoß eHuréqj ahutẅn ‘eti hen t¨^w ohuran¨^w.<br />
12:9 kaì hebl´jqj Ho drákwn Ho mégaß,<br />
Ho ‘ofiß Ho harcaïoß,<br />
Ho kaloúmenoß Diáboloß kaì Ho Satanäß,<br />
Ho planẅn t`jn ohikouménjn “oljn -<br />
hebl´jqj ehiß t`jn g¨jn,<br />
kaì oHi ‘aggeloi ahutoü meth ahutoü hebl´jqjsan.<br />
• Nach der Verwendung einer mythologischen »Story« nimmt der Verfasser in VV 7-9<br />
Bezug auf traditionelle atl.-apokalyptische Motive:<br />
• 1. Himmelskampf: Das AT kennt (darin an kanaanitische Traditionen anknüpfend) das<br />
Motiv vom Chaoskampf 189 . Die jüdische Apokalyptik hat v.a. im Anschluss an Gen<br />
6,1-4 (Söhne Gottes haben Verkehr mit Frauen) das Szenario einer himmlischen<br />
Rebellion höheren Ausmaßes konstruiert. 190<br />
• 2. Sturz des Gottesfeindes 191 :<br />
Ausgangspunkt dieser Tradition könnte Jes 14,12-15 sein. Der Sturz eines gegnerischen Herrschers (die<br />
Weltmacht Babel) erhält hier kosmische Züge: 12 Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner<br />
Morgenstern! Wie wurdest du zu Boden geschlagen, der du alle Völker niederschlugst! 13 Du aber<br />
gedachtest in deinem Herzen: »Ich will in den Himmel steigen und meinen Thron über die Sterne Gottes<br />
erhöhen, ich will mich setzen auf den Berg der Versammlung im fernsten Norden. 14 Ich will auffahren über<br />
die hohen Wolken und gleich sein dem Allerhöchsten.« 15 Ja, hinunter zu den Toten fuhrest du, zur tiefsten<br />
Grube! [vgl. auch Ez 28,1-9!!]<br />
2(slav)Hen 29 (Am zweiten Tag seiner Schöpfung werden mit dem Himmel auch die Engel geschaffen. Gott<br />
spricht): 4 Einer aber vom Rang der Erzengel wandte sich ab mit dem Rang, der unter ihm war, [und] er<br />
empfing den unmöglichen Gedanken, dass er seinen Thron höher als die Wolken über der Erde stellte, [und]<br />
dass er gleich werde meiner Macht. 5 Und ich warf ihn von der Höhe hinab mit seinen Engeln. Und er flog<br />
fortwährend in der Luft, oberhalb des Abgrundes. 6 Und so schuf ich alle Himmel. Und es wurde der dritte<br />
Tag. [Nach 31,4 handelt es sich bei dem vom Himmel Gefallenen eindeutig um den Teufel.]<br />
Vita Adae et Evae (ca. 100 v.Chr. - 200 n.Chr.; lat. Tradition; in einer dramatischen Rede [Kap. 12-17]<br />
erzählt der Teufel Adam, dass er wegen ihm vom Himmel gestürzt wurde. Als nämlich Gott Adam<br />
geschaffen hatte, bekamen alle Engel den Auftrag diesen als Ebenbild Gottes anzubeten. Der Erzengel<br />
Michael ging mit gutem Beispiel voran und befahl den anderen gleiches zu tun. Der Teufel weigerte sich,<br />
weil Adam unter seinem Rang sei.): 15,2 Und Michael sprach: Bete an das Ebenbild Gottes. Wenn du<br />
nämlich nicht angebetet hast, wird dir Gott der Herr zürnen. 3 Und ich sprach: Wenn er mir zürnt, werde ich<br />
meinen Sitz über die Gestirne des Himmels stellen und ich werde dem Höchsten gleich sein. 16,1 Und Gott<br />
der Herr wurde zornig auf mich und schickte mich mit meinen Engeln heraus aus unserer Herrlichkeit, und<br />
deinetwegen sind wir in diese Welt hinaus vertrieben worden aus unseren Wohnungen und sind auf die Erde<br />
geworfen worden. 2 Und auf der Stelle wurden wir mit Schmerz erfüllt, weil wir solch großer Herrlichkeit<br />
beraubt wurden, 3 und wir waren betrübt, dich in solch großer Freude und Wonne zu sehen. 4 Und<br />
189 Ps 74,13f (Du hast das Meer gespalten durch deine Kraft, zerschmettert die Köpfe der Drachen im Meer.<br />
Du hast dem Leviatan die Köpfe zerschlagen und ihn zum Frass gegeben dem wilden Getier.); Ps 89,10-15; Hiob<br />
7,12; 26. Die häufig begegnende Wassergottheit »Leviathan« leitet sich aus dem ugaritischen Begriff für<br />
Drachen her.<br />
190 Ausführlich in äth(1)Hen 6–11; s.a. Jub 5-10.<br />
191 Vgl. Kalms, Sturz, 144-172.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 1<strong>03</strong><br />
hinterlistig umgarnte ich deine Frau und bewirkte, dass du durch sie von deinen Freuden und Wonnen<br />
vertrieben wurdest, so wie auch ich von meiner Herrlichkeit vertrieben wurde.<br />
Der Sturz des Gottesfeindes wird in der Geschichtsschreibung historisiert, z.B. im Falle des Antiochus IV in<br />
2Makk 9,4-10,28: 4 In seinem Sinn gereizt, glaubte er auch die Unbill derer, die ihn zur Flucht getrieben<br />
hatten, an den Juden rächen zu sollen. Deshalb wies er seinen Wagenlenker an, ohne jede Unterbrechung der<br />
Fahrt die Reise zu vollenden, während doch für ihn die Stunde des himmlischen Gerichts gekommen war. In<br />
seiner Überheblichkeit nämlich sprach er so: „Aus Jerusalem werde ich, sobald ich dort bin, ein Massengrab<br />
der Juden machen.“ 5 Aber der alles überschauende Herr, Israels Gott, schlug ihn mit einem unheilbaren und<br />
unsichtbaren Schlag. Kaum hatte jener seinen Satz beendet, da ergriffen ihn heilloser Schmerz in den<br />
Eingeweiden und bittere Marter in den Organen. 6 Das war vollkommen gerecht, weil er die Eingeweide<br />
anderer mit vielen und fremdartigen Martern gepeinigt hatte. 7 Er aber liess keineswegs ab von seinem<br />
Hochmut, sondern war noch immer von Überheblichkeit erfüllt, schnaubte in seinem Herzen Feuer gegen die<br />
Juden und befahl, die Fahrt noch zu verschärfen. Da geschah es, dass er von dem rasend dahinrollenden<br />
Wagen stürzte und in schwerem Sturz alle seine Glieder zermartert wurden. 8 Er, der soeben noch gemeint<br />
hatte, er könne den Wogen des Meeres gebieten kraft seiner übermenschlichen Prahlerei, der da glaubte, er<br />
könne die Höhe des Gebirges mit der Waage abwägen, er stürzte zu Boden, wurde auf einer Bahre mitgeführt<br />
und zeigte so allen sichtbar Gottes Macht, 9 indem sogar aus den Augen des Gottlosen Würmer<br />
aufwimmelten und das Fleisch des Lebenden in Schmerz und Pein zerfiel, der von ihm ausgehende Geruch<br />
aber das ganze Heer mit Fäulnisgestank belästigte. 10 Und den, der kurz zuvor vermeint hatte, er könne nach<br />
den himmlischen Sternen greifen, vermochte niemand mehr zu transportieren wegen der unerträglichen<br />
Geruchsbelästigung.<br />
Ähnlich thematisiert PsSal 2,25-29 die Freveltat des Pompeius 63 v.Chr. bei seiner Eroberung Jerusalems:<br />
25 Zögere nicht, o Gott, die Vergeltung auf ihr Haupt kommen zu lassen, den Hochmut des Drachen in<br />
Schmach . 26 Und es dauerte nicht lange, bis Gott mir seinen Übermut zeigte, durchbohrt<br />
auf den Bergen Ägyptens, geringer geschätzt als der Geringste zu Wasser und zu Land; 27 sein Leichnam<br />
trieb auf den Wellen unter grosser Schmach, und es war keiner, der (ihn) begrub, weil er ihn in Schande<br />
geringachtete. 28 Er bedachte nicht, dass er ein Mensch sei, und er bedachte nicht das Ende. 29 Er sprach:<br />
„Ich will Herr über Erde und Meer sein“, und er erkannte nicht, dass Gott gross ist, mächtig in seiner grossen<br />
Kraft.<br />
In Sib 5,28-34 wird eine ähnliche Figur auf Nero angewendet (zugleich erscheint hier auch die Legende von<br />
der Wiederkehr Neros): 28 Darauf wird, welcher das Zeichen von 50 erhalten, der Herr sein, 29 eine<br />
entsetzliche Schlange, die schnaubt nach gewaltigem Kriege, 30 der zum Verderben der Seinen die Hand<br />
ausstrecket und alles 31 verwirrt, ein Athlet, Wagenlenker, der Unzähliges wagt; 32 doppelumfluteten Berg<br />
durchsticht und färbt er mit Mordblut. 33 Doch er wird spurlos verschwiden, der Arge, und kehret dann<br />
wieder, 34 Gott sich vergleichend; der wird ihm beweisen jedoch, dass er’s nicht ist. (s.a. Sib 5,214-227.361-<br />
385)<br />
Vgl. weiterhin Lk 10,18 (Sturz des Satans); Apg 12,20-23 (Herodes Agrippa)<br />
• Der Erzengel Michael erscheint in Dan 10,13.21; 12,1 als Wächter über Israel (s.a.<br />
äthHen 20,5). Er wird im Auftrag Gottes Israel Frieden bringen (TestDan 6,1f; s.a.<br />
TestLev 5,6; TestMos 10,2; 1QM 17,6f). Als »himmlischer Erlöser« hat Michael in<br />
manchen Strömungen des Judentums durchaus messianische Eigenschaften. 192<br />
Dan 10,13 Aber der Engelfürst des Königreichs Persien hat mir einundzwanzig Tage widerstanden; und<br />
siehe, Michael, einer der Ersten unter den Engelfürsten, kam mir zu Hilfe, und ihm überliess ich den Kampf<br />
mit dem Engelfürsten des Königreichs Persien. 10,21 Doch zuvor will ich dir kundtun, was geschrieben ist<br />
im Buch der Wahrheit. Und es ist keiner, der mir hilft gegen jene, ausser eurem Engelfürsten Michael. 12,1a<br />
Zu jener Zeit wird Michael, der grosse Engelfürst, der für dein Volk eintritt, sich aufmachen. äth(1)Hen 20:<br />
1 Und das sind die Namen der heiligen Engel, die wachen: 2 Uriel… 3 Rufael (= Rafael)…; 4 Raguel…; 5<br />
Michael, einer von den heiligen Engeln, nämlich der Heerführer über den besten (Teil) der Menschen, über<br />
das Volk; 6 Sarakiel (= Suriel oder Sariel),…; 7 Gabriel…. TestDan 6,1f: 1 Und jetzt, fürchtet den Herrn,<br />
meine Kinder, und nehmt euch vor dem Satan und seinen Geistern in acht. 2 Nahet euch Gott und dem Engel,<br />
der für euch bittend eintritt, denn er ist der Mittler zwischen Gott und Menschen, und für den Frieden Israels<br />
wird er sich gegen das Reich des Feindes stellen.<br />
192 Vgl. zu Michael D.D. Hannah, Michael and Christ. Michael Traditions and Angel Christology in Early<br />
Christianity (WUNT 2:109), Tübingen, 1999.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
104 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Dass an dieser Stelle Michael und nicht Christus den Kampf aufnimmt, ist auffällig.<br />
Entweder handelt er im Auftrag Gottes und Christus oder er ist (wie manche<br />
vermuten) an dieser Stelle mit Christus identisch 193 .<br />
• V. 8 sagt nicht, dass Michael und seine Engel den Drachen besiegen 194 ; lediglich, dass<br />
der Drachen nicht stark genug war und im Himmel seinen Ort (seine hierarchisch<br />
zugeteilte Position) verliert.<br />
• Die Art und Weise, wie von der Himmelswelt gesprochen wird, orientiert sich am<br />
Militärwesen. Daher ist der Krieg auch die Form der »Interaktion« zwischen Gut und<br />
Böse.<br />
• V. 9 identifiziert nun unzweideutig den mythologischen Drachen mit dem Satan:<br />
a) alte Schlange bezieht sich auf die Paradiesgeschichte [Die »Verführung« Evas ist in<br />
Vita Adae et Evae (s.o.) eine Racheaktion des Teufels für seine Vertreibung aus dem<br />
Himmel.]<br />
b) Zwei Eigennamen (ho kaloumenos): Satan (hebr. satan = Anschuldiger), Teufel<br />
(griech. diabolos = Verleumder) 195<br />
c) Der Verführer des Erdkreises (oikoumenê): Ausweitung seiner »Tätigkeit« im<br />
Paradies.<br />
• Hauptaussage (3x) ist »geworfen« (passiv von ballô): der Drache und seine Engel<br />
werden auf die Erde geworfen; in militärischer Vorstellung werden sie damit<br />
degradiert.<br />
• Die Passivform weist auf Gott hin.<br />
12/10 Und ich hörte eine laute Stimme im Himmel<br />
sagen:<br />
Nun ist das Heil und die Kraft<br />
und das Reich unseres Gottes<br />
und die Macht seines Christus gekommen;<br />
denn geworfen ist der Ankläger unserer Brüder,<br />
der sie Tag und Nacht vor unserem Gott anklagte.<br />
12/11 Und sie haben ihn besiegt<br />
durch das Blut des Lammes<br />
und durch das Wort ihres Zeugnisses,<br />
und sie haben ihr Leben nicht geliebt bis zum Tod!<br />
12/12 Darum seid fröhlich, ihr Himmel,<br />
und die ihr in ihnen wohnt!<br />
Wehe der Erde und dem Meer!<br />
Denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen<br />
und hat große Wut,<br />
da er weiß, dass er [nur] eine kurze Zeit hat.<br />
12:10 kaì ‘jkousa fwn`jn megáljn hen t¨^w ohuran¨^w<br />
légousan,<br />
‘ Arti hegéneto Hj swtjría kaì Hj dúnamiß<br />
kaì Hj basileía toü qeoü Hjmẅn<br />
kaì Hj hexousía toü Cristoü ahutoü,<br />
“oti hebl´jqj Ho kat´jgwr tẅn hadelfẅn Hjmẅn,<br />
Ho katjgorẅn ahutoùß henẃpion toü qeoü Hjmẅn<br />
Hjméraß kaì nuktóß.<br />
12:11 kaì ahutoì heníkjsan ahutòn<br />
dià tò aîma toü harníou<br />
kaì dià tòn lógon t¨jß marturíaß ahutẅn,<br />
kaì ohuk hjgápjsan t`jn yuc`jn ahutẅn ‘acri<br />
qanátou.<br />
12:12 dià toüto ehufraínesqe, [oHi] ohuranoì<br />
kaì oHi hen ahutoïß skjnoünteß≥<br />
ohuaì t`jn g¨jn kaì t`jn qálassan,<br />
“oti katébj Ho diáboloß pròß Humäß<br />
‘ecwn qumòn mégan,<br />
ehidẁß “oti holígon kairòn ‘ecei.<br />
• Himmlische Stimme müsste eigentlich die Stimme Gottes sein (vgl. 11,12). Es wäre<br />
jedoch einmalig, dass Gott selbst einen Hymnus auf sich anstimmt. Die Wendung<br />
»unsere Brüder« (10c) weist auf Engel und/oder die Märtyrer im Himmel hin.<br />
• Der Hymnus setzt den Sturz des Satans als Startpunkt für die Durchsetzung des Heils.<br />
• Heil, Kraft, Reich, Macht = das Heil wird hier in erster Linie als das Werden<br />
(ginomai) der Gottesherrschaft verstanden.<br />
193 So Satake, Offb (KEK), 286. Vom Lete-Mythos her würde man erwarten, dass das Kind Rache an dem<br />
Drachen nimmt. Michael/Christus wäre daher mit dem Kind identisch.<br />
194 Kann man daher von der »Niederlage des Drachen« (Satake, Offb, KEK, 286) reden?<br />
195 1Sam 29,4; 1Kön 11,14.23.25; Ps 109,6; Hiob 1,6ff (einer der Gottessöhne = himmlischer Ankläger);<br />
1Chron 21,1.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 105<br />
• Das Ausrufen des Heils wird direkt kausal mit dem Satanssturz in Verbindung<br />
gebracht. Der Ankläger ist nicht mehr im Himmel - das Reich kommt.<br />
• Vielleicht spiegeln sich hier Erfahrungen von Christen und Christinnen vor Gericht<br />
wider.<br />
• Unbeantwortet bleibt die theologische Frage: Wenn Gott den Satan auf die Erde<br />
werfen kann (und als Schöpfergott überhaupt alles kann), warum kann der Teufel der<br />
Durchsetzung seines Heils im Weg stehen? Warum kann das Heil erst ausgerufen<br />
werden, wenn der Satan aus dem Himmel vertrieben wird?<br />
• Ungewöhnlich für einen Hymnus: Perspektive der Christen: Der »Sieg« Michaels<br />
steht gar nicht im Zentrum, sondern der Sieg der Glaubenden. Dieser wird ermöglicht<br />
a) extern durch den Tod Jesu (Blut des Lammes) und b) intern durch das eigene<br />
Zeugnis (v.a. in Form des Bekenntnisses).<br />
• 11d macht deutlich, dass es hier um die Glaubenstreue bis zum Tod geht.<br />
• 12: Im Himmel gibt es Anlass zur Freude über den Sturz, auf der Erde jedoch Angst<br />
und Wehe.<br />
• Auch wenn an der Abfolge von Kap. 12 die genauen zeitlichen Bezüge zum<br />
christlichen Heilsdrama offen bleiben 196 , ist auf der Ebene der Rezeption eines<br />
wichtig: der Gegner, der für das Leiden der Christen und Christinnen verantwortlich<br />
ist, ist bereits geschlagen. Der Satan ist gefallen, es bleibt ihm keine Zeit. Alles was<br />
jetzt noch passiert, ist das letzte Aufkeimen eines geschlagenen Gegners.<br />
12/13 Und als der Drache sah,<br />
dass er auf die Erde geworfen war,<br />
verfolgte er die Frau,<br />
die das männliche [Kind] geboren hatte.<br />
12/14 Und es wurden der Frau die zwei Flügel des<br />
großen Adlers gegeben,<br />
damit sie in die Wüste fliege,<br />
an ihre Stätte,<br />
wo sie ernährt wird eine Zeit und Zeiten und<br />
eine halbe Zeit,<br />
fern vom Angesicht der Schlange.<br />
12/15 Und die Schlange warf aus ihrem Mund<br />
Wasser, wie einen Strom, hinter der Frau her,<br />
um sie mit dem Strom fortzureißen.<br />
12/16 Und die Erde half der Frau,<br />
und die Erde öffnete ihren Mund<br />
und verschlang den Strom,<br />
den der Drache aus seinem Mund warf.<br />
12/17 Und der Drache wurde zornig über die Frau<br />
und ging hin, Krieg zu führen mit den übrigen ihrer<br />
Nachkommenschaft,<br />
welche die Gebote Gottes halten<br />
und das Zeugnis Jesu haben.<br />
12:13 Kaì “ote e~iden Ho drákwn<br />
“oti hebl´jqj ehiß t`jn g¨jn,<br />
hedíwxen t`jn gunaïka<br />
“jtiß ‘eteken tòn ‘arsena.<br />
12:14 kaì hedóqjsan t¨∆ gunaikì aHi dúo ptérugeß<br />
toü haetoü toü megálou,<br />
“ina pétjtai ehiß t`jn ‘erjmon<br />
ehiß tòn tópon ahut¨jß,<br />
“opou tréfetai hekeï kairòn kaì kairoùß kaì<br />
“jmisu kairoü<br />
hapò prosẃpou toü ‘ofewß.<br />
12:15 kaì ‘ebalen Ho ‘ofiß hek toü stómatoß ahutoü<br />
hopísw t¨jß gunaikòß “udwr Hwß potamón,<br />
“ina ahut`jn potamofórjton poi´js∆.<br />
12:16 kaì hebo´jqjsen Hj g¨j t¨∆ gunaikí,<br />
kaì ‘jnoixen Hj g¨j tò stóma ahut¨jß<br />
kaì katépien tòn potamòn<br />
”on ‘ebalen Ho drákwn hek toü stómatoß ahutoü.<br />
12:17 kaì hwrgísqj Ho drákwn hepì t¨∆ gunaikí,<br />
kaì hap¨jlqen poi¨jsai pólemon metà tẅn loipẅn<br />
toü spérmatoß ahut¨jß,<br />
tẅn tjroúntwn tàß hentolàß toü qeoü<br />
kaì hecóntwn t`jn marturían h Ijsoü≥<br />
18 Und er stand auf dem Sand des Meeres. 12:18 kaì hestáqj hepì t`jn ‘ammon t¨jß qalássjß.<br />
• Der Text kehrt wieder zum Kampf Drache-Frau zurück. Die Wüste als Fluchtort hatte<br />
bereits Assoziationen an die Exodus-Geschichte geweckt. Dazu gehört auch das<br />
Verfolgungsmotiv (vgl. Ex 14,4.8f.23; 15,9).<br />
• Die zwei Flügel des großen Adlers (Warum der bestimmte Artikel?) sind vielleicht<br />
Anspielung auf Ex 19,4:<br />
Ex 19,4 Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf<br />
Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. (vgl. Dtn 32,11)<br />
196 Ich frage mich: Hat der Mythos Zeit?<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
106 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• 3,5 Jahre aus Dan 7,25; 12,7.<br />
• Auch das Wasser erinnert an das Rote Meer der Exodus-Geschichte. (Vgl. zum<br />
Verschlingen: Ex 15,12; Num 16,30.32; Dtn 11,6)<br />
• 17 knüpft an den Weheruf in 12b an. Der Zorn des Drachens schließt an 12,12c an. Er<br />
führt jetzt Krieg gegen die Nachkommen der Frau; das sind nicht einfach alle, die sich<br />
Christen nennen, sondern jene, die im Sinne der rigoristischen Sicht des Johannes sich<br />
an die Gebote halten.<br />
• Dadurch wird auch deutlich, wie eng Christus (der Sohn der Frau) und die »wahren«<br />
Christen (der Samen/die Nachkommen) zusammengedacht werden.<br />
• V. 18 leitet zum nächsten Abschnitt über. Mit seltsamer Ruhe steht der Drachen am<br />
Strand… [Er steht wie der »starke Engel« in 10,1f?]<br />
2.8.3 Die beiden Tiere (13,1-18)<br />
Lit.:<br />
Bauckham, R. Nero and the beast, in: The climax of prophecy. Studies on the Book of Revelation.<br />
Edinburgh: Clark, 1993, 384-452. – Bergmeier, R. Die Erzhure und das Tier: <strong>Apk</strong> 12,18-13,18 und 17f.<br />
Eine quellen- und redaktionskritische Analyse. Pages 301-320 in Bergmeier, Roland: Das Gesetz im<br />
Römerbrief und andere Studien zum Neuen Testament, WUNT 121. Tübingen: Mohr Siebeck, 2000. –<br />
Birdsall, J. Neville. Irenaeus and the number of the beast. Revelation 13,18. Pages 349-359 in New<br />
Testament textual criticism and exegesis. Festschrift J. Delobel. Edited by Adelbert Denaux. BEThL 161,<br />
Leuven, 2002. – Ford, J.M. The physical features of the antichrist, JSP 14 (1996) 23-41. – Friesen,<br />
Steven J. Myth and Symbolic Resistance in Revelations 13, JBL 123 (2004) 281-313. – Friesen, Steven<br />
J. The beast from the land. Revelation 13:11-18 and social setting. Pages 49-64 in Reading the book of<br />
Revelation. A resource for students. Edited by David L. Barr. Resources for biblical study 44. Atlanta,<br />
Ga.: Society of Biblical Literature, 20<strong>03</strong>. – Furlan Taylor, Deborah. The monetary crisis in Revelation<br />
13:17 and the provenance of the Book of Revelation, CBQ 71/3 (2009) 580-596. – Hanhart, K. The Four<br />
Beasts of Daniel's Vision in the Night in the Light of Rev. 13.2, NTS 27 (1981) 576-583. – Henten, Jan<br />
Willem van. Dragon myth and imperial ideology in Revelation 12-13. Pages 181-2<strong>03</strong> in The reality of<br />
Apocalypse. Rhetoric and politics in the book of Revelation. Edited by David L. Barr. Society of Biblical<br />
Literature. Symposium series 39. Atlanta, Ga.: Society of Biblical Literature, 2006. – Judge, Edwin<br />
Arthur. The mark of the beast, Revelation 13:16. Pages 424-426 in The first Christians in the Roman<br />
world. Augustan and New Testament essays. Edited by James R. Harrison (WUNT 229), Tübingen, 2008.<br />
– Klauck, Hans-Josef. Do they never come back? Nero redivivus and the Apocalypse of John, CBQ 63/4<br />
(2001) 683-698 = Pages 268-289 in Klauck, Hans-Josef: Religion und Gesellschaft im frühen<br />
Christentum. Neutestamentliche Studien (WUNT 152), Tübingen, 2002. – Lambrecht, Jan. Exhortation<br />
in the Apocalypse (Revelation 13,9-10). Pages 263-280 in Lambrecht, Jan: Understanding what one<br />
reads. New Testament essays. Edited by Veronica Koperski. Annua nuntia Lovaniensia 46. Leuven:<br />
Peeters, 20<strong>03</strong> = 331-347 in New Testament textual criticism and exegesis. Festschrift J. Delobel. Edited<br />
by Adelbert Denaux (BEThL 161), Leuven: University Press, 2002. – López, Javier. La figura de la<br />
bestia entre historia y profecia. Investigación teológico-bíblica de Apocalipsis 13,1-18. Tesi Gregoriana.<br />
Serie Teologia 39. Roma: Ed. Pontificia Univ. Gregoriana, 1998. – Marucci, Corrado. Gematrie und<br />
Isopsephie im Neuen Testament – eine wirkliche Hilfe zum Verständnis? SNTU-A 27 (2002) 179-197. –<br />
Oberweis, M. Die Bedeutung der neutestamentlichen ›Rätselzahlen‹ 666 (<strong>Apk</strong> 13,18) und 153 (Joh<br />
21,11), ZNW 77 (1986) 226-241. – Pezzoli-Olgiati, Daria. Between fascination and destruction.<br />
Considerations on the power of the beast in Rev 13:1-10. Pages 229-237 in Zwischen den Reichen: Neues<br />
Testament und Römische Herrschaft. Vorträge auf der Ersten Konferenz der European Association for<br />
Biblical Studies. Edited by Michael Labahn and Jürgen Zangenberg. Texte und Arbeiten zum<br />
neutestamentlichen Zeitalter 36. Tübingen u. Basel: Francke, 2002. – Ruiz, Jean-Pierre. Taking a stand<br />
on the sand of the seashore. A postcolonial exploration of Relevation 13. Pages 119-135 in Reading the<br />
book of Revelation. A resource for students. Edited by David L. Barr. Resources for biblical study 44.<br />
Atlanta, Ga.: Society of Biblical Literature, 20<strong>03</strong>. – Schmidt, J. Die Rätselzahl 666 in Offb 13:18. Ein<br />
Lösungsvergleich auf der Basis lateinischer Gematrie, NT 44 (2002) 35-54. – Siew, Antonius King Wai.<br />
The war between the two beasts and the two witnesses. A chiastic reading of Revelation 11.1-14.5.<br />
Library of New Testament studies 283. London: T & T Clark, 2005. – Ulland, H. Die Vision als<br />
Radikalisierung der Wirklichkeit in der Apokalypse des Johannes. Das Verhältnis der sieben<br />
Sendschreiben zu Apokalypse 12-13 (TANZ 21), Tübingen, 1997. – Ulrichsen, J.H. Die sieben Häupter<br />
und die zehn Hörner zur Datierung der Offenbarung des Johannes. Studia theologica 39 (1985) 1-20. –<br />
Van de Water, Rick. Reconsidering the beast from the sea (Rev 13.1), NTS 46 (2000) 245-261.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 107<br />
• Das Thema der Verfolgung ist in diesem Kap. zentral.<br />
• Die beiden Tiere (eines wurde bereits in 11,7 genannt) werden parallel eingeführt. Sie<br />
spiegeln altorientalische mythologische Sprachbilder wider: Leviathan als<br />
Seeungeheuer und Behemoth als Wüstenmonster. 197 Die Redeweise in der Joh<strong>Apk</strong> ist<br />
jedoch weit weg von diesen Bezügen.<br />
Tier 1 Tier 2<br />
Auftreten 1a: Ich sah aus dem Meer aufsteigen 11a<br />
Beschreibung des Aussehens 1b-2 11b<br />
Wirken 5-8 12-17<br />
Spruch an Leserschaft 9f 18<br />
(3-4 sprengt den Rahmen)<br />
• Der wichtigste Bezugstext ist Dan 7:<br />
2 Ich, Daniel, sah ein Gesicht in der Nacht, und siehe, die vier Winde unter dem Himmel wühlten das grosse<br />
Meer auf. 3 Und vier grosse Tiere stiegen herauf aus dem Meer, ein jedes anders als das andere. 4 Das erste<br />
war wie ein Löwe und hatte Flügel wie ein Adler. Ich sah, wie ihm die Flügel genommen wurden. Und es<br />
wurde von der Erde aufgehoben und auf zwei Füsse gestellt wie ein Mensch, und es wurde ihm ein<br />
menschliches Herz gegeben. 5 Und siehe, ein anderes Tier, das zweite, war gleich einem Bären und war auf<br />
der einen Seite aufgerichtet und hatte in seinem Maul zwischen seinen Zähnen drei Rippen. Und man sprach<br />
zu ihm: Steh auf und friss viel Fleisch! 6 Danach sah ich, und siehe, ein anderes Tier, gleich einem Panther,<br />
das hatte vier Flügel wie ein Vogel auf seinem Rücken, und das Tier hatte vier Köpfe, und ihm wurde grosse<br />
Macht gegeben. 7 Danach sah ich in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, ein viertes Tier war furchtbar<br />
und schrecklich und sehr stark und hatte grosse eiserne Zähne, frass um sich und zermalmte, und was<br />
übrigblieb, zertrat es mit seinen Füssen. Es war auch ganz anders als die vorigen Tiere und hatte zehn<br />
Hörner.<br />
• Am ehesten bezieht sich das erste Tier auf das römische Imperium und das zweite auf<br />
die lokalen Autoritäten in Asia (commune Asia). 198<br />
13/1 Und ich sah aus dem Meer ein Tier aufsteigen, das<br />
zehn Hörner und sieben Köpfe hatte, und auf seinen<br />
Hörnern zehn Diademe und auf seinen Köpfen Namen<br />
der Lästerung.<br />
13/2 Und das Tier, das ich sah, war gleich einem<br />
Panther, und seine Füße wie die eines Bären und sein<br />
Maul wie eines Löwen Maul. Und der Drache gab ihm<br />
seine Kraft und seinen Thron und große Macht.<br />
13/3 Und [ich sah] einen seiner Köpfe wie zum Tod<br />
geschlachtet. Und seine Todeswunde wurde geheilt,<br />
und die ganze Erde staunte hinter dem Tier her.<br />
13/4 Und sie beteten den Drachen an, weil er dem Tier<br />
die Macht gab, und sie beteten das Tier an und sagten:<br />
Wer ist dem Tier gleich? Und wer kann mit ihm<br />
kämpfen?<br />
13:1 Kaì e~idon hek t¨jß qalássjß qjríon<br />
hanabaïnon, ‘econ kérata déka kaì kefalàß Heptá,<br />
kaì hepì tẅn kerátwn ahutoü déka diad´jmata, kaì<br />
hepì tàß kefalàß ahutoü honóma[ta] blasfjmíaß.<br />
13:2 kaì tò qjríon ”o e~idon ~jn “omoion pardálei,<br />
kaì oHi pódeß ahutoü Hwß ‘arkou, kaì tò stóma<br />
ahutoü Hwß stóma léontoß. kaì ‘edwken ahut¨^w Ho<br />
drákwn t`jn dúnamin ahutoü kaì tòn qrónon<br />
ahutoü kaì hexousían megáljn.<br />
13:3 kaì mían hek tẅn kefalẅn ahutoü Hwß<br />
hesfagménjn ehiß qánaton, kaì Hj pljg`j toü<br />
qanátou ahutoü heqerapeúqj. kaì heqaumásqj “olj<br />
Hj g¨j hopísw toü qjríou,<br />
13:4 kaì prosekúnjsan t¨^w drákonti “oti ‘edwken<br />
t`jn hexousían t¨^w qjrí^w, kaì prosekúnjsan t¨^w<br />
qjrí^w légonteß, Tíß “omoioß t¨^w qjrí^w, kaì tíß<br />
dúnatai polem¨jsai meth ahutoü;<br />
• Das Meer ist traditionell Ort der Gottesgegnerschaft<br />
• 10 Hörner & 7 Köpfe: 12,3; 17,3. [Immerwieder sind diese Hörner und Köpfe als die<br />
Abfolge bestimmter Kaiser usw. gedeutet worden. Das ist müssig...]<br />
197 Vgl. äthHen 60,7-11.24; 4Esra 6,49-52; syrBar<strong>Apk</strong> 29,4.<br />
198 Die Tiersymbolik wird bereits im AT auf feindliche Herrscher angewendet: Jer. 51:34 »Nebukadnezar,<br />
der König von Babel, hat mich gefressen und umgebracht, er hat aus mir ein leeres Gefäss gemacht. Er hat mich<br />
verschlungen wie ein Drache, er hat seinen Bauch gefüllt mit meinen Kostbarkeiten; er hat mich vertrieben.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
108 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Hörner, Diademe usw. sind hier Symbole für weltliche Macht; sie erinnern an 12,3<br />
und gleichen dadurch das Tier dem Drachen an. Aber sie erinnern auch an die<br />
Beschreibung des Lammes in 5,6: ein Lamm, wie geschlachtet; es hatte sieben Hörner<br />
und sieben Augen.<br />
• V. 2: Das Tier der Joh<strong>Apk</strong> nimmt Elemente der ersten drei Tiere (Panther, Bär, Löwe)<br />
in der Daniel-Vision auf.<br />
• 2b: Der Drache überträgt seine Macht auf das erste Tier. Die ironische Frage ist:<br />
Welche Macht? Er hat bereits verloren, er ist vom Himmel gestürzt. (Welchen Thron<br />
hat der Gestürzte?)<br />
• 3: Das Verb »schlachten« erinnert wieder an das Lamm in 5,6: Das erste Tier ist in<br />
seinem Machtgebahren eine »Parodie« des Lammes. Damit wird die römische Macht<br />
als Abklatsch göttlicher Macht stilisiert.<br />
• Mit dem verwundeten Haupt ist wohl Nero gemeint und zugleich auch die Legende<br />
von der Wiederkunft Neros (dazu dann zu Kap 17).<br />
• 4: Anbetung => Kaiserkult (nicht als Ergebnis von Zwang); ab jetzt immer<br />
wiederkehrendes Thema (13,8.12.15; 14,9.11; 16,2; 19,20; 20,4). Nur hier wird jedoch<br />
die Anbetung des Drachen/Satans als Hintergrundhandlung für die Anbetung des<br />
Kaisers angesehen.<br />
• Der Gesang »Wer ist dem Tier gleich?« ist ein Anti-Hymnus zu den Hymnen in der<br />
Joh<strong>Apk</strong>. Wieder wird Christus parodiert.<br />
13/5 Und es wurde ihm ein Mund gegeben, der große<br />
Dinge und Lästerungen redete; und es wurde ihm<br />
Macht gegeben, zweiundvierzig Monate zu wirken.<br />
13/6 Und es öffnete seinen Mund zu Lästerungen<br />
gegen Gott, um seinen Namen und sein Zelt und die,<br />
welche im Himmel wohnen, zu lästern.<br />
13/7 Und es wurde ihm gegeben, mit den Heiligen<br />
Krieg zu führen und sie zu überwinden; und es wurde<br />
ihm Macht gegeben über jeden Stamm und jedes Volk<br />
und jede Sprache und jede Nation.<br />
13/8 Und alle, die auf der Erde wohnen, werden ihn<br />
anbeten, [jeder,] dessen Name nicht geschrieben ist im<br />
Buch des Lebens des geschlachteten Lammes von<br />
Grundlegung der Welt an.<br />
13:5 Kaì hedóqj ahut¨^w stóma laloün megála kaì<br />
blasfjmíaß, kaì hedóqj ahut¨^w hexousía poi¨jsai<br />
m¨jnaß tesserákonta [kaì] dúo.<br />
13:6 kaì ‘jnoixen tò stóma ahutoü ehiß blasfjmíaß<br />
pròß tòn qeón, blasfjm¨jsai tò ‘onoma ahutoü kaì<br />
t`jn skjn`jn ahutoü, toùß hen t¨^w ohuran¨^w<br />
skjnoüntaß.<br />
13:7 kaì hedóqj ahut¨^w poi¨jsai pólemon metà tẅn<br />
Hagíwn kaì nik¨jsai ahutoúß, kaì hedóqj ahut¨^w<br />
hexousía hepì päsan ful`jn kaì laòn kaì glẅssan<br />
kaì ‘eqnoß.<br />
13:8 kaì proskun´jsousin ahutòn pánteß oHi<br />
katoikoünteß hepì t¨jß g¨jß, oû ohu gégraptai tò<br />
‘onoma ahutoü hen t¨^w biblí^w t¨jß zw¨jß toü harníou<br />
toü hesfagménou hapò katabol¨jß kósmou.<br />
• Die edothe-Formel zeigt, dass in der Konzeption des Autors, das erste Tier, obgleich<br />
es seine Macht und Befugnis vom Drachen erhält, letztendlich seine Wirkmacht<br />
(wieder 3,5 Jahre!) von Gott erhält. Der Autor kann nicht anders, als alles auf Gott zu<br />
beziehen; das ist zwar als Zusicherung von Trost und Zuversicht gedacht, stellt aber<br />
theologisch auch ein Problem dar.<br />
• Lästerung (blasphêmia) steht als Apposition zu »große Dinge«: Die imperiale<br />
Rhetorik von Größe und Macht wird als göttliche Anmaßung und Beleidigung, als<br />
religiöse Grenzüberschreitung gedeutet.<br />
• Sie beleidigt nach V. 6 Gott selbst, seinen Namen (also seine Ehre & Reputation), sein<br />
Zelt (also seinen himmlischen Wohnort als Machtzentrum) und die, welche im<br />
Himmel wohnen (also seinen Hofstaat aus Engeln).<br />
• Daran wird deutlich, dass der unendlich hohe Anspruch an Gottes Macht und Stärke<br />
ein politisch subversives Element hat: Es kann neben dem göttlichen Absoluten keine<br />
politisch-systemischen Absoluta geben. Diese machtkritische Struktur der Theologie<br />
des Apokalyptikers bringt allerdings mit sich, dass Gott selbst in Anknüpfung und<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 109<br />
Überbietung (natürlich eine sehr phantasievolle Überbietung) römischer Macht<br />
angesehen wird (leider auch mit Zügen von Gewalt und Willkür).<br />
• 7a: Der Krieg des Tieres gegen die Heiligen ist auf der Ebene der Textgegenwart<br />
keine bestimmbare Alltagsrealität. Die Aktion Neros gegen die Christen und<br />
Christinnen Roms steht natürlich als traumatische Erfahrung des frühen Christentums<br />
im Hintergrund.<br />
• Das Tier realisiert mit seiner Verfolgung das, was der mythologische Drache im Sinn<br />
hatte (12,17).<br />
• Aber auch diese gewaltsame Verfolgung von Christen und Christinnen ist dem Tier<br />
von Gott (!) gegeben (edothe).<br />
• V. 7b: Während das Tier Macht hat über Stamm, Volk, Sprache und Nation (also über<br />
alle Menschen der Welt) wurde das Lamm geschlachtet für »alle Stämme, Sprachen,<br />
Völker und Nationen« (5,9). (Wieder ein »parodistischer« Zug des Gegen-Messias,<br />
des Anti-Lammes!)<br />
• V. 8: Mit der Anbetung des Tieres erfolgt für den Verfasser die definitive Grenzlinie<br />
zwischen den Menschen aller Stämme, Sprachen usw. und den (nach seiner<br />
Auffassung) wahrhaft Glaubenden. Diese stehen im »Lebensbuch des Lammes«,<br />
welches am Ende wieder begegnen wird:<br />
20,15: Und wenn jemand nicht gefunden wurde geschrieben in dem Buch des Lebens, der wurde geworfen in<br />
den feurigen Pfuh<br />
• Zeitlich denkt der Autor alles zusammen, denn das »Lebensbuch des Lammes« besteht<br />
bereits seit der Schöpfung. Dies impliziert einen deterministischen Gedanken: Die<br />
wahrhaft Glaubenden standen schon von Anbeginn fest.<br />
13/9 Wenn jemand ein Ohr hat, so höre er!<br />
13/10 Wenn jemand in Gefangenschaft [geht oder<br />
führt], so geht er in Gefangenschaft;<br />
wenn jemand mit dem Schwert getötet wird (bzw.<br />
wenn jemand mit dem Schwert tötet), so muss er mit<br />
dem Schwert getötet werden.<br />
Hier ist das Ausharren und der Glaube der Heiligen.<br />
13:9 E‘i tiß ‘ecei o~uß hakousátw.<br />
13:10 e‘i tiß ehiß ahicmalwsían, ehiß ahicmalwsían<br />
Hupágei≥<br />
e‘i tiß hen macaír∆ hapoktanq¨jnai (v.l. apoktenei),<br />
ahutòn (v.l. dei) hen macaír∆ hapoktanq¨jnai.<br />
ˆ Wdé hestin Hj Hupomon`j kaì Hj pístiß tẅn Hagíwn.<br />
• Die Formel in 13,9 knüpft an das Ende der jeweiligen Sendschreiben an. Es folgt ein<br />
Orakel, der an zwei Jeremia-Texte erinnert:<br />
Jer. 15:2 Und wenn sie zu dir sagen: Wo sollen wir hin?, dann antworte ihnen: So spricht der HERR: Wen<br />
der Tod trifft, den treffe er; wen das Schwert trifft, den treffe es; wen der Hunger trifft, den treffe er; wen die<br />
Gefangenschaft trifft, den treffe sie! Jer. 43:11 Er soll kommen und Ägyptenland schlagen und töten, wen es<br />
trifft, gefangenführen, wen es trifft, mit dem Schwert erschlagen, wen es trifft.<br />
• Die Aussage ist wieder deterministisch: Wer für die Gefangenschaft vorgesehen ist,<br />
der wird in Gefangenschaft gehen. Usw.<br />
• V. 10b hat jedoch ein textkritisches Problem: Die meisten wichtigen Handschriften<br />
lesen »Wer mit dem Schwert tötet (aktiv und nicht passiv), muss (dei) durch das<br />
Schwert getötet werden«. (Sinait, C 051 1006 Mehrheitstext, lat. Tradition) Das wäre<br />
eine Anspielung auf Mt 26,52.<br />
• Die passivische Formulierung (Infinitiv Passiv: das Getötetwerden!) in der Protasis<br />
hat nur Handschrift A (Alexandrinus) 199 . Der Satz ist grammatikalisch in dieser Form<br />
unvollkommen, so dass man von einer lectio difficilior sprechen kann<br />
199 Generell gilt diese Majuskel als wichtigster Textzeuge für die Joh<strong>Apk</strong> (Schmid, Studien zum Text, 138ff).<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
110 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Andererseits ist er so unvollkommen (auch auton bleibt in der Schwebe), dass es sich<br />
auch um einen Schreibfehler halten könnte. Außerdem ist die Angleichung der<br />
Verbform in Protasis und Apodosis (beides Male passiv) auch lectio facilior.<br />
• Auf der anderen Seite könnte hinter der Formulierung in den anderen Textzeugen der<br />
Einfluss von Mt 26,52 am Werke gewesen sein.<br />
• Hier gäbe es m.E. gute Gründe, um gegen den Text von Nestle/Aland zu entscheiden.<br />
Der Sinn wäre nicht, dass Christen mit dem Schwert töten, sondern dass all jene, die<br />
sich mit dem Schwert gegen Christen wenden, getötet werden. 200<br />
• Unklar ist der Schlusssatz, v.a. das Wörtchen »hier«. Soll entweder der<br />
Determinismus oder die Strafandrohung der feste Grund für Ausharren und Vertrauen<br />
sein?<br />
13/11 Und ich sah ein anderes Tier aus der Erde<br />
aufsteigen: und es hatte zwei Hörner gleich einem<br />
Lamm, und es redete wie ein Drache. 13/12 Und die<br />
ganze Macht des ersten Tieres übt es vor ihm aus, und<br />
es veranlasst die Erde und die auf ihr wohnen, daß sie<br />
das erste Tier anbeten, dessen Todeswunde geheilt<br />
wurde. 13/13 Und es tut große Zeichen, dass es selbst<br />
Feuer vom Himmel vor den Menschen auf die Erde<br />
herabkommen läßt; 13/14 und es verführt die, welche<br />
auf der Erde wohnen, wegen der Zeichen, die vor dem<br />
Tier zu tun ihm gegeben wurde, und es sagt denen, die<br />
auf der Erde wohnen, dem Tier, das die Wunde des<br />
Schwertes hat und [wieder] lebendig geworden ist, ein<br />
Bild zu machen.<br />
13:11 Kaì e~idon ‘allo qjríon hanabaïnon hek t¨jß<br />
g¨jß, kaì e~icen kérata dúo “omoia harní^w, kaì<br />
helálei Hwß drákwn. 13:12 kaì t`jn hexousían toü<br />
prẃtou qjríou päsan poieï henẃpion ahutoü. kaì<br />
poieï t`jn g¨jn kaì toùß hen ahut¨∆ katoikoüntaß “ina<br />
proskun´jsousin tò qjríon tò prẅton, oû<br />
heqerapeúqj Hj pljg`j toü qanátou ahutoü. 13:13<br />
kaì poieï sjmeïa megála, “ina kaì pür poi¨∆ hek toü<br />
ohuranoü katabaínein ehiß t`jn g¨jn henẃpion tẅn<br />
hanqrẃpwn. 13:14 kaì plan¨â toùß katoikoüntaß<br />
hepì t¨jß g¨jß dià tà sjmeïa ”a hedóqj ahut¨^w poi¨jsai<br />
henẃpion toü qjríou, légwn toïß katoikoüsin hepì<br />
t¨jß g¨jß poi¨jsai ehikóna t¨^w qjrí^w ”oß ‘ecei t`jn<br />
pljg`jn t¨jß macaírjß kaì ‘ezjsen.<br />
• Zweite Tier steigt von der Erde (aus der lokalen Umgebung Asias?).<br />
• Hörner wie das Lamm in Kap. 5 und redet wie der Teufel, hat also Elemente von<br />
beidem.<br />
• Das zweite Tier nun zwingt die Menschen zur Anbetung des ersten Tieres. Das würde<br />
genau der Rolle entsprechen, welche die asiatischen Stadtstaaten zu solchen politischreligiösen<br />
Akten der Loyalitätsbekundung veranlassten.<br />
• Die Todeswunde des ersten Tieres ist hier weiterhin Grund der Anbetung. (Was<br />
historisch damit konkret gemeint ist, bleibt weiterhin unklar. Es ist jedoch eine weitere<br />
Angleichung an die Todeswunde des Lammes.)<br />
• Wunder begleiten das zweite Tier: Feuer vom Himmel (wie Elia auf dem Berg<br />
Karmel; 1Kön 18,38). Zu den Wundern der Pseudopropheten s. Mk 13,22; 1Thess 2,9.<br />
13/15 Und es wurde ihm gegeben, dem Bild des Tieres<br />
Odem zu geben, so daß das Bild des Tieres sogar redete<br />
und bewirkte, daß alle getötet wurden, die das Bild des<br />
Tieres nicht anbeteten. 13/16 Und es bringt alle dahin,<br />
die Kleinen und die Großen, und die Reichen und die<br />
Armen, und die Freien und die Sklaven, daß man ihnen<br />
ein Malzeichen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn<br />
gibt; 13/17 und daß niemand kaufen oder verkaufen<br />
kann, als nur der, welcher das Malzeichen hat, den<br />
Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens.<br />
13:15 kaì hedóqj ahut¨^w doünai pneüma t¨∆ ehikóni<br />
toü qjríou, “ina kaì lal´js∆ Hj ehikẁn toü qjríou<br />
kaì poi´js∆ [“ina] “osoi heàn m`j proskun´jswsin t¨∆<br />
ehikóni toü qjríou hapoktanqẅsin. 13:16 kaì<br />
poieï pántaß, toùß mikroùß kaì toùß megálouß,<br />
kaì toùß plousíouß kaì toùß ptwcoúß, kaì toùß<br />
heleuqérouß kaì toùß doúlouß, “ina dẅsin ahutoïß<br />
cáragma hepì t¨jß ceiròß ahutẅn t¨jß dexiäß ’j hepì<br />
tò métwpon ahutẅn, 13:17 kaì “ina m´j tiß dúnjtai<br />
hagorásai ’j pwl¨jsai ehi m`j Ho ‘ecwn tò cáragma,<br />
tò ‘onoma toü qjríou ’j tòn hariqmòn toü<br />
honómatoß ahutoü.<br />
200 Satake, Offb, KEK, 302 versteht sogar den ersten Satz als Strafandrohung über jene, die andere in<br />
Gefangenschaft führen.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 111<br />
• 15 steigert die Abhängigkeit des Bösen von Gott: Das zweite Tier erhält von Gott<br />
(edothe-Formel) Macht, die Menschen dadurch zu verführen, dass es dem Standbild<br />
Leben einhaucht.<br />
• 16: Genauso wie die wahren Anhänger des Lammes ein Zeichen hatten (7,2), tragen<br />
jetzt alle ein Zeichen des Tieres (vgl. 14,9.11; 19,20; 20,4).<br />
• 17: Kontrolle von Handel! Dahinter steht die Realität der Zünfte und Innungen in den<br />
Stadtstaaten und welche Rolle überhaupt der religiöse Kult im antiken Geschäftsleben<br />
hatte. Loyalitätsbekundungen durch Kaiserkult garantierten zugleich auch<br />
Handelsabkommen mit Rom. Damit konnte sich eine autonome Stadt (bzw. deren<br />
Oberschicht) ungemein bereichern.<br />
18 Hier ist die Weisheit. Wer Verständnis hat, berechne<br />
die Zahl des Tieres; denn es ist eines Menschen Zahl;<br />
und seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig.<br />
13:18 ˆ Wde Hj sofía hestín≥ Ho ‘ecwn noün yjfisátw<br />
tòn hariqmòn toü qjríou, hariqmòß gàr hanqrẃpou<br />
hestín≥ kaì Ho hariqmòß ahutoü Hexakósioi Hex´jkonta<br />
“ex.<br />
• Besondere Weisheit wird hier gefordert => Hinweis auf die gematrische<br />
Entschlüsselung der Zahl des Tieres.<br />
• Sie ist Zahl des Menschen; d.h. sie weist wohl auf eine konkrete Person hin. [M.E.<br />
würde das implizieren, dass die Sprache der Offb ansonsten nur sehr selten auf<br />
konkrete Personen hinweist. Dort, wo sie es wie hier tut, verweist sie auf einen<br />
Veschlüsselungscode.]<br />
• Erklärungen:<br />
a) 666 = Summe der Zahlen von 1-36; 36 ist Summe der Zahlen von 1-8. Das Tier ist<br />
das achte (17,11): »Und das Tier, das gewesen ist und jetzt nicht ist, das ist der achte<br />
und ist einer von den sieben und fährt in die Verdammnis.« Die Zahl des Tieres wäre<br />
damit das Tier selbst.<br />
b) 666 ist einfach die Zahl der Unvollkommenheit (7 minus 1). Durch das dreifache<br />
sechs wird die Unvollkommenheit und die Absetzung von der vollendeten 7<br />
gesteigert.<br />
c) Gematrie: Da in der Antike Buchstaben auch Zahlen sein konnten, lassen sich aus<br />
Namen auch Summen bilden. 201 Die beliebteste Bildung ist eine auf Kaiser Nero auf<br />
der Grundlage von hebräischen Zahlenwerten 202 :<br />
n = 50 N<br />
r = 200 R<br />
w = 6 O<br />
n = 50 N<br />
q = 100 Q<br />
s = 60 S<br />
r = 200 R<br />
201 Bereits Irenäus verweist darauf, dass viele Namen den gleichen Summenwert haben können (Adv. haer.<br />
5,30,3).<br />
202 Für die Identifkation mit Nero würde auch die Textvariante »616« (in P115 und C) sprechen, weil man<br />
dann nach lateinische Schreibweise das finale "N" von Nero streichen würde.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
112 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
2.8.4 Das Gericht am Ende der Zeit (14,1-20)<br />
Lit.: Altink, W. 1Chronicles 16:8-36 as literary source for Revelation 14:6-7, AUSS 22 (1984) 187-196. –<br />
Altink, W. Theological motives for the use of 1 Chronicles 16:8-36 as background for Revelation 14:6-7,<br />
AUSS 24 (1986) 211-221. – Aune, D.E. Following the Lamb. Discipleship in the Apocalypse, in:<br />
Apocalypticism, Prophecy and Magic in Early Christianity. Collected Essays (WUNT 199), Tübingen,<br />
2006, 66-78. – Bartina, S. Un nuevo semitismo en Apoc 14: tierra o ciudad, EstB 27 (1968), 347-349. –<br />
DeSilva, D.A. A Sociorhetorical Interpretation of Revelation 14:6-13. A Call to Act Justly Toward the<br />
Just and Judging God, Bulletin for Biblical Research 9 (1999) 65-117. – DeSilva, D.A. Final topics: The<br />
rhetorical functions of intertexture in Revelation 14:14-16:21, in: The intertexture of apocalyptic<br />
discourse in the New Testament, ed. D.F. Watson (SBL Symposium series 14), Atlanta, 2002, 215-241. –<br />
DeSilva, D.A. Seeing things John's way: Rhetography and conceptual blending in Revelation 14:6-13,<br />
Bulletin for Biblical Research 18/2 (2008) 271-298. – Feuillet, André. La moisson et la vendange de<br />
l'Apocalypse (14,14-20). La signification chrétienne de la révélation johannique, NRTh 94 (1972) 113-<br />
132.225-250. – Giesen, H. Evangelium und Paränese. Zum Verständnis der Gerichtsaussagen in Offb<br />
14,6-13, SNTU-A 21 (1996) 92-131 = Studien zur Johannesapokalypse (SBA 29), Stuttgart, 2000, 228-<br />
259. – Huber, K. Einer gleich einem Menschensohn. Die Christusvisionen in Offb 1,9-20 und Offb<br />
14,14-20 und die Christologie der Johannesoffenbarung (NTA 51), Münster, 2007. – Lindijer, C.H. Die<br />
Jungfrauen in der Offb des Joh 14,4, in: Studies in John (FS J.N. Sevenster). NT.S 24; Leiden, 1970,<br />
124-142. – Mehnert, G. Der Flügel des Engels: Ein Beitrag zur Theologie der publizistischen Medien<br />
(Rev 14:6), in: R. Flasche & E. Geldbach (Hrsg.), Religionen, Geschichte, Oekumene, 1981, 68-76. –<br />
Olson, D.C. Those who have not defiled themselves with women: Revelation 14:4 and the book of<br />
Enoch, CBQ 59/3 (1997) 492-510. – Stenström, H. Masculine or feminine? Male virgins in Joseph and<br />
Aseneth and the Book of Revelation, in: Identity formation in the New Testament, ed. B. Holmberg & M.<br />
Winninge (WUNT 227), Tübingen, 2008, 199-222. – Stevenson, G.M. Conceptual Background to<br />
Golden Crown Imagery in the Apocalypse of John (4:4, 10; 14:14), JBL 114/2 (1995) 257-272. – Van<br />
Schaik, A.P. ALLOS AGGELOS in <strong>Apk</strong> 14, in: L'Apocalypse johannique et l'Apocalyptique dans le<br />
Nouveau Testament, ed. J. Lambrecht (BEThL 53), Gembloux, 1980, 217-228. – Weicht, W. Die dem<br />
Lamme folgen: Eine Untersuchung der Auslegung von Offb 14,1-5 in den letzten 80 Jahren, Diss. Rom,<br />
Univ. Gregoriana, 1978. [Aune gibt Veröffentlichung an: Untermerzbach/Bamberg 1976] –<br />
Zimmermann, R. Die Virginitäts-Metapher in <strong>Apk</strong> 14:4-5 im Horizont von Befleckung, Loskauf und<br />
Erstlingsfrucht, NT 45/1 (20<strong>03</strong>) 45-70.<br />
14/1 Und ich sah: und siehe,<br />
das Lamm stand auf dem Berg Zion<br />
und mit ihm hundertvierundvierzigtausend,<br />
die seinen Namen und den Namen seines Vaters<br />
an ihren Stirnen geschrieben trugen.<br />
14/2 Und ich hörte eine Stimme aus dem Himmel<br />
wie das Rauschen vieler Wasser<br />
und wie das Rollen eines lauten Donners;<br />
und die Stimme, die ich hörte,<br />
war wie von Harfensängern,<br />
die auf ihren Harfen spielen.<br />
14/3 Und sie singen ein neues Lied vor dem Thron und<br />
vor den vier lebendigen Wesen und den Ältesten;<br />
und niemand konnte das Lied lernen<br />
als nur die Hundertvierundvierzigtausend,<br />
die von der Erde erkauft waren.<br />
14/4 Diese sind es,<br />
die sich mit Frauen nicht befleckt haben,<br />
denn sie sind jungfräulich;<br />
diese sind es,<br />
die dem Lamm folgen, wohin es auch geht.<br />
Diese sind aus den Menschen als Erstlingsfrucht für<br />
Gott und das Lamm erkauft worden.<br />
14/5 Und in ihrem Mund wurde kein Falsch gefunden;<br />
sie sind untadelig.<br />
14:1 Kaì e~idon, kaì hidoù<br />
tò harníon Hestòß hepì tò ‘oroß Siẃn,<br />
kaì meth ahutoü Hekatòn tesserákonta téssareß<br />
ciliádeß<br />
‘ecousai tò ‘onoma ahutoü kaì tò ‘onoma toü<br />
patròß ahutoü gegramménon hepì tẅn metẃpwn<br />
ahutẅn.<br />
14:2 kaì ‘jkousa fwn`jn hek toü ohuranoü<br />
Hwß fwn`jn Hudátwn pollẅn<br />
kaì Hwß fwn`jn bront¨jß megáljß,<br />
kaì Hj fwn`j ”jn ‘jkousa<br />
Hwß kiqar^wdẅn<br />
kiqarizóntwn hen taïß kiqáraiß ahutẅn.<br />
14:3 kaì ‘âdousin [Hwß] h^wd`jn kain`jn henẃpion toü<br />
qrónou kaì henẃpion tẅn tessárwn z´^wwn kaì tẅn<br />
presbutérwn≥<br />
kaì ohudeìß hedúnato maqeïn t`jn h^wd`jn<br />
ehi m`j aHi Hekatòn tesserákonta téssareß<br />
ciliádeß, oHi hjgorasménoi hapò t¨jß g¨jß.<br />
14:4 oûtoí ehisin<br />
o”i metà gunaikẅn ohuk hemolúnqjsan,<br />
parqénoi gár ehisin.<br />
oûtoi<br />
oHi hakolouqoünteß t¨^w harní^w “opou ’an Hupág∆.<br />
oûtoi hjgorásqjsan hapò tẅn hanqrẃpwn haparc`j<br />
t¨^w qe¨^w kaì t¨^w harní^w,<br />
14:5 kaì hen t¨^w stómati ahutẅn ohuc eHuréqj<br />
yeüdoß≥ ‘amwmoí ehisin.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 113<br />
• Welche »Wirklichkeit« wird hier ausgedrückt? Welche Zeitebene der Kirche kommt<br />
hier zur Sprache? Die Forschung ist (wieder) geteilt zwischen Gegenwartsschilderung<br />
und eschatologischer Vorwegnahme.<br />
• Kap. 14 kontrastiert Kap. 13: Dort der Abfall der Menschen, hier die Treue der<br />
144'000.<br />
• Das Lamm aus Kap. 5 tritt auf. Dort löste es durch seine »Entsiegelungs-Aktion« die<br />
beginnenden Ereignisse der Endzeit aus. Hier würden wir jetzt Ähnliches erwarten;<br />
doch überraschenderweise (!) bleibt das Lamm ziemlich inaktiv.<br />
• Das Lamm steht im Kontrast zum Drachen, der am Sand des Meeres steht (12,18).<br />
• Zion erscheint nur hier in Joh<strong>Apk</strong>; Zion-Tradition ist im AT eng mit Jerusalem<br />
verbunden. Zion ist in der prophetischen Tradition Ort der Einkehr Gottes (Sach 8,3)<br />
und der Rückkehr des Volkes (Jes 35,10; 51,11). In manchen apokalyptischen Texten<br />
ist Zion Ort der Erscheinung des Messias (syrBar<strong>Apk</strong> 40; 4Esr 13,32ff.39ff).<br />
• 144'000 (vgl. 7,4ff): die Treuen. Es interessant: In 7,4ff stehen ihnen die endzeitlichen<br />
Leiden noch bevor, hier nehmen sie bereits am eschatologischen Segen teil. (Die<br />
Drangsal der 144'000 wird nirgends »geschildert«.)<br />
• Das Mal auf der Stirn erhält eine doppelte Funktion: In Kap. 7 ist es so etwas wie ein<br />
Schutzzeichen vor den Gefahren der Endzeit, hier ist es ein »Gegenzeichen«<br />
gegenüber dem Malzeichen des Tieres (und damit ironischerweise zum Grund für<br />
Verfolgung).<br />
• V. 2: Theophane Stimme (Wasser, Donner, Harfen) stimmt hier Lied an<br />
(ausnahmsweise).<br />
• Undefinierte »sie« in V. 3: wohl Engel<br />
• Neues Lied (vgl. 5,9) ist nicht einfach ein bisher unbekanntes Lied, sondern ein Lied,<br />
welches das neue Heil besingt<br />
• Das Lied »lernen«, bedeutet sich das Heil aneignen 2<strong>03</strong> . Daran wird deutlich, dass in<br />
der Joh<strong>Apk</strong> das Heil »hymnisch« ist, das Evangelium ist (u.a.) auch musikalisch,<br />
Teilnahme an der himmlischen Liturgie.<br />
• Bestimmung der 144'000:<br />
a) Erkauft (nur hier und in 5,9): Nimmt vielleicht Bezug auf die ökonomische<br />
Dimension der Kaiserverehrung. Gerade diejenigen, die nicht kaufen und verkaufen<br />
können, werden von Gott aus der Erde (dem Ort der satanischen Tiere) erkauft.<br />
b) Jungfräulich: Auf der Bildebene sind die 144'000 deutlich Männer, die keinen<br />
Verkehr mit Frauen hatten. Sexualaskese hat in einem jüdischen Kontext nur eine<br />
liminale Funktion im Hinblick auf einen »heiligen« Krieg (Ex 19,15; 1Sam 21,5; CD<br />
12,1) oder im Hinblick auf den Tempeldienst. Es könnte sein, dass der Text in der<br />
Übertragung einfach auf moralische Reinheit zielt. 204<br />
c) Nachfolge: Der Begriff der Nachfolge bezeichnet im NT immer die Beziehung zum<br />
irdischen Jesus; Joh 21,19ff und dieser Text sind eine Ausnahme. Der Ausdruck<br />
bezeichnet hier die enge Beziehung der Treuen zum Lamm.<br />
d) Erstlingsfrucht / Opfergabe (s. a): Griech. aparchê bezeichnet beides. Daraus lassen<br />
sich theologisch unterschiedliche Möglichkeiten »stricken«:<br />
Opfergabe: Die 144'000 sind als Bild für die gesamte Christenheit ein kultisches<br />
Opfer für Gott<br />
Erstlingsfrucht: Die 144'000 sind Erstlinge für die Erlösung aller Menschen.<br />
e) Aufrichtig (Wortlaut in Anlehnung an Zeph 3,13): Moralisch untadelig.<br />
2<strong>03</strong> Roloff, Offb, 149.<br />
204 Selten wird erwogen, dass hier vielleicht auch eine Absetzung gegenüber der Prophetin Jezebel vorliegt.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
114 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Insgesamt überwiegen kultische Begriffe: Die treuen Glaubenden sind jungfräulich,<br />
untadelige Opfer/Erstlinge in der Nachfolge des Lammes. Inhaltlich bleibt das alles<br />
jedoch sehr unbestimmt!<br />
14/6 Und ich sah einen anderen Engel<br />
hoch oben am Himmel fliegen,<br />
der das ewige Evangelium hatte,<br />
um es denen zu verkündigen,<br />
die auf der Erde ansässig sind,<br />
und jeder Nation und jedem Stamm<br />
und jeder Sprache und jedem Volk,<br />
14/7 und er sprach mit lauter Stimme:<br />
Fürchtet Gott und gebt ihm Ehre,<br />
denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen;<br />
und betet den an,<br />
der den Himmel und die Erde<br />
und das Meer und die Wasserquellen gemacht hat!<br />
14:6 Kaì e~idon ‘allon ‘aggelon<br />
petómenon hen mesouran´jmati,<br />
‘econta ehuaggélion ahiẃnion<br />
ehuaggelísai<br />
hepì toùß kaqjménouß hepì t¨jß g¨jß<br />
kaì hepì pän ‘eqnoß<br />
kaì ful`jn kaì glẅssan kaì laón,<br />
14:7 légwn hen fwn¨∆ megál∆,<br />
Fob´jqjte tòn qeòn kaì dóte ahut¨^w dóxan,<br />
“oti ~jlqen Hj “wra t¨jß krísewß ahutoü,<br />
kaì proskun´jsate<br />
t¨^w poi´jsanti tòn ohuranòn kaì t`jn g¨jn<br />
kaì qálassan kaì pjgàß Hudátwn.<br />
• Es folgt die Vision von drei Engeln, die alle das Gericht ankündigen.<br />
• Der erste Engel wird (verwirrenderweise) bereits als »anderer Engel« eingeführt (wie<br />
die restlichen zwei). 205<br />
Nach Aune, Rev (WBC) II 824 ist dies der älteste Beleg in der christlich-jüdischen Literatur für einen fliegenden<br />
Engel (mit Ausnahme der beflügelten Seraphim und Cherubim).<br />
• mesoura¿nhma: in der Himmelsmitte, so dass er von allen Seiten gesehen werden<br />
kann<br />
• Evangelium (Verb erscheint noch in 10,7): das »ewige Evangelium« wird (dezidiert<br />
anders als bei Paulus!) mit dem endzeitlichen Gericht in Verbindung gebracht.<br />
• Die Evangeliums-Aufforderung des Engels ist eine Einladung zum Gottesdienst:<br />
Gottesfurcht, Ehre und Proskynese => das Heil verwirklich sich also in der<br />
Proskynese Gottes in bewusster Absetzung des Herrscherkultes. 206<br />
• Begründung: Gericht und Schöpfung (beides hängt für den Autor zusammen)<br />
14/8 Und ein anderer, zweiter Engel folgte<br />
und sprach:<br />
Gefallen, gefallen ist das große Babylon,<br />
das mit dem Grimmeswein seiner Unzucht alle<br />
Nationen getränkt hat.<br />
14:8 Kaì ‘alloß ‘aggeloß deúteroß hjkoloúqjsen<br />
légwn,<br />
‘ Epesen, ‘epesen Babulẁn Hj megálj,<br />
”j hek toü o‘inou toü qumoü t¨jß porneíaß ahut¨jß<br />
pepótiken pánta tà ‘eqnj.<br />
• Vorwegnahme von 16,17ff und Kap. 17! Babylon ist Symbol für die jeweils<br />
gegenwärtige Supermacht (in diesem Falle Rom).<br />
• Jes 21,9b: »Gefallen ist Babel, es ist gefallen, und alle Bilder seiner Götter sind zu<br />
Boden geschlagen!«<br />
• Alle Nationen werden in den Rausch Roms mit hinabgerissen.<br />
14/9 Und ein anderer, dritter Engel folgte ihnen<br />
und sprach mit lauter Stimme:<br />
Wenn jemand das Tier<br />
und sein Bild anbetet<br />
und ein Malzeichen annimmt an seine Stirn<br />
oder an seine Hand,<br />
14:9 Kaì ‘alloß ‘aggeloß trítoß hjkoloúqjsen<br />
ahutoïß légwn hen fwn¨∆ megál∆,<br />
E‘i tiß proskuneï tò qjríon<br />
kaì t`jn ehikóna ahutoü,<br />
kaì lambánei cáragma hepì toü metẃpou<br />
ahutoü ’j hepì t`jn ceïra ahutoü,<br />
205 Vgl. zu den Auslegungsmäglichkeiten Satake, Offb (KEK), 312f, Anm. 504.<br />
206 Die starke Betonung von rituellen und kultischen Aspekten mag auch damit zusammenhängen, wie stark<br />
sich der Autor von der imperialen Rutualisierung der Macht absetzen will.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 115<br />
14/10 so wird auch er trinken vom Wein des Grimmes<br />
Gottes,<br />
der unvermischt im Kelch seines Zornes bereitet ist;<br />
und er wird mit Feuer und Schwefel gequält werden<br />
vor den heiligen Engeln und vor dem Lamm.<br />
14/11 Und der Rauch ihrer Qual steigt auf in alle<br />
Ewigkeit;<br />
und sie haben keine Ruhe Tag und Nacht,<br />
die das Tier und sein Bild anbeten,<br />
und wenn jemand das Malzeichen seines Namens<br />
annimmt.<br />
14/12 Hier ist das Ausharren der Heiligen,<br />
welche die Gebote Gottes und den Glauben Jesu<br />
bewahren.<br />
14:10 kaì ahutòß píetai hek toü o‘inou toü qumoü<br />
toü qeoü<br />
toü kekerasménou hakrátou hen t¨^w potjrí^w<br />
t¨jß horg¨jß ahutoü,<br />
kaì basanisq´jsetai hen purì kaì qeí^w henẃpion<br />
haggélwn Hagíwn kaì henẃpion toü harníou.<br />
14:11 kaì Ho kapnòß toü basanismoü ahutẅn ehiß<br />
ahiẅnaß ahiẃnwn hanabaínei,<br />
kaì ohuk ‘ecousin hanápausin Hjméraß kaì nuktóß,<br />
oHi proskunoünteß tò qjríon kaì t`jn ehikóna<br />
ahutoü, kaì e‘i tiß lambánei tò cáragma toü<br />
honómatoß ahutoü.<br />
14:12 ˆ Wde Hj Hupomon`j tẅn Hagíwn hestín,<br />
oHi tjroünteß tàß hentolàß toü qeoü kaì t`jn<br />
pístin h Ijsoü.<br />
• Strafandrohung<br />
• Anbetung und Malzeichen zeigen die enge Verquickung zwischen religiöser<br />
Unterwerfung und wirtschaftlichem Opportunismus.<br />
• Die Gerichtsbilder sind in ihrer drastischen Stärke kaum zu überbieten:<br />
o Wein, welches zur Freude bestimmt sein sollte, wird hier zum Symbol von<br />
Zorn und Grimm (Wein als Strafe in Ps 605; Jes 51,17; Jer 13,12ff; Ez<br />
23,31ff).<br />
o Feuer, Schwefel und Rauch nehmen Bilder von der Gehenna, der Hölle, auf.<br />
Dort werden die Untreuen von Gott selbst gefoltert, vor dem Lamm usw.<br />
o Im Gegensatz zu den Treuen in V. 13 finden die Bestraften keine Ruhe!<br />
• zu V. 12 vgl. 13,10<br />
• Der Wechsel vom Futur (V. 10) zum Präsens (V. 11) deutet wohl kaum einen Wechsel<br />
in der zeitlichen Vorstellung an, sondern ist vom Aspekt her bestimmt: der<br />
aufsteigende Rauch und die Ruhelosigkeit sind durativ.<br />
• Theologisch ist die Rede des dritten Engels hochproblematisch, zumal sie in<br />
unmittelbarer Nähe zum ersten Engel mit dem ewigen Evangelium steht. Es gibt zwei<br />
(kleinere Einschränkungen): a) Der Engel kündigt etwas im Futur an und gebraucht<br />
weiterhin Strafbilder apokalyptischer Höllen-Vorstellungen. Was genau damit<br />
gemeint ist, bleibt auch hier in der Schwebe. b) Es handelt sich um einen<br />
Konditionalsatz (»Wenn A, dann B«), der zur Abschreckung die Folgen des<br />
Kaiserkultes in möglichst drastischen Bildern deutlich machen will.<br />
14/13 Und ich hörte eine Stimme aus dem Himmel<br />
sagen:<br />
Schreibe:<br />
Glückselig die Toten,<br />
die von jetzt an im Herrn sterben!<br />
Ja, spricht der Geist,<br />
damit sie ruhen von ihren Mühen,<br />
denn ihre Werke folgen ihnen nach.<br />
14:13 Kaì ‘jkousa fwn¨jß hek toü ohuranoü<br />
legoúsjß,<br />
Gráyon≥<br />
Makárioi oHi nekroì<br />
oHi hen kurí^w hapoqn´∆skonteß haph ‘arti.<br />
naí, légei tò pneüma,<br />
“ina hanapa´jsontai hek tẅn kópwn ahutẅn≥<br />
tà gàr ‘erga ahutẅn hakolouqeï meth ahutẅn.<br />
• Schreibbefehl hebt Inhalt hervor (s.a. 19,9; 21,5; u.a. 10,4).<br />
• Makarismus der Märtyrer<br />
• »von jetzt/nun an« müsste sich auf den Zeitpunkt des Schreibens beziehen.<br />
• Ruhe-Symbolik (im Gegensatz zur Qual der Untreuen)<br />
• Gericht nach Werken<br />
14/14 Und ich sah: und siehe, eine weiße Wolke,<br />
und auf der Wolke saß einer gleich einem<br />
14:14 Kaì e~idon, kaì hidoù nefélj leuk´j,<br />
kaì hepì t`jn neféljn kaq´jmenon “omoion uHiòn<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
116 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Menschensohn,<br />
der auf seinem Haupt einen goldenen Siegeskranz<br />
und in seiner Hand eine scharfe Sichel hatte.<br />
14/15 Und ein anderer Engel kam aus dem Tempel<br />
hervor und rief dem, der auf der Wolke saß, mit lauter<br />
Stimme zu:<br />
Schicke deine Sichel und ernte!<br />
Denn die Stunde des Erntens ist gekommen,<br />
denn die Ernte der Erde ist überreif geworden.<br />
14/16 Und der auf der Wolke saß, warf seine Sichel auf<br />
die Erde,<br />
und die Erde wurde abgeerntet.<br />
Auftritt<br />
hanqrẃpou,<br />
‘ecwn hepì t¨jß kefal¨jß ahutoü stéfanon<br />
crusoün kaì hen t¨∆ ceirì ahutoü drépanon hoxú.<br />
14:15 kaì ‘alloß ‘aggeloß hex¨jlqen hek toü naoü,<br />
krázwn hen fwn¨∆ megál∆ t¨^w kaqjmén^w hepì t¨jß<br />
neféljß,<br />
Pémyon tò drépanón sou kaì qérison,<br />
“oti ~jlqen Hj “wra qerísai,<br />
“oti hexjránqj Ho qerismòß t¨jß g¨jß.<br />
14:16 kaì ‘ebalen Ho kaq´jmenoß hepì t¨jß neféljß<br />
tò drépanon ahutoü hepì t`jn g¨jn,<br />
kaì heqerísqj Hj g¨j.<br />
• Die beiden Szenen sind parallel aufgebaut:<br />
14,14-16 14,17-20<br />
14: Menschenähnlicher auf weißer Wolke mit<br />
Goldkranz und scharfer Sichel<br />
»anderer« Engel 15: Kommt aus Tempel und gibt Befehl zum<br />
Ernten (Begründung. Zeit ist reif)<br />
Durchführung 16 19f<br />
17: Anderer Engel kommt aus Tempen (wie in<br />
15)<br />
18: Kommt vom Altar und gibt Befehl zum<br />
ersten Engel (Begründung: Beeren sind reif):<br />
Dan 7,13: »Ich sah in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels<br />
wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht…«<br />
• Wolke ist Repertoire der Parusie; weiße Farbe = leuchtend (wie Gott; s. 1,14);<br />
goldener Kranz = Siegeszeichen<br />
• Menschensohn-Gestalt; er sitzt zum Gericht; Sichel = Gericht als Ernte (s.a. in einigen<br />
Gleichnissen Jesu)<br />
Joel 4,13 Greift zur Sichel, denn die Ernte ist reif! Kommt und tretet, denn die Kelter ist voll, die Kufen<br />
laufen über, denn ihre Bosheit ist gross!<br />
• Von 1,9-20 her handelt es sich deutlich um den kommenden Christus.<br />
• Sein Auftritt wird »unterbrochen« von einem vierten Engel aus dem Himmelstempel<br />
(ist es ein »anderer« Engel gegenüber den anderen dreien oder gegenüber dem<br />
Menschensohn-Ähnlichen?)<br />
• Befiehlt hier ein Engel dem Parusie-Christus? Wer anders sollte ernten als Christus?<br />
• 16: Das Gericht beginnt!<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 117<br />
14/17 Und ein anderer Engel kam aus dem Tempel im<br />
Himmel hervor,<br />
und auch er hatte eine scharfe Sichel.<br />
14/18 Und ein anderer Engel kam aus dem Altar<br />
hervor,<br />
der Macht über das Feuer hatte,<br />
und er rief dem, der die scharfe Sichel hatte, mit lauter<br />
Stimme zu und sprach:<br />
Schicke deine scharfe Sichel<br />
und lies die Trauben des Weinstocks der Erde,<br />
denn seine Beeren sind reif geworden.<br />
14/19 Und der Engel warf seine Sichel auf die Erde<br />
und las den Weinstock der Erde ab<br />
und warf [die Trauben] in die große Kelter des<br />
Grimmes Gottes.<br />
14/20 Und die Kelter wurde außerhalb der Stadt<br />
getreten, und Blut ging aus der Kelter hervor bis an die<br />
Zügel der Pferde, tausendsechshundert Stadien weit.<br />
14:17 Kaì ‘alloß ‘aggeloß hex¨jlqen hek toü naoü<br />
toü hen t¨^w ohuran¨^w,<br />
‘ecwn kaì ahutòß drépanon hoxú.<br />
14:18 Kaì ‘alloß ‘aggeloß [hex¨jlqen] hek toü<br />
qusiastjríou,<br />
[Ho] ‘ecwn hexousían hepì toü puróß,<br />
kaì hefẃnjsen fwn¨∆ megál∆ t¨^w ‘econti tò<br />
drépanon tò hoxù légwn,<br />
Pémyon sou tò drépanon tò hoxù<br />
kaì trúgjson toùß bótruaß t¨jß hampélou t¨jß g¨jß,<br />
“oti ‘jkmasan aHi stafulaì ahut¨jß.<br />
14:19 kaì ‘ebalen Ho ‘aggeloß tò drépanon ahutoü<br />
ehiß t`jn g¨jn,<br />
kaì hetrúgjsen t`jn ‘ampelon t¨jß g¨jß<br />
kaì ‘ebalen ehiß t`jn ljnòn toü qumoü toü qeoü tòn<br />
mégan.<br />
14:20 kaì hepat´jqj Hj ljnòß ‘exwqen t¨jß pólewß,<br />
kaì hex¨jlqen aîma hek t¨jß ljnoü ‘acri tẅn calinẅn<br />
tẅn “ippwn hapò stadíwn cilíwn Hexakosíwn.<br />
• 17: »Anderer« Engel (17): Kommt aus Tempel, hat scharfe Sichel<br />
• 18: »Anderer« Engel kommt aus Rauchaltar (Ort der Märtyrer in 6,9-11), hat<br />
Feuermacht, ruft laut Engel zu<br />
• 19f: Das Gerichtsbild wird hier blutig weitergeführt; die 144'000 sind mit dem Land<br />
auf dem Berg Zion, außerhalb der Stadt türmt sich das Blut.<br />
• 1600 Stadien = 300km.<br />
2.9 Die sieben Engel und die sieben Schalen (15,1-16,21)<br />
2.9.1 Die Vorbereitung durch sieben Engel (15,1-8)<br />
Lit.:<br />
Aune, D.E. A Latinism in Revelation 15:2, JBL 110 (1991) 691-692. – Bauckham, R. Nero and the<br />
beast, in: The Climax of Prophecy. Studies on the Book of Revelation, Edinburgh, 1993, 384-452. –<br />
Böttrich, C. Das ›gläserne Meer‹ in <strong>Apk</strong> 4,6/15,2, BibNot 80 (1995) 5-15. – DeVilliers, P.G. The septet<br />
of bowls in Revelation 15:1-16:21 in the light of its composition, Acta patristica et Byzantina 16 (2005)<br />
196-222. – Du Rand, J.A. The Song of the Lamb because of the Victory of the Lamb, Neotestamentica<br />
29/2 (1995) 2<strong>03</strong>-210. – Fenske, W. ›Das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes‹<br />
(Apokalypse des Johannes 15,3f.). Der Text und seine Bedeutung für die Johannes-Apokalypse, ZNW 90<br />
(1999) 250-264. – Moor, J.C. de & Staalduine-Sulman, E. van. The Aramaic Song of the Lamb, JSJ 24<br />
(1993) 266-279. – Schnabel, E.J. John and the future of the nations, Bulletin for Biblical Research 12<br />
(2002) 243-271. – Stare, M. Das neu gesungene Lied des Mose (Offb 15,3b-4), in: Führe mein Volk<br />
heraus. Zur innerbiblischen Rezeption der Exodusthematik (FS G. Fischer), hg. Simone Paganini et al.<br />
Frankfurt am Main; Wien: Lang, 2004, 121-138. – Tilly, M. Die Offenbarung des Johannes und das<br />
Moselied (Dtn 32), in: Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte, hg. W. Kraus (BZNW 163),<br />
Berlin, 2009, 453-464.<br />
15:1 Kaì e~idon ‘allo sjmeïon hen t¨^w ohuran¨^w<br />
méga kaì qaumastón,<br />
haggélouß Heptà ‘econtaß pljgàß Heptà tàß hescátaß,<br />
“oti hen ahutaïß hetelésqj Ho qumòß toü qeoü.<br />
15/1 Und ich sah ein anderes Zeichen im Himmel,<br />
groß und wunderbar:<br />
Sieben Engel, die sieben Plagen hatten, die letzten;<br />
denn in ihnen wurde der Grimm Gottes vollendet.<br />
• Zeichen am Himmel erinnert an 12,1.3 (aber in welcher Form von inhaltlichem<br />
Zusammenhang?)<br />
• Die Plagen sind jetzt die letzten, führen also direkt zum Ende hin, vollenden Gottes<br />
Zorn.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
h<br />
118 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Notabene: Die Vorstellung, dass Gott vom Affekt des Zorns befallen sein könnte,<br />
muss für philosophisch geprägte Gottesvorstellungen mehr als seltsam geklungen<br />
haben. Der stoische oder platonische Gott wäre sicherlich nicht anfällig für solche<br />
niederen Gefühle gewesen.<br />
15:2 Kaì e~idon Hwß qálassan Hualínjn<br />
memigménjn purí,<br />
kaì toùß nikẅntaß hek toü qjríou<br />
kaì hek t¨jß ehikónoß ahutoü<br />
kaì hek toü hariqmoü toü honómatoß ahutoü<br />
Hestẅtaß hepì t`jn qálassan t`jn Hualínjn,<br />
‘econtaß kiqáraß toü qeoü.<br />
15:3 kaì ‘âdousin t`jn h^wd`jn Mwvuséwß<br />
toü doúlou toü qeoü<br />
kaì t`jn h^wd`jn toü harníou légonteß,<br />
Megála kaì qaumastà tà ‘erga sou,<br />
kúrie Ho qeòß Ho pantokrátwr≥<br />
díkaiai kaì haljqinaì aHi Hodoí sou,<br />
Ho basileùß tẅn heqnẅn.<br />
15:4 tíß ohu m`j fobjq¨∆, kúrie,<br />
kaì doxásei tò ‘onomá sou;<br />
“oti mónoß “osioß,<br />
“oti pánta tà ‘eqnj “jxousin<br />
kaì proskun´jsousin henẃpión sou,<br />
“oti tà dikaiẃmatá sou hefanerẃqjsan.<br />
15/2 Und ich sah [etwas] wie ein gläsernes Meer,<br />
mit Feuer gemischt,<br />
und [sah] die Sieger über das Tier<br />
und über sein Bild<br />
und über die Zahl seines Namens an dem gläsernen<br />
Meer stehen,<br />
und sie hatten Harfen Gottes.<br />
15/3 Und sie singen das Lied Moses,<br />
des Knechtes Gottes,<br />
und das Lied des Lammes und sagen:<br />
Groß und wunderbar [sind] deine Werke,<br />
Herr, Gott, Allmächtiger!<br />
Gerecht und wahrhaftig [sind] deine Wege,<br />
o König der Nationen!<br />
15/4 Wer sollte nicht fürchten, Herr,<br />
und verherrlichen deinen Namen?<br />
Denn du allein [bist] heilig;<br />
denn alle Nationen werden kommen<br />
und vor dir anbeten,<br />
weil deine gerechten Taten offenbar geworden sind.<br />
• Ähnlich wie 8,3-5 (Beginn der Posaunenreihe) wird der Siebener-Zyklus durch einen<br />
Lobpreis unterbrochen.<br />
• Der Bezug zur Exodusgeschichte ist durch das Motiv der Plagen bereits vorgegeben.<br />
Hier wird es durch einige Verfremdungen weiter ausgebaut:<br />
a) Das Meer erinnert an das Rote Meer.<br />
b) Die Treuen haben ihrer Verfolger (Tier, Bild und Zahl) besiegt.<br />
c) Das Lied des Lammes ist das Lied des Mose. 207<br />
• Gottes Gerechtigkeit, Größe, Wahrhaftigkeit wird besungen; sachlich steht sie im<br />
Zusammenhang mit seinem (im Bild!) blutigen Gericht. Das Heil wird in dieser Krise<br />
(im Sinne des Exodus-Geschehens) zugleich als Bestrafung der Verfolger gesehen.<br />
• Der Hymnus endet mit einer Unterwerfungsformel aller Nationen => Hier spielt die<br />
alttestamentliche Zionstradition eine Rolle 208 .<br />
15:5 Kaì metà taüta e~idon,<br />
kaì hjnoígj Ho naòß t¨jß skjn¨jß toü marturíou hen<br />
t¨^w ohuran¨^w,<br />
15:6 kaì hex¨jlqon oHi Heptà ‘aggeloi<br />
[oHi] ‘econteß tàß Heptà pljgàß<br />
hek toü naoü,<br />
endeduménoi línon kaqaròn lampròn<br />
kaì periezwsménoi perì tà st´jqj zẃnaß<br />
crusäß.<br />
15:7 kaì ”en hek tẅn tessárwn z´^wwn ‘edwken toïß<br />
Heptà haggéloiß Heptà fiálaß crusäß<br />
gemoúsaß toü qumoü toü qeoü toü zẅntoß<br />
ehiß toùß ahiẅnaß tẅn ahiẃnwn.<br />
15:8 kaì hegemísqj Ho naòß kapnoü hek t¨jß dóxjß<br />
toü qeoü kaì hek t¨jß dunámewß ahutoü,<br />
15/5 Und nach diesem sah ich:<br />
und der Tempel des Zeltes des Zeugnisses im Himmel<br />
wurde geöffnet.<br />
15/6 Und die sieben Engel,<br />
welche die sieben Plagen hatten,<br />
kamen aus dem Tempel hervor,<br />
bekleidet mit reinem, glänzendem Leinen<br />
und um die Brust gegürtet mit goldenen Gürteln.<br />
15/7 Und eines der vier lebendigen Wesen gab den<br />
sieben Engeln sieben goldene Schalen,<br />
voll des Grimmes Gottes,<br />
der da lebt in alle Ewigkeit.<br />
15/8 Und der Tempel wurde mit Rauch gefüllt von der<br />
Herrlichkeit Gottes und von seiner Macht;<br />
207 Solche Mose-Lieder sind im AT belegt in Ex 15,1ff (nach dem Wunder am Roten Meer) und Dtn 32,1ff<br />
(kurz vor seinem Tod).<br />
208 Jes 2,2-4; 14,1f; 45,14; 60,1-3; 66,18; Jer 16,19; Sach 8,20-23.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 119<br />
kaì ohudeìß hedúnato ehiselqeïn ehiß tòn naòn<br />
‘acri telesqẅsin aHi Heptà pljgaì tẅn Heptà<br />
haggélwn.<br />
und niemand konnte in den Tempel eintreten,<br />
bis die sieben Plagen der sieben Engel vollendet<br />
waren.<br />
• »Zelt des Zeugnisses« = im AT die Stiftshütte, die beim Auszug aus Ägypten Israel<br />
begleitete (Ex 29,30; Lev 4; 8; 16f usw.).<br />
• 6: Die Kleider der Engel erinnern an den Menschensohnähnlichen in 1,13 (s.a. Dan<br />
10,5).<br />
• In der Siegel- und Posaunenreihe war vom Zorn Gottes nicht ausdrücklich die Rede;<br />
in dieser Reihe ist das das zentrale Motiv.<br />
• 8: Im himmlischen Tempel...<br />
2.9.2 Die sieben Zornesschalen (16,1-21)<br />
Lit.: Alvarez Valdés, A. Le sens biblique de la bataille de Harmagedôn, NRTh 123 (2001) 19-26. – Day, J.<br />
The Origin of Armageddon: Revelation 16:16 as an Interpretation of Zechariah 12:11, in; Crossing the<br />
Boundaries. Essays in Biblical Interpretation (FS M.D. Goulder), ed. S.E. Porter et al. Leiden, 1994, 315-<br />
326. – DeSilva, D.A. Final topics: The rhetorical functions of intertexture in Revelation 14:14-16:21, in:<br />
The intertexture of apocalyptic discourse in the New Testament, ed. D.F. Watson (SBL Symposium series<br />
14), Atlanta, 2002, 215-241. – Ford, J.M. The Structure and Meaning of Revelation 16, ET 98 (1986/87)<br />
327-331. – Frenschkowski, M. Parthica apocalyptica. Mythologie und Militärwesen iranischer Völker in<br />
ihrer Rezeption durch die Offenbarung des Johannes, JbAC 47 (2004) 16-57. – Jauhiainen, M. The OT<br />
Background to Armaggedon (Rev. 16:16) revisited, NT 47 (2005) 381-393. – Oberweis, M. Erwägungen<br />
zur apokalyptischen Ortsbezeichnung ›Harmagedon‹, Biblica 76/3 (1995) 305-324. – Staples, P. Rev<br />
16:4-6 and Its Vindication Formula, NT 14 (1972) 280-293. – Witetschek, S. The dragon spitting frogs:<br />
On the imagery of Revelation 16.13-14, NTS 54/4 (2008) 557-572. – Yarbro Collins, A. History-ofreligions<br />
Approach to Apocalypticism and the ›Angel of the Waters‹ (Rev 16:4-7), CBQ 39 (1977)<br />
367-381. 209<br />
• Diese letzte Siebenerreihe weicht darin von den vorherigen ab, dass sie regelmäßig<br />
verläuft. Die ersten vier gehören nicht mehr so eng zusammen und die siebte wird<br />
nicht mehr abgesetzt.<br />
• Inhaltlich gibt es die meisten Bezüge zur Posaunen-Reihe (nur dass dort häufig von<br />
einem Drittel die Rede war und hier alles betroffen ist).<br />
Und ich hörte eine laute Stimme aus dem Tempel<br />
zu den sieben Engeln sagen:<br />
Geht hin und gießt die sieben Schalen des Grimmes<br />
Gottes aus auf die Erde.<br />
16:1 Kaì ‘jkousa megáljß fwn¨jß hek toü naoü<br />
legoúsjß toïß Heptà haggéloiß,<br />
H Upágete kaì hekcéete tàß Heptà fiálaß toü qumoü<br />
toü qeoü ehiß t`jn g¨jn.<br />
• Audition: 1. Stimme aus Tempel, 2. spricht zu 7 Engeln, 3. Anweisung: Ausgießen<br />
16,2 Und der erste ging hin<br />
und goß seine Schale aus auf die Erde;<br />
und es entstand ein böses und schlimmes Geschwür an<br />
den Menschen,<br />
die das Malzeichen des Tieres hatten<br />
und sein Bild anbeteten.<br />
16:2 Kaì hap¨jlqen Ho prẅtoß<br />
kaì hexéceen t`jn fiáljn ahutoü ehiß t`jn g¨jn≥<br />
kaì hegéneto “elkoß kakòn kaì ponjròn hepì toùß<br />
hanqrẃpouß<br />
toùß ‘econtaß tò cáragma toü qjríou<br />
kaì toùß proskunoüntaß t¨∆ ehikóni ahutoü.<br />
209 Abstract: The purpose of this article is to propose a mediating approach to the history-of-religions<br />
background of apocalypticism illustrated by a study of Rev 16:4-7. It is argued that both of the classic positions<br />
on this issue are misleading: 1) emphasis on the continuity with Old Testament and Jewish tradition and 2)<br />
emphasis on innovation via borrowing from non-Jewish Hellenistic traditions. There is evidence for a certain<br />
internationalism, a more or less deliberate fusion of diverse traditions in Revelation. This characteristic suggests<br />
that the traditional Jewish elements in apocalyptic literature should be interpreted in the new context of<br />
Hellenistic civilization.]<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
120 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Zornesschale I: Ausgießung über die Erde, Geschwüre über Siegel des Tieres, Anbeter<br />
seiner Statue<br />
• Geschwüre erinnern ab Ex 9,8ff<br />
16,3 Und der zweite<br />
goß seine Schale aus auf das Meer;<br />
und es wurde [zu] Blut wie von einem Toten,<br />
und jede lebendige Seele, was [auch] im Meer war,<br />
starb.<br />
16:3 Kaì Ho deúteroß<br />
hexéceen t`jn fiáljn ahutoü ehiß t`jn qálassan≥<br />
kaì hegéneto aîma Hwß nekroü,<br />
kaì päsa yuc`j zw¨jß hapéqanen, tà hen t¨∆<br />
qaláss∆.<br />
• Zornesschale II (fast gleich wie 2. Posaune); vgl. Ex 7,17ff.<br />
16,4 Und der dritte<br />
goß seine Schale aus auf die Ströme<br />
und die Wasserquellen,<br />
und es wurde [zu] Blut.<br />
5 Und ich hörte den Engel der Wasser sagen:<br />
Du bist gerecht, der ist und der war,<br />
der Heilige,<br />
dass du so gerichtet hast.<br />
6 Denn Blut von Heiligen und Propheten haben sie<br />
vergossen, und Blut hast du ihnen zu trinken gegeben;<br />
sie sind es wert.<br />
7 Und ich hörte den Altar sagen:<br />
Ja, Herr, Gott, Allmächtiger,<br />
wahrhaftig und gerecht sind deine Gerichte.<br />
16:4 Kaì Ho trítoß<br />
hexéceen t`jn fiáljn ahutoü ehiß toùß potamoùß<br />
kaì tàß pjgàß tẅn Hudátwn≥<br />
kaì hegéneto aîma.<br />
16:5 kaì ‘jkousa toü haggélou tẅn Hudátwn<br />
légontoß,<br />
Díkaioß e~i, Ho ’wn kaì Ho ~jn,<br />
Ho “osioß,<br />
“oti taüta ‘ekrinaß,<br />
16:6 “oti aîma Hagíwn kaì profjtẅn hexécean,<br />
kaì aîma ahutoïß [d]édwkaß pieïn≥<br />
‘axioí ehisin.<br />
16:7 kaì ‘jkousa toü qusiastjríou légontoß,<br />
Naí, kúrie Ho qeòß Ho pantokrátwr,<br />
haljqinaì kaì díkaiai aHi kríseiß sou.<br />
• Zornesschale III: Ausgießung über Fluß und Quellen, Blut<br />
• Engel der Wasser (äthHen 66,2)<br />
• Vergeltung für das Blut der Märtyrer; vgl. 6,10 und später 18,24; 19,2<br />
• Blut zu trinken geben ist (im nicht-übertragenen Sinne) aus jüdischer Sicht strengstens<br />
verboten.<br />
• Der Hymnus besingt wieder Gottes Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit.<br />
8 Und der vierte<br />
goß seine Schale aus auf die Sonne;<br />
und es wurde ihr gegeben, die Menschen mit Feuer zu<br />
versengen.<br />
9 Und die Menschen wurden von großer Hitze versengt<br />
und lästerten den Namen Gottes,<br />
der über diese Plagen Macht hat,<br />
und sie taten nicht Buße, ihm Ehre zu geben.<br />
16:8 Kaì Ho tétartoß<br />
hexéceen t`jn fiáljn ahutoü hepì tòn “jlion≥<br />
kaì hedóqj ahut¨^w kaumatísai toùß hanqrẃpouß hen<br />
purí.<br />
16:9 kaì hekaumatísqjsan oHi ‘anqrwpoi kaüma<br />
méga,<br />
kaì heblasf´jmjsan tò ‘onoma toü qeoü<br />
toü ‘econtoß t`jn hexousían hepì tàß<br />
pljgàß taútaß,<br />
kaì ohu metenójsan doünai ahut¨^w dóxan.<br />
• Zornesschale IV: Sonne verfinstert sich nicht (s. Posaunenvision), sondern gibt noch<br />
mehr Hitze.<br />
• 9: Die Menschen kehren nicht um (analog dem Pharaoh in der Exodus-Geschichte).<br />
10 Und der fünfte<br />
goß seine Schale aus auf den Thron des Tieres;<br />
und sein Reich wurde verfinstert;<br />
und sie zerbissen ihre Zungen vor Qual<br />
11 und lästerten den Gott des Himmels<br />
wegen ihrer Qualen und wegen ihrer Geschwüre,<br />
16:10 Kaì Ho pémptoß<br />
hexéceen t`jn fiáljn ahutoü hepì tòn qrónon toü<br />
qjríou≥<br />
kaì hegéneto Hj basileía ahutoü heskotwménj,<br />
kaì hemasẅnto tàß glẃssaß ahutẅn hek toü pónou,<br />
16:11 kaì heblasf´jmjsan tòn qeòn toü ohuranoü<br />
hek tẅn pónwn ahutẅn kaì hek tẅn Helkẅn<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 121<br />
und sie taten nicht Buße von ihren Werken.<br />
ahutẅn,<br />
kaì ohu metenójsan hek tẅn ‘ergwn ahutẅn.<br />
• Klimaktischer Aufbau: der Thron des Tieres, Machtzentrum des Imperiums<br />
• Verfinsterung stammt aus Ex 10,21ff; bezieht sich hier auf die Königsherrschaft; dazu<br />
kommt Schmerz<br />
• 11: Keine Umkehr<br />
16:12 Kaì Ho “ektoß<br />
hexéceen t`jn fiáljn ahutoü hepì tòn potamòn tòn<br />
mégan tòn Ehufrátjn≥<br />
kaì hexjránqj tò “udwr ahutoü,<br />
“ina Hetoimasq¨∆ Hj Hodòß tẅn basiléwn tẅn hapò<br />
hanatol¨jß Hjlíou.<br />
16:13 Kaì e~idon hek toü stómatoß toü drákontoß<br />
kaì hek toü stómatoß toü qjríou<br />
kaì hek toü stómatoß toü yeudoprof´jtou<br />
pneúmata tría hakáqarta Hwß bátracoi≥<br />
16:14 ehisìn gàr pneúmata daimoníwn<br />
poioünta sjmeïa,<br />
”a hekporeúetai hepì toùß basileïß t¨jß<br />
ohikouménjß “oljß,<br />
sunagageïn ahutoùß ehiß tòn pólemon<br />
t¨jß Hjméraß t¨jß megáljß toü qeoü toü<br />
pantokrátoroß.<br />
16/12 Und der sechste<br />
goß seine Schale aus auf den großen Strom Euphrat;<br />
und sein Wasser vertrocknete,<br />
damit der Weg der Könige von Sonnenaufgang her<br />
bereitet wurde.<br />
16/13 Und ich sah aus dem Mund des Drachen<br />
und aus dem Mund des Tieres<br />
und aus dem Mund des falschen Propheten<br />
drei unreine Geister [kommen], wie Frösche;<br />
16/14 denn es sind Geister von Dämonen,<br />
die Zeichen tun,<br />
die ausziehen zu den Königen des ganzen<br />
Erdkreises,<br />
sie zu versammeln zu dem Krieg des großen<br />
Tages Gottes, des Allmächtigen.<br />
• Die sechste Schale ist sehr heterogen...<br />
• Das Austrocknen des Euphrats nimmt Jer 51,36f auf 210 :<br />
Jer. 51:36 Darum spricht der HERR: Siehe, ich will deine Sache führen und dich rächen. Ich will ihr Meer<br />
austrocknen und ihre Brunnen versiegen lassen. 37 Und Babel soll zu Steinhaufen und zur Wohnung der<br />
Schakale werden, zum Bild des Entsetzens und zum Spott, dass niemand darin wohne.<br />
• Die »Könige vom Osten« spielt vielleicht wieder auf die damalige Angst vor den<br />
Parthern aus dem Osten an 211 .<br />
• Die Trias des Bösen begegnet jetzt wieder: Drache, Tier, falscher Prophet; unreine<br />
Geister wie Frösche (Exodus-Motiv)<br />
• Feindliche Mächte (vom Osten) werden hier aufgeboten, um Krieg gegen die<br />
Gottesfeinde (Rom und die Seinen) zu führen. Die dämonischen Kräfte mobilisieren<br />
ihrerseits alle ihre Verbündeten.<br />
• Artikel vor polemos zeigt, dass ein bestimmter apokalyptischer Krieg anvisiert wird.<br />
16:15 h Idoù ‘ercomai Hwß kléptjß.<br />
makárioß Ho grjgorẅn kaì tjrẅn tà Himátia<br />
ahutoü,<br />
“ina m`j gumnòß peripat¨∆<br />
kaì blépwsin t`jn hascjmosúnjn ahutoü.<br />
16/15 Siehe, ich komme wie ein Dieb.<br />
Glückselig, der wacht und seine Kleider bewahrt,<br />
damit er nicht nackt umhergehe<br />
und man nicht seine Schande sehe!<br />
• V. 15 unterbricht und kommentiert kurz die sechste Schale durch ein Orakelspruch des<br />
auferstandenen Jesus.<br />
• Es handelt sich um die dritte von insg. sieben Seligpreisungen (1,3; 14,13; 19,9; 20,6;<br />
22,7.14).<br />
210 Beim Euphrat handelt es sich um einen der grössten Ströme des damaligen Orients. Aune, Rev. II, 890f:<br />
»[T]he Euphrat was never known to dry up, unlike most of the rivers in the Near East.«<br />
211 Vgl. dazu den wie immer materialreichen und instruktiven Exkurs in Aune, Rev (WBC), II, 891-894.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
122 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Der überraschend kommende Dieb erinnert an Worte zur Parusie Jesu (vgl. Joh<strong>Apk</strong><br />
3,3):<br />
Mt 24,43 Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausvater wüsste, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb<br />
kommt, so würde er ja wachen und nicht in sein Haus einbrechen lassen. (// LK 12,39) 1Th. 5:2 denn ihr<br />
selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommen wird wie ein Dieb in der Nacht. (vgl. 5,4) 2Pet. 3:10 Es<br />
wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden die Himmel zergehen mit grossem Krachen;<br />
die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden ihr<br />
Urteil finden.<br />
• 15b: Wachsamkeitsmotiv (s. 3,3)<br />
• 15c: Nacktheit als Bild des Unvorbereitetseins; Scham als Bild des Gerichts<br />
16:16 kaì sun´jgagen ahutoùß ehiß tòn tópon<br />
tòn kaloúmenon H Ebravistì H Armagedẃn.<br />
16/16 Und er versammelte sie an den Ort,<br />
der auf hebräisch Harmagedon heißt.<br />
• Durch V. 15 ist der Zusammenhang etwas unterbrochen, so dass das Subjekt von<br />
»versammeln« (3. Pers. Sg.) nicht deutlich ist. Wenn man hinter V. 15 sucht, dann<br />
müsste es sich dabei um die »Geister der Dämonen« handeln, die alle in V. 14 zum<br />
Krieg versammeln. Die Verbindung eines Neutrum Plurals (pneumata) mit einem<br />
Singularverb ist nicht selten.<br />
• Der Mythos einer apokalyptischen Endzeitschlacht ist in manchen Texten belegt:<br />
APkJoh 19,19; 20,9; 4Esr 13,34f; äth(1)Hen 56,7; SibOr 3,663-668. Wichtig sind die<br />
Orakel über Gog und Magog in Ez 38-39.<br />
• Mit der hebräischen Ortsbezeichnung »Harmagedon« lässt uns der Verfasser wieder<br />
im Dunkeln. Eine zufriedenstellende Erklärung oder Identifizierung gibt es nicht. Es<br />
klingt nach hebr. har = Berg, Hügel + magedon = Megiddo (eine alte kanaanäische<br />
Stadt am südlichen Rande der Jesreelebene 212 . Hier errangen Debora und Barak einen<br />
Sieg (Ri 4; vgl. das Debora-Lied in 5,19); Ahasja kämpfte gegen Jehu (2Kön 9,27)<br />
und Josia gegen den Pharao (2Chr 35,20ff). Es ist also ein Ort der Schlachten.<br />
• Allerdings taugt die Angabe wenig zur Lokalisierung, weil Megiddo in einer Ebene<br />
liegt und keinen Berg hat.<br />
16:17 Kaì Ho “ebdomoß<br />
hexéceen t`jn fiáljn ahutoü hepì tòn haéra≥<br />
kaì hex¨jlqen fwn`j megálj hek toü naoü hapò toü<br />
qrónou légousa,<br />
Gégonen.<br />
16:18 kaì hegénonto hastrapaì kaì fwnaì kaì<br />
brontaí,<br />
kaì seismòß hegéneto mégaß<br />
oîoß ohuk hegéneto<br />
hafh oû ‘anqrwpoß hegéneto hepì t¨jß g¨jß<br />
tjlikoütoß seismòß o“utw mégaß.<br />
16:19 kaì hegéneto Hj póliß Hj megálj ehiß tría<br />
mérj,<br />
kaì aHi póleiß tẅn heqnẅn ‘epesan.<br />
kaì Babulẁn Hj megálj hemn´jsqj henẃpion toü<br />
qeoü<br />
doünai ahut¨∆ tò pot´jrion toü o‘inou toü qumoü<br />
t¨jß horg¨jß ahutoü.<br />
16:20 kaì päsa n¨jsoß ‘efugen,<br />
kaì ‘orj ohuc eHuréqjsan.<br />
16:21 kaì cálaza megálj Hwß talantiaía<br />
16/17 Und der siebente<br />
goß seine Schale aus in die Luft;<br />
und es kam eine laute Stimme aus dem Tempel vom<br />
Thron her, die sprach:<br />
Es ist geschehen.<br />
16/18 Und es geschahen Blitze und Stimmen und<br />
Donner;<br />
und ein großes Erdbeben geschah,<br />
desgleichen nicht geschehen ist,<br />
seitdem ein Mensch auf der Erde war,<br />
ein so gewaltiges, so großes Erdbeben.<br />
16/19 Und die große Stadt wurde in drei Teile<br />
[gespalten],<br />
und die Städte der Nationen fielen,<br />
und der großen [Stadt] Babylon wurde vor Gott<br />
gedacht,<br />
ihr den Kelch des Weines des Grimmes seines<br />
Zornes zu geben.<br />
16/20 Und jede Insel verschwand,<br />
und Berge wurden nicht gefunden.<br />
16/21 Und ein großer Hagel, wie zentnerschwer, fällt<br />
212 Vgl. zur heutigen Ausgrabungsstätte: http://www.tau.ac.il/humanities/archaeology/megiddo/index.html<br />
und http://en.wikipedia.org/wiki/Tel_Megiddo.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 123<br />
katabaínei hek toü ohuranoü hepì toùß hanqrẃpouß≥<br />
kaì heblasf´jmjsan oHi ‘anqrwpoi tòn qeòn hek t¨jß<br />
pljg¨jß t¨jß calázjß,<br />
“oti megálj hestìn Hj pljg`j ahut¨jß sfódra.<br />
aus dem Himmel auf die Menschen nieder;<br />
und die Menschen lästerten Gott wegen der Plage des<br />
Hagels,<br />
denn seine Plage ist sehr groß.<br />
• Am Ende kommt die Luft (V. 17). Damit sind alle vier Elemente genannt worden:<br />
Erde (V. 2), Wasser (V. 3f.12), Feuer (Sonne in V. 8) und Luft.<br />
• Gottesstimme aus dem Tempelthron kündigt Ende an: gegonen (im Perfekt!)<br />
• 18f: Ein großes Erdbeben kündigt dieses definitive Ende an (s. 4,5; 8,5; 11,19; 16,18-<br />
21). Die einmalige Bedeutung dieses Erdbebens wird jedoch besonders<br />
hervorgehoben.<br />
• 19: »große Stadt« ist eher Rom als Jerusalem (so auswnahmsweise wohl in 11,8);<br />
dieser Vers wird in den Kap. 17-18 quasi in Makroaufnahme neu beleuchtet.<br />
• 21: Der Hagel erinnert wieder an die Exodus-Plage (Ex 9,18-26).<br />
• Die Reihe endet mit der Unwilligkeit zur Umkehr (ähnlich V. 9 und 11): Die<br />
Menschen lästern Gott!<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
124 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
2.10 Das Gericht über Babylon (17,1-19,10)<br />
2.10.1 Die Vision Babylons, die große Hure (17,1-18)<br />
Lit. (auch zu Kap 17–18): Aune, D.E. Revelation 17: A lesson in remedial reading, in: Apocalypticism,<br />
Prophecy and Magic in Early Christianity. Collected Essays (WUNT 199), Tübingen, 2006, 240-249. –<br />
Beale, B. The Origin of the title ›King of Kings and Lord of Lords‹ in Revelation 17,14, NTS 31 (1985)<br />
618-620. – Beauvery, R. L'Apocalypse au risque de la numismatique. Babylone, la grande prostituée et le<br />
sixième roi Vespasien et la déesse Rome, RB 90 (1983) 243-260. – Bergmeier, R. Die Erzhure und das<br />
Tier: <strong>Apk</strong> 12,18-13,18 und 17 f. Eine quellen- und redaktionskritische Analyse, in: ANRW II.25.5<br />
(1988), 3899-3916 = Das Gesetz im Römerbrief und andere Studien zum Neuen Testament (WUNT 121),<br />
Tübingen, 2000, 301-320. – Biguzzi, G. Is the Babylon of Revelation Rome or Jerusalem? Biblica 87<br />
(2006) 371-386. – Boxall, I. The many faces of Babylon the great: Wirkungsgeschichte and the<br />
interpretation of Revelation 17, in: Studies in the Book of Revelation, ed. S. Moyise, Edinburgh, 2001,<br />
51-68. – Ipsen, A. Political economy, prostitution, and the eschaton of the whore Babylon: A feminist<br />
integration of sex into an economic analysis of Revelation 17-19, in: Dem Tod nicht glauben.<br />
Sozialgeschichte der Bibel (FS L. Schottroff), Ed. F. Crüsemann et al. Gütersloh, 2004, 504-527. – Kim,<br />
J.K. ›Uncovering her wickedness‹: An inter(con)textual reading of Revelation 17 from a postcolonial<br />
feminist perspective, JSNT 73 (1999) 61-81. – King, F. Travesty or taboo? ›Drinking blood‹ and<br />
Revelation 17:2-6, Neotestamentica 38 (2004) 3<strong>03</strong>-325. – Reichelt, H. Angelus interpres. Texte in der<br />
Johannes-Apokalypse. Strukturen, Aussagen und Hintergründe (EHS 23:507), Frankfurt a.M. u.a, 1994. –<br />
Rissi, M. Die Hure Babylon und die Verführung der Heiligen. Eine Studie zur Apokalypse des Johannes<br />
(BWANT 136), Stuttgart, 1995. – Rossing, B.R. The choice between two cities. Whore, bride, and<br />
empire in the Apocalypse (Harvard Theological Studies 48), Harrisburg, Pa., 1999. – Sals, U. Die<br />
Biographie der ›Hure Babylon‹. Studien zur Intertextualität der Babylon-Texte in der Bibel (FAT 2:6),<br />
Tübingen, 2004. – Schmidt, J. NOUS und SOPHIA in Offb 17, NT 46 (2004) 164-189. – Schüssler<br />
Fiorenza, E. Babylon the Great: A rhetorical-political reading of Revelation 17-18, in: The reality of<br />
Apocalypse. Rhetoric and politics in the book of Revelation, ed. D.L. Barr (SBL Symposium series 39),<br />
Atlanta, 2006, 243-269. – Vander Stichele, C. Just a whore. The annihilation of Babylon according to<br />
Revelation 17:16, lectio difficilior No. 1 (2000).<br />
Zum Mythos des nero redividus: Henten, J.W. van. ›Nero redivivus‹ demolished: The coherence of the Nero<br />
traditions in the Sibylline oracles, JSP 21 (2000) 3-17. – Klauck, H.-J. Do they never come back? Nero<br />
redivivus and the Apocalypse of John, CBQ 63/4 (2001) 683-698 = Religion und Gesellschaft im frühen<br />
Christentum. Neutestamentliche Studien (WUNT 152), Tübingen, 2002, 268-289. – Kooten, George H.<br />
van. The year of the four emperors and the Revelation of John: The ›pro-Neronian‹ emperors Otho and<br />
Vitellius, and the images and colossus of Nero in Rome, JSNT 30,2 (2007) 205-248. – Kreitzer, L.<br />
Hadrian and the Nero Redivivus Myth, ZNW 79 (1988) 92-115. – Tonstad, S.K. Appraising the myth of<br />
›Nero redivivus‹ in the interpretation of Revelation, AUSS 46/2 (2008) 175-199. – Sanford, E.M. - Nero<br />
and the East, Harvard Studies in Classical Philology 48 (1937) 75-1<strong>03</strong>.<br />
17:1 Kaì ~jlqen eîß hek tẅn Heptà haggélwn<br />
tẅn hecóntwn tàß Heptà fiálaß,<br />
kaì heláljsen meth hemoü légwn,<br />
Deüro,<br />
deíxw soi tò kríma t¨jß pórnjß t¨jß megáljß<br />
t¨jß kaqjménjß hepì Hudátwn pollẅn,<br />
17:2 meqh ĵß hepórneusan oHi basileïß t¨jß g¨jß,<br />
kaì hemeqúsqjsan oHi katoikoünteß t`jn g¨jn hek<br />
toü o‘inou t¨jß porneíaß ahut¨jß.<br />
17/1 Und es kam einer von den sieben Engeln,<br />
welche die sieben Schalen hatten,<br />
und redete mit mir und sprach:<br />
Komm her,<br />
ich will dir das Gericht über die große Hure zeigen,<br />
die an vielen Wassern sitzt,<br />
2 mit der die Könige der Erde Unzucht getrieben<br />
haben;<br />
und die Bewohner der Erde sind trunken geworden<br />
von dem Wein ihrer Unzucht.<br />
• Besonderheiten der Vision in Kap. 17:<br />
o Es handelt sich um die einzige Vision, der eine ausführliche Deutung folgt.<br />
o Die Deutung kann als allegorisch bezeichnet werden (was selten ist: s.a. 1,9-<br />
20; 10,8-10).<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 125<br />
o Erstmals tritt auch ein angelus interpres auf. Bisher hat der Seher mit dem<br />
auferstandenen Christus (1,9-20; 4,1), einem der 24 Ältesten (7,13f) und<br />
unterschiedlichen Engeln kommuniziert.<br />
o Die Visionsbeschreibung ist erstaunlich statisch; nichts bewegt sich. 213<br />
• Dass einer der sieben Engel erscheint, schweisst diese neue Vision mit den sieben<br />
Zornesschalen zusammen 214 . Wir erhalten hier eine Großaufnahme des Gerichts,<br />
welches bereits in 14,8 von einem Engel vorweggenommen wurde:<br />
»Und ein anderer, zweiter Engel folgte und sprach: Gefallen, gefallen ist das große Babylon, das mit dem<br />
Grimmeswein seiner Unzucht alle Nationen getränkt hat.«<br />
• Der angelus interpres gehört nicht nur zu den festen »Figuren« apokalyptischer<br />
Visionsberichte, er wurde im Titel angekündigt: »und indem er [sie] durch seinen<br />
Engel sandte« (1,1) Er erscheint dann wieder in 21,9f; 22,1.6.8.<br />
• Die »große Hure« (s.a. 19,2): die pejorative Metapher der Hure wird bereits im AT auf<br />
Städte angewandt, die unter Gottes Gericht geraten: Jerusalem (Jes 1,21 215 ); Tyros (Jes<br />
23,16f); Ninive (Nah 3,4). 216<br />
Bedenkenswert Sals, Biographie, 51f: »Mehr noch als die anderen Frauenfiguren der Offenbarung wird die<br />
›Hure Babylon‹ über Geschlechtlichkeit bzw. Sexualität definiert; negatives Verhalten der Frau wird als<br />
sexuelles Verhalten dargestellt. Wie die Prophetin ›Isebel‹ (Offb 2,20) gewinnt sie Macht über Männer, die<br />
als auf Sexualität beruhend gezeichnet wird, und wird körperlicher Gewalt ausgesetzt.«<br />
• »sitzend« = thronend, herrschend<br />
• »an vielen Wassern« trifft aus das reale Babylon zu; symbolisch in V. 15 = viele<br />
Völker 217 . Sinn: der römische Stadtstaat als Zentrum aller Völker und Nationen.<br />
• Das Verb »Unzucht treiben« (porneuo) gehört zum Bildfeld der Prostitution: Die<br />
Könige, die sich mit der römischen Macht einlassen; konkret ist an das Geflecht von<br />
Handel und Kaiserkult gedacht.<br />
Jes 23,17 Denn es wird am Ende von siebzig Jahren geschehen, da wird der HERR Tyrus [wieder]<br />
heimsuchen. Und sie wird wieder zu ihrem Hurenlohn kommen und wird Hurerei treiben mit allen<br />
Königreichen der Erde [, die] auf der Fläche des Erdbodens [sind]. 218<br />
• Das Bild Roms und seiner Klientelkönige wird hier denkbar negativ dargestellt. 219<br />
• Zur Unzucht gehört noch, dass alle Bewohner trunken sind vom »Wein der Unzucht«<br />
(vgl. 14,8; 17,2b; 18,3a; 19,2; vgl. Jer 51,7 = LXX 28,7). Alle sind berauscht vom<br />
Einfluss des römischen Imperiums!<br />
• 17,2 wird in 18,3 umgekehrt wieder aufgenommen (Chiasmus)<br />
meqh ĵß hepórneusan A D' “oti hek toü o‘inou toü qumoü t¨jß porneíaß ahut¨jß<br />
oHi basileïß t¨jß g¨jß, B C' pépwkan pánta tà ‘eqnj,<br />
kaì hemeqúsqjsan oHi katoikoünteß t`jn g¨jn C B' kaì oHi basileïß t¨jß g¨jß<br />
hek toü o‘inou t¨jß porneíaß ahut¨jß. D A' meth ahut¨jß hepórneusan,<br />
213 Aune III, 919ff spricht (nicht ganz unzutreffend) von einer Ekphrasis. Ich würde allerdings diese<br />
rhetorische Bezeichnung für die Beschreibung von Kunstwerke usw. auf viele Texte der Joh<strong>Apk</strong> anwenden.<br />
214 Vgl. 21,9: »Und es kam einer von den sieben Engeln, welche die sieben Schalen hatten, voll der sieben<br />
letzten Plagen, und redete mit mir und sprach: Komm her, ich will dir die Braut, das Weib des Lammes, zeigen.«<br />
Ähnlich gr<strong>Apk</strong>Bar 2,6: Und ferner sprach zu mir der Engel der Kräfte: ‹Wohlan, so will ich dir (noch) grössere<br />
Geheimnisse zeigen (deüro kaì Hupodeíxw soi meízona must´jria)‹.«<br />
215 Wie ist zur Hure geworden die treue Stadt! Sie war voller Recht; Gerechtigkeit wohnte darin, und jetzt<br />
Mörder!<br />
216 Israel als Hure: Jer 3,6-10; Hes 16,15-22; 23,1-49; Hos 4,12f; 5,3.<br />
217 s.a. Ps 144,7; Jes 8,6f; 17,12-14; 28,17; Jer 47,2.<br />
218 Ansonsten begegnet das Bildfeld der Unzucht/Hurerei häufig in der prophetischen Anklage gegen Israel.<br />
Grundlage dieser Metapher ist dort allerdings die »Ehebund«-ähnliche Beziehung zwischen Jahwe und Israel.<br />
219 Aune (III, 931) hört hier die Stimme eines Juden aus Palästina, der den Krieg Roms gegen die Juden<br />
miterlebt hat. Eine reizvolle historische Vorstellung!<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
126 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
17:3 kaì hap´jnegkén me ehiß ‘erjmon hen pneúmati.<br />
kaì e~idon gunaïka kaqjménjn hepì qjríon<br />
kókkinon,<br />
gémon[ta] honómata blasfjmíaß,<br />
‘ecwn kefalàß Heptà kaì kérata déka.<br />
17:4 kaì Hj gun`j ~jn peribebljménj porfuroün<br />
kaì kókkinon,<br />
kaì kecruswménj crusí^w kaì líq^w timí^w kaì<br />
margarítaiß,<br />
‘ecousa pot´jrion crusoün hen t¨∆ ceirì ahut¨jß<br />
gémon bdelugmátwn kaì tà hakáqarta t¨jß<br />
porneíaß ahut¨jß,<br />
17:5 kaì hepì tò métwpon ahut¨jß ‘onoma<br />
gegramménon, must´jrion,<br />
Babulẁn Hj megálj,<br />
Hj m´jtjr tẅn pornẅn<br />
kaì tẅn bdelugmátwn t¨jß g¨jß.<br />
17:6 kaì e~idon t`jn gunaïka meqúousan hek toü<br />
a“imatoß tẅn Hagíwn<br />
kaì hek toü a“imatoß tẅn martúrwn h Ijsoü.<br />
17/3 Und er führte mich im Geist hinweg in eine<br />
Wüste;<br />
und ich sah eine Frau auf einem scharlachroten Tier<br />
sitzen,<br />
das voll Lästernamen war<br />
und sieben Köpfe und zehn Hörner hatte.<br />
4 Und die Frau war bekleidet mit Purpur und Scharlach<br />
und übergoldet mit Gold und Edelgestein und<br />
Perlen,<br />
und sie hatte einen goldenen Becher in ihrer Hand,<br />
voll Greuel und Unreinheit ihrer Unzucht;<br />
5 und sie hatte an ihrer Stirn einen Namen<br />
geschrieben, ein Geheimnis:<br />
Babylon, die große,<br />
die Mutter der Huren<br />
und der Greuel der Erde.<br />
6 Und ich sah die Frau trunken vom Blut der Heiligen<br />
und vom Blut der Zeugen Jesu.<br />
• Der Seher wird im Rauch/in Ekstase (= im pneuma) zur Vision geführt (s.a. 1,10; 4,2;<br />
17,3; 21,10). 220<br />
• Für die folgende Beschreibung der Hure bietet eine Münze, ein sestertius,<br />
interessantes Anschauungsmaterial. 221 Es handelt sich um eine Prägung aus der Zeit<br />
Vespasians (69-79) in der römischen Provinz Asia.<br />
• Anmerkungen:<br />
o Links Verpasian mit Titulatur<br />
o Rechts: Dea Roma (Rom als Göttin), eine Gottheit, die (ironischerweise) nicht<br />
aus Rom stammt, sondern ursprünglich in Asia aufkam als Loyalitätsbeweis<br />
gegenüber Rom 222 . Erst später (unter Kaiser Hadrian) wurde sie auch in Rom<br />
kultisch aufgenommen. (SC = Senatus consultum)<br />
o Die Göttin trägt militärische Kleidung und zum Zeichen ihrer Macht das<br />
römische Kurzschwert (parazonium).<br />
220 Einfluss von Ez 3,12; 8,3; 11,1.24; 43,5.<br />
221 Aune; III, 920ff; Beauvery (1983); Bergmeier (1988).<br />
222 Erstmals 195 v.Chr. in Smyrna belegt (s. Tacitus, Ann 4,56); vgl. R. Mellor, The Goddes Roma, ANRW<br />
II,17,2, 950-1<strong>03</strong>0; Ders. Thea Rômê. The Worship of the Goddess Roma in the Greek World, Göttingen 1981.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 127<br />
o Sie sitzt/thront auf den sieben Hügeln. In der Deutung in V. 9 wird<br />
ausdrücklich von den sieben Hügeln gesprochen.<br />
o Rechts (nicht leicht erkennbar) an ihrem rechten Fuß der Flußgott Tiber. Das<br />
passt zur Bestimmung der Hure, die an vielen Wassern sitzt.<br />
o Links (auch nicht leicht erkennbar) die Wölfin mit den Zwillingen Romulus &<br />
Remus.<br />
o Realgeschichtliche Mutmaßung: Die Darstellung auf der Münze könnte einem<br />
(nicht mehr vorhandenen) Bronzefries entsprechen, welches der Seher<br />
Johannes (mit der Münze) vor Augen hatte. [Das kann man natürlich kaum<br />
wissen...]<br />
• Manche (u.a. Aune) sehen in Kap. 17 die Beschreibung einer bekannten<br />
ikonographischen Darstellung Roms, welche nur noch in Form einer Münze überlebt<br />
hat. Das ist zwar reizvoll, aber m.E. nicht ganz zutreffend. Der Seher beschreibt kaum<br />
ein vorhandes Bild, denn das Bild zeigt die Dea Roma und nicht eine große Hure. Ich<br />
würde demgegenüber festhalten: der Seher parodisiert (mit einem Schuß bösartigen<br />
Humors) eine bekannte Darstellung.<br />
• Zwei kleine Details könnten der Parodisierung Rom/Hure noch weiteren Grund<br />
gegeben haben:<br />
o In der Antike wurde der Name ROMA häufig auch umgekehrt in AMOR.<br />
o Die Wölfin als Symboltier Roms: lupa war aber auch Bezeichnung für eine<br />
Prostituierte. Das lupanar in Pompeii ist die Bezeichnung für das<br />
archäologisch berühmteste Bordell der Antike.<br />
• 3: Die Frau sitzt auf einem scharlachroten Tier; hier kommen Elemente des Tieres und<br />
des Drachens zusammen.<br />
• Lästernamen, Köpfe & Hörner => 13,1: »Und ich sah aus dem Meer ein Tier<br />
aufsteigen, das zehn Hörner und sieben Köpfe hatte, und auf seinen Hörnern zehn<br />
Diademe und auf seinen Köpfen Namen der Lästerung.«<br />
• 4: Die Kleidung ist luxuriös und extravagant. Später wird man die Stadt mit gleichen<br />
Worten beklagen:<br />
18,16 Wehe, wehe! Die große Stadt, die bekleidet war mit feiner Leinwand und Purpur und Scharlachstoff<br />
und übergoldet mit Gold und Edelgestein und Perlen!<br />
• goldener Becher (Zeichen von Luxus & Dekadenz) voller Greul (= Götzendienst) und<br />
Unreinheit (= sexuelle Unzucht).<br />
Jer 51,7 (= LXX 28,7) Babel war ein goldener Becher in der Hand des HERRN, der die ganze Erde<br />
berauschte. Von seinem Wein haben die Nationen getrunken, darum sind die Nationen wie toll geworden.<br />
• 5: Geheimname Roms 223 wird hier gelüftet (ich lese mysterion vor dem Doppelpunkt):<br />
die große Hure Babylon; die Mutter der Huren (die einzige Mutter in der Joh<strong>Apk</strong>).<br />
• Der eingeschriebene Name macht sie zu einer »tatöwierten Prostituierte« und damit zu<br />
einer Sklavin. Die Frau heißt also nicht nur Babylon, sie ist Babylon, auf dem Leib<br />
geschrieben.<br />
• Babylon ist betrunken vom Blut der christlichen Märtyrer.<br />
223 Die Tradition, dass es einen Geheimnamen für Rom bzw. für ihre Schutzgottheit gebe, ist in einigen<br />
Autoren belegt: Plutarch, Quaest. Rom. 61; Plinius, Hist. nat. 28,4,18 (die Priester Roms halten geheim, »in<br />
wessen Gottes Schutze die Stadt ist, damit nicht manche unserer Feinde ähnlich verfaren«); Macrobius, Satur<br />
3,9,3; Servius, Comm. in Verg. Aen. 2,351; Aelius Aristides, Orat. Rom. 8.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
128 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Kaì heqaúmasa hidẁn ahut`jn qaüma méga.<br />
17:7 kaì e~ipén moi Ho ‘aggeloß,<br />
Dià tí heqaúmasaß;<br />
hegẁ herẅ soi tò must´jrion t¨jß gunaikòß<br />
kaì toü qjríou toü bastázontoß ahut´jn,<br />
toü ‘econtoß tàß Heptà kefalàß<br />
kaì tà déka kérata≥<br />
Und ich wunderte mich, als ich sie sah, mit großer<br />
Verwunderung.<br />
17/7 Und der Engel sprach zu mir:<br />
Warum wundertest du dich?<br />
Ich will dir das Geheimnis der Frau sagen<br />
und des Tieres, das sie trägt<br />
und die sieben Köpfe und die zehn Hörner hat.<br />
• Die Verwunderung des Sehers bringt den Deute-Engel in Aktion.<br />
• Die beiden wichtigsten Elemente der Deutung sind die Frau und das Tier, wobei das<br />
Tier wesentlich mehr Raum in Anspruch nehmen wird.<br />
• Auf der sachlichen Ebene gibt es zwischen der Frau in Kap. 17 und dem Tier in Kap.<br />
13 keine großen Unterschiede. Beide Male wird auf das römische Imperium<br />
angespielt. Das Tier verkörpert eher die aktive Seite des Imperiums in ihrer<br />
Verkörperung durch den Kaiser, die Frau eher die passive Seite des Imperiums als<br />
Anziehungspunkt für Handel und Kult.<br />
17:8 tò qjríon ”o e~ideß ~jn kaì ohuk ‘estin,<br />
kaì méllei hanabaínein hek t¨jß habússou,<br />
kaì ehiß hapẃleian Hupágei≥<br />
kaì qaumasq´jsontai oHi katoikoünteß hepì t¨jß<br />
g¨jß, ŵn ohu gégraptai tò ‘onoma hepì tò biblíon t¨jß<br />
zw¨jß hapò katabol¨jß kósmou,<br />
blepóntwn tò qjríon<br />
“oti ~jn kaì ohuk ‘estin kaì paréstai.<br />
17:9 ŵde Ho noüß Ho ‘ecwn sofían.<br />
aHi Heptà kefalaì Heptà ‘orj ehisín,<br />
“opou Hj gun`j káqjtai heph ahutẅn.<br />
kaì basileïß Heptá ehisin≥<br />
17:10 oHi pénte ‘epesan,<br />
Ho eîß ‘estin,<br />
Ho ‘alloß o‘upw ~jlqen,<br />
kaì “otan ‘elq∆<br />
holígon ahutòn deï meïnai.<br />
8 Das Tier, das du gesehen hast, war und ist nicht<br />
und wird aus dem Abgrund heraufsteigen<br />
und geht ins Verderben;<br />
und die Bewohner der Erde,<br />
deren Namen nicht im Buch des Lebens<br />
geschrieben sind von Grundlegung der Welt an,<br />
werden sich wundern, wenn sie das Tier sehen,<br />
dass es war und nicht ist und da sein wird.<br />
9 Hier ist Verstand samt Weisheit!<br />
Die sieben Köpfe sind sieben Berge,<br />
auf denen die Frau sitzt.<br />
Und es sind sieben Könige:<br />
10 die fünf [ersten] sind gefallen,<br />
der eine ist,<br />
der andere ist noch nicht gekommen;<br />
und wenn er kommt,<br />
muss er eine kurze Zeit bleiben.<br />
• Das Tier wird deutlich mit dem Tier aus Kap. 13 identifiziert.<br />
• Neu ist die seltsame Bestimmung »war und ist nicht« (neben 8a noch in 8b.11a). Es<br />
handelt sich um eine Verkehrung/Parodie des Gottesnamens: »der Seiende, der<br />
Gewesene und der Kommende« (1,4.8; 4,8).<br />
• Die Formulierung nimmt Bezug auf Standardsprüche auf Grabinschriften: non fui, fui,<br />
non sum, non desidero. Es geht also darum, dass das Tier tot ist.<br />
• 8b spielt auf die Erwartung des wiederkommenden Nero an.<br />
Zum nero redividus Mythos: Nach dem Selbstmord Neros (68) gab es (ähnlich wie bei Elvis...) die Vorstellung,<br />
dass er in Wirklichkeit nicht tot sei, sondern im Osten des Reiches eine Schlacht plane, um Rom einzunehmen.<br />
Das gefürchtete parthische Heer würde ihm dabei zur Seite stehen. Nach Tacitus, Hist. 2,8f gab sich ein Sklave<br />
aus Pontus im Jahre 69 für Nero aus und versetzte ganz Kleinasien in Aufregung 224 . Sueton, Nero 57 kennt den<br />
Fall eines Pseudo-Nero, der bei den Parthern Unterstützung fand. Noch zur Zeit Trajans hielt sich diese<br />
Erwartung bzw. Befürchtung wach (Dio Chrysostomus, Or. 21,10). Wichtige Zeugnisse finden sich ferner in<br />
OracSib 4 und 5.<br />
224 Vgl. Dio Cassius 64,9; Zonaras [12. Jh.] 11,25. Vgl. Zonaras 11,18 zu einem ähnlichen Fall in der<br />
Regierungszeit Titus am Euphrat.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 129<br />
• Die Aussage über die Bewohner der Erde nimmt 13,3 auf:<br />
13,8 Und alle, die auf der Erde wohnen, werden ihn anbeten, [jeder,] dessen Name nicht geschrieben ist im<br />
Buch des Lebens des geschlachteten Lammes von Grundlegung der Welt an.<br />
• 9a: Verstand und Weisheit leitet vielleicht das Folgende ein, steht aber wohl eher als<br />
Abschluss des Vorherigen (wie in 13,18).<br />
• 9b: Die Deutung der sieben Köpfe ist überraschend, weil hier (zum einzigen Mal)<br />
zwei Deutungen vorliegen: sieben Berge und sieben Könige.<br />
a) sie sieben Berge/Hügel nimmt die geläufige Tradition auf, dass Rom von sieben<br />
Bergen umgeben ist 225 .<br />
b) die sieben Könige: apokalyptische Gestalten mit mehreren Köpfen symbolisieren<br />
häufig Herrschergestalten (vgl. Dan 7,6; 11,2)<br />
4. Esra 12,22 Und wenn du an ihm drei ruhende Köpfe gesehen hast, 23 so ist dies die Erklärung: In seinen<br />
letzten Tagen wird der Höchste drei Könige erwecken; sie werden in ihm vieles erneuern und über die Erde<br />
24 und ihre Bewohner mit grosser Plage herrschen, mehr als alle, die vor diesen gewesen sind. Deswegen<br />
wurden sie Köpfe des Adlers genannt. 25 Denn sie werden es sein, die seinen Frevel auf den Höhepunkt<br />
bringen und sein Ende abschliessen. 26 Und wenn du gesehen hast, dass der grosse Kopf verschwindet, so<br />
wird einer von ihnen auf seinem Bett sterben, jedoch unter Qualen. 27 Die zwei übriggebliebenen aber wird<br />
das Schwert fressen.<br />
• 10: Diese Ausführungen haben sehr viele Spekulationen ausgelöst: fünf Herrscher<br />
sind tot, einer herrscht gerade (zum Zeitpunkt der Abfassung? der Endredaktion?) und<br />
ein weiterer muss noch kommen, um für eine kurze Zeit zu herrschen. Das Problem<br />
mit einer genauen Bestimmung ist, dass es sehr unterschiedliche Zählsysteme für die<br />
römischen Kaiser gibt, je nachdem ob man mit Julius Caesar oder mit Augustus<br />
beginnt und je nachdem, ob man die drei Interims-Kaiser zählt oder nicht.<br />
A B C D E 226 F<br />
Julius Caesar (101-44) 1. 1.<br />
Augustus (27vChr-14nChr) 2. 2. 1. 1.<br />
Tiberius (14-37) 3. 3. 2. 2.<br />
Gaius (37-41) 4. 4. 3. 3. 1.<br />
Claudius (41-54) 5. 5. 4. 4. 2.<br />
Nero (54-68) 6. 6. 5. 5. 3. 1.<br />
Galba (<strong>Juni</strong> 68-Jan. 69) 7. 6. 4. 2.<br />
Otho (69) 8. 7. 5. 3.<br />
Vitellius (69) 8. 6. 4.<br />
Vespasian (69-79) 7. 6. 7. 5.<br />
Titus (79-81) 8. 7. 8. 6.<br />
Domitian (81-96) 8. 7.<br />
Nerva (96-98) 8.<br />
• Die Schwierigkeit einer genauen Identifizierung begünstigt ein symbolisches<br />
Verständnis der sieben Könige. Die symbolische Zahl weist auf diese Möglichkeit hin.<br />
• Nach römischer Auffassung gab es vor der Gründung des Senat genau sieben Könige.<br />
• Der kommende Herrscher soll kurze Zeit herrschen, was v.a. auf die drei Interims-<br />
Kaiser passen würde. Aber auch Nerva herrschte nicht allzu lang...<br />
225 Material dazu in Aune, III, 944f.<br />
226 Gaius war der erste Kaiser nach dem Tod Jesu.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
130 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
17:11 kaì tò qjríon ”o ~jn kaì ohuk ‘estin,<br />
kaì ahutòß ‘ogdoóß hestin<br />
kaì hek tẅn Heptá hestin,<br />
kaì ehiß hapẃleian Hupágei.<br />
17:12 kaì tà déka kérata ”a e~ideß<br />
déka basileïß ehisin,<br />
o“itineß basileían o‘upw ‘elabon,<br />
hallà hexousían Hwß basileïß mían “wran<br />
lambánousin metà toü qjríou.<br />
17:13 oûtoi mían gnẃmjn ‘ecousin,<br />
kaì t`jn dúnamin kaì hexousían ahutẅn t¨^w<br />
qjrí^w didóasin.<br />
17:14 oûtoi metà toü harníou polem´jsousin,<br />
kaì tò harníon nik´jsei ahutoúß,<br />
“oti kúrioß kuríwn hestìn kaì basileùß<br />
basiléwn, kaì oHi meth ahutoü kljtoì kaì heklektoì<br />
kaì pistoí.<br />
17,11 Und das Tier, das war und nicht ist,<br />
es ist selbst sowohl ein achter<br />
als auch von den sieben<br />
und geht ins Verderben.<br />
12 Und die zehn Hörner, die du gesehen hast,<br />
sind zehn Könige,<br />
die noch kein Königreich empfangen haben,<br />
aber mit dem Tier kurze Zeit Macht wie Könige<br />
empfangen.<br />
13 Diese haben einen Sinn<br />
und geben ihre Kraft und Macht dem Tier.<br />
14 Diese werden mit dem Lamm Krieg führen,<br />
und das Lamm wird sie besiegen;<br />
denn es ist Herr der Herren und König der Könige,<br />
und die mit ihm [sind, sind] Berufene und Auserwählte<br />
und Treue.<br />
• Verwirrend: Das Tier ist als achter Herrscher auch einer der sieben. Das würde wieder<br />
zur Legende des wiederkehrenden Nero passen. 227<br />
• 12: Hörner = Könige stammt auch aus Dan 7,7f.20.24. Die zehn Könige sind jedoch<br />
nicht römischer Kaiser, sondern Klientelkönige, die dem achten Kaiser dienen.<br />
• 13: Politisch herrscht Einigung, concordia.<br />
• V. 14 nimmt den Endkampf gegen das Lamm vorweg.<br />
• Herr der Herren / König der König vgl. Dan 4,37; Gottestitel und zugleich<br />
Königstitular (etwa bei den Parthern belegt).<br />
• 14d weckt die Erwartung, dass das Lamm mit seinen Berufenen und Auserwählten<br />
kämpfen wird.<br />
17:15 Kaì légei moi,<br />
Tà “udata ”a e~ideß, oû Hj pórnj káqjtai,<br />
laoì kaì ‘ocloi ehisìn<br />
kaì ‘eqnj kaì glẅssai.<br />
17:16 kaì tà déka kérata ”a e~ideß<br />
kaì tò qjríon,<br />
oûtoi mis´jsousin t`jn pórnjn,<br />
kaì hjrjmwménjn poi´jsousin ahut`jn<br />
kaì gumn´jn,<br />
kaì tàß sárkaß ahut¨jß fágontai,<br />
kaì ahut`jn katakaúsousin hen purí≥<br />
17:17 Ho gàr qeòß ‘edwken ehiß tàß kardíaß ahutẅn<br />
poi¨jsai t`jn gnẃmjn ahutoü,<br />
kaì poi¨jsai mían gnẃmjn<br />
kaì doünai t`jn basileían ahutẅn t¨^w qjrí^w,<br />
‘acri telesq´jsontai oHi lógoi toü qeoü.<br />
17:18 kaì Hj gun`j ”jn e~ideß ‘estin Hj póliß Hj megálj<br />
Hj ‘ecousa basileían hepì tẅn basiléwn t¨jß g¨jß.<br />
15 Und er spricht zu mir:<br />
Die Wasser, die du gesehen hast, wo die Hure sitzt,<br />
sind Völker und Völkerscharen<br />
und Nationen und Sprachen;<br />
16 und die zehn Hörner, die du gesehen hast, und das<br />
Tier,<br />
diese werden die Hure hassen<br />
und werden sie verwüsten<br />
und nackt machen<br />
und werden ihr Fleisch fressen<br />
und sie mit Feuer verbrennen.<br />
17 Denn Gott hat in ihre Herzen gegeben, seinen Sinn<br />
zu tun<br />
und in einem Sinn zu handeln<br />
und ihr Königreich dem Tier zu geben,<br />
bis die Worte Gottes vollendet sein werden.<br />
18 Und die Frau, die du gesehen hast, ist die große<br />
Stadt, welche die Königsherrschaft über die Könige der<br />
Erde hat.<br />
• Weitere Deutungen: Wasser = Völker (s.o.)<br />
• 16: die Klientelkönige des letzten Kaisers werden gegen die römische Macht<br />
vorgehen. Auch das würde zu der Angst eines vom Osten angreifenden Nero passen.<br />
• Die Zerstörung, die hier kurz ausgemalt wird, beherrscht Kap. 18.<br />
227 Domitian wurde teilweise als zweiter Nero betrachtet: Juvenal 4,37f; Martial 11,33; Plinius, Pan 53; vgl.<br />
Tertullian, Apol. 5; De pall. 4.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 131<br />
• 17: Der Theozentrismus ist auch hier nicht aufzuhalten: Die Klientelkönige des letzten<br />
Herrschers handeln im Auftrag Gottes.<br />
• 18. Am Ende wird die Frau gedeutet als Übergang zu ihrer Vernichtung.<br />
2.10.2 Die Vernichtung Babels (18,1-24)<br />
Lit.:<br />
Bauckham, R. The economic critique of Rome in Revelation 18 [1991], in: The Climax of Prophecy.<br />
Studies on the Book of Revelation, Edinburgh, 1993, 338-383. – Callahan, A.D. Apocalypse as Critique<br />
of Political Economy: Some Notes on Revelation 18, Horizons in Biblical Theology 21/1 (1999) 46-65. –<br />
Callahan, A.Dwight. Revelation 18. Notes on effective history and the state of Colombia, in: Walk in the<br />
Ways of Wisdom (FS E. Schüssler Fiorenza), ed. S. Matthews et al. Harrisburg, PA, 20<strong>03</strong>, 269-285. –<br />
Elliott, S.M. Who is Addressed in Revelation 18:6-7? Biblical research 40 (1995) 98-113. – Hylen, S.E.<br />
The power and problem of Revelation 18: The rhetorical function of gender, in: Pregnant Passion.<br />
Gender, sex, and violence in the Bible, ed. C.A. Kirk-Duggan (SBL Semeia Studies 44), Atlanta, 20<strong>03</strong>,<br />
205-219. – Koester, C.R. Roman Slave Trade and the Critique of Babylon in Revelation 18, CBQ 70<br />
(2008) 766-786. – Míguez, N. Apocalyptic and the economy: A reading of Revelation 18 from the<br />
experience of economic exclusion, in: Reading from this Place. Volume 2: Social location and biblical<br />
interpretation in global perspective, ed. F.F. Segovia & M.A. Tolbert, Minneapolis, 1995, 250-262. –<br />
Perry, P.S. Critiquing the excess of empire: A synkrisis of John of Patmos and Dio of Prusa, JSNT 29<br />
(2007) 473-496. – Pezzoli-Olgiati, D. Immagini urbane. Interpretazioni religose della città antica (OBO<br />
Sonderband), Freiburg, 2002. – Provan, I. Foul spirits, fornication and finance: Revelation 18 from an<br />
Old Testament perspective, JSNT 64 (1996) 81-100. – Roose, H. The fall of the ›great Harlot‹ and the<br />
fate of the aging prostitute. An iconographic approach to Revelation 18, in: Picturing the New Testament.<br />
Studies in ancient visual images, ed. A. Weissenrieder, F. Wendt & P. von Gemünden (WUNT 2:193),<br />
Tübingen, 2005, 228-252. – Yarbro Collins, A. Revelation 18: Taunt-Song or Dirge? in: L'Apocalypse<br />
johannique et l'Apocalyptique dans le Nouveau Testament, ed. J. Lambrecht (BEThL 53), Gembloux,<br />
1980, 185-204.<br />
18:1 Metà taüta e~idon ‘allon ‘aggelon<br />
katabaínonta hek toü ohuranoü,<br />
‘econta hexousían megáljn,<br />
kaì Hj g¨j hefwtísqj hek t¨jß dóxjß ahutoü.<br />
18:2 kaì ‘ekraxen hen hiscur¨â fwn¨∆ légwn,<br />
‘ Epesen, ‘epesen Babulẁn Hj megálj,<br />
kaì hegéneto katoikjt´jrion daimoníwn<br />
kaì fulak`j pantòß pneúmatoß hakaqártou<br />
kaì fulak`j pantòß hornéou hakaqártou<br />
[kaì fulak`j pantòß qjríou hakaqártou]<br />
kaì memisjménou,<br />
18:3 “oti hek toü o‘inou toü qumoü t¨jß porneíaß<br />
ahut¨jß pépwkan pánta tà ‘eqnj,<br />
kaì oHi basileïß t¨jß g¨jß meth ahut¨jß<br />
hepórneusan,<br />
kaì oHi ‘emporoi t¨jß g¨jß hek t¨jß dunámewß toü<br />
str´jnouß ahut¨jß heploútjsan.<br />
18/1 Nach diesem sah ich einen anderen Engel<br />
aus dem Himmel herabkommen,<br />
der große Macht hatte;<br />
und die Erde wurde von seiner Herrlichkeit erleuchtet.<br />
2 Und er rief mit starker Stimme und sprach:<br />
Gefallen, gefallen ist Babylon, die Große,<br />
und ist eine Behausung von Dämonen geworden<br />
und ein Gefängnis jedes unreinen Geistes<br />
und ein Gefängnis jedes unreinen Vogels.<br />
[und ein Gefängnis jedes unreinen Tieres]<br />
und gehassten<br />
3 Denn von dem Wein der Wut ihrer Unzucht<br />
haben alle Nationen getrunken,<br />
und die Könige der Erde haben Unzucht mit ihr<br />
getrieben,<br />
und die Kaufleute der Erde sind durch die Macht<br />
ihrer Üppigkeit reich geworden.<br />
• Der machtvolle Engel erinnert an 10,1:<br />
Und ich sah einen anderen starken Engel aus dem Himmel herabkommen, bekleidet mit einer Wolke, und der<br />
Regenbogen [war] auf seinem Haupt, und sein Angesicht [war] wie die Sonne, und seine Füße [waren] wie<br />
Feuersäulen…<br />
• Die Proklamation des Engels wiederholt 14,8 (s.o.). Nach der Zerstörung folgt die<br />
Einöde:<br />
Jes 13,21 [nach der Zerstörung Babylons] Aber Wüstentiere werden dort lagern, und voller Eulen werden<br />
ihre Häuser sein. Strauße werden dort wohnen und Bocks-Dämonen dort tanzen. 22 Wilde Hunde werden<br />
heulen in seinen Palästen und Schakale in den Lustschlössern. Und seine Zeit steht nahe bevor, und seine<br />
Tage werden nicht verlängert werden. Jer 51,37 Und Babel soll zum Steinhaufen, zur Wohnung der<br />
Schakale, zum Entsetzen und zum Gezisch werden, ohne Bewohner. (s.a. Zeph 2,14)<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
132 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Nach populärer Vorstellung bevölkern Dämonen die Einöde (Jes 13,21; 34,14; Tob<br />
8,3; Mt 12,43; Mk 5,10).<br />
• Die Unzucht bezieht sich in V. 3 deutlich auf den Handel und die exzessive<br />
Bereicherung.<br />
18:4 Kaì ‘jkousa ‘alljn fwn`jn hek toü ohuranoü<br />
légousan,<br />
h Exélqate, Ho laóß mou, hex ahut¨jß,<br />
“ina m`j sugkoinwn´jsjte taïß Hamartíaiß ahut¨jß,<br />
kaì hek tẅn pljgẅn ahut¨jß “ina m`j lábjte≥<br />
18:5 “oti hekoll´jqjsan ahut¨jß aHi Hamartíai ‘acri<br />
toü ohuranoü,<br />
kaì hemnjmóneusen Ho qeòß tà hadik´jmata<br />
ahut¨jß.<br />
18:6 hapódote ahut¨∆ Hwß kaì ahut`j hapédwken,<br />
kaì diplẃsate tà diplä katà tà ‘erga ahut¨jß≥<br />
hen t¨^w potjrí^w ˆ^w hekérasen kerásate ahut¨∆<br />
diploün≥<br />
18:7 “osa hedóxasen ahut`jn kaì hestrjníasen,<br />
tosoüton dóte ahut¨∆ basanismòn kaì pénqoß.<br />
“oti hen t¨∆ kardíâ ahut¨jß légei “oti<br />
Káqjmai basílissa,<br />
kaì c´jra ohuk ehimí,<br />
kaì pénqoß ohu m`j ‘idw≥<br />
18:8 dià toüto hen mi¨â Hjmérâ “jxousin aHi<br />
pljgaì ahut¨jß,<br />
qánatoß kaì pénqoß kaì limóß,<br />
kaì hen purì katakauq´jsetai≥<br />
“oti hiscuròß kúrioß Ho qeòß Ho krínaß ahut´jn.<br />
4 Und ich hörte eine andere Stimme aus dem Himmel<br />
sagen:<br />
Geht aus ihr hinaus, mein Volk,<br />
damit ihr nicht an ihren Sünden teilhabt<br />
und damit ihr nicht von ihren Plagen empfangt,<br />
5 denn ihre Sünden sind aufgehäuft bis zum Himmel,<br />
und Gott hat ihrer Ungerechtigkeiten gedacht.<br />
6 Vergeltet ihr, wie auch sie vergolten hat,<br />
und verdoppelt [es ihr] doppelt nach ihren Werken;<br />
in dem Kelch, den sie gemischt hat, mischet ihr<br />
doppelt.<br />
7 Wieviel sie sich verherrlicht hat und üppig gewesen<br />
ist, soviel Qual und Trauer gebt ihr.<br />
Denn sie spricht in ihrem Herzen:<br />
Ich sitze als Königin,<br />
und Witwe bin ich nicht,<br />
und Traurigkeit werde ich nicht sehen.<br />
8 Darum werden ihre Plagen an einem Tag<br />
kommen:<br />
Tod und Trauer und Hunger,<br />
und mit Feuer wird sie verbrannt werden;<br />
denn stark ist der Herr, Gott, der sie gerichtet hat.<br />
• 4: Die himmlische Stimme könnte Gottes Stimme sein (s. »mein Volk«), aber »Gott«<br />
kommt in V. 5 in der dritten Person vor.<br />
• Die folgende Paränese an die Glaubenden hat zwei Richtungen: Auszug (4f) und<br />
Vergeltung (6f).<br />
• 1. Der Auszug ist v.a. dazu gedacht, damit die Treuen nicht von der Zerstörung<br />
betroffen werden.<br />
Jer 51,9 Wir haben Babel heilen wollen, aber es war nicht zu heilen. Verlaßt es und laßt uns jeder in sein<br />
Land ziehen! Denn sein Gericht reicht bis an den Himmel und erhebt sich bis zu den Wolken. 45 Zieht aus<br />
ihm hinaus, mein Volk, und rettet euch, jeder sein Leben, vor der Zornesglut des HERRN!<br />
• Ein wörtlicher Wegzug aus der Stadt Rom ist wohl kaum gemeint (die<br />
Primärempfänger sind in Kleinasien), vielmehr geht es auch um eine ideologische<br />
Trennung von Rom.<br />
• 2. Die Aufforderung in V. 6f ist schwer als an die Glaubenden gerichtet zu verstehen.<br />
Viele denken daher, dass hier Strafengel angesprochen werden (oder die zehn<br />
Klientelkönige). Aber eine explizite Änderung der Adressaten ist nicht markiert. Eine<br />
Möglichkeit ist, dass der Autor ganz bewusst die Erwartung wecken will, dass die<br />
Glaubenden an der Strafhandlung mit teilnehmen.<br />
• Einfluss von Jer ist weiterhin spürbar:<br />
Jer 50,29 Ruft Schützen herbei gegen Babel, alle, die den Bogen spannen! Belagert es ringsum, niemand<br />
darf entkommen! Vergeltet ihm nach seinem Tun, tut ihm nach allem, was es getan hat! Denn es hat<br />
vermessen gehandelt gegen den HERRN, gegen den Heiligen Israels. Jer. 16:18 Doch zuerst will ich ihre<br />
Schuld und ihre Sünde zweifach vergelten, weil sie mein Land mit dem Aas ihrer abscheulichen [Opfertiere]<br />
entweiht und mein Erbteil mit ihren Greueln erfüllt haben.<br />
• Doppelte Vergeltung kann kaum als gerecht betrachtet werden...<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 133<br />
• Babylon kommt in eigener Rede zu Wort, basierend auf Jes 47,8f:<br />
8 Und nun höre dies, du Wollüstige, die in Sicherheit wohnt, die in ihrem Herzen sagt: Ich, und sonst gar<br />
nichts! Ich werde nicht als Witwe sitzen noch Kinderlosigkeit kennen! 9 Dies beides wird über dich kommen<br />
in einem Augenblick, an einem einzigen Tag: Kinderlosigkeit und Witwenschaft. In vollem Maße werden sie<br />
über dich kommen trotz der Menge deiner Zaubereien, trotz der gewaltigen Fülle deiner Bannsprüche.<br />
• Die Hybris Roms bringt sie dann zu Fall 228 .<br />
18:9 Kaì klaúsousin kaì kóyontai heph ahut`jn oHi<br />
basileïß t¨jß g¨jß<br />
oHi meth ahut¨jß porneúsanteß<br />
kaì strjniásanteß,<br />
“otan blépwsin tòn kapnòn t¨jß purẃsewß<br />
ahut¨jß,<br />
18:10 hapò makróqen Hestjkóteß dià tòn fóbon<br />
toü basanismoü ahut¨jß, légonteß,<br />
Ohuaì ohuaí, Hj póliß Hj megálj,<br />
Babulẁn Hj póliß Hj hiscurá,<br />
“oti mi¨â “wrâ ~jlqen Hj krísiß sou.<br />
9 Und es werden um sie weinen und wehklagen die<br />
Könige der Erde,<br />
die mit ihr Unzucht getrieben haben<br />
und üppig gewesen sind,<br />
wenn sie den Rauch ihres Brandes sehen;<br />
10 und sie werden aus Furcht vor ihrer Qual von fern<br />
stehen und sagen:<br />
Wehe, wehe! Die große Stadt,<br />
Babylon, die starke Stadt!<br />
Denn in einer Stunde ist dein Gericht gekommen.<br />
• Mit dem Fall des Imperiums verlieren viele ihre Basis.<br />
• Als erstes klagen die Klientelkönige, die sich durch Herrscherkult unterworfen haben.<br />
• Sie schauen aus der Ferne (aus Angst)!<br />
18:11 Kaì oHi ‘emporoi t¨jß g¨jß klaíousin<br />
kaì penqoüsin heph ahut´jn,<br />
“oti tòn gómon ahutẅn ohudeìß hagorázei ohukéti,<br />
18:12 gómon crusoü kaì hargúrou<br />
kaì líqou timíou kaì margaritẅn<br />
kaì bussínou kaì porfúraß<br />
kaì sirikoü kaì kokkínou,<br />
kaì pän xúlon qúvinon<br />
kaì pän skeüoß helefántinon<br />
kaì pän skeüoß hek xúlou timiwtátou<br />
kaì calkoü kaì sid´jrou kaì marmárou,<br />
18:13 kaì kinnámwmon kaì ‘amwmon<br />
kaì qumiámata kaì múron<br />
kaì líbanon kaì o~inon<br />
kaì ‘elaion kaì semídalin kaì sïton<br />
kaì kt´jnj kaì próbata,<br />
kaì “ippwn kaì Hredẅn<br />
kaì swmátwn, kaì yucàß hanqrẃpwn.<br />
11 Und die Kaufleute der Erde weinen<br />
und trauern um sie,<br />
weil niemand mehr ihre Ware kauft:<br />
12 Ware von Gold und Silber<br />
und Edelgestein und Perlen<br />
und feiner Leinwand und Purpur<br />
und Seide und Scharlachstoff<br />
und alles Thujaholz<br />
und jedes Gerät von Elfenbein<br />
und jedes Gerät von kostbarstem Holz<br />
und von Erz und Eisen und Marmor<br />
13 und Zimt und Haarbalsam<br />
und Räucherwerk und Salböl<br />
und Weihrauch und Wein<br />
und Öl und Feinmehl und Weizen<br />
und Rinder und Schafe<br />
und von Pferden und von Wagen<br />
und von Leibeigenen und Menschenseelen.<br />
• Als nächstes klagen die Kaufleute (keine kleinen, sondern Großhändler), die wohl<br />
führenden Anteil daran haben, innerhalb der Städte Kleinasiens den Kaiserkult für ihre<br />
Zwecke voranzutreiben.<br />
• Es folgt eine lange Warenliste:<br />
1. Edelmetalle,<br />
2. Tücher,<br />
3. Möbel & Geschirr,<br />
4. Salben & Öle,<br />
5. landwirtschaftliche Produkte,<br />
6. Vieh, Nutztiere & Sklaven.<br />
228 Ez 28,2; Jer 5,12; SibOr 5,173; <strong>Apk</strong>Joh 3,17; Ovid, Metam. 6,170-202.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
134 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
18:14 kaì Hj hopẃra sou t¨jß hepiqumíaß t¨jß yuc¨jß<br />
hap¨jlqen hapò soü,<br />
kaì pánta tà liparà kaì tà lamprà<br />
hapẃleto hapò soü,<br />
kaì ohukéti ohu m`j ahutà eHur´jsousin.<br />
18:15 oHi ‘emporoi toútwn,<br />
oHi plout´jsanteß haph ahut¨jß,<br />
hapò makróqen st´jsontai dià tòn fóbon toü<br />
basanismoü ahut¨jß, klaíonteß kaì penqoünteß,<br />
18:16 légonteß,<br />
Ohuaì ohuaí, Hj póliß Hj megálj,<br />
Hj peribebljménj bússinon<br />
kaì porfuroün kaì kókkinon,<br />
kaì kecruswménj [hen] crusí^w<br />
kaì líq^w timí^w kaì margarít∆,<br />
18:17 “oti mi¨â “wrâ hjrjmẃqj Ho tosoütoß<br />
ploütoß.<br />
14 Und die Früchte/Blütezeit, woran deine Seele Lust<br />
hatte, sind von dir gewichen,<br />
und alle Pracht und Glanz<br />
sind dir verloren,<br />
und man wird sie nie mehr finden.<br />
15 Die Kaufleute dieser Dinge,<br />
die an ihr reich geworden sind,<br />
werden aus Furcht vor ihrer Qual von fern stehen,<br />
weinend und trauernd,<br />
16 und werden sagen:<br />
Wehe, wehe! Die große Stadt,<br />
die bekleidet war mit feiner Leinwand<br />
und Purpur und Scharlachstoff<br />
und übergoldet mit Gold<br />
und Edelgestein und Perlen!<br />
17 Denn in einer Stunde ist der so große Reichtum<br />
verwüstet worden.<br />
• V. 14: »Lied« Verlust von Pracht<br />
• 15: Aus der Ferne<br />
• 16: Klagelied => 17,4<br />
Kaì päß kubern´jtjß kaì päß Ho hepì tópon pléwn<br />
kaì naütai kaì “osoi t`jn qálassan hergázontai<br />
hapò makróqen ‘estjsan 18:18 kaì ‘ekrazon<br />
bléponteß tòn kapnòn t¨jß purẃsewß ahut¨jß<br />
légonteß,<br />
Tíß Homoía t¨∆ pólei t¨∆ megál∆;<br />
18:19 kaì ‘ebalon coün hepì tàß kefalàß ahutẅn<br />
kaì ‘ekrazon klaíonteß kaì penqoünteß, légonteß,<br />
Ohuaì ohuaí, Hj póliß Hj megálj,<br />
hen ˆ∆ heploútjsan pánteß oHi ‘econteß tà ploïa<br />
hen t¨∆ qaláss∆ hek t¨jß timiótjtoß ahut¨jß,<br />
“oti mi¨â “wrâ hjrjmẃqj.<br />
Und jeder Steuermann und jeder Küstenfahrer<br />
und Schiffsleute und alle, die auf dem Meere<br />
beschäftigt sind, standen von fern 18 und riefen,<br />
als sie den Rauch ihres Brandes sahen, und<br />
sprachen:<br />
Wer war der großen Stadt gleich?<br />
19 Und sie warfen Staub auf ihre Häupter<br />
und riefen weinend und trauernd und sprachen:<br />
Wehe, Wehe! Die große Stadt,<br />
in der alle, die Schiffe auf dem Meere hatten,<br />
reich wurden von ihrer Kostbarkeit!<br />
Denn in einer Stunde ist sie verwüstet worden.<br />
• Als letztes trauern die Seeleute<br />
• 19: Zeichen von großer Trauer<br />
18:20 Ehufraínou heph ahut¨∆, ohurané,<br />
kaì oHi “agioi kaì oHi hapóstoloi kaì oHi prof¨jtai,<br />
“oti ‘ekrinen Ho qeòß tò kríma Humẅn hex ahut¨jß.<br />
20 Sei fröhlich über sie, du Himmel,<br />
und ihr Heiligen und Apostel und Propheten!<br />
Denn Gott hat für euch das Urteil an ihr vollzogen.<br />
• Im Gegensatz zu den Trauerliedern der Leidtragenden folgt ein Aufruf zur Freude der<br />
»Nutznießer«.<br />
• Himmel, Heilige, Apostel, Propheten (vgl. 11,18; 16,6; 18,24).<br />
Jer 51,48 Und Himmel und Erde, und alles, was in ihnen ist, werden jubeln über Babel. Denn von Norden<br />
her kommen ihm die Verwüster, spricht der HERR<br />
• Die Begründung in 20c nimmt wieder Bezug auf das Leiden der Glaubenden und sieht<br />
darin ein treibendes Motiv für die göttliche Rache.<br />
18:21 Kaì ~jren eîß ‘aggeloß hiscuròß líqon Hwß<br />
múlinon mégan<br />
kaì ‘ebalen ehiß t`jn qálassan légwn,<br />
O“utwß Horm´jmati bljq´jsetai<br />
Babulẁn Hj megálj póliß,<br />
kaì ohu m`j eHureq¨∆ ‘eti.<br />
21 Und ein anderer Engel hob einen Stein auf wie<br />
einen großen Mühlstein<br />
und warf ihn ins Meer und sprach:<br />
So wird mit Gewalt niedergeworfen<br />
Babylon, die große Stadt,<br />
und nie mehr gefunden werden.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 135<br />
18:22 kaì fwn`j kiqar^wdẅn kaì mousikẅn<br />
kaì ahuljtẅn kaì salpistẅn<br />
ohu m`j hakousq¨∆ hen soì ‘eti,<br />
kaì päß tecnítjß pásjß técnjß<br />
ohu m`j eHureq¨∆ hen soì ‘eti,<br />
kaì fwn`j múlou<br />
ohu m`j hakousq¨∆ hen soì ‘eti,<br />
18:23 kaì fẅß lúcnou<br />
ohu m`j fán∆ hen soì ‘eti,<br />
kaì fwn`j numfíou kaì númfjß<br />
ohu m`j hakousq¨∆ hen soì ‘eti≥<br />
“oti oHi ‘emporoí sou ~jsan oHi megistäneß t¨jß<br />
g¨jß,<br />
“oti hen t¨∆ farmakeíâ sou heplan´jqjsan pánta<br />
tà ‘eqnj,<br />
18:24 kaì hen ahut¨∆ aîma profjtẅn kaì Hagíwn<br />
eHuréqj<br />
kaì pántwn tẅn hesfagménwn hepì t¨jß g¨jß.<br />
22 Und die Stimme der Harfensänger und Musiker<br />
und Flötenspieler und Trompeter<br />
wird nie mehr in dir gehört<br />
und nie mehr ein Künstler irgendeiner Kunst<br />
in dir gefunden<br />
und das Geräusch des Mühlsteins<br />
nie mehr in dir gehört werden,<br />
23 und das Licht einer Lampe<br />
wird nie mehr in dir scheinen<br />
und die Stimme von Bräutigam und Braut<br />
nie mehr in dir gehört werden;<br />
denn deine Kaufleute waren die Großen der Erde;<br />
denn durch deine Zauberei sind alle Nationen<br />
verführt worden.<br />
24 Und in ihr wurde das Blut von Propheten und<br />
Heiligen gefunden<br />
und von allen denen, die auf der Erde<br />
hingeschlachtet worden sind.<br />
• 21-24: Zeichenhafte Ankündigung der Zerstörung Babylons.<br />
• 22-23a: Zeichen der Verwüstung<br />
• 23b-24: Gründe für die Verwüstung: Verführung der Nationen, blutige Verfolgung der<br />
Glaubenden<br />
• Am Ende werden die Märtyrer ausgeweitet »alle, die auf der Erde hingeschlachtet<br />
worden sind«.<br />
2.10.3 Hymnische Antwort, Abschlussvision (19,1-10)<br />
19:1 Metà taüta ‘jkousa Hwß fwn`jn megáljn<br />
‘oclou polloü hen t¨^w ohuran¨^w legóntwn,<br />
H Alljlouviá≥<br />
Hj swtjría kaì Hj dóxa kaì Hj dúnamiß toü qeoü<br />
Hjmẅn,<br />
19:2 “oti haljqinaì kaì díkaiai aHi kríseiß<br />
ahutoü≥<br />
“oti ‘ekrinen t`jn pórnjn t`jn megáljn<br />
“jtiß ‘efqeiren t`jn g¨jn hen t¨∆ porneíâ ahut¨jß,<br />
kaì hexedíkjsen tò aîma tẅn doúlwn ahutoü hek<br />
ceiròß ahut¨jß.<br />
19:3 kaì deúteron e‘irjkan,<br />
H Alljlouviá≥<br />
kaì Ho kapnòß ahut¨jß hanabaínei ehiß toùß ahiẅnaß<br />
tẅn ahiẃnwn.<br />
19:4 kaì ‘epesan oHi presbúteroi oHi e‘ikosi<br />
téssareß kaì tà téssara z¨^wa,<br />
kaì prosekúnjsan t¨^w qe¨^w t¨^w kaqjmén^w hepì t¨^w<br />
qrón^w, légonteß,<br />
h Am´jn, H Alljlouviá.<br />
19,1 Nach diesem hörte ich wie eine laute Stimme<br />
einer großen Volksmenge im Himmel, die sprachen:<br />
Halleluja!<br />
Das Heil und die Herrlichkeit und die Macht [sind]<br />
unseres Gottes!<br />
2 Denn wahrhaftig und gerecht sind seine Gerichte;<br />
denn er hat die große Hure gerichtet,<br />
welche die Erde mit ihrer Unzucht verdarb,<br />
und er hat das Blut seiner Knechte an ihr gerächt.<br />
3 Und zum zweitenmal sprachen sie:<br />
Halleluja!<br />
Und ihr Rauch steigt auf in alle Ewigkeit.<br />
4 Und die vierundzwanzig Ältesten<br />
und die vier lebendigen Wesen<br />
fielen nieder und beteten Gott an, der auf dem Thron<br />
sitzt, und sagten:<br />
Amen, Halleluja!<br />
• Die himmlischen Engel stimmen ein Lied ein. Der Aufruf zum Jubel aus 18,20 wird<br />
hier aufgenommen.<br />
• »Halleluja« kommt nur in Joh<strong>Apk</strong> 19 (3x) vor; hier ist es ein endzeitlicher Jubelruf.<br />
• V. 2 fasst die wichtigsten Elemente zusammen: das gerechte Richten Gottes, die<br />
Vernichtung der Hure, ihre moralische Schult und die Rache seiner Knechte.<br />
• V. 3: der Rauch spielt an 18,8-10.18 an. Während aber in Kap. 18 alles »in einem<br />
Augenblick« geschah, wird hier die ewige Strafe betont.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
136 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• V. 4: Die 24 Ältesten vgl. 5,14.<br />
19:5 Kaì fwn`j hapò toü qrónou hex¨jlqen légousa,<br />
Ahineïte t¨^w qe¨^w Hjmẅn,<br />
pánteß oHi doüloi ahutoü,<br />
[kaì] oHi foboúmenoi ahutón,<br />
oHi mikroì kaì oHi megáloi.<br />
19:6 kaì ‘jkousa Hwß fwn`jn ‘oclou polloü<br />
kaì Hwß fwn`jn Hudátwn pollẅn<br />
kaì Hwß fwn`jn brontẅn hiscurẅn legóntwn,<br />
H Alljlouviá,<br />
“oti hebasíleusen kúrioß<br />
Ho qeòß [Hjmẅn] Ho pantokrátwr.<br />
19:7 caírwmen kaì hagalliẅmen,<br />
kaì dẃswmen t`jn dóxan ahut¨^w,<br />
“oti ~jlqen Ho gámoß toü harníou,<br />
kaì Hj gun`j ahutoü Hjtoímasen Heaut´jn≥<br />
19:8 kaì hedóqj ahut¨∆ “ina peribáljtai<br />
bússinon lampròn kaqarón,<br />
tò gàr bússinon tà dikaiẃmata tẅn Hagíwn<br />
hestín.<br />
5 Und eine Stimme kam vom Thron her, die sprach:<br />
Lobt unseren Gott,<br />
alle seine Knechte,<br />
die ihr ihn fürchtet,<br />
die Kleinen und die Großen!<br />
6 Und ich hörte [etwas] wie eine Stimme einer großen<br />
Volksmenge<br />
und wie ein Rauschen vieler Wasser<br />
und wie ein Rollen starker Donner, die sprachen:<br />
Halleluja!<br />
Denn der Herr, unser Gott,<br />
der Allmächtige, hat die Herrschaft angetreten.<br />
7 Laßt uns fröhlich sein und frohlocken<br />
und ihm die Ehre geben;<br />
denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen,<br />
und seine Frau hat sich bereitgemacht.<br />
8 Und ihr wurde gegeben, daß sie sich kleide<br />
in feine Leinwand, glänzend, rein;<br />
denn die feine Leinwand sind die gerechten<br />
Taten der Heiligen.<br />
• V. 5: Vom Thron (vgl. 16,17; 21,3) kommt ein Aufruf zum Lob, dem gleich von einer<br />
großen Volksmenge mit dem dritten Halleluja-Ruf nachgekommen wird.<br />
• Die Aufforderung zum Lob kommt dem hebr. halelu-el (Ps 150,1) oder halelu et-<br />
YHWH (Ps 117,1 = LXX 116,1) sehr nahe und entspricht damit dem dreimaligen<br />
Halleluja.<br />
• Die Stimme der großen Volksmenge in V. 6 ist nicht identisch mit der in 19,1 (kein<br />
bestimmter Artikel), so dass hier wahrscheinlich an eine Menge auf der Erde gedacht<br />
ist.<br />
• Die Bilder des Rauschens sind: große Volksansammlung (19,1), Wasser (1,15; 14,2),<br />
Donner (6,1; 14,2).<br />
• Die aktive Herrschaft Gottes (mit dem Verb basileuien) erscheint ansonsten nur in<br />
11,15.17:<br />
11,15 Und der siebente Engel posaunte: und es geschahen laute Stimmen im Himmel, die sprachen: Das<br />
Reich der Welt unseres Herrn und seines Christus ist gekommen, und er wird herrschen in alle Ewigkeit. 17<br />
und sprachen: Wir danken dir, Herr, Gott, Allmächtiger, der ist und der war, daß du deine große Macht<br />
ergriffen und deine Herrschaft angetreten hast.<br />
• Zum Allmächtigen vgl. 4,8; 11,17; 15,3; 16,7; 21,22.<br />
• Die Freude in V. 7 steht in Kontrast zur Trauer der Könige usw. über den Fall<br />
Babylons.<br />
• Mit der Begründung in 7b wird ein neues und überraschendes Motiv eingeführt: der<br />
Hochzeitstag des Lammes (vgl. 19,9; 21,2.9). Die Bildwelt schließt hier an die<br />
Metapher von Christus als Bräutigam an:<br />
Mk 2,20 Es werden aber Tage kommen, da der Bräutigam von ihnen weggenommen sein wird, und dann, an<br />
jenem Tag, werden sie fasten. (// Mt 9,15b; Lk 5,35, EvThom 104) 2Kor 11,2 Denn ich eifere um euch mit<br />
Gottes Eifer; denn ich habe euch einem Mann verlobt, um [euch als] eine keusche Jungfrau vor den Christus<br />
hinzustellen. Vgl. Eph 5,25-32; Mt 25,1-13.<br />
• Damit tritt im Kontrast zur großen Hure Babylon eine zweite Frau auf: eine keusche,<br />
zur Hochzeit vorbereitete Braut. Diese ist im Gegensatz zum Luxus der Hure auch mit<br />
feinem Leinen gekleidet, doch symbolisiert dies hier ihre gerechten Taten.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 137<br />
19:9 Kaì légei moi,<br />
Gráyon≥<br />
Makárioi oHi ehiß tò deïpnon toü gámou toü harníou<br />
kekljménoi.<br />
kaì légei moi,<br />
Oûtoi oHi lógoi haljqinoì toü qeoü ehisin.<br />
19:10 kaì ‘epesa ‘emprosqen tẅn podẅn ahutoü<br />
proskun¨jsai ahut¨^w. kaì légei moi,<br />
“ Ora m´j≥<br />
súndoulóß soú ehimi kaì tẅn hadelfẅn sou<br />
tẅn hecóntwn t`jn marturían h Ijsoü≥<br />
t¨^w qe¨^w proskúnjson.<br />
Hj gàr marturía h Ijsoü hestin tò pneüma t¨jß<br />
profjteíaß.<br />
9 Und er spricht zu mir:<br />
Schreibe:<br />
Glückselig, die geladen sind zum Hochzeitsmahl des<br />
Lammes!<br />
Und er spricht zu mir:<br />
Dies sind die wahrhaftigen Worte Gottes.<br />
10 Und ich fiel zu seinen Füßen nieder, ihn anzubeten.<br />
Und er spricht zu mir:<br />
Siehe zu, [tu es] nicht!<br />
Ich bin dein Mitknecht und der deiner Brüder,<br />
die das Zeugnis Jesu haben.<br />
Bete Gott an!<br />
Denn das Zeugnis Jesu ist der Geist der<br />
Weissagung.<br />
• Die vierte von sieben Seligpreisungen<br />
• Auffällige Gemeinsamkeiten mit 14,13 (Schreibbefehl und Makarismus). 229<br />
• Die Bildwelt ist nicht ganz »logisch«: die Braut wird über die guten Werke<br />
identifiziert mit der Gemeinschaft der Treuen, wohingegen hier Gäste zum<br />
Hochzeitsbankett geladen werden. Das Mahl selbst spielt im weiteren Verlauf der<br />
Joh<strong>Apk</strong> keine Rolle mehr. 230<br />
• Der Sprecher von 9b wird nicht identifiziert, es müsste aber noch der Schalen-Engel<br />
von 17,1 sein.<br />
• V. 10: die kleine Episode vom Anbetungsversuch (s.a. 22,8f) könnte auf Engels-<br />
Verehrung im frühen Judenchristentum hinweisen. 231<br />
229 Vgl. auch Lk 14,15: »Glückselig, wer essen wird im Reich Gottes!«<br />
230 Ansonsten kommt es im NT häufig als Bild der endzeitlichen Freude vor: Mt 8,11; 22,1-10; 25,10; Lk<br />
12,36; 14,8; usw.<br />
231 Ähnlich Philo, Fug. 212 und wohl auch das geheimnisvolle Kol 2,18: »Laßt euch um den Kampfpreis<br />
von niemandem bringen, der seinen eigenen Willen tut in Demut und Anbetung der Engel, der auf Dinge<br />
eingeht, die er [in Visionen] gesehen hat, ohne Ursache aufgeblasen von dem Sinn seines Fleisches…«<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
138 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
2.11 Das Ende der Feinde Gottes (19,11-20,15)<br />
2.11.1 Der Endzeitkrieger und die finale Schlacht (19,11-21)<br />
Lit.: Bøe, S. Gog and Magog. Ezekiel 38-39 as pre-text for Revelation 19,17-21 and 20,7-10 (WUNT 2:135),<br />
Tübingen, 2001. – Herzer, J. Der erste apokalyptische Reiter und der König der Könige. Ein Beitrag zur<br />
Christologie der Johannesapokalypse, NTS 45/2 (1999) 230-249. – Hoffmann, M.R. The Destroyer and<br />
the Lamb. The Relationship between Angelomorphic and Lamb Christology in the Book of Revelation<br />
(WUNT 2:2<strong>03</strong>), Tübingen, 2005. – Huber, K. Reiter auf weißem Pferd. Ein schillerndes Christusbild in<br />
der Offenbarung des Johannes, in: Im Geist und in der Wahrheit. Studien zum Johannesevangelium und<br />
zur Offenbarung des Johannes sowie andere Beiträge (FS M. Hasitschka), ed. K. Huber et al. (NTA 52),<br />
Münster, 2008, 385-409. – Jehle, F. Der göttliche Krieger in Apokalypse 19, in: »Gott bin ich, kein<br />
Mann«. Beiträge zur Hermeneutik der biblischen Gottesrede (FS Helen Schüngel-Strautmann), ed. Ilona<br />
Riedel-Spangenberger et al. Paderborn, 2006, 328-334. – Laws, S. The Blood-stained Horseman:<br />
Revelation 19.11-13, in: Studia Biblica 1978. III. Papers on Paul and other New Testament authors, ed.<br />
E.A. Livingstone (JSNT.S 3), Sheffield, 1980, 245-248. – Lichtenberger, H. Die Mahlmetaphorik in der<br />
Johannesapokalypse, in: Le repas de Dieu. Das Mahl Gottes, ed. Chr. Grappe (WUNT 169), Tübingen,<br />
2004, 227-252. – Müller, U.B. ›Das Wort Gottes‹. Der Name des Reiters auf weißem Pferd (<strong>Apk</strong> 19,13),<br />
in: Antikes Judentum und frühes Christentum (FS H. Stegemann), ed. B. Kollmann et al. (BZNW 97),<br />
Berlin, 1998, 474-487 = Christologie und Apokalyptik. Ausgewählte Aufsätze (ABG 12), Leipzig, 20<strong>03</strong>,<br />
312-325. – Osburn, C.D. Alexander Campbell and the text of Revelation 19:13, Restoration Quarterly 25<br />
(1982) 129-138. 232 – Rissi, M. Die Erscheinung Christi nach Offb. 19,11-16, ThZ 21 (1965), 81-95. –<br />
Rissi, M. Die Zukunft der Welt. Eine exegetische Studie über Johannesoffenbarung 19,11 bis 22,15,<br />
Basel, 1966. – Thomas, D.A. Revelation 19 in historical and mythological context (Studies in Biblical<br />
Literature 118), New York, NY [u.a.]: Lang, 2008.<br />
Zum Motiv des endzeitlichen Gotteskriegers: Duff, P.B. The March of the Divine Warrior and the Advent of the<br />
Greco-Roman King: Mark's Account of Jesus' Entry into Jerusalem, JBL 111 (1992) 55-71. –Miller, P.D.<br />
The Divine Warrior in Early Israel (Harvard Semitic monographs 5), Cambridge, Mass., 1973. – Yoder<br />
Neufeld, T.R. ›Put on the armour of God‹. The divine warrior from Isaiah to Ephesians (JSNT.S 140),<br />
Sheffield, 1997.<br />
19,11 Und ich sah den Himmel geöffnet,<br />
und siehe, ein weißes Pferd,<br />
und der darauf saß, heißt ›Treu und Wahrhaftig‹,<br />
und er richtet und führt Krieg in Gerechtigkeit.<br />
19:11 Kaì e~idon tòn ohuranòn hjne^wgménon,<br />
kaì hidoù “ippoß leukóß,<br />
kaì Ho kaq´jmenoß heph ahutòn [kaloúmenoß]<br />
pistòß kaì haljqinóß,<br />
kaì hen dikaiosún∆ krínei kaì polemeï.<br />
• 19,11-16 bildet eine zusammenhängende Einheit, die in 19,17 mit der Vision eines<br />
Engels abgeschlossen wird.<br />
• In der Forschung werden diese Verse meistens als Hinweis auf die Parusie gedeutet.<br />
Es werden jedoch keine traditionellen Parusie-Bilder (Posaunenschall, vor der Tür<br />
stehen, in den Wolken kommen, usw.) gebraucht.<br />
• Ein auffällige Strukturmerkmal sind die drei Namen, welche gegen oder ganz am<br />
Ende jeder Unter-Einheit stehen: Treu und Wahrhaftig (11b), Wort Gottes (13b),<br />
König der Könige und Herr der Herren (16b). Diesen Namen kommt eine<br />
entscheidende Funktion für die christologische Deutung des Geschehens zu.<br />
• Insgesamt ist die Vision recht statisch: Der Endzeitkrieger wird vor allem beschrieben<br />
(sitzt auf Pferd, seine Augen, auf seinem Haupt, Kleidung, Schwert aus Mund) und<br />
232 Abstract: The textual problem in Rev 19:13 involving the "splattering" or "dipping" of the garment in<br />
blood is analyzed according to external evidence from the manuscripts, versions, and fathers, and internal<br />
evidence involving the use of the symbolism in the passage, especially Gen 49:11, Isa 63:1-6. It is suggested that<br />
"splattered" with blood is more likely from these points of view and that transcriptional probability coheres with<br />
this conclusion.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 139<br />
seine Funktion hervorgehoben (richten, Krieg führen, Nationen schlage, hüten mit<br />
eisernem Stab, Kelter des Grimmes austreten).<br />
• Ferner werden in V. 14 auch himmlische Kriegsherren beschrieben (sie folgen ihrem<br />
Anführer, Kleidung), jedoch wird ihre Funktion nicht ausdrücklich erwähnt.<br />
• V. 11: 11a belegt deutlich den Beginn einer neuen Vision. Der geöffnete Himmel<br />
erscheint im AT nur in Ez 1,1 233 : Das Motiv eröffnet eine besondere göttliche<br />
Offenbarung.<br />
• Das Besondere, was im Folgenden offenbart wird, sind die drei Namen des<br />
Endzeitkriergers. Auf diese Gewichtung hat die Auslegung zu achten.<br />
• Der Seher beschreibt zuerst das weiße Pferd und dann den Reiter 234 . Die himmlische<br />
Armee folgt erst in V. 14.<br />
• Bei dem Reiter dachten die Hörer und Hörerinnen wohl an den wiederkommenden<br />
Herrn – wobei eine Assoziation an den Erzengel Michael, der bereits in 12,7 gegen<br />
den Drachen kämpfte, keineswegs ausgeschlossen werden kann. [Es spricht kaum<br />
etwas dafür diesen Reiter mit dem ersten apokalyptischen Reiter in 6,2 zu<br />
identifizieren.]<br />
• Sein erster Name lautet: Treu und wahrhaftig (pistos kai alêthinos). Vgl. 3,14: »Das<br />
sagt, der Amen heisst, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung<br />
Gottes…« Der Reiter ist der zuverlässige Zeuge Gottes (1,5), der durch seinen Tod<br />
den Glaubenden vorangegangen ist.<br />
• Sein Gericht und seine Kriegsführung sind gerecht (im Präsens). Dies bezieht sich<br />
vornehmlich aber nur auf die Strafe der Feinde (in V. 15), sondern auch auf das Heil<br />
für die Seinen.<br />
2.11.1.1 Exkurs zur Motivik des Endzeitkriegers und des Triumphators<br />
• Ein königlicher Krieger führt den apokalyptischen Kampf gegen die Nationen – diese<br />
Vorstellung speist sich v.a. aus alttestamentlich-jüdischen Quellen.<br />
• Gott als Kriegsherr:<br />
Ex 15,3: Der HERR ist der rechte Kriegsmann (LXX: ku/rioß suntri÷bwn pole÷mouß), HERR ist sein<br />
Name. 4 Des Pharao Wagen und seine Macht warf er ins Meer, seine auserwählten Streiter versanken im<br />
Schilfmeer. 235 (vgl. weiterhin Dtn 33; Ri 5; Hab 3; Jes 26,16-27; 59,15-20; 63,1-6; Sach 14,1-21)<br />
• Das Gerichtswort gegen Edom in Jes 63 enthält einige prägende Elemente für die<br />
Joh<strong>Apk</strong>: 236<br />
Jes 63,1-6: Wer ist der, der von Edom kommt, mit rötlichen Kleidern (LXX: eṙu/qhma i˚mati÷wn) von Bozra,<br />
der so geschmückt ist in seinen Kleidern und einherschreitet in seiner grossen Kraft? »Ich bin’s, der in<br />
Gerechtigkeit redet, und bin mächtig zu helfen.« 2 Warum ist denn dein Gewand so rotfarben und dein Kleid<br />
wie das eines Keltertreters? 3 »Ich trat die Kelter allein, und niemand unter den Völkern war mit mir. Ich<br />
habe sie gekeltert in meinem Zorn und zertreten in meinem Grimm. 237 Da ist ihr Blut auf meine Kleider<br />
gespritzt, und ich habe mein ganzes Gewand besudelt. 4 Denn ich hatte einen Tag der Vergeltung mir<br />
vorgenommen; das Jahr, die Meinen zu erlösen, war gekommen. 5 Und ich sah mich um, aber da war kein<br />
Helfer, und ich verwunderte mich, dass niemand mir beistand. Da musste mein Arm mir helfen, und mein<br />
Zorn stand mir bei. 6 Und ich habe die Völker zertreten in meinem Zorn und habe sie trunken gemacht in<br />
meinem Grimm und ihr Blut auf die Erde geschüttet.<br />
233 Es ist jedoch dann typisch für apokalyptische Sprache (syrBar<strong>Apk</strong> 22,1; 4Q213-214; aram. T. Levi 2 ii<br />
19-21; TLev 2,6; <strong>Apk</strong>Mos 35,2; T. Abr. Rec. A 7,3) und prägt auch die Erzählung von der Taufe Jesu (Mk 1,10<br />
parr).<br />
234 So häufig: 4,2.4; 6,2-8; 14,14; 20,4.<br />
235 Vgl. zur späteren rabbinischen Tradtion Mekhilta de-Rabbi Ishmael, Shirata 1 (ed. Lauterbach 2,30);<br />
236 Nach Volz, Eschatologie, 280 wurde »Edom« später als Code für Rom gebraucht. Quellen?<br />
237 Die LXX übernimmt das Bild des Kelters nur in der Frage in V. 2 aber nicht in der Antwort in V. 3 (vgl.<br />
auch Sap 18,15).<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
140 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• In einer interessanten poetischen Abwandlung der Bestrafung der Erstgeborenen in<br />
Ägypten kommt Gottes Wort direkt vom Himmel:<br />
Sapientia Salomonis 18,14Als die Ruhe des Schweigens nämlich das Universum umfing und die Nacht in der<br />
ihr eigenen Geschwindigkeit bis zur Mitte vorgedrungen war, 15 da sprang dein allmächtiges Wort vom<br />
Himmel (oJ pantodu/namo/ß sou lo/goß aÓpΔ∆ oujranw◊n), vom königlichen Thron, als unbeugsamer<br />
Krieger (aÓpo/tomoß polemisth\ß) mitten in die Zerstörung auf der Erde. 16 Als scharfes Schwert (xi÷foß<br />
ojxu\) trug es deinen unwiderruflichen Befehl; es erfüllte, während es stand, das Universum mit Tod, und es<br />
berührte den Himmel, schritt aber auf der Erde.<br />
• In der jüdischen Tradition wurde die Juda-Verheißung in Gen 49,9ff messianisch<br />
gedeutet, so auch das Bild in 49,10f:<br />
Gen 49,10 Es wird das Zepter von Juda nicht weichen noch der Stab des Herrschers von seinen Füssen, bis<br />
dass der Held komme, und ihm werden die Völker anhangen. 11 Er wird seinen Esel an den Weinstock<br />
binden und seiner Eselin Füllen an die edle Rebe. Er wird sein Kleid in Wein waschen und seinen Mantel in<br />
Traubenblut. 238<br />
• Das Kommen Gottes als Endzeitkrieger erscheint in der apokalyptisch-jüdischen<br />
Schrift Assumptio Mosis (oder Testament Mose) 10 voll thephaner Motive:<br />
10,1 Und dann wird seine Herrschaft über seine ganze Schöpfung erscheinen,<br />
und dann wird der Teufel nicht mehr sein,<br />
und die Traurigkeit wird mit ihm hinweggenommen sein.<br />
2 Dann werden die Hände des Engels gefüllt werden,<br />
der an höchster Stelle steht,<br />
und sogleich wird er sie rächen an ihren Feinden.<br />
3 Denn der Himmlische vom Sitz seiner Herrschaft<br />
und heraustreten aus seiner heiligen Wohnung<br />
mit Empörung und Zorn wegen seiner Kinder.<br />
4 Und die Erde wird erbeben, bis zu ihren Enden erschüttert werden,<br />
und die hohen Berge werden niedrig gemacht und erschüttert werden,<br />
und die Täler werden einsinken.<br />
5 Die Sonne wird kein Licht mehr geben und sich in Finsternis , und er wird sich ganz in Blut verwandeln,<br />
und der Kreis der Sterne wird verwirrt.<br />
6 Und das Meer wird bis zum Abgrund zurückweichen,<br />
die Wasserquellen werden versiegen,<br />
und die Flüsse werden erstarren.<br />
7 Denn der höchste Gott, der allein ewig ist, wird sich erheben,<br />
und er wird offen hervortreten, um die Heiden zu strafen,<br />
und alle ihre Götzenbilder wird er vernichten.<br />
8 Dann wirst du glücklich sein, Israel,<br />
und du wirst auf die Nacken und Flügel des Adlers hinaufsteigen,<br />
und so werden sie ihr Ende haben.<br />
9 Und Gott wird dich erhöhen,<br />
und er wird dir festen Sitz am Sternenhimmel verschaffen,<br />
am Ort ihrer Wohnung.<br />
10 Und du wirst von oben herabblicken und deine Feinde auf Erden sehen<br />
und sie erkennen und dich freuen,<br />
und du wirst Dank sagen und dich zu deinem Schöpfer bekennen. (Übers. D. Georgi, JSHRZ, 1980)<br />
• Nicht alle Aspekte des Textes lassen sich jedoch von der Figur des eschatologischen<br />
Gotteskriegers herleiten. Das weiße Pferd, die Diademe, die Sieges-Namen, die ihn<br />
begleitenden Armeen… all das weckt Assoziationen an einen römischen<br />
Triumphzug. 239<br />
238 Vgl. zu den Targumin zu dieser Stelle Aune III, 1049f.<br />
239 Aune III, 1050-1052.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 141<br />
Zum römischen Triumphzug (griech. pompê; lat. Pompa triumphalis) 240 : Der Triumphzug ist mehr als eine<br />
Siegesfeier, er ist ein öffentlicher Kultakt. Der Durchzug durch die Porta triumphalis hat reinigende Wirkung für<br />
den Feldherren und seine Soldaten. Mit einem Opfer löst der Feldherr am Ende sein Gelübde vor dem Feldzug<br />
ein. Voran gehen Darstellungen des Sieges (goldene Diademe usw.), Kriegsbeute und Gefangene, dann der<br />
Triumphator (mit Familie usw.) und dann das Heer. Der Triumphator wird von einem Gespann mit vier weißen<br />
Pferden gezogen 241 und ein Sklave hält einen Siegeskranz über seinem Kopf. Der Triumphator trägt eine<br />
besondere Toga. Die Gefangenen werden öffentlich hingerichtet, einige als Zeichen der Gnade frei gelassen. Der<br />
Zug startet außerhalb Roms vom Marsfeld beim Apollotempel und zieht bis zum Jupiter Capitolinus im<br />
Stadtzentrum. Der Triumphator übernimmt dabei die Rolle von Apollo und Jupiter. Der gesamte Akt wird mit<br />
Weihrauch begleitet (Appian, Pun., 9,66; Plutarch, Anton. 26,3f). Der berühmte Titus-Bogen belegt einen<br />
solchen Triumphzug nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 durch die Armeen des Titus.<br />
• Fazit: Die Traditionsgeschichte weckt zwei interessante Assoziationen: Der<br />
messianische endzeitliche Krieger kommt mit einigen Ausstattungselementen des<br />
römischen Triumphators. Er zieht als Sieger in den Kampf. Daher werden im<br />
eigentlichen Sinne keine Kampfhandlungen beschrieben.<br />
12 Seine Augen aber sind eine Feuerflamme,<br />
und auf seinem Haupt sind viele Diademe,<br />
und er trägt einen Namen geschrieben,<br />
den niemand kennt als nur er selbst;<br />
13 und er ist bekleidet mit einem in Blut getauchten<br />
Gewand,<br />
und sein Name heißt: ›Das Wort Gottes‹.<br />
19:12 oHi dè hofqalmoì ahutoü [Hwß] flòx puróß,<br />
kaì hepì t`jn kefal`jn ahutoü diad´jmata pollá,<br />
‘ecwn ‘onoma gegramménon<br />
”o ohudeìß o~iden ehi m`j ahutóß,<br />
19:13 kaì peribebljménoß Himátion bebamménon<br />
a“imati,<br />
kaì kékljtai tò ‘onoma ahutoü<br />
Ho lógoß toü qeoü.<br />
• 12-13: Erste Beschreibung des Reiters.<br />
• 12: Augen wie Feuerflammen sind nicht neu; vgl. 1,14; 2,18. Sie stammen aus Dan<br />
10,6 242 und gehören zum Inventar furchteinflössender Eigenschaften des Richters.<br />
Seine Augen durchdringen wie Feuerflammen alles.<br />
• Der Drache hatte Diademe auf jeden seiner Köpfe (12,3), ebenso das Tier aus dem<br />
Meer (13,1). Der Reiter trägt gleich viele Diademe, wodurch seine überragende<br />
Herrschermacht hervorgehoben wird.<br />
• Weiter trägt er (das Partizip ‘ecwn ist maskulin und bezieht sich auf den Reiter und<br />
nicht auf die Diademe) die Aufschrift eines Namens, welchen nur er kennt 243<br />
• Dass der geheimnisvolle Name gleich anschließend genannt wird, ist kein<br />
Widerspruch (und damit auch kein Hinweis für eine spätere Glosse). Das ist präzise<br />
das »Spiel des Sehers«: Er verrät Geheimnisse!<br />
• Dass der Name unbekannt ist, zeichnet den Reiter als göttliche oder himmlische<br />
Gestalt aus. 244 Seinen Namen zu kennen bedeutet eine besondere Macht. Johannes<br />
verrät dies nur seinen Hörern und Hörerinnen...<br />
• 13: Gekleidet ist der Reiter mit einem blutbesudelten Mantel. Es handelt sich dabei<br />
eher nicht um einen Hinweis auf den Tod Jesu, sondern in der Folge von Jes 63,1-6<br />
um das Blut derer, die der Krieger im Kampf geschlagen hat.<br />
240 Vgl. Mary Beard, The Roman Triumph, Cambridge, Mass. 2007); Ida Östenberg, Staging the World.<br />
Spoils, Captives, and Representations in the Roman Triumphal Procession (Oxford Studies in Ancient Culture<br />
and Representation), Oxford 2009.<br />
241 Dio Cassius 43,14,3 (Caesars Triumph-Einzug 46 v.Chr.).<br />
242 Dan. 10:6 Sein Leib war wie ein Türkis, sein Antlitz sah aus wie ein Blitz, seine Augen wie feurige<br />
Fackeln, seine Arme und Füsse wie helles, glattes Kupfer, und seine Rede war wie ein grosses Brausen.<br />
243 Vgl. 2,17: »Wer überwindet, dem will ich geben von dem verborgenen Manna und will ihm geben einen<br />
weissen Stein; und auf dem Stein ist ein neuer Name geschrieben, den niemand kennt als der, der ihn empfängt.«<br />
(s.a. 2,17)<br />
244 Das zeichnet natürlich die jüdische Tradition besonders aus, gilt aber auch allgemein in der Antike (vgl.<br />
Plato, Crat. 400d-e). Und im Märchen: Ei wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß...<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
142 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Jetzt wird sein (zweiter) Name verraten: Wort Gottes (ho logos tou theou). Diese<br />
Bezeichnung passt gut zu dem Umstand, dass der Krieger seine Gegner mit einem<br />
Schwert schlägt, welches aus seinem Mund kommt (19,15.21).<br />
• Eine ähnliche Motiv-Konstellation begegnet auch in dem messianischen Text Psalmen<br />
Salomos 17:<br />
21 Sieh zu, Herr, und richte ihnen auf ihren König, den Sohn Davids,<br />
zu der Zeit, die du , o Gott, über Israel, deinen Knecht, zu herrschen,<br />
22 und umgürte ihn mit Stärke, zu zermalmen ungerechte Fürsten,<br />
zu reinigen Jerusalem von Heidenvölkern, die vernichtend zertreten,<br />
23 in Weisheit (und) in Gerechtigkeit die Sünder vom Erbe zu verstossen,<br />
des Sünders Übermut zu zerschlagen wie des Töpfers Geschirr,<br />
24 mit eisernem Stab zu zerschlagen all ihren Bestand,<br />
zu vernichten gesetzlose Völkerschaften durch das Wort seines Mundes,<br />
25 durch seine Drohung den Feind in die Flucht zu schlagen fort von seinem Angesicht,<br />
und die Sünder zu züchtigen in ihres Herzens Wort.<br />
• Das Wort Gottes bezieht sich in der Joh<strong>Apk</strong> (1,2.9; 6,9; 19,13; 20,4) auf das<br />
verkündigte Evangelium, für das Menschen leiden.<br />
Logos als christologischer Titel kann als Verbindung zur johanneischen Logos-Theologie angesehen werden.<br />
Doch während dort (Joh 1,1) absolut vom Logos die Rede ist, spricht der Seher vom Logos Gottes. Eine<br />
besondere Nähe besteht eher zu SapSal 18,15f (s.o. Exkurs).<br />
14 Und die Kriegsheere, die im Himmel sind,<br />
folgten ihm auf weißen Pferden,<br />
bekleidet mit weißer, reiner Leinwand.<br />
15 Und aus seinem Mund geht ein scharfes Schwert<br />
hervor,<br />
damit er mit ihm die Nationen schlage;<br />
und er wird sie hüten mit eisernem Stab,<br />
und er tritt die Kelter des Weines des Grimmes des<br />
Zornes Gottes, des Allmächtigen.<br />
16 Und er trägt auf seinem Gewand und an seiner<br />
Hüfte einen Namen geschrieben:<br />
›König der Könige und Herr der Herren‹.<br />
19:14 kaì tà strateúmata [tà] hen t¨^w ohuran¨^w<br />
hjkoloúqei ahut¨^w hefh “ippoiß leukoïß,<br />
hendeduménoi bússinon leukòn kaqarón.<br />
19:15 kaì hek toü stómatoß ahutoü hekporeúetai<br />
Hromfaía hoxeïa,<br />
“ina hen ahut¨∆ patáx∆ tà ‘eqnj,<br />
kaì ahutòß poimaneï ahutoùß hen Hrábd^w sidjr¨â≥<br />
kaì ahutòß pateï t`jn ljnòn toü o‘inou toü qumoü<br />
t¨jß horg¨jß toü qeoü toü pantokrátoroß.<br />
19:16 kaì ‘ecei hepì tò Himátion kaì hepì tòn mjròn<br />
ahutoü ‘onoma gegramménon≥<br />
Basileùß basiléwn kaì kúrioß kuríwn.<br />
• 14: Die Beschreibung des Reiters wird unterbrochen durch eine knappe Beschreibung<br />
der ihn folgenden Himmelsarmeen.<br />
• Vom gesamten Aufriss her bieten sich die Engelsheere (mit Michael) an. Ähnlich wie<br />
JHWH Sebaoth (Jahwe der Heere) 245 wird auch der Parusie-Christus von Engeln<br />
begleitet. 246 Es gibt zwar in späteren christlichen Texten auch die Vorstellung, dass<br />
Christus von verstorbenen Christen begleit wird 247 , aber m.E. spricht in der Joh<strong>Apk</strong><br />
nichts für diese Vorstellung.<br />
• Sie sind mit weißen Linnen gekleidet = Symbol für Reinheit (s.a. in 15,6).<br />
• 15: Das scharfe Schwert aus seinem Mund ist wieder nicht neu: 1,16; 2,12.16;<br />
19,15.21. Weiterhin wird er sie mit eisernen Zepter zerschlagen (vgl. 2,26; 12,5).<br />
• Hier fließen zwei AT-Aspekte zusammen:<br />
Ps 2,9 Du sollst sie mit einem eisernen Zepter zerschlagen (LXX: eṅ rJa¿bdwˆ sidhra◊ˆ), wie Töpfe sollst du<br />
sie zerschmeissen.«<br />
245 Vgl. 1Sam 7,45; Jes 21,10; 31,4; 37,16; Amos 3,13; 4,13; 5,27; 6,14.<br />
246 Mt 13,41; 25,31; Mk 8,38 parr; 13,26-27 par; 1Thess 3,13; 4,16; 2Thess 1,7.<br />
247 Did 16,7; Apost. Const. 7,34,4; Asc. Jes 4,14-16.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 143<br />
Jes 11,4 [Der Erwartete] wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden<br />
im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes (LXX löst die hebräische Metapher auf: tw◊ˆ lo/gwˆ touv<br />
sto/matoß aujtouv) den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. 248<br />
• Der Endzeitkrieger bedarf keiner externen Waffen; er vernichtet seine Feinde durch<br />
sein göttliches wirkmächtiges Reden. Das kreative Schöpferwort der Urzeit wird hier<br />
zum Zerstörungswort gegen die Nationen 249 .<br />
• Das Bild der Kelterpresse geht auf Jes 63,2f (s.o.) zurück. Dabei vermischt der Autor<br />
das Bildfeld der Weinpresse mit dem Bildfeld des Zornesbechers (was zu einer<br />
ziemlich seltsamen Anhäufung von Genitiven führt).<br />
• V. 16 nennt nun einen dritten Namen (seltsamerweise an der Hüfte 250 ): König der<br />
Könige / Herr der Herren (vgl. 17,4),<br />
17 Und ich sah einen Engel in der Sonne stehen,<br />
und er rief mit lauter Stimme<br />
und sprach zu allen Vögeln, die hoch oben am Himmel<br />
fliegen:<br />
Kommt her,<br />
versammelt euch zum großen Mahl Gottes,<br />
18 damit ihr Fleisch von Königen freßt<br />
und Fleisch von Obersten<br />
und Fleisch von Mächtigen<br />
und Fleisch von Pferden<br />
und von denen, die darauf sitzen,<br />
und Fleisch von allen,<br />
sowohl von Freien als Sklaven,<br />
sowohl von Kleinen als Großen!<br />
19:17 Kaì e~idon “ena ‘aggelon Hestẅta hen t¨^w Hjlí^w,<br />
kaì ‘ekraxen [hen] fwn¨∆ megál∆<br />
légwn päsin toïß hornéoiß toïß petoménoiß hen<br />
mesouran´jmati,<br />
Deüte<br />
sunácqjte ehiß tò deïpnon tò méga toü qeoü,<br />
19:18 “ina fágjte sárkaß basiléwn<br />
kaì sárkaß ciliárcwn<br />
kaì sárkaß hiscurẅn<br />
kaì sárkaß “ippwn<br />
kaì tẅn kaqjménwn heph ahutẅn<br />
kaì sárkaß pántwn<br />
heleuqérwn te kaì doúlwn<br />
kaì mikrẅn kaì megálwn.<br />
• Mit VV 17 wird die Beschreibung abgeschlossen und eine neue Perspektive<br />
eingenommen.<br />
• Der Engel steht auf bzw. vor der Sonne. Dass der Seher ihn trotzdem sehen kann,<br />
verdankt er seiner besonderen prophetischen Gabe. 251<br />
• Eine besondere Nähe besteht zu den Orakeln in Ez 38-39 gegen God und Magog:<br />
Ez 39,17 Du Menschenkind, so spricht Gott der HERR: Sage den Vögeln, allem was fliegt, und allen Tieren<br />
auf dem Felde: Sammelt euch und kommt herbei, findet euch zusammen von überall her zu meinem<br />
Schlachtopfer, das ich euch schlachte, einem grossen Schlachtopfer auf den Bergen Israels, und fresst<br />
Fleisch und sauft Blut! 18 Fleisch der Starken sollt ihr fressen, und Blut der Fürsten auf Erden sollt ihr<br />
saufen, der Widder und Lämmer, der Böcke und Stiere, all des Mastviehs aus Baschan.<br />
• Es handelt sich (schon im prophetischen Kontext) um eine makabre Parodie einer<br />
Einladung zu einem Festmahl unter den oberen Zehntausend; nur dass hier die<br />
Mächtigen nicht eingeladen werden, sondern auf dem Menüplan stehen 252 . Eingeladen<br />
sind die Aasvägel.<br />
248 Vgl. zu messianischen Deutungen dieser Text Aune III, 1069f.<br />
249 Es ist interessant, dass der Autor ganz unbekümmert die alttestamentliche Perspektive von Gottes<br />
Handeln gegen die Nationen übernimmt. Sieht er Christen und Christinnen nichtjüdischer Herkunft, die es ja in<br />
»seinen« Gemeinden in Kleinasien gegeben hat, nicht als »Heiden« an? Oder belässt er einfach das traditionelle<br />
Bildfeld unangetastet?<br />
250 Aune III, 1062 verweist auf einige Beispiele von Inschriften auf Hüften von Statuen.<br />
251 Vielleicht handelt es sich auch um den Engel, der für die Sonne »zuständig« ist.<br />
252 Eine ähnliche Liste der Machthaber begegnet in 6,15: » Und die Könige auf Erden und die Grossen und<br />
die Obersten und die Reichen und die Gewaltigen und alle Sklaven und alle Freien verbargen sich in den Klüften<br />
und Felsen der Berg…«<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
144 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Es handelt sich nicht um irgendein Festmahl, sondern um das »große Mahl Gottes«,<br />
einem beliebten Motiv der Apokalyptik 253 . Der Sieg einer Schlacht wird mit einem<br />
Festmahl begangen; in diesem Fall eines für die Vögel.<br />
19 Und ich sah das Tier und die Könige der Erde und<br />
ihre Heere versammelt,<br />
um mit dem, der auf dem Pferd saß,<br />
und mit seinem Heer Krieg zu führen.<br />
20 Und es wurde ergriffen das Tier<br />
und der falsche Prophet, der mit ihm war<br />
– der die Zeichen vor ihm tat,<br />
durch die er die verführte,<br />
die das Malzeichen des Tieres annahmen<br />
und sein Bild anbeteten –,<br />
lebendig wurden die zwei in den Feuersee geworfen,<br />
der mit Schwefel brennt.<br />
21 Und die übrigen wurden getötet mit dem Schwert,<br />
das aus dem Mund dessen hervorging,<br />
der auf dem Pferd saß;<br />
und alle Vögel wurden von ihrem Fleisch gesättigt.<br />
19:19 Kaì e~idon tò qjríon kaì toùß basileïß t¨jß<br />
g¨jß kaì tà strateúmata ahutẅn sunjgména<br />
poi¨jsai tòn pólemon metà toü kaqjménou hepì<br />
toü “ippou kaì metà toü strateúmatoß ahutoü.<br />
19:20 kaì hepiásqj tò qjríon<br />
kaì meth ahutoü Ho yeudoprof´jtjß<br />
Ho poi´jsaß tà sjmeïa henẃpion ahutoü,<br />
hen oîß heplánjsen<br />
toùß labóntaß tò cáragma toü qjríou<br />
kaì toùß proskunoüntaß t¨∆ ehikóni ahutoü≥<br />
zẅnteß hebl´jqjsan oHi dúo ehiß t`jn límnjn toü<br />
puròß t¨jß kaioménjß hen qeí^w.<br />
19:21 kaì oHi loipoì hapektánqjsan hen t¨∆ Hromfaíâ<br />
toü kaqjménou hepì toü “ippou t¨∆ hexelqoús∆ hek<br />
toü stómatoß ahutoü,<br />
kaì pánta tà ‘ornea hecortásqjsan hek tẅn<br />
sarkẅn ahutẅn.<br />
• Wieder schwenkt die »Kamera« des Sehers in eine andere Richtung: das Tier und sein<br />
Gefolge treten in Szene.<br />
• Die Versammlung der Feinde zur finalen Schlacht ist ein beliebtes apokalyptisches<br />
Motiv. 254<br />
• Was narrativ ein Höhepunkt sein sollte 255 , wird mehr oder weniger übergangen<br />
(ähnlich 17,14; 20,7-10): Lakonisch stellt der Erzähler fest, dass die beiden<br />
Hauptanführer (das Tier und sein Prophet aus 13,11-18) gefangen genommen werden<br />
(Passivform bezieht sich auf den himmlischen Reiter) und lebendig in einen feurigen<br />
See geworfen werden.<br />
• Der Feuersse begegnet ab jetzt mehrmals: 20,14f; 21,8. Es gibt zwar im AT die<br />
Vorstellung des unterirdischen Totenreiches Sheol, aber es handelt sich dabei nicht<br />
um einen feurigen Strafort. Auch die griechischen Vorstellungen vom Totenreich<br />
helfen hier nicht weiter (obwohl hier wohl ein See bzw. ein Fluss vorkommt 256 ). Ein<br />
Feuersee ist hingegen in ägytptischen Texten belegt. 257<br />
• Das Feuer ist hingegen traditionelle Bestrafungsform, gehörte doch Feuer zu den<br />
Attributen Gottes in seiner Rolle als strafender Richter (daher auch Feuer vom<br />
Himmel).<br />
• Wie ist dieses Motiv zu Johannes gelangt? Oder hat er einfach das »jüdische« Feuer in<br />
den »griechischen« See gebracht?<br />
• Die restlichen Armeen werden nicht in den Feuersee versenkt, sondern durch das<br />
Schwert-Wort des Reiters getötet.<br />
• Man könnte auf die Idee kommen, dieses Töten positiv symbolisch zu fassen: Wenn<br />
das Wort das Evangelium ist, dann werden alle Weiteren durch das Wort des<br />
253 Jes 25,6-8; 55,1-2; 65,13-14; äthHen 62,12-16; syrBar<strong>Apk</strong> 29,1-8; Mt 8,11; Lk 13,29; 14,15; 22,16.29f.<br />
Ausführlich dazu Peter Ben Smit, Food and Fellowship in Heaven: Studies in the Eschatological Meal and<br />
Scenes of Nutritional Abundance in the New Testament (WUNT 2:), Tübingen 2008.<br />
254 äthHen 56,5f; 90,13.19; 99,4; syrBar<strong>Apk</strong> 48,37; 70,7; 4Esra 13,33-38; Jub 23,23; OracSib 3,663-668;<br />
PsSal 2,1f; 17,22f; usw.<br />
255 Vgl. etwa die finale Schlacht in Herr der Ringe!<br />
256 Vgl. Pato, Phaedo 113D; Plutarch, De gen. Socr. 590D; s.a. der Acherusische See.<br />
257 Vgl. Art. Flammensee, in: Lexikon der Ägyptologie 2 (1977) 259f.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 145<br />
Evangelium »besiegt«; d.h. zum Glauben gewonnen. Das Problem daran ist, dass<br />
gleich anschliessen die Vögel ihre Leichname fressen...<br />
• 21b schliesst mit dem Hinweis auf das Festessen der Vögel, zu dem diese in V. 17<br />
eingeladen worden waren. Der Text impliziert einer der schlimmsten Entehrungen von<br />
Gefallenen: sie werden nicht bestattet.<br />
• Zur Rolle (bzw. Nicht-Rolle) der Glaubenden bei dieser Schlacht schreibt Aune III,<br />
1065:<br />
»The faithful play no role at all, in sharp contrast with some references to the final eschatological battle in<br />
Jewish apocalyptic literature.«<br />
2.11.2 Die Niederlage des Satans / Das Millennium (20,1-10)<br />
Lit. (zu Kap. 20): Aranda Pérez, Gonzalo. Los mil años en el libro de los Jubileos y Ap 20,1-12, Estudios<br />
bíblicos 57/1-4 (1999) 39-60. – Backus, I. Apocalypse 20,2-4 et le millenium protestant, Revue d'histoire<br />
et de philosophie religieuses 79/1 (1999) 101-117. – Bauer, T.J. Das tausendjährige Messiasreich der<br />
Johannesoffenbarung. Eine literarische Studie zu Offb 19,11-21,8 (BZNW 148), Berlin 2007. –<br />
Bietenhard, H. Das Tausendjährige Reich, Zürich 2 1955. – Bøe, S. Gog and Magog. Ezekiel 38-39 as<br />
pre-text for Revelation 19,17-21 and 20,7-10 (WUNT 2:135), Tübingen 2001. – Buitenwerf, R. The Gog<br />
and Magog tradition in Revelation 20:8, in: The Book of Ezekiel and its influence, ed. Henk Jan de<br />
Jonge. Aldershot [u.a.]: Ashgate, 2007, 165-181. – Fauvarque, B. La représentation du millenium dans<br />
quelques manuscrits médiévaux de l'Apocalypse, Mélanges de science religieuse 58/1 (2001) 5-21. –<br />
Giblin, C.H. The Millenium (Rev 20.4-6) as Heaven, NTS 45/4 (1999) 553-570. – Glasson, T.F. The<br />
Last Judgment in Rev. 20 and Related Writings, NTS 28 (1982) 528-539. – Gourgues, M. The<br />
Thousand-Year Reign (Rev 20:1-6): Terrestrial or Celestial? CBQ 47 (1985) 676-681. – Houtman, A. &<br />
Misset-van de Weg, M. The fate of the wicked: Second death in early Jewish and Christian texts, in:<br />
Empsychoi Logoi. Religious innovations in Antiquity (FS P.W. van der Horst), ed. A. Houtman et al.<br />
(AJEC 73), Leiden 2008, 405-424. – Kowalski, B. ›... sie werden Priester Gottes und des Messias sein;<br />
und sie werden König sein mit ihm tausend Jahre lang‹, (Offb 20,6). Martyrium und Auferstehung in der<br />
Offenbarung, SNTU-A 26 (2001) 139-163. – Lambrecht, J. Final judgments and ultimate blessings. The<br />
climactic visions of Revelation 20,11-21,8 (2000), in: Collected studies on Pauline literature and on the<br />
book of Revelation. Analecta Biblica 147. Rom: Biblical Institute Press, 2001, 395-417. – McKelvey, R.<br />
J. The millennium and the second coming, in: Studies in the book of Revelation, ed. Steve Moyise,<br />
Edinburgh 2001, 85-100. – Mealy, W.J. After the thousand years. Resurrection and judgment in<br />
Revelation 20 (JSNT.S 70), Sheffield 1992. – Miller, K.E. The nuptial eschatology of Revelation 19-22,<br />
CBQ 60/2 (1998) 301-318. – Rissi, M. Die Zukunft der Welt. Eine exegetische Studie über<br />
Johannesoffenbarung 19,11 bis 22,15. Basel 1966. – Rochais, G. Le règne des mille ans et la seconde<br />
mort: origines et sens. Ap 19,11-20,6, NRTh 1<strong>03</strong> (1981) 831-856. – Sanders, J.T. Whence the first<br />
millenium? The sources behind Revelation 20, NTS 50 (2004) 444-456. – Ulfgard, Håkan. Biblical and<br />
para-biblical origins of millennarianism, Religiologiques 20 (1999) 25-49.<br />
20,1 Und ich sah einen Engel aus dem Himmel<br />
herabkommen,<br />
der den Schlüssel des Abgrundes<br />
und eine große Kette in seiner Hand hatte.<br />
2 Und er griff den Drachen, die alte Schlange,<br />
die der Teufel und der Satan ist;<br />
und er band ihn tausend Jahre<br />
3 und warf ihn in den Abgrund<br />
und schloß zu<br />
und versiegelte über ihm,<br />
damit er nicht mehr die Nationen verführe,<br />
bis die tausend Jahre vollendet sind.<br />
Nach diesem muss er für kurze Zeit losgelassen<br />
werden.<br />
20:1 Kaì e~idon ‘aggelon katabaínonta hek toü<br />
ohuranoü,<br />
‘econta t`jn kleïn t¨jß habússou<br />
kaì “alusin megáljn hepì t`jn ceïra ahutoü.<br />
20:2 kaì hekrátjsen tòn drákonta, Ho ‘ofiß Ho<br />
harcaïoß, “oß hestin Diáboloß kaì Ho Satanäß,<br />
kaì ‘edjsen ahutòn cília ‘etj,<br />
20:3 kaì ‘ebalen ahutòn ehiß t`jn ‘abusson<br />
kaì ‘ekleisen<br />
kaì hesfrágisen hepánw ahutoü<br />
“ina m`j plan´js∆ ‘eti tà ‘eqnj<br />
‘acri telesq¨∆ tà cília ‘etj≥<br />
metà taüta deï luq¨jnai ahutòn mikròn crónon.<br />
• Die Bindung des Satans wurde bereits in 12,7-9 »erzählt«. Der Bezug zu diesem Text<br />
wird auch durch die Wiederholung der verschiedenen Namen für den Satan<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
146 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
12,7 Und es entbrannte ein Kampf im Himmel: Michael und seine Engel kämpften gegen den Drachen. Und<br />
der Drache kämpfte und seine Engel, 8 und sie siegten nicht, und ihre Stätte wurde nicht mehr gefunden im<br />
Himmel. 9 Und es wurde hinausgeworfen der grosse Drache, die alte Schlange, die da heisst: Teufel und<br />
Satan, der die ganze Welt verführt, und er wurde auf die Erde geworfen, und seine Engel wurden mit ihm<br />
dahin geworfen.<br />
• In 12,7-9 wird der Satan auf die Erde geworfen, jetzt wird er im Abgrund<br />
verschlossen.<br />
• Die Bindung des Gegners erscheint in manchen Kampf-Mythen. 258 Aus dem AT und<br />
der apokalyptischen Tradition sind hier folgende Texte interessant:<br />
Jes 24,21 Zu der Zeit wird der HERR das Heer der Höhe heimsuchen in der Höhe und die Könige der Erde<br />
auf der Erde, 22 dass sie gesammelt werden als Gefangene im Gefängnis und verschlossen werden im Kerker<br />
und nach langer Zeit heimgesucht werden. [Gefangennahme der Gegner, vage Haftdauer und Strafe<br />
danach] 259<br />
äthHen 10,4-6: »4 Und der Herr sprach weiter zu Rufael (= Rafael):<br />
›Binde den Azaz’el an Händen und Füssen und wirf ihn in die Finsternis,<br />
und reisse die Wüste auf, die in Duda’el ist, und wirf ihn hinein.<br />
5 Und lege auf ihn rauhe, spitze Steine und bedecke ihn mit Finsternis, und dort soll er für ewig hausen,<br />
und bedecke sein Angesicht, damit er das Licht nicht sehe.<br />
6 Und am grossen Tag des Gerichtes soll er in die Feuerglut gestossen werden.<br />
[Motive: Gott sendet Engel, er bindet den Satan = Azazel, er wird in Dunkelheit für immer gebunden, bis<br />
zum Endgericht, danach wird er ins Feuer geworfen]<br />
11 Und zu Michael sprach der Herr:<br />
›Geh, lass Semyaza und die anderen bei ihm, die sich mit Frauen verbunden haben, wissen,<br />
dass sie mit ihnen zugrunde gehen in alle ihrer Unreinheit.<br />
12 Und wenn sich alle ihre Söhne gegenseitig erschlagen,<br />
und wenn sie sehen die Vernichtung ihrer Geliebten,<br />
(so) binde sie für 70 Generationen unter die Hügel der Erde,<br />
bis zum Tage ihres Gerichtes und ihres Endes,<br />
bis das Gericht für alle Ewigkeit vollzogen wird.<br />
13 Und in jenen Tagen wird man sie wegführen in den Abgrund des Feuers<br />
und in die Qual und ins Gefängnis, und sie werden für ewig eingeschlossen sein.<br />
14 Und wenn jemand brennen und zugrunde gehen wird<br />
– er wird von nun an mit ihnen zusammen gebunden sein bis zum Ende aller Generationen.<br />
[Motive: Gott sendet Engel, er bindet den Satan = Semyaza und seine Engel, sie werden unter der Erde<br />
gefangen, für 70 Generationen, danach kommen sie am Gerichtstag ins Feuer]<br />
• Die Abfolge in äthHen 10,4-6.11-13 hat Ähnlichkeiten mit <strong>Apk</strong>Joh 20,1-3.7-10. 260<br />
• V. 1: Die Vision beginnt mit einem vom Himmel herabkommenden Engel (ähnlich in<br />
10,1; 18,1).<br />
• Der Engel ist eine Art »Kerkermeister«, ausgestattet mit Schlüssel und Ketten 261 . Dass<br />
Engel für die Unterwelt zuständig sind, ist auch in den sog. magischen Papyri<br />
belegt 262 .<br />
• Der Abgrund (griech. abyss) ist das Gefängnis der dämonischen Geister (9,2.11; vgl.<br />
Lk 8,31), aber auch der Herkunftsort des Tieres (11,7; 13,3.12.14.18; 17,8.11); nicht<br />
identisch mit Hades, dem Totenreich (1,18; 6,8; 20,13f).<br />
• V 2: Es gibt an dieser Stelle keinen Kampf, keine Widerwehr. Die verschiedenen<br />
Namen werden vielleicht deswegen genannt, weil dadurch der Satan gebunden wird.<br />
258 z.B. die Bindung der Titanen in Hesiod, Theog. 711-819.<br />
259 Mealy, Thousand Years, 99-101 versucht zu zeigen, dass der Autor an genau diese Stelle denkt.<br />
260 Aune III, 1078 vermutet daher den Gebrauch einer gemeinsamen Quelle.<br />
261 Apokalyptische Ketten begegnen in äthHen 54,3-5; syrBar<strong>Apk</strong> 56,13; OracSib 2,289; Judas 6; 2Petr 2,4.<br />
Der berühmteste »Angekettete« des griech. Mythos ist Prometheus (Homer, Od 11,293; Hesios, Theog. 522;<br />
Aeschylos, Prom. 52-56).<br />
262 Papyri Graecae Magicae (PGM), ed. K. Preisendanz: XIII.169f,481-483; XXXV.1; IV.3007f<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 147<br />
• Mit der Kette wird der Satan gebunden/gekettet/eingekerkert. Die Gefangennahme des<br />
Teufels ist ein häufig belegtes Motiv 263 , neu ist hier jedoch die Zahlenangabe 1000<br />
Jahre. Die Zahl 1000 spielt sonst in der Joh<strong>Apk</strong> keine Rolle 264 (s.u. zu 20,4).<br />
• Werfen, Abschließen und Versiegeln sind nach der Ergreifung und Festnahme weitere<br />
Schritte des Verfahrens 265 .<br />
• Das Ziel der Maßnahme besteht darin, den Satan davon abzuhalten, die Menschen in<br />
die Irre zu leiten. In 12,9 wurde die »alte Schlange« eingeführt als diejenige, die »die<br />
ganze Welt verführt«. Aber auch die Prophetin »Jezebel« verführt die Glaubenden<br />
durch ihre Falschlehre.<br />
• Theologisch interessant: Ähnlich wie im äthHen gelangt das Böse von außen an den<br />
Menschen. 266 Der Mensch wird verführt, in die Irre geleitet. Ist der Ursprung dieser<br />
Verführung erst einmal beseitigt, dann kann sich ein gutes Leben entwickeln. 267<br />
• Wieder werden 1000 Jahre betont. Danach wird er kurz wüten...<br />
4 Und ich sah Throne,<br />
und sie setzten sich darauf,<br />
und das Gericht wurde ihnen übergeben;<br />
und [ich sah] die Seelen derer,<br />
die um des Zeugnisses Jesu<br />
und um des Wortes Gottes willen enthauptet<br />
worden waren,<br />
und die, welche das Tier und sein Bild nicht<br />
angebetet<br />
und das Malzeichen nicht an ihre Stirn<br />
und an ihre Hand angenommen hatten,<br />
und sie wurden lebendig<br />
und herrschten mit dem Christus tausend Jahre.<br />
5 Die übrigen der Toten wurden nicht lebendig,<br />
bis die tausend Jahre vollendet waren.<br />
Dies ist die erste Auferstehung.<br />
20:4 Kaì e~idon qrónouß,<br />
kaì hekáqisan heph ahutoúß,<br />
kaì kríma hedóqj ahutoïß,<br />
kaì tàß yucàß<br />
tẅn pepelekisménwn<br />
dià t`jn marturían h Ijsoü kaì dià tòn<br />
lógon toü qeoü,<br />
kaì o“itineß ohu prosekúnjsan tò qjríon<br />
ohudè t`jn ehikóna ahutoü<br />
kaì ohuk ‘elabon tò cáragma hepì tò<br />
métwpon kaì hepì t`jn ceïra ahutẅn≥<br />
kaì ‘ezjsan<br />
kaì hebasíleusan metà toü Cristoü cília ‘etj.<br />
20:5 oHi loipoì tẅn nekrẅn ohuk ‘ezjsan<br />
‘acri telesq¨∆ tà cília ‘etj.<br />
a“utj Hj hanástasiß Hj prẃtj.<br />
• Die Verse 4-6 »unterbrechen« die Erzählung von der Festnahme und Freilassung des<br />
Satans. Sie berichten von einer Gerichtsszene, bei der vieles offen bleibt.<br />
• Der Ort des Geschehens bleibt in der Schwebe: Himmel oder Erde? Nach gängiger<br />
Auffassung findet das messianische Zwischenreich auf der Erde statt. Eine<br />
Lokalisierung im Himmel ist wohl deswegen unplausibel, weil der Satan in 12,7-9 von<br />
dort verbannt wurde.<br />
• Unklar bleibt die genaue Identität der Richtenden. Das Verb »sie setzten sich« (3.<br />
Pers. Aor. Pl.) hat kein Objekt – wahrscheinlich semitisierend, unpersönlich: »man<br />
setzte sich«. Dennoch bleibt die Frage: Wer setzt sich? Möglich wären die aus Kap 4-<br />
5 bekannten 24 Ältesten (dort auch auf Thronen: 4,4; 11,16). Allerdings gibt es eine<br />
frühchristliche Erwartung, dass die Glaubenden richten werden:<br />
263 Vgl. die Texte aus äthHen 10 (s.o.); ferner: äthHen 13,1; 14,5; 18,16; 21,3-6; Jub 5,6; 10,7-11; slavHen<br />
7,2; syrBar<strong>Apk</strong> 56,13; Judas 6: » Auch die Engel, die ihren himmlischen Rang nicht bewahrten, sondern ihre<br />
Behausung verliessen, hat er für das Gericht des grossen Tages festgehalten mit ewigen Banden in der Finsternis<br />
(ei˙ß kri÷sin mega¿lhß hJme÷raß desmoi√ß aÓiœdi÷oiß uJpo\ zo/fon teth/rhken).« Tobit 8,3: » Da nahm der Engel<br />
Rafael den bösen Geist gefangen und band ihn fest (kai« edhsen aujto\ oJ a‡ggeloß) in der Wüste von<br />
Oberägypten.«<br />
264 Der Hinweis auf 1000 Jahre in Ps 90,4 zitiert in 2Petr 3,8 trägt hier nichts bei.<br />
265 Vgl. Jub 10,1-14; 4Q511.<br />
266 S.a. 1QS 3,21.<br />
267 Anders z.B. Jak 1,14: »Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt<br />
und gelockt.« Auch Paulus betont die innere Macht der Sünde (Röm 7).<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
148 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Mt 19,28: Jesus aber sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet bei<br />
der Wiedergeburt, wenn der Menschensohn sitzen wird auf dem Thron seiner Herrlichkeit, auch sitzen auf<br />
zwölf Thronen und richten die zwölf Stämme Israels. 1Kor 6,2: Wisst ihr nicht, dass die Heiligen die Welt<br />
richten werden? Wenn nun die Welt von euch gerichtet werden soll, seid ihr dann nicht gut genug, geringe<br />
Sachen zu richten? (vgl. aus der jüdischen Tradition: 1QpHab 5,4; SapSal 3,8)<br />
• Es wird auch nicht gesagt, über wen sie richten. In der folgenden Gerichtsszene in<br />
20,11-15 richtet Gott alleine. Überhaupt beschreiben die Verse 4f kein Gericht, nur die<br />
Übergabe der richterlichen Autorität.<br />
• Da richten und herrschen zusammen gehören, erklärt 4b (»die Seelen derer…«) im<br />
Nachhinein, um wen es in V. 4 geht 268 : die Märtyrer, die sich dem Kaiserkult<br />
verweigert haben. 269 Sie werden von den Toten auferstehen, um mit Christus zu<br />
herrschen.<br />
• Hier erfüllt sich die Verheißung aus 3,21:<br />
Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe<br />
und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.<br />
• Weiterhin nimmt der Text (wieder) Bezug auf 6,9:<br />
Und als es das fünfte Siegel auftat, sah ich unten am Altar die Seelen derer, die umgebracht worden waren<br />
um des Wortes Gottes und um ihres Zeugnisses willen.<br />
• Mehr als die 1000 Jahre Inhaftierung des Satans hat das gleichzeitige 1000jährige<br />
Herrschen der Märtyrer eine bewegte Wirkungsgeschichte ausgelöst.<br />
In der angelsächsischen Welt wird das Millennium geradezu zur Demarkationslinie zwischen<br />
protestantischen Denominationen 270 : 1. Amillennialism (Augustinus, römisch-katholisch, reformiert,<br />
prespyterian): symbolische Deutung, bezogen auf die Zeit der Kirche. 2. Postmillennialism (teilweise<br />
Lutheraner): Die Herrschaft Christi setzt sich nach und nach in den Herzen der Menschen durch, 1000 Jahre<br />
müssen nicht wörtlich sein; danach (daher post) ereignet sich die Parusie Christi zum Gericht.<br />
3. Premillennialism (viele evangelikale Baptisten, Brüdergemeinden, sog. Dispensationalisten, usw.): Die<br />
Parusie Christi ereignet sich vor einem wörtlich verstandenen 1000jährigen Reich.<br />
Eine ähnliche Grenze verlief bereits in der Alten Kirche 271 : Manche Kirchenväter haben diese Stelle wörtlich<br />
gedeutet (Justin, Irenäus, Melito, Tertullian, Hippolytis, Methodius, höchstwahrscheinlich bereits Papias).<br />
Andere haben diese Vision geistlich gedeutet (Klemens Alexandrinus, Origenes). Den stärksten Einfluss<br />
hatte Augustinus mit seiner Deutung, dass es sich hier um die gegenwärtige Herrschaft Christi handle (De<br />
civ. 20,6-20). 272<br />
• V. 5: Der Seher betont, dass nicht alle auferweckt werden. Die Ungerechten werden<br />
erst in 20,12f zum Gericht erweckt.<br />
• Der Text sieht also nur die verstorbenen Märtyrer als Mitherrscher im Zwischenreich.<br />
Was geschieht mit den anderen Christen und Christinnen? Oder sind für den Autor<br />
Märtyrer (im Sinne von Kaiserkult-Verweigerer) identisch mit »Christen«?<br />
• Diese Auferstehung zur Herrschaft wird »erste Auferstehung« genannt (nur hier und<br />
in 6a). Die »zweite Auferstehung« müsste die in 20,12f geschilderte sein, obwohl das<br />
dort nicht erwähnt wird. Dafür ist antithetisch vom »zweiten Tod« die Rede (2,11;<br />
20,6.14; 21,8; ein »erster Tod« wird nicht erwähnt).<br />
268 Der Autor verkehrt häufig die Reihenfolge (hysteron-proteron-Schema): 3,3.17; 5,5; 6,4; 10,4.9; 20,4f;<br />
22,14.<br />
269 Zur rechtlichen Regelung von Enthauptung vgl. Aune III, 1086-1087. Wurde vielleicht Antipas (2,10)<br />
enthauptet?<br />
270 Vgl. etwa die Diskussion in. The Meaning of the Millennium. Four Views, ed. George Eldon Ladd /<br />
Robert G. Clouse (Leicester: InterVarsity Press, 1977).<br />
271 Vgl. Charles F. Hill, Regnum Caelorum. Patterns of Millennial Thought in Early Christianity, Grand<br />
Rapids: Eerdmans, 2001.<br />
272 Vgl. zu Augustins Deutung der Joh<strong>Apk</strong> G. Meier, Die Johannesoffenbarung und die Kirche (WUNT 25),<br />
Tübingen 1981, 129-171.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 149<br />
• Hier spiegelt sich eine Ambivalenz jüdischer Jenseitsvorstellungen: Wird es eine<br />
allgemeine Totenauferstehung geben oder eine zeitlich getrennte (Gerechte zuerst,<br />
dann Ungerechte)? 273<br />
6 Glückselig und heilig,<br />
wer teilhat an der ersten Auferstehung!<br />
Über diese hat der zweite Tod keine Macht,<br />
sondern sie werden Priester Gottes und des Christus<br />
sein<br />
und mit ihm herrschen tausend Jahre.<br />
20:6 makárioß kaì “agioß<br />
Ho ‘ecwn méroß hen t¨∆ hanastásei t¨∆ prẃt∆≥<br />
hepì toútwn Ho deúteroß qánatoß ohuk ‘ecei<br />
hexousían, hallh ‘esontai Hiereïß toü qeoü kaì toü<br />
Cristoü,<br />
kaì basileúsousin meth ahutoü [tà] cília ‘etj.<br />
• Die fünfte von sieben Seligpreisungen (1,3; 14,13; 16,15; 19,9; 22,7.14).<br />
• »2. Tod« erscheint nur in Joh<strong>Apk</strong> (2,11; 20,14; 21,8): Der zweite Tod ist der ewige<br />
Tod nach dem physischen Tod. 274<br />
• Das Motiv der 1000jährigen Mitherrschaft wird hier durch die Verheißung der<br />
Priesterschaft erweitert. Diese ist im Text bereits begegnet:<br />
1,6 und uns zu Königen und Priestern gemacht hat vor Gott, seinem Vater, ihm sei Ehre und Gewalt von<br />
Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. 5,10 und hast sie unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht, und sie<br />
werden herrschen auf Erden.<br />
AT-Einfluss: Ex 19,6 Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die<br />
Worte, die du den Israeliten sagen sollst. Jes 61,6 Ihr aber sollt Priester des HERRN heissen, und man wird<br />
euch Diener unsres Gottes nennen. Ihr werdet der Völker Güter essen und euch ihrer Herrlichkeit rühmen.<br />
• Die Priester-Verheißung hängt wohl mit der Position der Mäyterer im Tempelaltar<br />
zusammen (Kap. 6). Sie nehmen dort die Rolle des Blutopfers ein, werden aber in der<br />
Verheißung zu Priestern; damit auch zu jenen, die sich im Tempel Gottes (also im<br />
Himmel) aufhalten können.<br />
• Wie auch immer die 1000 Jahre zu verstehen sind, die primäre Kommunikationsintention<br />
scheint die zu sein, den Märtyrern eine besondere Belohnung in Aussicht zu<br />
stellen.<br />
7 Und wenn die tausend Jahre vollendet sind,<br />
wird der Satan aus seinem Gefängnis losgelassen<br />
werden<br />
8 und wird ausgehen, die Nationen zu verführen,<br />
die an den vier Ecken der Erde sind,<br />
den Gog und den Magog,<br />
um sie zum Krieg zu versammeln;<br />
deren Zahl ist wie der Sand des Meeres.<br />
9 Und sie zogen herauf auf die Breite der Erde<br />
und umzingelten das Heerlager der Heiligen<br />
und die geliebte Stadt;<br />
und Feuer kam aus dem Himmel herab<br />
und verschlang sie.<br />
20:7 Kaì “otan telesq¨∆ tà cília ‘etj,<br />
luq´jsetai Ho Satanäß hek t¨jß fulak¨jß ahutoü,<br />
20:8 kaì hexeleúsetai plan¨jsai tà ‘eqnj<br />
tà hen taïß téssarsin gwníaiß t¨jß g¨jß,<br />
tòn Gẁg kaì Magẃg,<br />
sunagageïn ahutoùß ehiß tòn pólemon,<br />
ŵn Ho hariqmòß ahutẅn Hwß Hj ‘ammoß t¨jß<br />
qalássjß.<br />
20:9 kaì hanébjsan hepì tò plátoß t¨jß g¨jß<br />
kaì hekúkleusan t`jn parembol`jn tẅn Hagíwn<br />
kaì t`jn pólin t`jn hjgapjménjn.<br />
kaì katébj pür hek toü ohuranoü<br />
kaì katéfagen ahutoúß≥<br />
• Die Freilassung des Satans steht am Ende der »Friedenszeit«.<br />
• Die Versammlung der Kriegsheere in V. 6 (mit dem Hinweis auf Gog & Magog aus<br />
Ez 38–39) scheint die Zerstörung der Feinde in 19,11-21 nicht mehr im Blick zu<br />
273 Allgemeine Totenauferstehung: Dan 12,2; Joh 5,29; Apg 24,15; 2Kor 5,10; syrBar<strong>Apk</strong> 50,2-4; 4Esra<br />
7,32; äthHen 51,1f; mAb 4,22). Auferstehung von Gerechten: 2Makk 7,9: »Mit seinem letzten Atemzug aber<br />
sprach er: ›Du Missetäter trennst uns zwar von diesem Augenblick an vom Leben, aber der König der Welt wird<br />
uns, die wir für seine Gesetze gestorben sind, auferstehen lassen zum ewigen Leben.‹« PsSal 3,12; Lk 14,14; Joh<br />
3,36; Röm 6,5; 8,11; 1Thess 4,16; Did 16,7.<br />
274 Reiches (aber nicht immer relevantes) religionsgeschichtliches in Aune III, 1091-1093.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
150 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
haben. Solche »Widersprüche« wurden gerne als Ergebnis ungeschickter Redaktion<br />
gedeutet. Es wäre aber auch denkbar (für mich sogar wahrscheinlicher), dass der<br />
Autor sich um zeitlich-narrative Konsistenz schlicht nicht gekümmert hat. Die Logik<br />
einer Vorher und Danach gilt in dieser Erzählung nicht!<br />
• »Gog und Magog« wurden sehr unterschiedlich als Eigennamen, Ortsnamen, Nationen<br />
oder einfach Sinnbild der feindlichen Nationen gedeutet. 275<br />
• Wie in 16,12-16 versammelt der Satan die Nationen zum Krieg. Die Feinde sind nicht<br />
zu zählen.<br />
• Sie gehen zu Jerusalem (die »geliebte Stadt«) hinauf und umzingeln das Kriegslager<br />
der Heiligen.<br />
• Es kommt nicht zur monumentalen Schlacht; das Ganze wird durch Himmelsfeuer<br />
beendet – in Anlehnung an Ez 39,6:<br />
Ez 39,6 Und ich will Feuer werfen auf Magog und auf die Bewohner der Inseln, die so sicher wohnen, und<br />
sie sollen erfahren, dass ich der HERR bin. [vgl. auch Sodom und Gomorrah]<br />
Zeph 3,8 Darum wartet auf mich, spricht der HERR, bis auf den Tag, an dem ich zum letzten Gericht<br />
auftrete; denn mein Beschluss ist es, die Völker zu versammeln und die Königreiche zusammenzubringen,<br />
um meinen Zorn über sie auszuschütten, ja, alle Glut meines Grimmes; denn alle Welt soll durch meines<br />
Eifers Feuer verzehrt werden. (vgl. Hiob 1,16; Lk 12,49)<br />
Das »Feuer vom Himmel« erinnert auch den prophetischen Kampf zwischen Elia und den Baalspriestern:<br />
2Kön 1,9 Und der König sandte zu Elia einen Hauptmann über fünfzig samt seinen fünfzig Mann. Und als<br />
der zu ihm hinaufkam, siehe, da sass er oben auf dem Berge. Er aber sprach zu ihm: Du Mann Gottes, der<br />
König sagt: Du sollst herabkommen! 10 Elia antwortete dem Hauptmann über fünfzig: Bin ich ein Mann<br />
Gottes, so falle Feuer vom Himmel und fresse dich und deine fünfzig Mann. Da fiel Feuer vom Himmel und<br />
frass ihn und seine fünfzig Mann. 11 Und der König sandte wiederum einen andern Hauptmann über fünfzig<br />
zu ihm samt seinen fünfzig Mann. Der kam zu ihm hinauf und sprach zu ihm: Du Mann Gottes, so spricht der<br />
König: Komm eilends herab! 12 Elia antwortete: Bin ich ein Mann Gottes, so falle Feuer vom Himmel und<br />
fresse dich und deine fünfzig Mann. Da fiel das Feuer Gottes vom Himmel und frass ihn und seine fünfzig<br />
Mann.<br />
10 Und der Teufel, der sie verführte,<br />
wurde in den Feuer- und Schwefelsee geworfen,<br />
wo sowohl das Tier als auch der falsche Prophet ist;<br />
und sie werden Tag und Nacht gepeinigt werden in alle<br />
Ewigkeit.<br />
20:10 kaì Ho diáboloß Ho planẅn ahutoùß<br />
hebl´jqj ehiß t`jn límnjn toü puròß kaì qeíou,<br />
“opou kaì tò qjríon kaì Ho yeudoprof´jtjß,<br />
kaì basanisq´jsontai Hjméraß kaì nuktòß ehiß<br />
toùß ahiẅnaß tẅn ahiẃnwn.<br />
• V. 10: Der Teufel landet nun im Feuersee, wo bereits das Tier und der falsche Prophet<br />
sind (19,20).<br />
• Die Bestrafung der Drei erfolgt in umgekehrter Reihenfolge ihres Auftretens.<br />
2.11.2.1 Exkurs: Das messianische Zwischenreich in der jüdischen Apokalyptik<br />
• Die Vision einer 1000jährigen Reiches knüpft am ehesten an die Vorstellung eines<br />
messianischen Zwischenreiches an.<br />
• Diese Vorstellung ist nicht sehr breit belegt, im Wesentlichen in drei Texten 276 :<br />
• äthHen (1. Henoch) 93+91 (Zehn-Wochen-Apokalypse; 2. Jh. v.Chr.):<br />
93,1 Und danach geschah es: Henoch berichtete aus den Büchern, 2 und Henoch sprach: „Über die Kinder<br />
der Gerechtigkeit und über die Auserwählten der Welt und über die Pflanze der Rechtschaffenheit - darüber<br />
will ich zu euch reden, und ich habe es euch, meine Kinder, wissen lassen; ich, Henoch, entsprechend dem,<br />
275 Texte in Aune III, 1094. Ausführlich dazu S. Bøe, Gog and Magog. Ezekiel 38-39 as pre-text for<br />
Revelation 19,17-21 and 20,7-10 (WUNT 2:135), Tübingen 2001.<br />
276 slavHen 32,2-33,1; Jub 1,27-29; 23,26-31 geben in diesem Zusammenhang nicht viel her.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 151<br />
was mir in der Vision des Himmels erschienen ist und (was) ich durch die Rede der heiligen Engel weiss und<br />
durch die Tafeln des Himmels erkannt habe.“<br />
3 Und also fing er an, aus den Büchern zu erzählen, und sprach: „Ich bin als der Siebente in der ersten Woche<br />
geboren, solange Recht und Gerechtigkeit noch andauerten. 4 Und nach mir, in der zweiten Woche, wird sich<br />
die grosse Bosheit erheben, und die Falschheit wächst empor, und in ihr wird das erste Ende sein, und in ihr<br />
wird ein Mann gerettet werden. Nachdem (sie) zu Ende ist, wird die Ungerechtigkeit wachsen, und er wird<br />
den Sündern eine Ordnung schaffen. 5 Und danach, in der dritten Woche, an ihrem Ende, wird ein Mann zur<br />
Pflanze des gerechten Gerichtes erwählt werden, und nach ihm wird die Pflanze der Gerechtigkeit für immer<br />
und ewig erscheinen. 6 Und danach, in der vierten Woche, an ihrem Ende, werden die Visionen der Heiligen<br />
und Gerechten gesehen werden, und ein Gesetz wird für alle Generationen und ein umfriedeter Raum wird<br />
für sie geschaffen werden. 7 Und danach, in der fünften Woche, an ihrem Ende, wird das Haus der<br />
Herrlichkeit und Herrschaft für die Ewigkeit gebaut werden. 8 Und danach, in der sechsten Woche, werden<br />
die, die in ihr leben werden, alle verblendet sein, und die Herzen aller werden die Weisheit vergessen; und in<br />
ihr wird ein Mann auffahren, und an ihrem Ende wird das Haus der Herrschaft mit Feuer verbrannt werden,<br />
und in ihr wird das ganze Geschlecht der auserwählten Wurzel zerstreut werden. 9 Und danach, in der<br />
siebenten Woche, wird sich ein abtrünniges Geschlecht erheben, und seine Taten (werden) zahlreich (sein),<br />
aber alle seine Taten (werden) Abfall (sein). 10 An ihrem Ende werden die erwählten Gerechten von der<br />
ewigen Pflanze der Gerechtigkeit erwählt werden, denen siebenfache Unterweisung über seine ganze<br />
Schöpfung zuteil werden soll.<br />
91,11 Und danach werden die Wurzeln der Ungerechtigkeit abgehauen werden, und die Sünder werden mit<br />
dem Schwert vernichtet werden; den Gottlosen (oder: Lästerern) werden sie an jedem Ort abgehauen, und<br />
die, die Ungerechtigkeit vorhaben und Lästerung begehen, werden mit dem Schwert vernichtet werden.<br />
12 Und danach wird eine andere (Woche) sein, die achte Woche, der der Gerechtigkeit, und ein Schwert wird<br />
ihr gegeben werden, damit ein gerechtes Gericht an denen vollzogen werde, die Unrecht verüben, und die<br />
Sünder werden in die Hände der Gerechten ausgeliefert werden. 13 Und an ihrem (der Woche) Ende werden<br />
sie wegen ihrer Gerechtigkeit Häuser erwerben, und ein Haus wird gebaut werden für den grossen König zur<br />
Herrlichkeit bis in Ewigkeit.<br />
14 Und danach, in der neunten Woche, wird das gerechte Gericht der ganzen Welt offenbart werden, und<br />
alle Werke der Gottlosen werden von der ganzen Erde verschwinden, und die Erde wird zur Vernichtung<br />
aufgeschrieben werden; und alle Menschen werden nach dem Weg der Rechtschaffenheit schauen.<br />
15 Und danach, in der zehnten Woche, im siebenten Teil, wird das ewige Gericht stattfinden, und es wird an<br />
den Wächtern des ewigen Himmels vollzogen, das grosse (Gericht), das mitten unter den Engeln ausbrechen<br />
wird. 16 Und der erste Himmel wird verschwinden und vergehen, und ein neuer Himmel wird erscheinen,<br />
und alle Kräfte der Himmel werden siebenfach leuchten in Ewigkeit.<br />
17 Und danach werden viele Wochen - ohne Zahl - in Ewigkeit sein, in Glück (oder: Güte) und in<br />
Gerechtigkeit, und die Sünde wird von da an nicht mehr erwähnt werden bis in Ewigkeit.<br />
• 4Esra (ca. 90 n.Chr.):<br />
7,26-30: 7,17 Ich antwortete und sagte: Herrscher, Herr, siehe in deinem Gesetz hast du bestimmt, dass die<br />
Gerechten dieses Erbe erhalten, die Gottlosen aber umkommen werden. 18 Die Gerechten können die Enge<br />
wohl ertragen, weil sie auf die Weite hoffen; die Gottlosen aber haben die Enge erduldet und die Weite doch<br />
nicht gesehen. 19 Er sagte zu mir: Du bist kein Richter über dem Herrn und nicht weiser als der Höchste. 20<br />
Mögen also eher viele der jetzt Lebenden zugrunde gehen, als dass das vorgelegte Gesetz Gottes verachtet<br />
werde. 21 Denn der Herr hat den Kommenden, als sie kamen, nachdrücklich geboten, was sie tun sollten, um<br />
das Leben zu haben, und was sie beachten sollten, um nicht bestraft zu werden. 22 Sie aber waren<br />
ungehorsam und widersetzten sich ihm. Sie machten sich nichtige Pläne 23 und nahmen sich sündhafte<br />
Machenschaften vor. Sie sagten darüber hinaus, dass der Höchste nicht existiere, und nahmen seine Wege<br />
nicht zur Kenntnis. 24 Sie verachteten sein Gesetz, leugneten seinen Bund, seinen Geboten glaubten sie<br />
nicht, und seine Werke taten sie nicht. 25 Deswegen, Esra, das Leere den Leeren und das Volle den<br />
Vollkommenen! 26 Denn siehe, es kommt die Zeit, wenn die Zeichen, die ich dir vorausgesagt habe,<br />
eintreffen. Dann wird die unsichtbare Stadt erscheinen und das jetzt verborgene Land sich zeigen. 27 Und<br />
jeder, der aus den vorher genannten Plagen gerettet wurde, wird meine Wunder schauen. 28 Denn mein Sohn,<br />
der Messias, wird sich mit denen offenbaren, die bei ihm sind, und wird die Übriggebliebenen glücklich<br />
machen, 400 Jahre lang. 29 Nach diesen Jahren wird mein Sohn, der Messias, sterben und alle, die<br />
Menschenodem haben. 30 Die Welt wird in das einstige Schweigen sieben Tage lang zurückkehren, wie es<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
152 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
im Uranfang war, so dass niemand übrigbleibt. 31 Nach sieben Tagen aber wird die Welt, die noch nicht<br />
wach ist, erweckt werden, und das Vergängliche wird sterben. 32 Die Erde gibt die heraus, die in ihr<br />
schlafen, der Staub die, die still in ihm ruhen, und die Kammern geben die Seelen heraus, die ihnen<br />
anvertraut sind. 33 Der Höchste offenbart sich auf dem Richterthron (dann kommt das Ende); das Erbarmen<br />
vergeht (die Barmherzigkeit entfernt sich), die Langmut verschwindet, 34 nur das Gericht bleibt. Die<br />
Wahrheit besteht, der Glaube erstarkt, 35 das Werk folgt nach, der Lohn zeigt sich, die gerechten Taten<br />
erwachen, die ungerechten schlafen nicht mehr. 36 Dann erscheint die Grube der Pein und gegenüber der Ort<br />
Ruhe. Der Ofen der Hölle zeigt sich und gegenüber das Paradies der Wonne. 37 Dann wird der Höchste zu<br />
den auferweckten Völkern sagen: Seht und erkennt den, den ihr geleugnet, dem ihr nicht gedient, dessen<br />
Gebot ihr verachtet habt. 38 Schaut nun hinüber und herüber: Hier Wonne und Ruhe, dort Feuer und Pein.<br />
Das wird er zu ihnen am Tag des Gerichts sagen. 39 Dieser Tag ist so beschaffen: Er hat nicht Sonne, nicht<br />
Mond, nicht Sterne; 40 nicht Wolke, nicht Donner, nicht Blitz; nicht Wind, nicht Wasser, nicht Luft; nicht<br />
Dunkel, nicht Abend, nicht Morgen; 41 nicht Sommer, nicht Frühling, nicht Hitze; nicht Winter, nicht Eis,<br />
nicht Kälte; nicht Hagel, nicht Regen, nicht Tau; 42 nicht Mittag, nicht Nacht, nicht Dämmerung; nicht<br />
Glanz, nicht Helligkeit, nicht Leuchten, sondern nur den Glanz der Herrlichkeit des Höchsten. Daran sollen<br />
alle erkennen, was bevorsteht. 43 Dieser Zeitraum dauert wohl eine Jahrwoche. 44 Das ist mein Gericht und<br />
seine Ordnung. Dir allein habe ich das gezeigt.<br />
12,31-34: Der Löwe aber, den du gesehen hast, wie er aus dem Wald mit Gebrüll auffuhr, zum Adler sprach<br />
und ihm seine ungerechten Taten vorhielt durch alle jene Worte, wie du gehört hast, 32 das ist der Gesalbte,<br />
den der Höchste bis zum Ende der Tage aufbewahrt, der aus dem Samen Davids hervorgehen und kommen<br />
wird. Er wird mit ihnen reden, sie schelten wegen ihrer Frevel, ihnen ihre ungerechten Taten vorhalten und<br />
ihre Übertretungen vor Augen führen. 33 Zunächst wird er sie lebendig vor das Gericht stellen. Und wenn er<br />
sie überführt hat, wird er sie vernichten. 34 Mein übriggebliebenes Volk aber, diejenigen, die in meinem<br />
Land gerettet wurden, wird er gnädig befreien. Er wird ihnen Freude bereiten, bis das Ende, der Tag des<br />
Gerichtes kommt, über den ich am Anfang mit dir gesprochen habe.<br />
• syrBar<strong>Apk</strong> (ca. 110 n.Chr.):<br />
29,3-30,1: 3 Und dann wird es geschehen: Wenn das vollendet ist, was kommen wird in diesen<br />
Zeitabschnitten, wird der Messias dann beginnen offenbar zu werden. 4 Und Behemot wird sich offenbaren<br />
aus seinem Ort, und Livjatan wird aus dem Meere kommen, zwei grosse Ungeheuer, die ich schuf am fünften<br />
Tag der Schöpfung, die ich geschaffen habe und bewahrt bis hin auf jene Zeit. Die werden Nahrung sein für<br />
alle dann, die übrig sind. 5 Auch wird die Erde ihre Früchte zehntausendfältig bringen. An einem Weinstock<br />
werden tausend Reben sein, und eine Rebe trägt dann tausend Trauben und eine Traube tausend Beeren, und<br />
eine Beere gibt ein Kor voll Wein. 6 Und die, die Hunger litten, sollen fröhlich sein und (sollen) weiter<br />
(dann) an jedem Tage neue Wunder sehen. 7 Denn Winde gehen aus von mir, um jeden Morgen den Geruch<br />
duftender Früchte herzutragen, am Ende des Tages aber Wolken, die heilungbringenden Tau<br />
herniederträufeln. 8 Es wird zu jener Zeit geschehen, dass aus der Höhe Mannaschätze wiederum<br />
herniederkommen; sie werden zehren dann davon in jenen Jahren, weil die es sind, die ans Ende der Zeit<br />
gekommen sind. 30,1 Und danach wird geschehen: Vollendet sich die Zeit der Erscheinung des Messias und<br />
kehrt er dann in die Herrlichkeit zurück, dann werden alle jene auferstehen, die in der Hoffnung auf ihn<br />
eingeschlafen sind.<br />
40,1-4: 1 Der letzte Herrscher [Anspielung auf römischen Kaiser], der alsdann lebendig übrig bleiben wird,<br />
wenn seine ganze Schar vernichtet ist, wird nun gebunden werden. Auf den Berg Zion wird man ihn<br />
wegführen, und mein Gesalbter wird ihn aller seiner Freveltaten zeihen. Er wird versammeln und ihm<br />
vorlegen alle Taten seiner Scharen. 2 Danach wird er ihn töten, den Rest meines Volkes indessen schützen,<br />
das sich an dem Ort befindet, den ich erwählt habe. 3 Ewig wird seine Herrschaft dauern, bis dass die Welt<br />
dieser Vergänglichkeit ein Ende finden wird und die vorhergesagten Zeiten sich vollenden. 4 Dies ist nun<br />
dein Gesicht, und dies ist seine Deutung.“<br />
72,2-74,3: 72,1 Höre nun auch von den hellen Wassern, die kommen sollen nach jenen schwarzen. Denn es<br />
bedeutet dies: 2 Nachdem die Wunderzeichen, von denen dir zuvor gesagt ist, gekommen sind, wenn die<br />
Nationen aufgewiegelt werden und wenn die Zeit meines Gesalbten naht, da wird er alle Völker rufen. Die<br />
einen lässt er leben, die andern aber wird er töten. 3 Und solche Dinge werden dann die Völker treffen, die<br />
noch durch ihn am Leben sind: 4 Ein jedes Volk, das Israel nicht kannte und das den Samen Jakobs nicht<br />
zertreten hat, wird leben. 5 Und zwar, weil sie aus allen Völkern sich deinem Volke unterwerfen. 6 Doch<br />
alle, die herrschten über euch und euch gekannt haben - alle diese sollen dann dem Schwert verfallen. 73,1<br />
Und einst wird es geschehen, wenn er alles erniedrigt hat, was in der Welt besteht, und sich gesetzt auf seiner<br />
Königsherrschaft Thron in ewigem Frieden, dass Freude dann geoffenbart und Ruhe erscheinen wird. 2<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 153<br />
Gesundheit wird im Tau herniedersteigen, die Krankheit wird verschwinden, und Angst und Trübsal und<br />
Wehklagen gehen vorüber an den Menschen, und Freude wird umhergehen auf der ganzen Erde. 3 Und<br />
niemand wird vorzeitig sterben, und nicht wird plötzlich mehr ein Missgeschick erscheinen. 4 Urteile und<br />
Verurteilung und Streitigkeit und Rachetaten und Blut und Gier und Neid und Hass und alles Ähnliche<br />
verfallen dann der Verdammung und werden ausgerottet sein. 5 Denn diese sind es, die die Welt erfüllt<br />
haben mit Bosheiten, um ihretwillen ist der Menschen Dasein noch in grössere Verwirrung gekommen. 6 Die<br />
wilden Tiere werden aus dem Walde kommen und den Menschen dienen, aus ihren Höhlen werden Ottern<br />
dann und Drachen kommen, um einem Kinde sich zu unterwerfen. 7 Die Weiber werden keine Schmerzen<br />
mehr leiden, wenn sie gebären, nicht werden Pein sie leiden, wenn sie zur Welt die Früchte ihres Schosses<br />
bringen. 74,1 Geschehen wird’s in jenen Tagen, dass nicht mehr abmühen sich die Schnitter, und die Bauern<br />
werden nicht mehr müde. Wenn sie in aller Ruhe daran arbeiten, wird die Ernte schnell von selbst<br />
aufschiessen. 2 Denn jene Zeit wird das Ende dessen sein, was vergänglich ist, und der Beginn von dem, was<br />
unvergänglich ist. 3 Darum wird das, was vorher gesagt ist, in dieser Zeit geschehen. Deswegen ist sie ferne<br />
von den Bösen und nahe denen, die nicht sterben. 4 Das sind die letzten hellen Wasser, die gekommen nach<br />
den letzten dunklen Wassern.<br />
2.11.3 Das Gericht über die Toten (20,11-15)<br />
11 Und ich sah einen großen weißen Thron<br />
und den, der darauf saß,<br />
vor dessen Angesicht floh die Erde und der<br />
Himmel,<br />
und keine Stätte wurde für sie gefunden.<br />
12 Und ich sah die Toten,<br />
die Großen und die Kleinen,<br />
vor dem Thron stehen,<br />
und Bücher wurden aufgeschlagen;<br />
und ein anderes Buch wurde aufgeschlagen,<br />
welches das des Lebens ist.<br />
Und die Toten wurden gerichtet nach dem,<br />
was in den Büchern geschrieben war,<br />
nach ihren Werken.<br />
13 Und das Meer gab die Toten,<br />
die in ihm waren,<br />
und der Tod und der Hades gaben die Toten,<br />
die in ihnen waren,<br />
und sie wurden gerichtet,<br />
ein jeder nach seinen Werken.<br />
14 Und der Tod und der Hades wurden in den Feuersee<br />
geworfen.<br />
Dies ist der zweite Tod, der Feuersee.<br />
15 Und wenn jemand nicht geschrieben gefunden<br />
wurde in dem Buch des Lebens,<br />
so wurde er in den Feuersee geworfen.<br />
20:11 Kaì e~idon qrónon mégan leukòn<br />
kaì tòn kaq´jmenon heph ahutón,<br />
oû hapò toü prosẃpou ‘efugen Hj g¨j kaì Ho<br />
ohuranóß,<br />
kaì tópoß ohuc eHuréqj ahutoïß.<br />
20:12 kaì e~idon toùß nekroúß,<br />
toùß megálouß kaì toùß mikroúß,<br />
Hestẅtaß henẃpion toü qrónou,<br />
kaì biblía hjnoícqjsan≥<br />
kaì ‘allo biblíon hjnoícqj,<br />
“o hestin t¨jß zw¨jß≥<br />
kaì hekríqjsan oHi nekroì<br />
hek tẅn gegramménwn hen toïß biblíoiß<br />
katà tà ‘erga ahutẅn.<br />
20:13 kaì ‘edwken Hj qálassa toùß nekroùß<br />
toùß hen ahut¨∆,<br />
kaì Ho qánatoß kaì Ho “âdjß ‘edwkan toùß nekroùß<br />
toùß hen ahutoïß,<br />
kaì hekríqjsan<br />
“ekastoß katà tà ‘erga ahutẅn.<br />
20:14 kaì Ho qánatoß kaì Ho “âdjß hebl´jqjsan ehiß<br />
t`jn límnjn toü puróß.<br />
oûtoß Ho qánatoß Ho deúteróß hestin, Hj límnj toü<br />
puróß.<br />
20:15 kaì e‘i tiß ohuc eHuréqj hen t¨∆ bíbl^w t¨jß<br />
zw¨jß gegramménoß<br />
hebl´jqj ehiß t`jn límnjn toü puróß.<br />
• 11: Das Endgericht wird mit einem besonderen Thron eröfffnet: groß und weiß; d.h.<br />
mächtig und rein.<br />
• Wo dieser Thron steht, wird zwar nicht gesagt, aber seit Kap. 4 ist der Himmel der<br />
Ort, an dem Gott thront.<br />
• Das Motivflucht hebt die umfassende Bedeutung des Gerichts hervor: Alles (Erde und<br />
Himmel) möchte davor fliehen, findet aber keinen Zufluchtsort (vgl. 12,8).<br />
• 12: Als nächstes sieht Johannes die Toten aller sozialen Schickten (»Große und<br />
Kleine«: 11,18; 13,16; 19,5.18).<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
154 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Bücher gehören seit Dan 7,10b zum Inventar des Gerichts: »Das Gericht wurde<br />
gehalten, und die Bücher wurden aufgetan.« 277 Es sind Bücher (im Plural) wohl weil<br />
getrennte Buchführung für gute und schlechte Taten...<br />
äthHen 47,3: 1 Und in jenen Tagen wird das Gebet der Gerechten und das Blut der Gerechten von der Erde<br />
aufsteigen vor den Herrn der Geister. 2 In diesen Tagen werden die Heiligen, die oben in den Himmeln<br />
wohnen, gemeinsam mit einer Stimme Fürbitte halten, beten, preisen, danken und rühmen den Namen des<br />
Herrn der Geister wegen des Blutes der Gerechten, das vergossen worden ist und (wegen) des Gebetes der<br />
Gerechten - dass es nicht vergeblich sein möge - vor dem Herrn der Geister, dass für sie Gericht gehalten<br />
werde und ihre Geduld nicht ewig währen muss. 3 In jenen Tagen sah ich das Haupt der Tage, wie es sich<br />
auf den Thron seiner Herrlichkeit setzte und die Bücher der Lebenden vor ihm geöffnet wurden, und sein<br />
ganzes Heer, das oben in den Himmeln und rings um ihn ist (oder: und seine Ratsversammlung), vor ihm<br />
stand. 4 Die Herzen der Heiligen wurden voll von Freude, weil die Zahl der Gerechtigkeit erreicht und das<br />
Gebet der Gerechten erhört und das Blut der Gerechten vor dem Herrn der Geister zurückgefordert (=<br />
gesühnt) ist.<br />
• Zum »Buch des Lebens«: 3,5; 13,8; 17,8; 20,12.15; 21,17.<br />
• Das Gericht nach Werken (2,23; 18,6; 20,12f) begegnet auch bei Paulus: Röm 2,6;<br />
2Kor 11,5.<br />
• 13: Der Seher führt noch aus, woher all die Totn kamen: aus dem Meer und aus dem<br />
Totenreich (getrennt!).<br />
• Das individuelle Gericht nach Werken wird wieder betont.<br />
• 14f: Der Tod wird als letzter Feind vernichtet (1Kor 15,26); mit ihm ziehen allerdings<br />
alle, die nicht im Buch des Lebens stehen.<br />
• Der zweite Tod (nach dem physischen)<br />
277 Vgl. 4Esra 6,20; äthHen 47,3; 81,4; 89,61-77; 90,17.20; 98,7f; 104,7; syrBar<strong>Apk</strong> 24,1.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 155<br />
2.12 Die neue Welt (21,1-22,9)<br />
Lit. (auch zu Kap 21-22): Bachmann, M. Ausmessung von Tempel und Stadt. <strong>Apk</strong> 11,1f und 21,15ff auf dem<br />
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Tübingen 2000. – Böcher, O. Bürger der Gottesstadt. Kirche in Zeit und Endzeit nach <strong>Apk</strong> 21f, in:<br />
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Böcher, O. Zur Bedeutung der Edelsteine in Offb 21, ebda., 144-156. – Böcher, O. Das himmlische<br />
Jerusalem, in: Edelsteine in der Bibel, ed. W. Zwickel, Mainz 2002, 70-89. – Contreras Molina, F.<br />
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Neot. 22 (1988) 41-63. – Dulk, M. den. The promises to the conquerors in the book of Revelation, Bib.<br />
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christliche Geschichtsdeutung anhand von Offb 21-22 in der Patristik, Protokolle zur Bibel 8 (1999) 1<strong>03</strong>-<br />
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Atlanta: Society of Biblical Literature, 2005, 161-186. – Giesen, H. Lasterkataloge und Kaiserkult in der<br />
Offenbarung des Johannes, in: Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung (FS O. Böcher), ed.<br />
F.W. Horn u.a. Neukirchen-Vluyn 2005, 210-231. – Glasson, T.F. The order of jewels in Revelation<br />
XXI.19-20: A theory eliminated, JThS 26 (1975) 95-100. – Grimm, M.A. Lebensraum in Gottes Stadt.<br />
Jerusalem als Symbolsystem der Eschatologie. Jerusalemer Theologisches Forum 11. Münster:<br />
Aschendorff, 2007. – Gundry, R.H. The New Jerusalem: People as place, not place for people, NT 29<br />
(1987) 254-264 = The old is better. New Testament essays in support of traditional interpretation (WUNT<br />
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<strong>Apk</strong> 21,1-4, in: Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung (FS O. Böcher), ed. F.W. Horn et<br />
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Tübingen 2006, 613-623. – Hasitschka, M. Vision vom kommenden Jerusalem (Offb 21,1-22,5). Die<br />
Offenbarung des Johannes als Beispiel für literarische Rezeption innerhalb der Bibel, in: Religion –<br />
Literatur – Künste II. Ein Dialog, ed. Peter Tschuggnall. Im Kontext 14. Anif/Salzburg: Verlag Mueller-<br />
Speiser, 2002, 547-555. – Hieke, Th. ›Er verschlingt den Tod für immer‹ (Jes 25,8a). Eine unerfüllte<br />
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Kitzberger, I.R. ›Wasser und Bäume des Lebens‹ – eine feministisch-intertextuelle Interpretation von<br />
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Studien (FS G. Heinrici) (Untersuchungen zum Neuen Testament 6), Leipzig 1914, 213-219. – Labahn,<br />
M. Ausharren im Leben, um vom Baum des Lebens zu essen und ewig zu leben. Zur Textform und<br />
Auslegung der Paradiesgeschichte der Genesis in der Apokalypse des Johannes und deren<br />
Textgeschichte, in: Florilegium Lovaniense. Studies in Septuagint and textual criticism (FS F.G..<br />
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[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
156 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
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Hoffnungsvision ›für alle Herzen und alle Zeiten‹? Die Rezeption von Offb 21,1-22,5 in der modernen<br />
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21,1-22,5 im Kontext von alttestamentlich-frühjüdischer Tradition und literarischer Rezeption (BBB<br />
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himmlische Jerusalem in <strong>Apk</strong> 21,1-22,5 im Kontext biblisch-jüdischer Tradition und antiken Städtebaus<br />
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Jerusalem auf dem Hintergrund der antiken Architektur- und Verfassungstheorie, Protokolle zur Bibel 8<br />
(1999) 85-102. – Wojciechowski, M.. Apocalypse 21.19-20: Des titres christologiques caches dans la<br />
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Hohepriesters und beim himmlischen Jerusalem, in: Edelsteine in der Bibel, ed. W. Zwickel. Mainz 2002,<br />
50-70.<br />
2.12.1 Der Übergang zur neuen Ordnung: Neuer Himmel und neue Erde<br />
(21,1-8)<br />
• Der Abschnitt gliedert sich in zwei Teilen, die miteinander überlappen: 1-5a / 5-8.<br />
• 1-5a ist deutlich konzentrisch (bzw. chiastisch) aufgebaut (Aune, WBC, III, 1114):<br />
A Neuer Himmel / neue Erde (1a)<br />
B Erster Himmel, Erde sind vergangen (1b)<br />
C Das Meer ist nicht mehr (1c)<br />
D Die Heilige Stadt kommt herab (3)<br />
A´ Alle neu (5a)<br />
B´ das Erste war vergangen (4c)<br />
C´ Der Tod wird nicht mehr sein (4b)<br />
D´ Gott wohnt bei den Seinen (3-4a)<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 157<br />
• In den Versen 5-8 folgen in sehr auffälliger Weise knapp hintereinander sieben (nicht zufällig!) Sprüche<br />
Gottes von seinem Thron aus (5a.5b.6a.6b.6c.7.8)<br />
21,1 Und ich sah einen neuen Himmel<br />
und eine neue Erde;<br />
denn der erste Himmel<br />
und die erste Erde waren vergangen,<br />
und das Meer ist nicht mehr.<br />
21:1 Kaì e~idon ohuranòn kainòn<br />
kaì g¨jn kain´jn≥<br />
Ho gàr prẅtoß ohuranòß<br />
kaì Hj prẃtj g¨j hap¨jlqan,<br />
kaì Hj qálassa ohuk ‘estin ‘eti.<br />
• Neue Vision, neues Thema<br />
• Anspielung an Jes 65,17 (Der Seher ändert damit ein Orakel Jahwes in einen<br />
Visionsbericht):<br />
Jes 65,17 Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht<br />
mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. (LXX: estai ga»r oJ oujrano\ß kaino\ß kai« hJ<br />
ghv kainh/ kai« ouj mh\ mnhsqw◊sin tw◊n prote÷rwn oujdΔ∆ ouj mh\ eṗe÷lqhØ aujtw◊n eṗi« th\n kardi÷an) 278 18<br />
Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne<br />
machen und sein Volk zur Freude, 19 und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein<br />
Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.<br />
66,2 Denn wie der neue Himmel und die neue Erde, die ich mache, vor mir Bestand haben, spricht der<br />
HERR, so soll auch euer Geschlecht und Name Bestand haben.<br />
Das Motiv wird an vielen Stellen weiter verarbeitet:<br />
a) Typ A: Erschaffung einer neuen Welt,<br />
b) Typ B: Veränderung in eine neue Welt<br />
Typ A:<br />
äthHen 91,16 (Ende der Zehnwochen-Apokalypse; ca. 170 v.Chr.): »15 Und danach, in der zehnten Woche,<br />
im siebenten Teil, wird das ewige Gericht stattfinden, und es wird an den Wächtern des ewigen Himmels<br />
vollzogen, das grosse (Gericht), das mitten unter den Engeln ausbrechen wird. 16 Und der erste Himmel wird<br />
verschwinden und vergehen, und ein neuer Himmel wird erscheinen, und alle Kräfte der Himmel werden<br />
siebenfach leuchten in Ewigkeit.« (vgl. 72,1; OracSib 5,212)<br />
Jubiläen 1,29: »Und es nahm der Engel des Angesichtes, der einherzog vor den Herren Israels, die Tafeln<br />
der Einteilung der Jahre von der Schöpfung des Gesetzes an und des Zeugnisses seiner Wochen der Jubiläen<br />
je nach den einzelnen Jahren in allen ihren Zahlen und Jubiläen und vom Tag der neuen Schöpfung an, wann<br />
erneuert werden der Himmel und die Erde und alle ihre Schöpfung wie die Mächte des Himmels und wie alle<br />
Schöpfung der Erde, bis zu dem Tag, an dem geschaffen werden wird das Heiligtum des Herrn in Jerusalem<br />
auf dem Berge Sion. Und alle Lichter werden erneuert werden zur Heilung und zum Frieden und zum Segen<br />
und für alle Auserwählten Israels. Und so soll es sein von diesem Tag an und bis zu allen Tagen der Erde.«<br />
(vgl. Jub 4,26: »der Berg Sion wird geheiligt werden in der neuen Schöpfung zur Heiligung der Erde«)<br />
Pseudo-Philo, Liber Antiquitarum 3,10 (Palästina, 1. Jh. v.Chr.): »Wenn aber die Jahre der Welt erfüllt<br />
sein werden, dann wird das Licht aufhören und die Finsternis vertilgt werden, und ich werde die Toten<br />
lebendig machen und die Schlafenden aus der Erde aufrichten. Und die Unterwelt wird das, was sie schuldet,<br />
zurückgeben, und das Verderben wird seinen Teil zurückerstatten, damit ich vergelte einem jeden nach<br />
seinen Werken und nach den Früchten seiner Einfälle, bis ich richte zwischen Seele und Fleisch. Und die<br />
Welt wird aufhören und der Tod vertilgt werden und die Unterwelt wird ihren Rachen schliessen. Dann wird<br />
die Erde nicht ohne Frucht sein noch unfruchtbar für die, die auf ihr wohnen; und keiner wird sich beflecken,<br />
der durch mich gerechtfertigt worden ist. Und es wird eine andere Erde sein und ein anderer Himmel, eine<br />
ewige Wohnung.«<br />
2Petr 3,13 10 Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden die Himmel zergehen mit<br />
grossem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf<br />
sind, werden ihr Urteil finden. 11 Wenn nun das alles so zergehen wird, wie müsst ihr dann dastehen in<br />
heiligem Wandel und frommem Wesen, 12 die ihr das Kommen des Tages Gottes erwartet und erstrebt, an<br />
278 An dieser Stelle in der Text näher an LXX als an MT: das hebräische Verb für »schaffen« fehlt, Himmel<br />
im Sg., tôn proterôn wird in <strong>Apk</strong> 21,1 aufgenommen.s<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
158 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
dem die Himmel vom Feuer zergehen und die Elemente vor Hitze zerschmelzen werden. 13 Wir warten aber<br />
auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheissung, in denen Gerechtigkeit wohnt. (vgl. im<br />
NT weiterhin: 2Kor 5,17; Gal 6,15; ApokElia 5,39 ist von <strong>Apk</strong> 21,1 abhängig)<br />
Typ B:<br />
äthHen 45,4f: »4 An jenem Tage werde ich meinen Erwählten unter ihnen wohnen lassen, und ich will den<br />
Himmel verwandeln und ihn zum Segen und Licht für ewig machen. 5 Und ich werde das Festland<br />
umwandeln und es zum Segen machen und werde meine Auserwählten auf ihm wohnen lassen; aber die, die<br />
Sünde und Unrecht tun, werden es nicht betreten. 6 Denn ich habe meine Gerechten gesehen und sie mit Heil<br />
gesättigt und sie vor mir wohnen lassen; aber für die Sünder steht bei mir das Gericht bevor, dass ich sie<br />
vertilge von der Oberfläche der Erde.«<br />
syr<strong>Apk</strong>Bar 44,12: 8 Denn das, was jetzt geschieht, ist nichts. Was aber in Zukunft sein wird, ist sehr<br />
gewaltig.9 Denn alles wird vorbeigehen, was vergänglich ist, und alles Sterbliche wird dahingehen. Alle<br />
Jetztzeit wird vergessen werden, und nicht wird man sich mehr erinnern an die Gegenwart, die mit Bosheiten<br />
besudelt ist. 10 Wer jetzt schon läuft, der läuft umsonst, und wer glücklich ist, der wird schnell fallen und<br />
erniedrigt werden. 11 Was künftig sein wird, ist das, was man wünscht, und das, was später kommt, ist das,<br />
worauf wir hoffen. 12 Es gibt ja eine Zeit, die nicht vergeht, und jene Periode kommt, die bleiben wird in<br />
Ewigkeit, und die neue Welt, die nicht aufs neue dem Verderben die überlasst, die gleich zu Anfang die<br />
Verbindung zu ihr suchten. Hat sie doch kein Erbarmen mit denen, die in die Pein kommen. Die aber in ihr<br />
leben, führt sie nicht zum Untergang. (s.a. 32,6; 49,3; 57,2)<br />
Weiterhin: Ps.-Philo, Lib. Ant. 32,17; Jub 1,29; 4Esr 7,30f.75; Tg. Jer 23,23; NT: Mt 19,28; Röm 8,21<br />
• Die Unterscheidung zwischen beiden Modellen ist nicht immer einleuchtend, so dass<br />
auch im Falle von <strong>Apk</strong> 21f darüber gestritten (oder spekuliert?) werden kann, ob es<br />
um eine Transformation oder um eine völlige Neuschaffung geht.<br />
• Von einer Vernichtung der alten Erde und des alten Himmels (z.B. durch Feuer wie in<br />
2Petr 3!) ist nicht ausdrücklich die Rede 279 . 1b spricht lediglich davon, dass das Alte<br />
vergangen (griech. aperchomai) ist 280 . Der Autor hat hier weniger Interesse am<br />
kosmischen Untergang...<br />
• Die Nicht-Existenz des Meeres in 1c ist auffallend und ist wahrscheinlich auf die<br />
traditionell negative Verbindung des Meeres als gottfeindliche Chaosmacht, aus<br />
welcher auch das Tier in 13,1 entsteigt. 281<br />
279 Vgl. weiterhin Zeph 1,18-22; 3,8; 1QH 11,32f; 14,18; OracSib 2,196-213; 3,8-92; 4,171-192; 5,155-161;<br />
Vitae Adam et Evae 49,3; Josephus, Ant. 1,70; Philo, Abr.1,1; grAPkEsra 3,38.<br />
Interessant ist auch das Fragment von Pseudo-Sophokles (2. Jh. v.Chr. belegt in Clemens Alex., Strom.<br />
5,14,121f): »1 Ja es wird kommen, wird kommen jene Weltenzeit, 2 zu der (seinen) vollen Vorrat an Feuer<br />
freigibt 3 der goldstrahlende Äther. Da wird die verzehrende Flamme 4 alles auf Erden und in der (Himmels-<br />
)Höhe 5 (wie) rasend verbrennen. Wenn das All aufhört (zu sein), 6 wird der Abgrund der Meereswogen<br />
verschwunden sein, 7 die Erde wird (den Lebewesen) keine mehr bieten, und , 8<br />
voller Gluthauch, wird die gefiederten Scharen nicht mehr beherbergen. 9 [Dann - so glauben wir - (wandern)<br />
zwei Stämme zum Hades, 10 ein (Stamm) der Gerechten, der andere der Ungerechten.] 11 Und dann wird (Gott)<br />
alles neuerschaffen, was er zuvor vernichtet hat.« (übers. N. Walter, JSHRZ 4-3,2, Fragmente Epiker, 1983).<br />
Die Vorstellung findet sich auch in griechischen Kosmosspekulationen (Plato, Timaeus 22c-d; Seneca,<br />
Quaest. nat. 3,29,1) und v.a. in der stoischen Lehre der hekpúrwsiß (SVF 1,98; Pohlenz, Stoa II, 44-47). Vgl.<br />
zum Themenkomplex R. Mayer, Die biblische Vorstellung vom Weltenbrand. Eine Untersuchung über die<br />
Beziehungen zwischen Parsismus und Judentum (Bonner orientalistische Studien. Neue Serie 4), Bonn 1956.<br />
280 Vielleicht in Anlehnung an Lk 16,17/Mt 5,18 (Q-Tradition): »Es ist aber leichter, dass Himmel und Erde<br />
vergehen, als dass ein Tüpfelchen vom Gesetz fällt.« Mk 13,31: »Himmel und Erde werden vergehen; meine<br />
Worte aber werden nicht vergehen.« (par. Mt 24,35); vgl. EvThom 11a.<br />
281 Zur AT-Tradition vgl. Carola Kloos, Yhwh’s Combat with the Sea. A Canaanite Tradition in the Religion<br />
of Ancient Israel, Amsterdam: G.A. van Oorschot / Leiden: E.J. Brill, 1986.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 159<br />
2 Und ich sah die heilige Stadt,<br />
das neue Jerusalem,<br />
aus dem Himmel von Gott herabkommen,<br />
bereitet wie eine für ihren Mann geschmückte<br />
Braut.<br />
3 Und ich hörte eine laute Stimme vom Thron her<br />
sagen:<br />
Siehe, das Zelt Gottes bei den Menschen!<br />
Und er wird bei ihnen wohnen,<br />
und sie werden sein Volk sein,<br />
und Gott selbst wird bei ihnen sein.<br />
4 Und er wird jede Träne von ihren Augen abwischen,<br />
und der Tod wird nicht mehr sein,<br />
noch Trauer, noch Geschrei,<br />
noch Schmerz wird mehr sein:<br />
denn das Erste ist vergangen.<br />
21:2 kaì t`jn pólin t`jn Hagían<br />
h Ierousal`jm kain`jn e~idon<br />
katabaínousan hek toü ohuranoü hapò toü<br />
qeoü,<br />
Hjtoimasménjn Hwß númfjn kekosmjménjn t¨^w<br />
handrì ahut¨jß.<br />
21:3 kaì ‘jkousa fwn¨jß megáljß hek toü qrónou<br />
legoúsjß,<br />
h Idoù Hj skjn`j toü qeoü metà tẅn hanqrẃpwn,<br />
kaì skjnẃsei meth ahutẅn,<br />
kaì ahutoì laoì ahutoü ‘esontai,<br />
kaì ahutòß Ho qeòß meth ahutẅn ‘estai, [ahutẅn qeóß,]<br />
21:4 kaì hexaleíyei pän dákruon hek tẅn<br />
hofqalmẅn ahutẅn,<br />
kaì Ho qánatoß ohuk ‘estai ‘eti,<br />
o‘ute pénqoß o‘ute kraug`j<br />
o‘ute pónoß ohuk ‘estai ‘eti≥<br />
[“oti] tà prẅta hap¨jlqan.<br />
• V. 2 erscheint wieder in V. 10 und ist hier eine bewusste Vorwegnahme. Der Autor gibt<br />
einen Vorblick und schaltet dann aber wieder zurück zum Neuen Himmel und der<br />
Neuen Erde.<br />
• Jerusalem erscheint auch im Textumfeld von Jes 65,17-20 (s.o.). Jerusalem als »heilige<br />
Stadt« in Jes 48,2; 52,1; LXX Jes 66,20; usw.)<br />
• Das Neue Jerusalem ist bereits im Überwinderspruch 3,12 christliches Hoffnungsgut:<br />
Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr<br />
hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem,<br />
der Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den<br />
neuen.<br />
• Die Vorstellung, dass die Stadt »herabkommt« vom Himmel, ist nirgends sonst belegt.<br />
Vgl. aber zum Motiv eines himmlischen Jerusalem: 4Esra 7,26: »Denn siehe, es kommt die Zeit, wenn die<br />
Zeichen, die ich dir vorausgesagt habe, eintreffen. Dann wird die unsichtbare Stadt erscheinen und das jetzt<br />
verborgene Land sich zeigen.« 13,36: »Zion wird kommen und sich allen zeigen, hergerichtet und aufgebaut,<br />
wie du gesehen hast, dass ein Berg ohne Menschenhände losgehauen wurde.« 10,54: »Denn es kann kein<br />
menschliches Bauwerk an dem Ort bestehen, wo die Stadt des Höchsten sich zeigen soll.«<br />
Weiterhin: syr<strong>Apk</strong>Bar 4,2-7; NT: Gal 4,26 (»das jetzige Jerusalem«/»das Jerusalem von oben«); Heb<br />
11,10.14-16; 12,22; 13,14.<br />
• Jerusalem kommt als Braut, s.a. 21,9 (»die Braut des Lammes«); 22,17 (»der Geist und<br />
die Braut«). 282 Auch diese Vorstellung ist nicht belegt. 283 Da jedoch im AT Israel<br />
häufig mit weiblichen Metaphern bezeichnet wird (und Gott zugleich als Eheherr<br />
erscheint), liegt die Braut-Metapher nicht ganz fern. 284<br />
• Die Braut bildet nach der Mutter (Kap. 12) und der Hure (Kap 17) die dritte wichtige<br />
symbolische Frau. Alle drei werden über bestimmte Gender-Rollen definiert. Die<br />
Braut und die Hure bilden dabei einen besonders starken Kontrast (bereits der<br />
Schmuck der Braut kontrastiert mit dem Schmuck der Hure in 17,4).<br />
282 Eine geschmückte Braut begegnet im Bildfeld von Jes 61,10: »Ich freue mich im HERRN, und meine<br />
Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen und mich mit dem Mantel der<br />
Gerechtigkeit gekleidet, wie einen Bräutigam mit priesterlichem Kopfschmuck geziert und wie eine Braut, die in<br />
ihrem Geschmeide prangt.«<br />
283 In JosAs 4,1 erscheint Aseneth »geschmückt als Braut Gott (Hwß númfjn qeoü)«. Bereits christlich (aber<br />
vielleicht von <strong>Apk</strong>Joh nicht beeinflusst) ist Pastor Hermas, Vis. 4,2,1.<br />
284 Zum Neuen Jerusalem als »Mutter« vgl. 4Esra 10,7f; syr<strong>Apk</strong>Bar 3,1-3.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
160 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Umstritten ist, ob das Neue Jerusalem symbolische für die endzeitliche Heilsgemeinde<br />
der Heiligen steht oder schlicht der Ort der Gemeinschaft mit Gott für die Heiligen ist.<br />
21,2.7.24-26 deuten eher Letzteres an.<br />
• V. 3 beginnt (wieder vgl. 10,4) mit einer nicht weiter identifizierten Himmelsstimme.<br />
• Anspielungen auf Schrift-Texte:<br />
Ez 37,27: »Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein…« Lev 26,11f:<br />
»Ich will meine Wohnung unter euch haben und will euch nicht verwerfen. Und ich will unter euch wandeln<br />
und will euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein.« Sach 2,14f: »Freue dich und sei fröhlich, du Tochter<br />
Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht der HERR. 15 Und es sollen zu der Zeit viele<br />
Völker sich zum HERRN wenden und sollen mein Volk sein, und ich will bei dir wohnen. Und du sollst<br />
erkennen, dass mich der HERR Zebaoth zu dir gesandt hat.«<br />
• Die Sprache nimmt Bezug auf Gottes Rede vom Bund. Im künftigen Jerusalem kommt<br />
Gottes Bundesschluss zu seiner Vollendung. Dazu gehört auch die Verheißung, dass<br />
Gott mit/bei seinem Volk sein wird.<br />
Exkurs zum Motiv »Gott mit uns« 285 : Eine Lektüre der reichhaltigen Belege ergibt folgendes Bild 286 :<br />
1. Im allgemeinen ist Gottes Anwesenheit gleichbedeutend mit seinem Segen 287 .<br />
2. Im Kontext der Wanderschaft besteht die göttliche Gegenwart konkret in der Bewahrung vor Gefahren 288 .<br />
3. In Zeiten des Krieges ist Gottes Nähe Garantie für den militärischen Sieg 289 und somit auch für die<br />
politische Macht und Stabilität in Israel 290 . Da Gott den Kampf anführt (2Chr 13,12; vgl. Dtn 20,1.4), führt die<br />
Verweigerung seines Beistandes zur militärischen Niederlage 291 .<br />
4. Gottes Anwesenheit ist auch dem Einzelnen oder einer Gruppe von Menschen zugesagt, wenn diese eine<br />
ganz besonders schwere Aufgabe zu vollbringen haben 292 .<br />
5. Als Trostzuspruch ist Gottes Mit-Sein oft verbunden mit der Aufforderung, sich nicht zu fürchten 293 .<br />
Damit beschreibt im AT die Anwesenheit Gottes seine schützende Nähe und heibringende Begleitung in den<br />
verschiedensten Situationen des Einzelnen wie des Volkes. Der Gott Israels ist ein deus viatorum, der sich um<br />
die Seinen kümmert in Zeiten des Krieges und des Zerwürfnisses. Inmitten einer feindlich gesinnten Umwelt<br />
dient die Formel „Gott ist mit uns“ als Umschreibung für das Selbstverständnis als Volk Gottes und als<br />
Unterscheidungskriterium gegenüber allen anderen Völkern 294 . Die Formel „Gott mit uns“ wird geradezu zum<br />
„identity marker“ des wahren Israels 295 .<br />
• V. 4a = 7,17b: »und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen«. Anspielung<br />
auf Jes 25,8:<br />
285 Aus Mayordomo, Den Anfanh hören, 267f.<br />
286 Es geht im wesentlichen um folgende syntaktische Einheit: hyh (mit Jahwe als Subjekt) + ta oder Mo<br />
(beide Präpositionen sind praktisch austauschbar) + Personalsuffix. Vgl. für die allgemeine Bedeutung der<br />
beiden Präpositionen H.D. PREUSS, „ta“, ThWAT 1 (1973), 485-500; D. VETTER, „Mo“, THAT 2 (1976), 325-8.<br />
287 Vgl. D. VETTER, Jahwes Mit-Sein: Ein Ausdruck des Segens (AzTh I/45; Stuttgart, 1971).<br />
288 Gen 26,3; 28,15.20; 31,3.5; 35,3; 48,21; Ex 33,16; Dtn 2,7; 32,12; Jos 1,9; 2Sam 7,9 (= 1Chr 17,8); 2Chr<br />
36,23; Esr 1,3; Ps 23,4; Jes 43,2.5.<br />
289 Gen 26,28; Dtn 31,6,8; Jos 1,5; 6,27; 14,12; Ri 1,19.22; 2,18; 6,12.16; 1Sam 17,37; 2Chr 20,17; 35,21; Ps<br />
46,8.12; Jes 8,8.10; Jer 15,20; 30,11; 42,11.<br />
290 2Sam 5,10 (= 1Chr 11,9); 7,9 (= 1Chr 17,8); 1Kön 1,37; 11,38; 2Kön 18,7; 1Chr 22,18; 2Chr 1,1; 17,3.<br />
291 Num 14,43; Jos 7,12; Ri 6,13; 2Chr 25,7-8.<br />
292 Ex 3,12; 18,19; Dtn 31,23; Jos 1,5.9.17; 2Sam 7,3 (= 1Chr 17,2); 14,17; 1Chr 9,20 MT; 22,11,16; 28,20;<br />
2Chr 19,11; Jer 1,8.19; Hag 1,13; 2,4.<br />
293 Gen 26,24; Dtn 20,1.3-4, 31,6.8; Jos 1,9; 1Chr 28,20; 2Chr 20,17; 32,7-8; Jes 41,10; 43,1-2.5; Jer 1,8;<br />
30,10-11; 42,11; 46,28 vgl. Ps 23,4.<br />
294 Aufschlußreich ist Ex 33,13-16 (Mose spricht zu Jahwe): „Wenn ich nun Gunst gefunden habe in deinen<br />
Augen, dann laß mich doch deine Wege erkennen, so daß ich dich erkenne, damit ich Gunst finde in deinen<br />
Augen, und bedenke, daß diese Nation dein Volk ist! Er antwortete: Mein Angesicht (yÅnDÚp) wird mitgehen (…wkElý<br />
= proporeúsomai) und dich zur Ruhe bringen (yItOjˆnShÅw = katapaúsw). Er aber sagte zu ihm: Wenn dein<br />
Angesicht nicht mitgeht (MyIkVlOh = poreú∆), dann führe uns nicht von hier hinauf! Woran soll man denn sonst<br />
erkennen (oådÎ…wŷ = pẅß gnwstòn ‘estai), daß ich und dein Volk Gunst gefunden habe (NEj yItaDxDm = e“urjka<br />
cárin) in deinen Augen? Nicht daran, daß du mit uns gehst (…wnD;mIo ÔKV;tVkRlV;b = sumporeuoménou sou meqh<br />
Hjmẅn) und wir, ich und dein Volk, dadurch vor jedem Volk auf dem Erdboden ausgezeichnet werden?“<br />
295 Jes 41,10; vgl. Ez 34,30 MT mit LXX!<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 161<br />
»Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der HERR wird die Tränen von allen Angesichtern<br />
abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der HERR hat’s gesagt.«<br />
(vgl. weiterhin Jes 35,10; 51,11; 65,19; Mt 5,4/Lk 6,21)<br />
• Dass der Tod nicht mehr sein wird, geht aus der Szene in 20,14a hervor: »Und der Tod<br />
und sein Reich wurden geworfen in den feurigen Pfuhl.«<br />
• Die Vorstellung ist im frühen Christentum häufig belegt (1Kor 15,26; 2Tim 1,10; Hebr<br />
2,14; Ignatius, Eph 19,3; Barn 5,6) und ist auch apokalyptischer common sense (T.<br />
Abr. Rec. A 20,14; äthHen 25,6). 296<br />
5 Und der, welcher auf dem Thron saß, sprach:<br />
Siehe, ich mache alles neu.<br />
Und er spricht:<br />
Schreibe, denn diese Worte sind gewiß und wahrhaftig.<br />
6 Und er sprach zu mir:<br />
Es ist geschehen.<br />
Ich bin das Alpha und das Omega,<br />
der Anfang und das Ende.<br />
Ich will dem Dürstenden aus der Quelle des Wassers<br />
des Lebens geben umsonst.<br />
7 Wer überwindet, wird dies erben,<br />
und ich werde ihm Gott sein,<br />
und er wird mir Sohn sein.<br />
8 Aber den Feigen und Ungläubigen<br />
und mit Greueln Befleckten und Mördern<br />
und Unzüchtigen und Zauberern<br />
und Götzendienern und allen Lügnern<br />
ist ihr Teil in dem See,<br />
der mit Feuer und Schwefel brennt,<br />
das ist der zweite Tod.<br />
21:5 Kaì e~ipen Ho kaq´jmenoß hepì t¨^w qrón^w,<br />
h Idoù kainà poiẅ pánta.<br />
kaì légei,<br />
Gráyon, “oti oûtoi oHi lógoi pistoì kaì haljqinoí<br />
ehisin.<br />
21:6 kaì e~ipén moi,<br />
Gégonan.<br />
hegẃ [ehimi] tò ‘ Alfa kaì tò ~ W,<br />
Hj harc`j kaì tò téloß.<br />
hegẁ t¨^w diyẅnti dẃsw hek t¨jß pjg¨jß toü “udatoß<br />
t¨jß zw¨jß dwreán.<br />
21:7 Ho nikẅn kljronom´jsei taüta,<br />
kaì ‘esomai ahut¨^w qeòß<br />
kaì ahutòß ‘estai moi uHióß.<br />
21:8 toïß dè deiloïß kaì hapístoiß<br />
kaì hebdelugménoiß kaì foneüsin<br />
kaì pórnoiß kaì farmákoiß<br />
kaì ehidwlolátraiß kaì päsin toïß<br />
yeudésin tò méroß ahutẅn hen t¨∆ límn∆<br />
t¨∆ kaiomén∆ purì kaì qeí^w,<br />
“o hestin Ho qánatoß Ho deúteroß.<br />
• Es folgen nun sieben Sprüche direkt von Gott (dem auf den Thron Sitzenden; vgl. Kap.<br />
4). Die ersten drei werden explizit eingeleitet, in 6-8 folgen in einer Rede 5 inhaltlich<br />
kaum verbundene Orakel Gottes:<br />
1. »Ich mache alles neu« (5a): Anspielung an Jes 43,19 297 apokalyptisch gedeutet<br />
2. Schreibbefehl (5b): Der letzte allgemeine Schreibbefehl 298 gründet auf der<br />
Überzeugung, dass der Inhalt des prophetischen Visionsberichtes zuverlässig und<br />
wahrhaftig ist (wiederholt in 22,6; s.a. 19,9). Eine solche Aussage im Munde Gottes<br />
dient der Legitimierung des Buches und gehört zum Topos der<br />
»Selbstkanonisierung«.<br />
3. »Es ist geschehen« (6a: gégonan): ohne Subjekt, gemeint ist wohl so etwas wie der<br />
»Plan« Gottes, der hiermit vollendet wird (vgl. Mt 24,33f). Dieses Ende wurde<br />
bereits in 16,17 antizipiert: »Und der siebente Engel goss aus seine Schale in die<br />
Luft; und es kam eine grosse Stimme aus dem Tempel vom Thron, die sprach: Es ist<br />
geschehen!« Theologisch bestehen durchaus Ähnlichkeiten zum Ruf des<br />
johanneischen Jesu am Kreuz »Es ist vollbracht« (tetélestai).<br />
296 Die Relativierung des Todes ist ein Topos der hellenistischen Konsolationsliteratur (Plutarch, Consolatio<br />
ad uxorem 611C).<br />
297 »Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht? Ich mache einen<br />
Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde«<br />
298 Es gibt in der <strong>Apk</strong>Joh drei Kategorien von Schreibbefehlen: a) Allgemein auf das gesamte Werk bezogen<br />
(1,11.19; 21,5b), b) konkret auf die folgende Aussage bezogen (14,13; 19,9 und in den Einleitungen zu den<br />
sieben Sendschreiben 2,1.8.12.17; 3,1.7.14), c) als Verbot (10,4).<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
162 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
4. »Alpha und Omega (6b): Der Titel wird mal für Gott (1,8a; 21,6) mal für Christus<br />
(22,13) gebraucht. Es geht dabei nicht nur um die Ewigkeit Gottes, sondern auch<br />
darum, dass er dem Kosmos Anfang und Ende setzt. 299<br />
5. Verheißung an Durstende (6c): Anspielung auf Jes 55,1 300 ; in <strong>Apk</strong>Joh 7,17 führt das<br />
Lamm die Seinen zum lebendigen Wasser. 301 »Lebendiges Wasser« kann einfach<br />
»fließendes Wasser« bedeuten, ist hier aber eher im religiösen Sinne als<br />
»Lebenswasser« gemeint 302 .<br />
6. Überwinderspruch (7): Der Spruch erinnert formal (Beginn mit Ho nikẅn) an die<br />
Abschlusssprüche der sieben Sendschreiben (2,7b.11b usw.). Die Verheißung des<br />
Erbes bezieht sich auf das Neue Jerusalem und die damit verbundenen Segnungen.<br />
Die Bundesverheißung in 7c nimmt die Vater-Sohn-Sprache auf (vgl. v.a. 2Sam<br />
7,14; Ps 2,7). 3<strong>03</strong><br />
7. Lasterkatalog (8): Antithetisch zum Überwinderspruch erfolgt ein Lasterkatalog (mit<br />
Parallelen zu 9,20f; 22,15), der an 20,15 anschliesst und nun genauer ausmalt, wer<br />
alles in Gefahr steht, im Feuersee zu enden: a) Feige / Ungläubige bezieht sich aus<br />
der Sicht des Autors womöglich auf Christen, die sich mit Rom arrangieren. b) Die<br />
»mit Greueln befleckten« ist sehr allgemein und hat in 22,15 eine metaphorische<br />
Parallele mit den »Hunden« 304 . c) Mörder, Unzüchtige, Götzendiener und Lügner<br />
verstossen gegen die zehn Gebote. d) Zauberer werden in 9,21; 22,15 bereits<br />
schlecht angesehen<br />
2.12.2 Die Vision vom Neuen Jerusalem (21,9-22,5)<br />
• Aufbau:<br />
1. Einleitung in die Vision (21,9-10a)<br />
2. Das Neue Jerusalem (21,10b-22,5)<br />
a) Allgemeiner Hinweis (21,10b)<br />
b) Beschreibung des Äußeren (21,11-21)<br />
c) Beschreibung des Inneren (21,22-22,5)<br />
• Ein interessanter (leider nur fragmentarischer) Text aus Qumran belegt eine ähnliche<br />
»architektonische« Beschreibung des himmlischen Jerusalem:<br />
4Q164 (= 4QpIs d ), Frag. 1 (übers. Maier, Qumran-Essener, II, 80) Auslegung von Jes 54,11f 305 : »(1) [...]<br />
ganz Israel [wie] Schminke am Auge und gründe mit Saphir[steinen. Seine Deutung ist,] (2) dass den Rat der<br />
Einung gegründet haben [die Priester und das Volk...] (3) die Gemeinde seiner Erwählten wie den<br />
299 Vgl. das orphische Gedicht aus dem Derveni-Papyrus (ca. 350 v.Chr.): »Zeus ist der Anfang (kefal´j),<br />
Zeus ist die Mitte, alle Dinge werden durch Zeus erfüllt (Diòß dh hek pánta teleïtai).« Ps-Aristotele, De<br />
mundo 7; Plato, Nomoi 4,715E; Fragment des Aristobul (Eusebius, Praep. evang. 13,12 = Holladay, FHJA 4,<br />
170); weitere Texte bei Aune (WBC) III 1126f.<br />
300 »Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft<br />
und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!«<br />
301 vgl. weiterhin 22,17 und frapante Ähnlichkeiten zu Joh 7,37f; Oden Salomos 30,1f. (Synoptischer<br />
Vergleich in Aune (WBC) III 1127f.<br />
302 Hier gibt es Parallelen zur johanneischen Sprachtradition in Joh 4,4-16; 7,38; s.a. LXX Sach 14,8. Vgl.<br />
dazu J.-W. Taeger, Johannesapokalypse und johanneischer Kreis. Versuch einer traditionsgeschichtlichen<br />
Ortsbeschreibung am Paradigma der Lebenswasser-Thematik (BZNW 51), Berlin 1989.<br />
3<strong>03</strong> Die Formulierung mit uHióß ist, notabene, nicht inlusiv. Die Gender-Perspektive der ganzen Joh<strong>Apk</strong> wäre<br />
ein Thema für sich!<br />
304 Aune (WBC) III, 1131 denkt hier wohl zu konkret an Sodomie oder Homosexualität. Hm!?<br />
305 »Du Elende, über die alle Wetter gehen, die keinen Trost fand! Siehe, ich will deine Mauern auf<br />
Edelsteine stellen und will deinen Grund mit Saphiren legen 12 und deine Zinnen aus Kristallen machen und<br />
deine Tore von Rubinen und alle deine Grenzen von erlesenen Steinen.«<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 163<br />
Saphirstein inmitten der Steine [… Ich mache wie Jaspis] (4) all deine Zinnen. Seine Deutung (geht) auf die<br />
zwölf […] (5) erleuchten durch die Entscheidung der Urim und der Tummim […]. (6) die vor ihnen<br />
verborgen sind, wie die Sonne in ihrem vollen Licht und wie […] (7) Seine Deutung (geht) auf die Häupter<br />
der Stämme Israels zum En[de der Tage, …] (8) sein(es) Los(es) die Dienstposten von […]<br />
Vgl. weitere Beschreibungen des Neuen Jerusalem in Qumran: 2Q24 frag. 1, Z. 3; 4Q554 1 ii 15; 3,20;<br />
4Q555 frag. 1, Z. 3; 5Q15 1 i 2,15; 2,6; 11Q18 frag. 16, Z. 6; frag. 18, Z. 1. 306<br />
Auch das Himmlische Jerusalem hat eine bewegte Wirkungsgeschichte (Kreuzzüge, Täuferreich zu Münster,<br />
Kunstgeschichte,...), die hier nicht weiter verfolgt werden kann. Leider... 307<br />
• Besonders auffällige innertextuelle Parallelen bestehen zwischen 17,1-19,10 und 21,9-<br />
22,9 308 und zwischen 1,1-3 und 22,6-21.<br />
9 Und es kam einer von den sieben Engeln,<br />
welche die sieben Schalen hatten,<br />
voll der sieben letzten Plagen,<br />
und redete mit mir und sprach:<br />
Komm her,<br />
ich will dir die Braut, das Weib des Lammes, zeigen.<br />
10 Und er führte mich im Geist hinweg auf einen<br />
großen und hohen Berg<br />
und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem,<br />
wie sie aus dem Himmel von Gott herabkam,<br />
11 und sie hatte die Herrlichkeit Gottes.<br />
Ihr Lichtglanz war gleich einem sehr kostbaren<br />
Edelstein, wie ein kristallheller Jaspisstein;<br />
12 und sie hatte eine große und hohe Mauer<br />
und hatte zwölf Tore<br />
und an den Toren zwölf Engel<br />
und Namen darauf geschrieben,<br />
welche die der zwölf Stämme<br />
der Söhne Israels sind:<br />
13 Nach Osten drei Tore<br />
und nach Norden drei Tore<br />
und nach Süden drei Tore<br />
und nach Westen drei Tore.<br />
14 Und die Mauer der Stadt hatte zwölf Grundsteine<br />
und auf ihnen zwölf Namen der zwölf Apostel des<br />
Lammes.<br />
21:9 Kaì ~jlqen eîß hek tẅn Heptà haggélwn<br />
tẅn hecóntwn tàß Heptà fiálaß,<br />
tẅn gemóntwn tẅn Heptà pljgẅn tẅn hescátwn,<br />
kaì heláljsen meth hemoü légwn,<br />
Deüro,<br />
deíxw soi t`jn númfjn t`jn gunaïka toü harníou.<br />
21:10 kaì hap´jnegkén me hen pneúmati hepì ‘oroß<br />
méga kaì Huyjlón,<br />
kaì ‘edeixén moi t`jn pólin t`jn Hagían h Ierousal`jm<br />
katabaínousan hek toü ohuranoü hapò toü<br />
qeoü,<br />
21:11 ‘ecousan t`jn dóxan toü qeoü≥<br />
Ho fwst`jr ahut¨jß “omoioß líq^w timiwtát^w,<br />
Hwß líq^w hiáspidi krustallízonti≥<br />
21:12 ‘ecousa teïcoß méga kaì Huyjlón,<br />
‘ecousa pulẅnaß dẃdeka,<br />
kaì hepì toïß pulẅsin haggélouß dẃdeka,<br />
kaì honómata hepigegramména “a hestin<br />
[tà honómata] tẅn dẃdeka fulẅn<br />
uHiẅn h Isra´jl≥<br />
21:13 hapò hanatol¨jß pulẅneß treïß,<br />
kaì hapò borrä pulẅneß treïß,<br />
kaì hapò nótou pulẅneß treïß,<br />
kaì hapò dusmẅn pulẅneß treïß≥<br />
21:14 kaì tò teïcoß t¨jß pólewß ‘ecwn qemelíouß<br />
dẃdeka, kaì heph ahutẅn dẃdeka honómata tẅn<br />
dẃdeka hapostólwn toü harníou.<br />
306 Lit.: Maier, J. Die Tempelrolle vom Toten Meer und das "Neue Jerusalem" (UTB), München 3 1997.<br />
Chyutin, M. The new Jerusalem scroll from Qumran. A comprehensive reconstruction (JSP.S 25), Sheffield<br />
1997. – DiTommaso, L. The Dead Sea New Jerusalem text. Contents and contexts (TSAJ 110), Tübingen 2005.<br />
– Draper, J.A. The twelve apostles as foundation stones of the heavenly Jerusalem and the foundation of the<br />
Qumran community, Neot. 22 (1988) 41-63. – García Martínez, F. New Jerusalem at Qumran and in the New<br />
Testament, in: The land of Israel in Bible, history, and theology (FS Ed Noort), ed. Jacques van Ruiten et al.<br />
(VT.S 124), Leiden 2009, 277-289.<br />
307 Vgl. zur Wirkungsgeschichte des Himmlischen Jerusalem: Chr. Auffahrt, Himmlisches und irdisches<br />
Jerusalem, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1 (1993) 25-49.91-118; C. Bernet, Gebaute Apokalypse. Die<br />
Utopie des Himmlischen Jerusalem in der Frühen Neuzeit, Mainz 2007; R. Konrad, Das himmlische und das<br />
irdische Jerusalem im mittelalterlichen Denken, in: Speculum Historiale, hg. von C. Bauer, Freiburg 1965, 523-<br />
540; B. Kühnel, From the Earthly to the Heavenly Jerusalem. Representations of the Holy City in Christian Art<br />
of the First Millennium, Rom 1987; P. Kurmann, Zur Vorstellung des Himmlischen Jerusalem und zu den<br />
eschatologischen Perspektiven in der Kunst des Mittelalters, in: Ende und Vollendung, hg. J.A. Aertsen u.a.,<br />
Berlin 2002, 293-300; W. Reader, Die Stadt Gottes in der Johannesapokalypse, Göttingen 1971.<br />
308 C.H. Giblin, Structural and Thematic Correlations in the Theology of Revelation 16–22, Bib 55 (1974)<br />
487-504 und Tabelle in Aune (WBC) III, 1144f. Durch diese Parallelitärt wird die Antithese Braut Jerusalem und<br />
Hure Rom noch weiter hervorgehoben.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
164 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Szenenaufbau durch einen der sieben Schalen-Engel »wiederholt« 17,1. Es handelt sich<br />
hier wie dort um einem Deute-Engel (angelus interpres).<br />
• Der Engel ruft den Seher zu sich, um ihn »die Braut, das Weib des Lammes« (9) zu<br />
zeigen, welches in V. 10 eindeutig mit dem »himmlischen Jerusalem« gleichgesetzt<br />
wird.<br />
• Er nimmt den Seher auf einen Berg, typischer Ort himmlischer Offenbarung 309 .<br />
• Dass die Stadt vom Himmel herabschwebt, wurde bereits in 21,2 gesagt (s.o.).<br />
• V. 11: Die lichtvolle Herrlichkeit der Stadt und die Metaphern von Edelsteinen und<br />
Jaspis erinnern an die erste Thronsaalvision in Kap. 4 (vgl. bes. 4,3). Die Stadt, die<br />
von oben kommt, bringt die »obere« Herrlichkeit auf die Erde. Es geht hier<br />
letztendlich um die eschatologische Überwindung der Trennung von Himmel und<br />
Erde, sakral und profan, Ewigeit und Zeitlichkeit.<br />
• Mit V. 12 beginnen nun eine Reihe verblüffend detailreicher Beschreibungen der<br />
äußeren wie inneren »Architektur« der Stadt:<br />
• 12-14: Mauern und Tore gehären zur Grundausstattung einer jeden Stadt; sie dienen<br />
dem militärischen Schutz (je breiter und höher desto besser) und der imperialen<br />
Prachtdemonstration (v.a. die Tore). Zwölf Tore sind ungewöhnlich; hier jedoch steht<br />
dies in Bezug mit den Namen der Stämme Israels und mit der apokalyptischen<br />
Erwartung der Wiederherstellung von Gesamt-Israel 310 (vgl. die 144000 in 7,4-8).<br />
Letzteres entspricht der »Anleitung« für den neuen Tempel in Ez:<br />
• 48,30 Und dies sollen die Ausgänge der Stadt sein: an der Nordseite mit ihren viertausendfünfhundert<br />
Ellen 31 drei Tore: das erste Tor Ruben, das zweite Juda, das dritte Levi; denn die Tore der Stadt sollen<br />
nach den Namen der Stämme Israels genannt werden. 32 So auch an der Ostseite mit ihren<br />
viertausendfünfhundert Ellen drei Tore: nämlich das erste Tor Josef, das zweite Benjamin, das dritte<br />
Dan. 33 An der Südseite mit ihren viertausendfünfhundert Ellen auch drei Tore: das erste Tor Simeon,<br />
das zweite Issachar, das dritte Sebulon. 34 So auch an der Westseite mit ihren viertausendfünfhundert<br />
Ellen drei Tore: das erste Tor Gad, das zweite Asser, das dritte Naftali. 35 So soll der ganze Umfang<br />
achtzehntausend Ellen sein. Und alsdann soll die Stadt genannt werden »Hier ist der HERR«.<br />
• Über den Toren stehen zum Schutz der Stadt 12 Engel 311 . Obwohl am Ende von Kap.<br />
20 alle Gegner ausgeschaltet sind, geht die Vision des Neuen Jerusalem<br />
(seltsamerweise!!!) weiterhin davon aus, dass es Nationen gibt (21,24-27; 22,2) –<br />
Wozu sonst bräuchte man auch die hohen Mauern?<br />
• 13: Die Ausrichtung der Tore in die vier Himmelsrichtungen hat zu der Vermutung<br />
Anlass gegeben, dass hier auch astrologische Konnotationen lägen (die Tore als die 12<br />
Tore des Himmels = die 12 Sternzeichen 312 ).<br />
• 14: Die Grundsteine der Mauern werden nun mit den Namen der 12 Apostel in<br />
Verbindung gebracht (vgl. 2,2; 18,20). Dadurch wird in symbolischer Form Kirche<br />
und Israel zueinander in Beziehung gesetzt. Ähnlich wie in Eph 2,20 sind die Apostel<br />
der Grundstein der Kirche: »erbaut auf den Grund (qemelioß) der Apostel und<br />
Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist« (in 1Kor 3,11 ist Christus der<br />
Grundstein)<br />
309 Vgl. <strong>Apk</strong>Zeph 3,1-3; slavBar<strong>Apk</strong> 10,1.<br />
310 Vgl. Jes 49,5f; 56,1-8; 60,3-7; 66,18-24; Jer 31,10; Ez 34; 37; Zeph 3,20; Sach 8,7f; Tob 13,5; 14,6f;<br />
2Makk 1,27-29; 2,7.18; Jub 1,15-17; TBenj 9,2; Philo, Praem 94-97; 167-172; Bar 4,37; Sir 36,11; 48,10; PsSal<br />
11; 17,28-31.50; 11QTemp 18,14-16; 1QM 2,2-8.<br />
311 Vielleicht eine angeleologische Deutung von Jes 62,6: »O Jerusalem, ich habe Wächter über deine<br />
Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN<br />
erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen…« Torwachen waren in der Antike normal; 1Chron 23,5 erwähnt<br />
4000; 1Chron 26,1-9 spricht von 93. Vgl. zu Engelswachen Aune (WBC) III, 1154f.<br />
312 Vgl. äthHen 75,6. In gewohnter Einseitigkeit F. Boll, Aus der Offenbarung Johannis, Leipzig 1914, 39:<br />
»Der Tierkreis spielt noch einmal eine Rolle beim himmlischen Jerusalem und seinen zwölf Engeln und zwölf<br />
Toren, die auf die vier Himmelsrichtungen verteilt sind, wie die zwölf Tierkreiszeichen.«<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 165<br />
• Das »Lamm« wird hier als Code für den »historischen Jesus« gebraucht (ähnlich in<br />
14,4).<br />
15 Und der mit mir redete, hatte ein Maß,<br />
ein goldenes Rohr,<br />
um die Stadt und ihre Tore und ihre Mauer zu<br />
messen.<br />
21:15 Kaì Ho lalẅn meth hemoü e~icen métron<br />
kálamon crusoün,<br />
“ina metr´js∆ t`jn pólin kaì toùß pulẅnaß<br />
ahut¨jß kaì tò teïcoß ahut¨jß.<br />
• Anders als der Deute-Engel in 21,9 redet dieser zwar auch, aber wir erfahren nicht, was<br />
er sagt.<br />
• In 11,1 kommt ein Messrohr vor: »Und es wurde mir ein Rohr gegeben, einem<br />
Messstab gleich, und mir wurde gesagt: Steh auf und miss den Tempel Gottes und den<br />
Altar und die dort anbeten.« Dieser Befehl wurde in 11,1 nicht ausgeführt,<br />
entsprechend auch keine Angaben gemacht.<br />
• In diesem Fall nimmt der Engel die Messung vor, was dem Autor Gelegenheit gibt, die<br />
exorbitante Größe der Stadt vor Augen zu führen.<br />
• Der wichtigste biblischen Ressonanzraum für diesen Text ist wieder Ez 40:<br />
»Im fünfundzwanzigsten Jahr unserer Gefangenschaft, im Anfang des Jahres, am zehnten Tag des Monats,<br />
im vierzehnten Jahr, nachdem die Stadt eingenommen war, eben an diesem Tag kam die Hand des HERRN<br />
über mich und führte mich dorthin, 2 in göttlichen Gesichten führte er mich ins Land Israel und stellte mich<br />
auf einen sehr hohen Berg; darauf war etwas wie der Bau einer Stadt gegen Süden. 3 Und als er mich dorthin<br />
gebracht hatte, siehe, da war ein Mann, der war anzuschauen wie Erz. Er hatte eine leinene Schnur und eine<br />
Messrute in seiner Hand und stand unter dem Tor.«<br />
• Die Vermessung des Neuen Jerusalem begegnet auch in Qumrantexten (s.o.).<br />
16 Und die Stadt ist viereckig angelegt,<br />
und ihre Länge ist so groß wie die Breite.<br />
Und er maß die Stadt mit dem Rohr auf zwölftausend<br />
Stadien;<br />
ihre Länge und Breite und Höhe sind gleich.<br />
17 Und er maß ihre Mauer, hundertvierundvierzig<br />
Ellen,<br />
eines Menschen Maß, das ist eines Engels [Maß].<br />
21:16 kaì Hj póliß tetrágwnoß keïtai,<br />
kaì tò m¨jkoß ahut¨jß “oson [kaì] tò plátoß.<br />
kaì hemétrjsen t`jn pólin t¨^w kalám^w hepì stadíwn<br />
dẃdeka ciliádwn≥<br />
tò m¨jkoß kaì tò plátoß kaì tò “uyoß ahut¨jß ‘isa<br />
hestín.<br />
21:17 kaì hemétrjsen tò teïcoß ahut¨jß Hekatòn<br />
tesserákonta tessárwn pjcẅn,<br />
métron hanqrẃpou, “o hestin haggélou.<br />
• Quadratische Stadtform 313 ist die leitende architektonische Form in Ez 40–48 (vgl.<br />
42,20) 314 . Das Neue Jerusalem ist sogar kubisch und damit vollendet gleichmäßig.<br />
• 12000 Stadien = 2400 km. Wichtiger als die »konkrete« Ausdehnung ist wieder die<br />
Zahl 12x1000.<br />
• Die Mauern sind 144 (= 12 2 ) Ellen (1 Elle = Abstand vom Ellenbogen zur Hand ca.<br />
0,5m) = ca. 70m; unklar bleibt, ob Höhe oder Dicke.<br />
Ez 40.5: »Und siehe, es ging eine Mauer aussen um das Gotteshaus ringsherum. Und der Mann hatte die<br />
Messrute in der Hand; die war sechs Ellen lang jede Elle war eine Handbreit länger als eine gewöhnliche<br />
Elle. Und er mass das Mauerwerk: es war eine Rute dick und auch eine Rute hoch.«<br />
• »Eines Menschen Maß« könnte zunächst ein Hinweis darauf sein, dass die in 17a<br />
genannten Ellen »normale« (also nach einem menschlichen Ellenbogen und nicht nach<br />
dem eines Engels) Ellen sind 315 .<br />
313 Vgl. Sach 2,2 (LXX 2,6): »Und ich sprach: Wo gehst du hin? Er sprach zu mir: Jerusalem auszumessen<br />
und zu sehen, wie lang und breit es werden soll.«<br />
314 Zu quadratischen Stadtformen vgl. Aune(WBC) III, 1160f; ausführlich: Werner Müller, Die heilige Stadt.<br />
Roma quadrata, himmlisches Jerusalem und die Mythe vom Weltnabel, Stuttgart 1961.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
166 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Die Erklärung am Ende (“o hestin haggélou) ist seltsam; vielleicht soll daran erinnert<br />
werden, dass trotz der menschlichen Elle immer noch ein Engel die Messung<br />
vorgenommen hat.<br />
18 Und der Bau ihrer Mauer war Jaspis<br />
und die Stadt reines Gold,<br />
gleich reinem Glas.<br />
19 Die Grundsteine der Mauer der Stadt waren mit<br />
jeder [Art] Edelstein geschmückt:<br />
der erste Grundstein ein Jaspis;<br />
der zweite ein Saphir;<br />
der dritte ein Chalzedon;<br />
der vierte ein Smaragd;<br />
20 der fünfte ein Sardonyx;<br />
der sechste ein Sardis;<br />
der siebente ein Chrysolith;<br />
der achte ein Beryll;<br />
der neunte ein Topas;<br />
der zehnte ein Chrysopras;<br />
der elfte ein Hyazinth;<br />
der zwölfte ein Amethyst.<br />
21 Und die zwölf Tore waren zwölf Perlen,<br />
je eines der Tore war aus einer Perle,<br />
und die Straße der Stadt reines Gold,<br />
wie durchsichtiges Glas.<br />
21:18 kaì Hj hendẃmjsiß toü teícouß ahut¨jß ‘iaspiß,<br />
kaì Hj póliß crusíon kaqaròn<br />
“omoion Huál^w kaqar¨^w.<br />
21:19 oHi qemélioi toü teícouß t¨jß pólewß pantì<br />
líq^w timí^w kekosmjménoi≥<br />
Ho qemélioß Ho prẅtoß ‘iaspiß,<br />
Ho deúteroß sápfiroß,<br />
Ho trítoß calkjdẃn,<br />
Ho tétartoß smáragdoß,<br />
21:20 Ho pémptoß sardónux,<br />
Ho “ektoß sárdion,<br />
Ho “ebdomoß crusóliqoß,<br />
Ho ‘ogdooß b´jrulloß,<br />
Ho ‘enatoß topázion,<br />
Ho dékatoß crusóprasoß,<br />
Ho Hendékatoß Huákinqoß,<br />
Ho dwdékatoß haméqustoß.<br />
21:21 kaì oHi dẃdeka pulẅneß dẃdeka<br />
margarïtai,<br />
hanà eîß “ekastoß tẅn pulẃnwn ~jn hex Henòß<br />
margarítou.<br />
kaì Hj plateïa t¨jß pólewß crusíon kaqaròn<br />
Hwß “ualoß diaug´jß.<br />
• Das besondere Baumaterial der Himmelsstadt ist traditionell:<br />
Jes 54,11 Du Elende, über die alle Wetter gehen, die keinen Trost fand! Siehe, ich will deine Mauern auf<br />
Edelsteine stellen und will deinen Grund mit Saphiren legen 12 und deine Zinnen aus Kristallen machen<br />
und deine Tore von Rubinen und alle deine Grenzen von erlesenen Steinen. Tob. 13,18 Lobe den Herrn,<br />
meine Seele! Denn er wird seine Stadt Jerusalem erlösen. 19 Wohl mir, wenn auch nur meine letzten<br />
Nachkommen die Herrlichkeit Jerusalems sehen werden! 20 Die Tore Jerusalems werden aus Saphir und<br />
Smaragd gebaut werden und aus Edelsteinen ringsum all seine Mauern. 21 Mit weissem und reinem Marmor<br />
werden alle seine Gassen gepflastert werden, und auf allen seinen Strassen wird man Halleluja singen. 22<br />
Gelobt sei der Herr, der seine Stadt wieder gebaut hat, und er herrsche über sie in Ewigkeit! Amen.<br />
• Die Stadt ist aus Gold und zwar aus glasreinem Gold (vgl. 21b).<br />
• Grundsteine aus Edelstein. Warum in dieser Ausführlichkeit? Warum je einzeln?<br />
Vielleicht eine Anspielung auf den Brustpanzer des Hohenprierster… [in eckigen<br />
Klammern die Position om <strong>Apk</strong> 21,19f]<br />
Ex 28,16 Viereckig soll sie sein und doppelt gelegt; eine Spanne soll ihre Länge sein und eine Spanne ihre<br />
Breite. 17 Und du sollst sie besetzen mit vier Reihen von Steinen. Die erste Reihe sei ein Sarder [6.], ein<br />
Topas [9.] und ein Smaragd [4.], 18 die andere ein Rubin [-], ein Saphir [2.] und ein Diamant [LXX Jaspis =<br />
1.], 19 die dritte ein Lynkurer [-], ein Achat [-] und ein Amethyst [12.], 20 die vierte ein Türkis [LXX<br />
Chrysolith = 7.], ein Onyx [LXX Beryll = 8.] und ein Jaspis [LXX Onyx = 5.]; in Goldgeflecht sollen sie<br />
gefasst sein. 21 Zwölf sollen es sein in Siegelstecherarbeit nach den Namen der Söhne Israels, dass auf jedem<br />
ein Name stehe nach den zwölf Stämmen.<br />
Ex 39,9 dass sie viereckig war und doppelt gelegt, eine Spanne lang und ebenso breit, 10 und besetzten sie<br />
mit vier Reihen Steinen: die erste Reihe war ein Sarder, ein Topas und ein Smaragd, 11 die andere ein Rubin,<br />
ein Saphir und ein Diamant, 12 die dritte ein Lynkurer, ein Achat und ein Amethyst, 13 die vierte ein Türkis,<br />
ein Onyx und ein Jaspis, ringsherum eingefasst mit Gold in allen Reihen. 14 Und die Steine trugen die zwölf<br />
315 Ähnlich der Sarg des Riesen Og in Dtn 3,11: »Denn allein der König Og von Baschan war noch übrig<br />
von den Riesen. Siehe, in Rabba, der Stadt der Ammoniter, ist sein steinerner Sarg, neun Ellen lang und vier<br />
Ellen breit nach gewöhnlicher Elle (LXX: eṅ ph/cei aÓndro/ß).«<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 167<br />
Namen der Söhne Israels, eingegraben in Siegelstecherarbeit, so dass auf einem jeden ein Name stand nach<br />
den zwölf Stämmen.<br />
Vgl. auch Ez 28,13 (in LXX an Ex 28 angeglichen)<br />
• V. 21: Die 12 Tore bestehen aus Perlen; sie symbolisieren weiterhin die 12 Stämme (in<br />
Anlehnung an Ez 48,44f)<br />
• Mit plateia in 21b kann die Hauptstrasse oder der Hauptplatz gemeint sein.<br />
22 Und ich sah keinen Tempel in ihr,<br />
denn der Herr, Gott, der Allmächtige,<br />
ist ihr Tempel, und das Lamm.<br />
23 Und die Stadt bedarf nicht der Sonne noch des<br />
Mondes,<br />
damit sie ihr scheinen;<br />
denn die Herrlichkeit Gottes hat sie erleuchtet,<br />
und ihre Lampe ist das Lamm.<br />
21:22 Kaì naòn ohuk e~idon hen ahut¨∆,<br />
Ho gàr kúrioß Ho qeòß Ho pantokrátwr<br />
naòß ahut¨jß hestin, kaì tò harníon.<br />
21:23 kaì Hj póliß ohu creían ‘ecei toü Hjlíou ohudè<br />
t¨jß sel´jnjß,<br />
“ina faínwsin ahut¨∆,<br />
Hj gàr dóxa toü qeoü hefẃtisen ahut´jn,<br />
kaì Ho lúcnoß ahut¨jß tò harníon.<br />
• Der Seher wechselt nun zum Inneren der Stadt.<br />
• Überraschung: Kein Tempel! Auf den ersten Blick wirkt das erstaunlich, denn der<br />
Himmel in Kap 4f wird konsequent als Tempel vorgestellt (vgl. 11,19; 14,15.17;<br />
15,5.6.8; 16,1.17). Auf den zweiten Blick ist es weiterhin erstaunlich, weil die jüdischapokalyptischen<br />
Vorstellungen vom Neuen Jerusalem selbstverständlich auch einen<br />
Neuen Tempel darin erwarteten (Ez 40–48; Sach 1,16; 6,12-15). »John is unique in<br />
claiming that there is no temple within it.« 316<br />
• Daher gibt der Seher als Grund eine erstaunliche theologische Aussage: Gott und das<br />
Lamm sind der Tempel der Stadt. 317 Das Lamm als ewiges Opfer macht wohl einen<br />
»wirklichen« Tempel überflüssig.<br />
Vgl. Testament Dan 5,9 Und wenn ihr so umkehrt zum Herrn, werdet ihr Erbarmen finden, und er wird euch<br />
zu seinem Heiligtum bringen und wird euch Frieden geben. 10 Und er selbst (Gott) wird gegen Beliar Krieg<br />
führen und siegreiche Rache über seine geben.11 Und die Gefangenen wird er Beliar abnehmen.<br />
Und er wird die ungehorsamen Herzen zum Herrn hinwenden. Und er wird ewigen Frieden denen geben, die<br />
ihn anrufen. 12 Und die Heiligen werden in Eden ausruhen, und über das neue Jerusalem werden sich die<br />
Gerechten freuen 13 Und Jerusalem wird nicht länger Verwüstung erdulden, noch Israel in Gefangenschaft<br />
bleiben, denn der Herr wird in ihrer Mitte sein und der Heilige Israels wird über ihnen König sein.<br />
• V. 23 (= 22,5) nimmt Bezug auf Jes 60,19:<br />
19 Die Sonne soll nicht mehr dein Licht sein am Tage, und der Glanz des Mondes soll dir nicht mehr<br />
leuchten, sondern der HERR wird dein ewiges Licht und dein Gott wird dein Glanz sein. 20 Deine Sonne<br />
wird nicht mehr untergehen und dein Mond nicht den Schein verlieren; denn der HERR wird dein ewiges<br />
Licht sein, und die Tage deines Leidens sollen ein Ende haben.<br />
Vgl. zum Messias als Lichtquelle Ps 132,17: »Dort soll dem David aufgehen ein mächtiger Spross, ich habe<br />
meinem Gesalbten eine Leuchte zugerichtet…«<br />
• Wieder treten Gott und Lamm gemeinsam auf; ihre Herrlichkeit macht jede Lichtquelle<br />
überflüssig.<br />
• Vielleicht liegt hier auch eine Anspielung auf die Verehrung der Sonne (sol) in Rom<br />
vor.<br />
316 Aune (WBC) III, 1168.<br />
317 Die Tempelmetapher für Gott oder für den Messias ist selten: Joh 2,19.21; 4Q511.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
168 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
24 Und die Nationen werden in ihrem Licht wandeln,<br />
und die Könige der Erde bringen ihre Herrlichkeit zu<br />
ihr.<br />
25 Und ihre Tore werden bei Tag nicht geschlossen<br />
werden,<br />
denn Nacht wird dort nicht sein.<br />
26 Und man wird die Herrlichkeit und die Ehre der<br />
Nationen zu ihr bringen.<br />
27 Und alles Gemeine wird nicht in sie hineinkommen,<br />
noch [derjenige], der Greuel und Lüge tut,<br />
sondern nur die, welche geschrieben sind im Buch des<br />
Lebens des Lammes.<br />
21:24 kaì peripat´jsousin tà ‘eqnj dià toü fwtòß<br />
ahut¨jß≥ kaì oHi basileïß t¨jß g¨jß férousin t`jn<br />
dóxan ahutẅn ehiß ahut´jn≥<br />
21:25 kaì oHi pulẅneß ahut¨jß ohu m`j kleisqẅsin<br />
Hjméraß,<br />
nùx gàr ohuk ‘estai hekeï≥<br />
21:26 kaì o‘isousin t`jn dóxan kaì t`jn tim`jn tẅn<br />
heqnẅn ehiß ahut´jn.<br />
21:27 kaì ohu m`j ehisélq∆ ehiß ahut`jn pän koinòn<br />
kaì [Ho] poiẅn bdélugma kaì yeüdoß,<br />
ehi m`j oHi gegramménoi hen t¨^w biblí^w t¨jß zw¨jß toü<br />
harníou.<br />
• Insgesamt eine Paraphrase von Jes 60,3-5.11 (im Kontext von Jes sind es allerdings<br />
gefangen genommene Fremdherrscher, die nach Jerusalem ziehen):<br />
Jes 60,3 Und die Heiden [LXX: Könige] werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige [LXX: Nationen]<br />
zum Glanz, der über dir aufgeht. 4 Hebe deine Augen auf und sieh umher: Diese alle sind versammelt und<br />
kommen zu dir. Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter auf dem Arme hergetragen<br />
werden. 5 Dann wirst du deine Lust sehen und vor Freude strahlen, und dein Herz wird erbeben und weit<br />
werden, wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren und der Reichtum der Völker zu dir<br />
kommt. 11 Deine Tore sollen stets offen stehen und weder Tag noch Nacht zugeschlossen werden, dass<br />
der Reichtum der Völker zu dir gebracht und ihre Könige herzugeführt werden.<br />
• Der Text knüpft an eine apokalyptische Version der Zionspilgerschaft an:<br />
PsSal 17,30 Und er wird Heidenvölker ihm fronen lassen unter seinem Joch, und den Herrn wird er<br />
verherrlichen vor den Augen der ganzen Welt, und er wird reinigen Jerusalem durch Heiligung wie von<br />
Anfang an, 31 so dass Heiden kommen von den Enden der Erde, um seine Herrlichkeit zu sehen, als Gaben<br />
darbringend seine ermüdeten Söhne, und zu sehen die Herrlichkeit des Herrn, womit Gott sie verherrlichte.<br />
(vgl. Tob 13,11)<br />
• Die Könige der Erde sind in der <strong>Apk</strong> so gut wie immer Feinde Gottes (17,2.18; 18,3.9;<br />
19,19). Damit nimmt aber die Vision im Gesamtablauf eine überraschende Wende:<br />
Nach der Vernichtung aller Feinde Gottes (19,17-21; 20,7-9), nach der Umwandlung<br />
der alten Erde und des alten Himmels (21,1), sind offenbar doch nicht alle im<br />
Feuersee...<br />
Aune (WBC) III,1172 unterscheidet vier jüdische Konzeptionen über das Schicksal der Nichtjuden: a)<br />
Vernichtung (<strong>Apk</strong> 19,17-21; Jub; 4Esra; syrBar<strong>Apk</strong>; 1QM), b) Wiederherstellung Israels ohne Blick auf die<br />
Nationen (Jes; Philo), c) Zionspilgerschaft: die Nationen pilgern nach Jerusalem und unterstellen sich Israel (Jes;<br />
Jer; Zeph: Hagg; Sach; Ps; PsSal; Jub; Sir; usw.), d) komplette Hinwendung der Nationen zum Gott Israels (Jes;<br />
Amos; Micha, Tob; äthHen; Test XII)<br />
• V. 25: vgl. Jes 60,11 (s.o.) und Sach 14,7: »Und es wird ein einziger Tag sein er ist<br />
dem HERRN bekannt! Es wird nicht Tag und Nacht sein, und auch um den Abend<br />
wird es licht sein.«<br />
• Wenn in V. 26 die Nationen Herrlichkeit und Ehre bringen, scheint an eine voll<br />
umfängliche Anerkennung Gottes gedacht zu sein.<br />
• 27 gibt nun die Bedingungen für den Einlass in das Neue Jerusalem: Reinheit (nichts<br />
»Gemeines« = Unreines), kein Götzendienst (Greuel), Lügner; diese Werte<br />
entsprechen dem moralischen Rigorismus des Autors.<br />
• Eintrag im Lebensbuch des Lammes... (vgl. 3,5)<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 169<br />
Theologische Überlegungen: Wozu hat die Stadt Tore? Wir sollten erwarten, dass niemand hineingeht, denn<br />
draußen gibt es nur noch die Qualen des Feuersees, und drinnen sind Glück und Freude so reichhaltig<br />
vorhanden, dass wohl niemand auf die Idee käme, die Stadt Gottes verlassen zu wollen. Es sollte in das Neue<br />
Jerusalem hinein und aus dem Neuen Jerusalem heraus keinen Verkehr geben. Aber da versteckt sich noch eine<br />
kleine Tür (22,14; 21,24-27). Die Propheten Israels haben an vielen Stellen (Jes 60,3-5.11) die Hoffnung<br />
ausgedrückt, dass die feindlichen Nationen am Ende nach Jerusalem pilgern und Gott die Ehre geben. Nun sieht<br />
Johannes am Ende ein solches Bild, nachdem das Gericht die Menschheit bereits für ewige Zeiten in Erlöste und<br />
Bestrafte aufgeteilt zu haben schien.<br />
Da ist auf einmal von den »Königen der Erde« die Rede, die während der gesamten Schau als Feinde Gottes<br />
aufgetreten sind (6,15; 17,2.18; 18,3; 19,19; 21,24). Diese bringen »Pracht und Reichtum« in die Stadt. Solche<br />
Geschenke durch die Mächtigen der Welt sind ein Akt der Unterwerfung und der Ehrerbietung. Wenn es ein<br />
klares Drinnen und Draußen gibt und wenn die Trennung für ewig festgesetzt ist, woher kommen diese<br />
Pilgerströme?<br />
Damit bietet der Text der <strong>Apk</strong> (vielleicht gegen den Willen des Autor?!) die Möglichkeit, die binäre Opposition<br />
von Heil und Unheil zu dekonstruieren. Eine »häretische« Lektüre im Sinne der »Wiederbringung aller Dinge«<br />
ist möglich! 318 Es gibt im NT durchaus Texte, die sich in diese Richtung lesen lassen:<br />
Apg 3,21: »Den [Jesus Christus] muss freilich der Himmel aufnehmen bis zu den Zeiten der<br />
Wiederherstellung aller Dinge, von denen Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten von jeher geredet<br />
hat. «<br />
1Kor 15,24: »…dann das Ende, wenn er [= Jesus] das Reich dem Gott und Vater übergibt; wenn er alle<br />
Herrschaft und alle Gewalt und Macht weggetan hat. 25 Denn er muss herrschen, bis er alle Feinde unter<br />
seine Füße gelegt hat. 26 Als letzter Feind wird der Tod weggetan. 27 ›Denn alles hat er seinen Füßen<br />
unterworfen. …‹«<br />
Kol 1,19 »denn es gefiel der ganzen Fülle, in ihm [= Jesus] zu wohnen 20 und durch ihn alles mit sich zu<br />
versöhnen – indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes -, durch ihn, sei es, was auf der<br />
Erde oder was in den Himmeln ist.<br />
Röm 5,18 Wie es nun durch eine Übertretung für alle Menschen zur Verdammnis [kam], so auch durch eine<br />
Gerechtigkeit für alle Menschen zur Rechtfertigung des Lebens.<br />
Phil 2,9 Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen verliehen, der über jeden Namen ist, 10<br />
damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, 11 und<br />
jede Zunge bekenne, das Jesus Christus Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.<br />
Eph 1,9 Er hat uns ja das Geheimnis seines Willens kundgetan nach seinem Wohlgefallen, das er sich<br />
vorgenommen hat in sich selbst 10 für die Verwaltung [bei] der Erfüllung der Zeiten: alles<br />
zusammenzufassen in dem Christus, das, was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist.<br />
Diese Texte zeigen, von welchem unbedingten Heilswillen das Evangelium beseelt ist. Dieser Heilwille schließt<br />
das Gericht nicht aus. Das neue Leben könnte nicht beginnen, mit den Schmerzen und Wunden des alten Lebens.<br />
Die Opfer würden es nicht hinnehmen, dass die Verantwortlichen von so viel Ungerechtigkeit mit einer simplen<br />
Geste göttlichen Großmuts das neue Leben beginnen. Alles in uns schreit nach Gerechtigkeit, nach Aufdeckung<br />
des Bösen; danach, dass das gesamte Leben unter das Licht der Wahrheit Gottes gerät. Das Gericht Gottes ist<br />
daher nirgendwo in der Bibel eine einfache Sache. Es ist die Schmerzenskrise des Übergangs von hier nach dort.<br />
Aber der Schrei der Gequälten muss nicht das letzte Bild christlicher Eschatologie sein!<br />
Die Offenbarung des Johannes will so etwas wie ein »Sehschule der Hoffnung« sein. Alles, was Johannes<br />
machen will, ist das: Er will uns die »neue Welt« anschaulich machen. Wir dürfen die Fähigkeit nicht verlieren,<br />
»mit geschlossenen Augen konturenscharfe Bilder zu sehen, aus der Reihung von schwarzen Buchstaben auf<br />
einer weissen Seite Farben und Formen aufsteigen zu lassen, in Bildern zu denken« (Italo Calvino, Sechs<br />
Vorschläge für das nächste Jahrtausend, 1995)<br />
318 Immer wieder gerne zitiert das bonmot des pietistischen Missionars Christian Gottlob Barth: »Wer an die<br />
Wiederbringung nicht glaubt, ist ein Ochs; wer sie aber lehrt, der ist ein Esel.«<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
170 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
22/1 Und er zeigte mir einen Strom von Wasser des<br />
Lebens, glänzend wie Kristall,<br />
der hervorging aus dem Thron Gottes<br />
und des Lammes.<br />
2 In der Mitte ihrer Straße und des Stromes,<br />
diesseits und jenseits,<br />
Baum des Lebens, der zwölf Früchte trägt<br />
und jeden Monat seine Frucht gibt;<br />
und die Blätter des Baumes [sind] zur Heilung der<br />
Nationen.<br />
22:1 Kaì ‘edeixén moi potamòn “udatoß zw¨jß<br />
lampròn Hwß krústallon,<br />
hekporeuómenon hek toü qrónou toü qeoü<br />
kaì toü harníou.<br />
22:2 hen més^w t¨jß plateíaß ahut¨jß kaì toü<br />
potamoü henteüqen kaì hekeïqen<br />
xúlon zw¨jß poioün karpoùß dẃdeka,<br />
katà m¨jna “ekaston hapodidoün tòn karpòn<br />
ahutoü, kaì tà fúlla toü xúlou ehiß qerapeían<br />
tẅn heqnẅn.<br />
• Die Bildwelten in V. 1-2 stammen zu einem großen Teil aus der Garten-Eden-Tradition.<br />
• Die Entsprechung von Urzeit und Endzeit, Eden und Neues Jerusalem ist in der<br />
Apokalyptik häufig anzutreffen:<br />
syr<strong>Apk</strong>Bar 4,1-7: »1 Und der Herr sprach zu mir: ›Diese Stadt wird eine Zeitlang preisgegeben, das Volk<br />
wird eine Zeitlang gezüchtigt, und die Welt wird nicht vergessen werden. 2 Oder meinst du vielleicht, dies<br />
sei die Stadt, von der ich gesagt habe: In meine Handflächen habe ich dich gezeichnet 319 ? 3 Nicht ist es<br />
dieser Bau, der nun in eurer Mitte auferbaut. Es ist bei mir, was offenbar wird werden, was hier schon seit<br />
der Zeit bereitet ward, in der das Paradies zu schauen ich beschlossen hatte. 4 Und ich habe es Adam<br />
gezeigt, bevor er sündigte; als er aber das Gebot übertreten hatte, wurde es ihm weggenommen, genauso wie<br />
das Paradies. 5 Und danach zeigte ich es meinem Knechte Abraham, in der Nacht, zwischen den<br />
Opferhälften. 6 Und weiter zeigte ich es Mose auf dem Berge Sinai, als ich ihm das Bild des (Stifts-)Zeltes<br />
zeigte und aller seiner Geräte. 7 Siehe (so) ist es nun bewahrt bei mir gleichwie das Paradies.«<br />
4Esra 8,52: »51 Du aber denk an dein eigenes Los und frag nach der Herrlichkeit derer, die dir gleichen. 52<br />
Denn für euch ist das Paradies geöffnet, der Baum des Lebens gepflanzt, die kommende Welt bereitet, die<br />
Seligkeit vorbereitet, die Stadt erbaut, die Ruhe zugerüstet, die Güte vollkommen gemacht, die Weisheit<br />
vollendet. 53 Die Wurzel (des Bösen) ist vor euch versiegelt, die Krankheit vor euch ausgetilgt, der Tod<br />
verborgen; die Unterwelt ist entflohen, die Vergänglichkeit vergessen. 54 Die Schmerzen sind vergangen,<br />
und erschienen ist am Ende der Schatz der Unsterblichkeit. «<br />
Testamente der 12 Patriarchen T. Dan 5,12-13: »12 Und die Heiligen werden in Eden ausruhen, und über<br />
das neue Jerusalem werden sich die Gerechten freuen [dieses ist die ewige Herrlichkeit Gottes]. 13 Und<br />
Jerusalem wird nicht länger Verwüstung erdulden, noch Israel in Gefangenschaft bleiben, denn der Herr wird<br />
in ihrer Mitte sein [und mit den Menschen wandeln], und der Heilige Israels wird über ihnen König sein [in<br />
Erniedrigung und Armut; und wer auf ihn vertraut, wird in Wahrheit im Himmel herrschen.]<br />
• Ein Wasserstrom gehört zum Eden dazu (Gen 2,10), spielt dann auch in der<br />
Beschreibung des Neuen Tempels in Ez 47,1-12 eine Rolle 320 .<br />
• »Lebendiges Wasser« ist – im nicht-übertragenen Sinne – fließendes und v.a. trinkbares<br />
Wasser 321 . Der Ausdruck wird selten metaphorisch gebraucht (Jer 17,13 in Bezug auf<br />
Gott) und ist charakteristisch für die johanneische Sprache (Joh 4,10; 7,38) und damit<br />
eines der (wenigen) aussagekräftigen Sprachverbindungen zwischen <strong>Apk</strong>Joh und<br />
EvJoh.<br />
• Die sozialgeschichtliche Bedeutung von frischem Trinkwasser im Nahen Osten war<br />
damals (wie heute) enorm. 322<br />
319 Zitat aus Jes 49,16 »Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet; deine Mauern sind immerdar vor mir.«<br />
320 Vgl. Sach 14,8: »Zu der Zeit werden lebendige Wasser aus Jerusalem fliessen (LXX: eẋeleu/setai<br />
u¢dwr zw◊n eẋ Ierousalhm), die eine Hälfte zum Meer im Osten und die andere Hälfte zum Meer im Westen,<br />
und so wird es sein im Sommer und im Winter.« Weiterhin: Joel 3,18 (MT 4,18); Ps 46,4 [5]; 65,9 [MT 10]; Jes<br />
33,21; Sir 50,3; EpArist 89; Tacitus, Hist 5,12.<br />
321 Als Beispiel genügt Gen 26,19 »Auch gruben Isaaks Knechte im Grunde und fanden dort eine Quelle<br />
lebendigen Wassers.«<br />
322 Das Fehlen eines solchen Flußes in Jerusalem erklärt vielleicht die eschatologische Sehnsucht danach. H.<br />
Shanks, Did ancient Jerusalem draw water through Warren's shaft?, BAR 33/2 (2007) 64-65; Z. Abells/A. Arbit,<br />
Some New Thoughts on Jerusalem's Ancient Water Systems, PEQ 127 (1995) 2-7; M. Har-El, Wasser und der<br />
Tempel in Jerusalem, in: Jerusalem. Wege in die Heilige Stadt, ed. A. Lessing, Darmstadt 2000, 18-21.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 171<br />
• Das »lebendige« Wasser ist zweimal in der <strong>Apk</strong>Joh vorangekündigt worden:<br />
7,17 …denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen des lebendigen<br />
Wassers (kai« oJdhgh/sei aujtou\ß eṗi« zwhvß phga»ß uJda¿twn), und Gott wird abwischen alle Tränen von<br />
ihren Augen.<br />
21,6 Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will<br />
dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.<br />
• Die Assoziation von Wasser und Kristall begegnet sonst nur in der Beschreibung des<br />
Thronsaals in 4,6 und dient hier dazu, die beiden Sphären des Neuen Jerusalems und<br />
des Thronsaals zusammenzubringen. Dass das Wasser »aus dem Thron Gottes«<br />
hervorgeht, unterstreicht diese Assoziation.<br />
• Die enge Beiordnung des Lammes zu Gott (durch »und«) ist ein treibendes Motiv der<br />
Christologie der <strong>Apk</strong>Joh. Bereits in der Thronsaalvision (Kap. 4–5) sind »der auf dem<br />
Thron Sitzende« und das Lamm als die zentralen Handlungssubjekte des<br />
apokalyptischen Dramas eingeführt worden. Es liegt in der Konsequenz dieser<br />
Perspektive, dass der Text immer wieder an diese enge Konstellation erinnert 323 :<br />
6,16 und sprachen zu den Bergen und Felsen: Fallt über uns und verbergt uns vor dem Angesicht dessen, der<br />
auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes! (aÓpo\ prosw¿pou touv kaqhme÷nou eṗi« touv qro/nou<br />
kai« aÓpo\ thvß ojrghvß touv aÓrni÷ou)<br />
7,9 Danach sah ich, und siehe, eine grosse Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und<br />
Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm (eṅw¿pion touv qro/nou<br />
kai« eṅw¿pion touv aÓrni÷ou), angetan mit weissen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, 10 und<br />
riefen mit grosser Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm (twˆ◊<br />
kaqhme÷nwˆ eṗi« twˆ◊ qro/nwˆ kai« twˆ◊ aÓrni÷wˆ)!<br />
14,4 Diese sind’s, die sich mit Frauen nicht befleckt haben, denn sie sind jungfräulich; die folgen dem Lamm<br />
nach, wohin es geht. Diese sind erkauft aus den Menschen als Erstlinge für Gott und das Lamm (twˆ◊ qewˆ◊<br />
kai« twˆ◊ aÓrni÷wˆ)…<br />
21,22 Und ich sah keinen Tempel darin; denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel, er und das<br />
Lamm (kai« to\ aÓrni÷on).<br />
22,1 Und er zeigte mir einen Strom lebendigen Wassers, klar wie Kristall, der ausgeht von dem Thron Gottes<br />
und des Lammes (touv qro/nou touv qeouv kai« touv aÓrni÷ou)… [vgl. 3,21]<br />
22,3 Und es wird nichts Verfluchtes mehr sein. Und der Thron Gottes und des Lammes (oJ qro/noß touv qeouv<br />
kai« touv aÓrni÷ou) wird in der Stadt sein, und seine Knechte werden ihm dienen<br />
• Das Lebenswasser steht im Zusammenhang mit dem Lebensbaum in V. 2. 324 Hier<br />
variiert der Text Ez 47,12 325 :<br />
»Und an dem Strom werden an seinem Ufer auf beiden Seiten allerlei fruchtbare Bäume wachsen; und ihre<br />
Blätter werden nicht verwelken, und mit ihren Früchten hat es kein Ende. Sie werden alle Monate neue<br />
Früchte bringen; denn ihr Wasser fliesst aus dem Heiligtum. Ihre Früchte werden zur Speise dienen und ihre<br />
Blätter zur Arznei.« [kai« eṗi« touv potamouv aÓnabh/setai eṗi« touv cei÷louß aujtouv enqen kai« enqen<br />
pa◊n xu/lon brw¿simon ouj mh\ palaiwqhvØ eṗΔ∆ aujtouv oujde« mh\ e˙kli÷phØ oJ karpo\ß aujtouv thvß<br />
kaino/thtoß aujtouv prwtobolh/sei dio/ti ta» u¢data aujtw◊n e˙k tw◊n agi÷wn tauvta e˙kporeu/etai kai«<br />
estai oJ karpo\ß aujtw◊n ei˙ß brw◊sin kai« aÓna¿basiß aujtw◊n ei˙ß uJgi÷eian]<br />
• Die Singularform »Baum« in V. 2a ist am besten kollektiv zu verstehen; nur so lässt<br />
sich die Angabe »diesseits und jenseits« verständlich machen.<br />
323 Aune in seinem Kommentar erklärt diese Beifügung mit kai meist als »expansion of an earlier text« (z.B.<br />
III, 1177). M.E. kommt dadurch die gesamtkompositorische Bedeutung von Kap. 4–5 nicht angemessen zur<br />
Geltung.<br />
324 Ähnlich 1QH 8,5-7.<br />
325 Ansonsten begegnet der Lebensbaum in 2,7; 22,2 (2x).14.19; jüdische Parallelen: PsSal 14,3; 1QH 6,14-<br />
19; 10,25f; OdSal 11,16.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
172 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Zum Lebensbaum vgl. auch:<br />
äthHen 25,4-6: »4 Und dieser wohlriechende Baum: kein Sterblicher hat die Macht, ihn zu berühren, bis<br />
zum grossen Gericht; wenn er alles vergelten und vollenden wird für die Ewigkeit, (dann) wird er den<br />
Gerechten und Demütigen übergeben werden. 5 Von seiner Frucht (erwächst) den Auserwählten das Leben,<br />
und er wird nach Norden hin an einen heiligen Ort gepflanzt werden, bei dem Haus des Herrn, des Königs<br />
der Welt. 6 Da werden sie sich freuen voller Freude und fröhlich sein, am heiligen (Ort) werden sie<br />
, seinen Wohlgeruch in ihren Gebeinen, und sie werden ein langes Leben auf Erden leben, wie es<br />
deine Väter lebten, und in ihren Tagen wird sie weder Trauer noch Leid, noch Bedrängnis, noch Plage<br />
erreichen.« 326<br />
• Der Lebensbaum ist nicht nur besonders fruchtbar, er bringt auch monatlich je eine<br />
andere Frucht.<br />
• Die Blätter als Arznei für die Nationen (2c) 327 gehört zu der interessanten Inkonsistenz<br />
dieses Szenarios, bei dem »eigentlich« die Nationen, die Gegner des Lammes, keine<br />
Rolle mehr spielen sollten (s.o.) 328 .<br />
• Notabene: Es gibt im Neuen Jerusalem zwar kein Sonnenlicht, aber dennoch werden<br />
Monate gezählt. Eine Überwindung des Geschöpflichen ist nicht Teil dieser visionären<br />
Welt.<br />
3 Und keinerlei Fluch wird mehr sein;<br />
und der Thron Gottes und des Lammes wird in ihr sein;<br />
und seine Knechte werden ihm dienen,<br />
4 und sie werden sein Angesicht sehen;<br />
und sein Name wird an ihren Stirnen sein.<br />
5 Und Nacht wird nicht mehr sein,<br />
und sie bedürfen nicht des Lichtes einer Lampe und des<br />
Lichtes der Sonne,<br />
denn der Herr, Gott, wird über ihnen leuchten,<br />
und sie werden herrschen in alle Ewigkeit.<br />
22:3 kaì pän katáqema ohuk ‘estai ‘eti. kaì<br />
Ho qrónoß toü qeoü kaì toü harníou hen ahut¨∆ ‘estai,<br />
kaì oHi doüloi ahutoü latreúsousin ahut¨^w,<br />
22:4 kaì ‘oyontai tò próswpon ahutoü,<br />
kaì tò ‘onoma ahutoü hepì tẅn metẃpwn ahutẅn.<br />
22:5 kaì nùx ohuk ‘estai ‘eti,<br />
kaì ohuk ‘ecousin creían fwtòß lúcnou kaì fwtòß<br />
Hjlíou,<br />
“oti kúrioß Ho qeòß fwtísei heph ahutoúß,<br />
kaì basileúsousin ehiß toùß ahiẅnaß tẅn<br />
ahiẃnwn.<br />
• In den Versen 3-5 wechselt der Autor von der Beschreibung dessen, was ihm gezeigt<br />
wird, zur Verheißung (im Futur).<br />
1. Fluch/Bann (3a): Die Bedeutung des neutestamentlichen hapax katáqema<br />
(katathema) ist nicht ganz klar. Allgemeinen Gebrauch entsprechend wäre das<br />
Wort gleichbedeutend mit hanáqema = Fluch, Verfluchtes. Aufgrund der<br />
besonderen Nähe des gesamten Abschnittes zu Sach 14 wäre vielleicht ein<br />
technischer Wortgebrauch denkbar. In Sach 14,11 heisst es:<br />
»Und man wird darin wohnen; es wird keinen Bann mehr geben (LXX: oujk estai aÓna¿qema), denn<br />
Jerusalem wird ganz sicher wohnen.«<br />
Es geht hier um den Kriegsbann, bei dem eine besiegte feindliche Stadt gänzlich<br />
vernichtet und unwohnbar gemacht wird. Es ginge in dem Fall konkret um die<br />
Angst vor einem solchen Vernichtungskrieg 329 (eine Angst, die gerade nach dem<br />
Jahre 70 aus jüdischer Sicht mehr als verstänlich ist).<br />
2. Thron Gottes/Lammes (3b): Der geteilte Thron erscheint auch in 3,21; 22,1 und ist<br />
deutlich eine Metapher für den uneingeschränkten Herrschaftsanspruch Gottes,<br />
welches sich im Tod Jesu (das geschlachtete Lamm) verwirklicht.<br />
326 Eine pagane Parallele findet sich in Lukians Beschreibung der Insel der Seligen in Vera historiae13.<br />
327 Vgl. 4Esra 7,123.<br />
328 Aune, III, 1178 behilft sich mit der Aussage: »The allusion is simply mechanical, however, since there is<br />
no real place in the eschatological scheme of Revelation for ›the healing of the nations‹ construed as their<br />
conversion.«<br />
329 Aune, III, 1178f (obwohl einige Begründungen etwas weit hergeholt erscheinen).<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 173<br />
3. Dienst (3c): Hier nimmt der Text erstmals (!) Bezug auf die Bewohner der Stadt.<br />
Knechte (doüloi) ist in der <strong>Apk</strong>Joh eine der Hauptbezeichnungen für die<br />
Glaubenden (1,1; 2,20; 6,11; 7,3; 10,7; 11,18; 22,3.6.9). Der Begriff stellt eine<br />
Verbindung her zu den Propheten (10,7; 11,18; 22,9) und zu der Engelswelt<br />
(22,9).<br />
Hier »verwirklicht« sich die vorausweisende Vision der »großen Schar« in 7, 9-17, von der der Engel sagt: »Und<br />
er sprach zu mir: Diese sind’s, die gekommen sind aus der grossen Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen<br />
und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes. 15 Darum sind sie vor dem Thron Gottes und<br />
dienen ihm 330 Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen. 16 Sie<br />
werden nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze;<br />
17 denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen des lebendigen Wassers,<br />
und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.«<br />
4. Angesicht sehen (4a): Mit der Verheißung Gottes Angesicht zu sehen, erreicht die<br />
»Sehnsucht nach Nähe« einen Höhepunkt. Im Rahmen einer religiösen<br />
Vorstellungswelt, die so stark von der Unanschaulichkeit Gottes geprägt ist (man<br />
beachte, wie wenig »Gesicht« Gott etwa in <strong>Apk</strong> 4–5 hat!), ist Gottesschau die<br />
stärkste Ausdrucksform vollendeten Enthüllung des Göttlichen. 331<br />
5. Name auf Stirn (4b): Von einer »Gravur« auf der Stirn war bereits bei den 144000<br />
die Rede (7,3; 14,1; vgl. 3,1). Damit wird bleibende Zugehörigkeit zum Ausdruck<br />
gebracht 332 .<br />
6. Keine Nacht/Licht (5a.b.c) 333 : Die letzte Ansage nimmt (wieder) Jes 60,19 auf:<br />
Jes 60,19 Die Sonne soll nicht mehr dein Licht sein am Tage, und der Glanz des Mondes soll dir nicht mehr<br />
leuchten, sondern der HERR wird dein ewiges Licht und dein Gott wird dein Glanz sein.<br />
Im aaronitischen Segensspruch in Num 6,25 lässt Gott »sein Angesicht<br />
leuchten« 334<br />
7. Herrschaft (5d): In der völligen Unterwerfung unter Gott im Dienst partizipieren<br />
die »Diener« von V. 3 an der Herrschaft Gottes. Hier werden gängige Strukturen<br />
von hierarchischer Herrschaft deutlich auf den Kopf gestellt: die »Beherrschten«<br />
sind zuglech »Mit-Herrschende«. Die Heilsvorstellungen der <strong>Apk</strong> sind durchwegs<br />
partizipatorisch (vgl. 5,10: »sie werden herrschen auf Erden«; 20,4.6; s.a. 3,21).<br />
• Theologisch geht es in diesen eschatologischen Heilsbildern um a) die<br />
Wiederherstellung eines protologischen Ur-Ideals (»Eden«) und b) die Aufhebung der<br />
Trennlinie zwischen Gott und (sündiger) Welt.<br />
• Religionspsychologisch kommt darin auch eine unglaublich starke Sehnsucht nach<br />
Ganzheit zum Ausdruck. Alles ist durchsichtig, hell, lebendig, klar, prachtvoll und<br />
offen.<br />
330 Das Verb latreúw (»dienen«) kommt in der <strong>Apk</strong>Joh nur in 7,15 und 22,3 vor!<br />
331 Vgl. (u.a.) Hiob 33,26; Ps 10,11; 17,15; 84,7; Mt 5,8; Hebr 12,14; 1Joh 3,2; 3Joh 11; Jub 1,28; 4Esra<br />
7,91.98; äthHen 102,8; Zur Unanschaulichkeit Gottes vgl. Ex 3,6; 20,19; 33,20-23; Joh 1,18; 6,46; 1Joh 4,12;<br />
1Tim 6,15f. Ob die höchsten Engel Gott sehen können, ist umstritten; so verdecken die Seraphim ihr Gesicht<br />
(Jes 6,2); Mt 18,10 weiss jedoch von so. »Angesichts-Engel«, die wohl die höchste Engelsränge bekleiden. auch<br />
in paganen Kontexten ist dieser Topos belegt: Ps-Orpheus 21-22.24 (FHJA 4); Homer, Od. 16,179; Hymnos an<br />
Aphrodite 1,181f; Apollod 3,4,3; Ovid, Metam. 3,253-315; Hyginus, Fab. 179. Es ist (vielleicht) ein<br />
Unterschied, ob man Gott nicht sehen kann, weil man a) dem Eindruck des Heiligen nicht gewachsen ist<br />
(fascinosum tremens), b) nicht dafür ausgestattet ist (ästhetische Limitierung) oder c) er schlicht unsichtbar ist.<br />
Zur Unsichtbarkeit Gottes vgl. Röm 1,20; Kol 1,15; 1Tim 1,17; Heb 11,27.<br />
332 Das Pronomen ‘onoma ahutoü kann sich auf Gott oder das Lamm beziehen; vielleicht (warum nicht?)<br />
auf beides.<br />
333 Eine Liste von insg. 27 Dingen, die es im Eschaton nicht mehr geben wird, findet sich in 4Esra 7,38-42.<br />
334 LXX: eṗifa¿nai ku/rioß to\ pro/swpon aujtouv eṗi« se«.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
174 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
2.13 Epilog (22,6-21) 335<br />
Lit:.<br />
Aune, D.E. The prophetic circle of John of Patmos and the exegesis of Revelation 22:16, in:<br />
Apocalypticism, prophecy and magic in early Christianity. Collected essays (WUNT 199), Tübingen<br />
2006, 250-260. – Biguzzi, G. The chaos of Rev 22,6-21 and prophecy in Asia, Bib 83/2 (2002) 193-210.<br />
– Böttrich, Chr. ›O Christe Morgensterne ...‹. <strong>Apk</strong> 22,16 vor dem Hintergrund alttestamentlicher<br />
Königstheologie, in: Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie, ed. W.<br />
Kraus / K.-W. Niebuhr (WUNT 2:162), Tübingen 20<strong>03</strong>, 211-250. – Goranson, S. The text of Revelation<br />
22.14, NTS 43/1 (1997) 154-157. – Hartman, L. Form and Message. A Preliminary Discussion of<br />
›Partial Texts‹ in Rev 1-3 and 22,6ff, in: L'Apocalypse johannique et l'Apocalyptique dans le Nouveau<br />
Testament, ed. J. Lambrecht (BEThL 53), Gembloux 1980, 129-149 = Text-centered New Testament<br />
studies. Text-theoretical essays on early Jewish and early Christian literature, ed. D. Hellholm (WUNT<br />
102), Tübingen 1997, 125-149. – Hieke, T. / Nicklas, T. ›Die Worte der Prophetie dieses Buches‹.<br />
Offenbarung 22,6-21 als Schlussstein der christlichen Bibel Alten und Neuen Testaments gelesen (BThS<br />
62), Neukirchen-Vluyn 20<strong>03</strong>. – Hieke, T. ›Biblische Texte als Texte der Bibel auslegen‹ - Dargestellt am<br />
Beispiel von Offb 22,6-21 und anderen kanonrelevanten Texten, in: Der Bibelkanon in der<br />
Bibelauslegung. Beispielexgesen und Methodenreflexionen, ed. E. Ballhorn / G. Steins, Stuttgart 2007,<br />
331-345. – Huber, K. / Hasitschka. M. Die Offenbarung des Johannes im Kanon der Bibel. Textinterner<br />
Geltungsanspruch und Probleme der kanonischen Rezeption, in: The biblical canons, ed. J.-E. Auwers /<br />
Henk Jan de Jonge (BEThL 163), Leuven 20<strong>03</strong>, 607-618. – Philonenko, M. ›Dehors les chiens‹<br />
(Apocalypse 22.16 et 4QMMT B 58-62), NTS 43/3 (1997) 445-450. – Royalty, R.M. Don't touch this<br />
book!: Revelation 22:18-19 and the rhetoric of reading (in) the Apocalypse of John, BibInt 12 (2004)<br />
282-299. – Sänger, D. ›Amen, komm, Herr Jesus!‹ (<strong>Apk</strong> 22,20). Anmerkungen zur Christologie der<br />
Johannes-Apokalypse, in: Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung (FS O. Böcher), ed.<br />
F.W. Horn et al. Neukirchen-Vluyn 2005, 71-92 = Von der Bestimmtheit des Anfangs. Studien zu Jesus,<br />
Paulus und zum frühchristlichen Schriftverständnis, Neukirchen-Vluyn 2007, 349-370. – Tilly, M.<br />
Textsicherung und Prophetie. Beobachtungen zur Septuaginta-Rezeption in <strong>Apk</strong> 22,18f, in: Studien zur<br />
Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung (FS O. Böcher), ed. F.W. Horn et al. Neukirchen-Vluyn 2005,<br />
232-247.<br />
2.13.1 Zwei Gewissheiten: Wahrhaftigkeit des Buches & Nähe der<br />
Ankunft (22,6-7)<br />
6 Und er sprach zu mir:<br />
Diese Worte sind gewiß und wahrhaftig.<br />
Und der Herr, der Gott der Geister der Propheten,<br />
hat seinen Engel gesandt,<br />
seinen Knechten zu zeigen,<br />
was bald geschehen muss:<br />
7 Und siehe, ich komme bald.<br />
Glückselig, der die Worte der Weissagung dieses<br />
Buches bewahrt!<br />
22:6 Kaì e~ipén moi,<br />
Oûtoi oHi lógoi pistoì kaì haljqinoí,<br />
kaì Ho kúrioß, Ho qeòß tẅn pneumátwn tẅn<br />
profjtẅn, hapésteilen tòn ‘aggelon ahutoü<br />
deïxai toïß doúloiß ahutoü<br />
”a deï genésqai hen tácei.<br />
22:7 kaì hidoù ‘ercomai tacú.<br />
makárioß Ho tjrẅn toùß lógouß t¨jß profjteíaß<br />
toü biblíou toútou.<br />
• Als Sprecher der Worte kommt nur der »Tour-Guide-Engel« aus 21,9.15 sein.<br />
• Der Engel bestätigt mit einer Schwurformel die Worte des Propheten. Ähnlich bereits<br />
in:<br />
19,9 Und er sprach zu mir: Schreibe: Selig sind, die zum Hochzeitsmahl des Lammes berufen sind. Und er<br />
sprach zu mir: Dies sind wahrhaftige Worte Gottes.<br />
21,5 Und der auf dem Thron sass, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese<br />
Worte sind wahrhaftig und gewiss!<br />
• Nach der Schwurformel ist nicht klar, ob die direkte Rede des Engels weitergeht oder<br />
die Erzählstimme einsetzt. Da in V. 7 der kommende Herr in erster Person spricht,<br />
335 Entgegen einer früheren Aufteilung bin ich jetzt der Auffassung, dass der Epilog mit 22,6 beginnt, was –<br />
oh Schreck! – sogar Mehrheitsmeinung ist.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 175<br />
wäre es möglich, 6b als narrative Einleitung zur direkten Rede in 7 zu lesen. Dann<br />
aber wäre mit dem Kyrios-Titel der kommende Christus gemeint... (Möglich, aber<br />
wohl wenig wahrscheinlich.)<br />
• Der Rückbezug auf das ganze Buch wird m.E. darin sichtbar, dass hier 1,1 wieder<br />
deutlich aufgenommen wird:<br />
22,6 Und er sprach zu mir: Diese Worte sind gewiss<br />
und wahrhaftig;<br />
und der Herr, der Gott (oJ qeo\ß) des Geistes der<br />
Propheten,<br />
hat seinen Engel gesandt (aÓpe÷steilen to\n<br />
a‡ggelon aujtouv),<br />
zu zeigen seinen Knechten (dei√xai toi√ß<br />
dou/loiß aujtouv),<br />
was bald geschehen muss (a± dei√ gene÷sqai<br />
eṅ ta¿cei).<br />
[7]<br />
8a Und ich, Johannes, bin es (KaÓgw» Δ∆Iwa¿nnhß),<br />
der dies gehört und gesehen hat (oJ aÓkou/wn kai«<br />
ble÷pwn tauvta).<br />
1,1 Dies ist die Offenbarung Jesu Christi,<br />
die ihm Gott (oJ qeo\ß) gegeben hat,<br />
zu zeigen seinen Knechten (dei√xai toi√ß dou/loiß<br />
aujtouv),<br />
was bald geschehen muss (a± dei√ gene÷sqai eṅ<br />
ta¿cei);<br />
und er hat sie durch seinen Engel gesandt (kai«<br />
eṡh/manen aÓpostei÷laß dia» touv aÓgge÷lou aujtouv)<br />
und seinem Knecht Johannes kundgetan (twˆ◊ dou/lwˆ<br />
aujtouv Δ∆Iwa¿nnhØ),<br />
2 der bezeugt hat das Wort Gottes und das Zeugnis von<br />
Jesus Christus, alles, was er gesehen hat (o¢sa ei•den.).<br />
• Der Prophet kündigt an, was geschehen wird 336 , und zwar bald (hen tácei)<br />
• V. 7a: Die Ankündigung des baldigen Kommens des Parusie-Christus knüpft wie ein<br />
Echo auf das Stichwort »bald« an. Die Naherwartung der Joh<strong>Apk</strong> ist sehr ausgeprägt<br />
(vgl. zu 22,20).<br />
• In 7b folgt die sechste von sieben Seligpreisungen (1,3; 14,13; 16,15; 19,9; 20,6;<br />
22,14). Mit dem Verb tjréw »halten« bringt der Text deutlich sein moralisches<br />
Interesse zum Ausdruck (vgl. 1,3; 2,26; 3,3.8.10; 12,17; 14,12; 16,15; 22,7.9). 337<br />
• Wichtig: Apokalyptik und Ethik gehören eng zusammen; es geht nicht nur (und<br />
vielleicht nicht in erster Linie) um die Enthüllung von Ereignissen, um ihre<br />
chronologsiche Abfolge und um die damit verbundene Geschichtsspekulation.<br />
2.13.2 Johannes will den Engel anbeten (22,8-9)<br />
8 Und ich, Johannes, bin der,<br />
welcher diese Dinge hörte und sah;<br />
und als ich [sie] hörte und sah,<br />
fiel ich nieder,<br />
um anzubeten vor den Füßen des Engels,<br />
der mir diese Dinge zeigte.<br />
9 Und er spricht zu mir:<br />
Siehe zu, [tu es] nicht!<br />
Ich bin dein Mitknecht<br />
und der deiner Brüder, der Propheten,<br />
und derer, welche die Worte dieses Buches<br />
bewahren.<br />
Bete Gott an!<br />
22:8 Khagẁ h Iwánnjß<br />
Ho hakoúwn kaì blépwn taüta.<br />
kaì “ote ‘jkousa kaì ‘ebleya,<br />
‘epesa<br />
proskun¨jsai ‘emprosqen tẅn podẅn toü<br />
haggélou toü deiknúontóß moi taüta.<br />
22:9 kaì légei moi,<br />
“ Ora m´j≥<br />
súndoulóß soú ehimi kaì<br />
tẅn hadelfẅn sou tẅn profjtẅn<br />
kaì tẅn tjroúntwn toùß lógouß toü<br />
biblíou toútou≥<br />
t¨^w qe¨^w proskúnjson.<br />
336 Die Vorstellung der prophetischen Offenbarung dessen, was geschehen wird, knüpft an Dan 2,29 an:<br />
»Du, König, dachtest auf deinem Bett, was dereinst geschehen würde; und der, der Geheimnisse offenbart, hat<br />
dir kundgetan, was geschehen wird (LXX: kai« oJ aÓnakalu/ptwn musth/ria eḋh/lwse÷ soi a± dei√<br />
gene÷sqai).«<br />
337 Deutlicher Rückbezug auf die erste Seligpreisung: 1,3 Selig ist, der da liest und die da hören die Worte<br />
der Weissagung und halten, was darin geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
176 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Der Autor nennt sich hier zum vierten Mal (nach 1,1.4.9) und setzt damit so etwas wie<br />
seine Unterschrift am Ende des Werkes.<br />
• »Hören« und »sehen« sind die beiden elementaren Wahrnehmungsmodi des Textes.<br />
• Anbetungsversuch des Engels wiederholt eine Szene aus 19,10 (s.o.).<br />
2.13.3 Abschließende Paränese (22,10-20)<br />
• Die Ordnung (bzw. die fehlende Ordnung) in diesem Abschnitt hat Anlass zu<br />
Umstellungen, Emendationen und Redaktionstheorien gegeben. Andere erwägen<br />
jedoch die Möglichkeit, dass die jetzige Ordnung das liturgische »Setting« der<br />
Rezeption des Textes reflektiert. 338<br />
10 Und er spricht zu mir:<br />
Versiegle nicht die Worte der Weissagung dieses<br />
Buches;<br />
denn die Zeit ist nahe.<br />
11 Wer unrecht tut, tue noch unrecht, und<br />
der Unreine verunreinige sich noch,<br />
und der Gerechte übe noch Gerechtigkeit,<br />
und der Heilige heilige sich noch.<br />
22:10 kaì légei moi,<br />
M`j sfragís∆ß toùß lógouß t¨jß profjteíaß toü<br />
biblíou toútou,<br />
Ho kairòß gàr heggúß hestin.<br />
22:11 Ho hadikẅn hadikjsátw ‘eti,<br />
kaì Ho Hruparòß Hrupanq´jtw ‘eti,<br />
kaì Ho díkaioß dikaiosúnjn poijsátw ‘eti,<br />
kaì Ho “agioß Hagiasq´jtw ‘eti.<br />
• Spricht weiterhin der Engel aus 22,8f?<br />
• Der Auftrag, dass Buch nicht zu versiegeln, erhält durch den Bezug zu Dan 12 eine<br />
interessante Note:<br />
Dan 12,4 Und du, Daniel, verbirg diese Worte, und versiegle dies Buch bis auf die letzte Zeit (kai«<br />
sfra¿gisai to\ bibli÷on eºwß kairouv suntelei÷aß). Viele werden es dann durchforschen und grosse<br />
Erkenntnis finden. 12,9 Er aber sprach: Geh hin, Daniel; denn es ist verborgen und versiegelt bis auf die<br />
letzte Zeit (kai« eṡfragisme÷na ta» prosta¿gmata eºwß a·n). (s.a. 8,26) 339<br />
• Hier zeichnet sich deutlich das unterschiedliche Zeitverständnis zwischen Joh<strong>Apk</strong> und<br />
Dan. Die Deutung des Todes Jesu als apokalyptischer Eröffnungsakt führt zu einer<br />
Intensivierung der Zeiterfahrung. Eine Versiegelung ist ebenso wenig notwendig wie<br />
der Rückgriff des Autors »Johannes« auf den Namen eines altehrwürdigen<br />
Offenbarungsträgers.<br />
• Das Besondere an dieser ersten christlichen Apokalypse ist, dass sie sich nicht durch<br />
eine archaische Fiktion (z.B. durch den Gebrauch eines Patriarchennamens) zu<br />
behaupten versucht. Der Autor ist bekannt, er ist ein christlicher Prophet, er<br />
»versteckt« sich hinter niemanden und er verantwortet sich voll und ganz für den<br />
Inhalt seiner prophetischen Rede.<br />
• Deswegen – in einem bewussten Gegensatz zu Dan – versiegelt der Autor sein Buch<br />
nicht.<br />
• Der Zusammenhang von V. 11 ist nicht ganz klar. Der Text betont den<br />
Entscheidungscharakter der Gegenwart 340 .<br />
• Der Eindruck jedoch ist fatalistisch: Es mögen die Bösen weiterhin Böses tun und die<br />
Guten weiterhin Gutes. An eine Gesinnungsänderung ist nicht gedacht. Und<br />
tatsächlich gibt es in der Joh<strong>Apk</strong> wenig Hinweise für einen generellen Umkehrruf 341 .<br />
338 Ausufernd dazu Aune III, 1201-1208.<br />
339 In 4Esra 12,37; 14,5f.45f ist ähnlich davon die Rede, das Buch zu verbergen bis zu einer vorgegebenen<br />
Zeit (ähnlich T. Mos. 1,17f). Durch diesen kompositorischen »Trick« wird natürlich auch die Pseudepigraphie<br />
erklärt; d.h. es wird ein Grund für den seltsamen Umstand gegeben, dass ein Buch von »Daniel« oder von<br />
»Esra« erst zu einer viel späteren Zeit auftaucht.<br />
340 Giesen (RNT) z.St.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 177<br />
• Als Aufruf zur Umkehr kann man 11a nur dann deuten, wenn man die Aufforderung<br />
ironisch versteht (im Sinne von »sündigt nur fröhlich weiter«).<br />
12 Siehe, ich komme bald<br />
und mein Lohn mit mir,<br />
um einem jeden zu vergelten,<br />
wie sein Werk ist.<br />
13 Ich bin das Alpha und das Omega,<br />
der Erste und der Letzte,<br />
der Anfang und das Ende.<br />
22:12 h Idoù ‘ercomai tacú,<br />
kaì Ho misqóß mou meth hemoü,<br />
hapodoünai Hekást^w<br />
Hwß tò ‘ergon hestìn ahutoü.<br />
22:13 hegẁ tò ‘ Alfa kaì tò ~ W,<br />
Ho prẅtoß kaì Ho ‘escatoß,<br />
Hj harc`j kaì tò téloß.<br />
• Ähnlich wie in V. 6f wechselt die Rednerstimme unvermittelt vom Engel zum<br />
kommenden Herrn.<br />
• Vgl. zur Naherwartung zu 22,20.<br />
• Der weitere Wortlaut hat Anleihen an Jes 40,10 in der Septuaginta-Fassung:<br />
»Siehe (iḋou\), der Herr kommt (ercetai) mit Kraft und der Arm mit Herrschergewalt. Siehe sein Lohn mit<br />
ihm (oJ misqo\ß aujtouv metΔ∆ aujtouv) und das Werk vor ihm (kai« to\ ergon eṅanti÷on aujtouv).«<br />
• Das Gericht nach Werken bestimmt die moralische Perspektive der Joh<strong>Apk</strong> (2,23;<br />
18,6; 20,12f). 342<br />
• Christus erscheint hier deutlich als Richter (s.a. 2,23), was für den Apokalyptiker in<br />
keinem Widerspruch mit der Tatsache zu stehen scheint, dass Gott richtet (20,11-14).<br />
• 13: Selbstoffenbarung: »Ich bin« mit antithetischen Formulierungen<br />
Alpha und Omega Erste und Letzte Anfang und Ende<br />
1,8: Gott (1. Pers.) 1. - -<br />
1,17b: Christus (1. Pers.) - 1. -<br />
2,8: Christus (3. Pers.) - 1.<br />
-<br />
(+ »der tot war und lebendig«)<br />
21,6: Gott (1. Pers.) 1. - 2.<br />
22,13: Christus (1. Pers.) 1. 2. 3.<br />
• In 22,13 kommen alle Formulierungen in christologischer Zuspitzung zusammen.<br />
14 Glückselig, die ihre Kleider waschen,<br />
damit ihnen Vollmacht sei über den Baum des<br />
Lebens<br />
und durch die Tore in die Stadt hineingehen!<br />
15 Draußen sind die Hunde und die Zauberer<br />
und die Unzüchtigen und die Mörder<br />
und die Götzendiener<br />
und jeder, der die Lüge liebt und tut.<br />
22:14 Makárioi oHi plúnonteß tàß stolàß ahutẅn,<br />
“ina ‘estai Hj hexousía ahutẅn hepì tò xúlon t¨jß<br />
zw¨jß<br />
kaì toïß pulẅsin ehisélqwsin ehiß t`jn pólin.<br />
22:15 ‘exw oHi kúneß kaì oHi fármakoi<br />
kaì oHi pórnoi kaì oHi foneïß<br />
kaì oHi ehidwlolátrai<br />
kaì päß filẅn kaì poiẅn yeüdoß.<br />
• Die letzte von sieben Seligpreisungen (s. 22,7) erinnert an 2,7:<br />
2,7 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem will ich zu essen<br />
geben von dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist.<br />
• »Waschen der Kleider« begegnet auch in 7,14. Angesichts der Statusfunktion von<br />
Kleidung in der Antike, liegt der metaphorische Gebrauch von Kleidung für einen<br />
neuen Zustand auf der Hand. 343<br />
341 Zur Umkehr (metan-) werden die Glaubenden aufgerufen: 2,5.16.21; 3,3.19. Im Gegensatz dazu kehren<br />
die von den Endzeitschrecken Geplagten gerade nicht um (9,20f; 16,9.11).<br />
342 Vgl. 1Clem 34,3 für eine auffällige frühchristliche Parallele zu <strong>Apk</strong> 22,12.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
178 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
• Die reinen Kleider sind Vorbedingung für das Eingehen in die Stadt.<br />
• Die Vollmacht über den Baum des Lebens macht Gen 3,22-24 »rückgängig«:<br />
Gen 3,22 Und Gott der HERR sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiss, was gut<br />
und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens<br />
und esse und lebe ewiglich! 23 Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute,<br />
von der er genommen war. 24 Und er trieb den Menschen hinaus und liess lagern vor dem Garten Eden die<br />
Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.<br />
äthHen 25,4: Und dieser wohlriechende Baum: kein Sterblicher hat die Macht, ihn zu berühren, bis zum<br />
grossen Gericht; wenn er alles vergelten und vollenden wird für die Ewigkeit, (dann) wird er den Gerechten<br />
und Demütigen übergeben werden. 5 Von seiner Frucht (erwächst) den Auserwählten das Leben, und er wird<br />
nach Norden hin an einen heiligen Ort gepflanzt werden, bei dem Haus des Herrn, des Königs der Welt. 6 Da<br />
werden sie sich freuen voller Freude und fröhlich sein, am heiligen (Ort) werden sie , seinen<br />
Wohlgeruch in ihren Gebeinen, und sie werden ein langes Leben auf Erden leben, wie es deine Väter lebten,<br />
und in ihren Tagen wird sie weder Trauer noch Leid, noch Bedrängnis, noch Plage erreichen.<br />
• Eingehen in die Stadt = Heilsbild<br />
• V. 15: Lasterkatalog (s.o. zu 21,8) 344<br />
16 Ich, Jesus, habe meinen Engel gesandt,<br />
euch diese Dinge für die Gemeinden zu bezeugen.<br />
Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids,<br />
der glänzende Morgenstern.<br />
17 Und der Geist und die Braut sagen:<br />
Komm!<br />
Und wer es hört, spreche:<br />
Komm!<br />
Und wen dürstet, der komme!<br />
Wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst!<br />
22:16 h Egẁ h Ijsoüß ‘epemya tòn ‘aggelón mou<br />
martur¨jsai Humïn taüta hepì taïß hekkljsíaiß.<br />
hegẃ ehimi Hj Hríza kaì tò génoß Dauíd,<br />
Ho hast`jr Ho lampròß Ho prwvinóß.<br />
22:17 Kaì tò pneüma kaì Hj númfj légousin,<br />
‘ Ercou.<br />
kaì Ho hakoúwn ehipátw,<br />
‘ Ercou.<br />
kaì Ho diyẅn hercésqw,<br />
Ho qélwn labétw “udwr zw¨jß dwreán.<br />
• V. 16 ist schwer einzuordnen: Die Pluralform »euch« lässt sich auf die Gemeinden<br />
beziehen. Die Formulierung (Absetzung mit hepí) ist aber besser zu verstehen als<br />
Hinweis auf zwei Gruppen. Wenn das zutrifft, dann würde Johannes zu so etwas wie<br />
einen Prophetenverband gehören, die in seinem Auftrag die Botschaft in Kleinasien<br />
weitertragen. 345<br />
• Die Sendung des Engels durch Jesus ist in 1,1 bereits bezeugt.<br />
• 16c ist eine traditionell jüdische Messiasbezeichnung (vgl. 5,5), welche die davidische<br />
Herkunft des Messias betont. 346<br />
• »Morgenstern« ist bereits in 2,28 gebraucht worden 347 .<br />
• In V. 17a sprechen das Pneuma und die Braut (21,2.9) gemeinsam den Wunsch, das<br />
Jesus komme, aus. Das Pneuma war bereits Redender in den Sendschreiben<br />
(2,7.11.17.29; 3,6.13.22).<br />
343 Ob hier konkret an die Taufe, an moralische Integrität oder an das Martyrium zu denken ist, lässt sich<br />
m.E. kaum beurteilen. Vgl. dazu Ex 19,10.14; Num 8,7.13.21; Test. Levi 2,3. Num 8,21: »Und die Leviten<br />
entsündigten sich und wuschen ihre Kleider…«<br />
344 Ausführliches zur Metapher »Hund« in Aune (WBC), III, 1222f.<br />
345 Von einer Pluralität von Propheten geht auch 22,9 aus.<br />
346 Anspielung auf Jes 11,10: »Und es wird geschehen zu der Zeit, dass das Reis aus der Wurzel Isais dasteht<br />
als Zeichen für die Völker. Nach ihm werden die Heiden fragen, und die Stätte, da er wohnt, wird herrlich sein.«<br />
347 Num 24,17 (»Stern aus Jakob«) ist (trotz frühjüd. belgter messianischer Deutung) nicht wirklich das<br />
Gleiche wie der »Morgenstern«, obwohl meistens auf diesen Text hingewiesen wird. Ich vermute eher einen<br />
hellenistischen Hintergrund... Immerhin sind Sterne beliebte Ausstattungselemente etwa auf Münzen, um die<br />
»Göttlichkeit« des Kaisers sichtbar zu machen.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 179<br />
• An dieser Stelle erhält der Text eine geradezu responsorische Qualität und man<br />
möchte sich im Akt der Rezeption vorstellen, dass hier tatsächlich die Hörerschaft<br />
antwortet, wenn sie individuell angesprochen werden »und jeder, der höre, sage…«<br />
• Die Hörenden werden eingeladen, vom Lebenswasser umsonst zu empfangen; vgl.<br />
21,6.<br />
18 Ich bezeuge jedem,<br />
der die Worte der Weissagung dieses Buches hört:<br />
Wenn jemand zu diesen Dingen hinzufügt,<br />
so wird Gott ihm die Plagen hinzufügen,<br />
die in diesem Buch geschrieben sind;<br />
19 und wenn jemand von den Worten des Buches<br />
dieser Weissagung wegnimmt,<br />
so wird Gott sein Teil wegnehmen von dem Baum des<br />
Lebens und aus der heiligen Stadt,<br />
von denen in diesem Buch geschrieben ist.<br />
22:18 Marturẅ hegẁ pantì<br />
t¨^w hakoúonti toùß lógouß t¨jß profjteíaß toü<br />
biblíou toútou≥<br />
heán tiß hepiq¨∆ heph ahutá,<br />
hepiq´jsei Ho qeòß heph ahutòn tàß pljgàß<br />
tàß gegramménaß hen t¨^w biblí^w toút^w≥<br />
22:19 kaì heán tiß hafél∆ hapò tẅn lógwn toü<br />
biblíou t¨jß profjteíaß taútjß,<br />
hafeleï Ho qeòß tò méroß ahutoü hapò toü xúlou t¨jß<br />
zw¨jß kaì hek t¨jß pólewß t¨jß Hagíaß,<br />
tẅn gegramménwn hen t¨^w biblí^w toút^w.<br />
• Der Autor oder Jesus beteuert nochmals die prophetische Abgeschlossenheit seines<br />
Buches.<br />
• Er richtet sich explizit an die Hörenden des Buchinhalts im Rahmen einer öffentlichen<br />
lauten Lektüre.<br />
• Die Formel in 18b wird manchmal als »Kanonisierungsformel« bezeichnet. 348<br />
Dtn 4,2 Ihr sollt nichts dazutun zu dem, was ich euch gebiete, und sollt auch nichts davontun, auf dass ihr<br />
bewahrt die Gebote des HERRN, eures Gottes, die ich euch gebiete.<br />
Prov 30,5 Alle Worte Gottes sind durchläutert; er ist ein Schild denen, die auf ihn trauen. 6 Tu nichts zu<br />
seinen Worten hinzu, dass er dich nicht zur Rechenschaft ziehe und du als Lügner dastehst.<br />
Der Aristeabrief erählt, dass nach dem Abschluss der Septuaginta-Übersetzung folgender Beschluss gefasst<br />
wurde: »311 Da nun alle diesen Worten zustimmten, liessen sie, wie es bei ihnen Sitte ist, den verfluchen,<br />
der durch Zusätze, Umstellungen oder Auslassungen (die Übersetzung) überarbeiten würde. Das taten sie zu<br />
Recht, damit sie für alle Zukunft stets unverändert erhalten bleibt.« 349<br />
• Befürchtet der Autor, dass sein Text verändert, weiter bearbeitet wird? Vielleicht...<br />
(gerade angesichts des prophetischen Konflikts mit den Nikolaiten)<br />
Der diese Dinge bezeugt, spricht:<br />
Ja, ich komme bald.<br />
Amen, komm, Herr Jesus!<br />
22:20 Légei Ho marturẅn taüta,<br />
Naí, ‘ercomai tacú.<br />
h Am´jn, ‘ercou, kúrie h Ijsoü.<br />
• Der kommende Herr kündigt sein Kommen (in erster Person Sg. erchomai) genau 7x<br />
an 350 :<br />
2,5 So denke nun daran, wovon du abgefallen bist, und tue Busse und tue die ersten Werke! Wenn aber nicht,<br />
werde ich über dich kommen (ercomai) und deinen Leuchter wegstossen von seiner Stätte wenn du nicht<br />
Busse tust.<br />
2,16 Tue Busse; wenn aber nicht, so werde ich bald über dich kommen (ercomai÷ soi tacu/) und gegen sie<br />
streiten mit dem Schwert meines Mundes.<br />
348 Korrekter wäre »Sicherungsformel« (Kraft, HNT, 282) oder »Vollstädnigkeitsformel« (Aune, WBC III,<br />
1209).<br />
349 Diese Legende wird aufgenommen in Philo, Mos. 2,34; Josephus, Ant. 12,109; C. Ap. 1,42; vgl. aber auch<br />
Ant. 1,17; Bell. 1,26, wo Josephus die Formel für seine eigene Geschichtsschreibung braucht. Zur »integrity<br />
formula« sammelt Aune (WBC) III, 1208-1213 wesentlich mehr Material, als für die Exegese nötig.<br />
350 Da das Verb »bezeugen« in V. 18 und 20 erscheint, läge es vielleicht nahe, dass doch Jesus beide Male<br />
spricht. In 20a ist es aufgrund des folgenden Satzes sicher Jesus.<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
180 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
3,11 Siehe, ich komme bald (ercomai tacu/); halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme!<br />
16,15 Siehe, ich komme wie ein Dieb (ercomai wJß kle÷pthß). Selig ist, der da wacht und seine Kleider<br />
bewahrt, damit er nicht nackt gehe und man seine Blösse sehe.<br />
22,7 Siehe, ich komme bald (ercomai tacu/). Selig ist, der die Worte der Weissagung in diesem Buch<br />
bewahrt.<br />
22,12 Siehe, ich komme bald (ercomai tacu/) und mein Lohn mit mir, einem jeden zu geben, wie seine<br />
Werke sind.<br />
22,20 Es spricht, der dies bezeugt: Ja, ich komme bald (ercomai tacu/). Amen, ja, komm, Herr Jesus!<br />
• Die »kurze Zeit« des Leidens wird betont (6,11; 20,3b).<br />
• Wieder antwortet die Gemeinde; mit der Bitte, Jesus möge kommen. Es handelt sich<br />
hierbei um eine Übersetzung des aramäischen Maranatha (1Kor 16,22; Did 10,6).<br />
2.13.4 Postcriptum (22,21)<br />
Die Gnade des Herrn Jesus sei mit allen!<br />
22:21 H J cáriß toü kuríou h Ijsoü metà pántwn.<br />
• Am Ende nimmt die <strong>Apk</strong>Joh wieder den Briefrahmen auf (vgl. 1,4) und schließt mit<br />
einem typisch paulinischen Abschlusssegen. 351<br />
• Vgl. 1,4:<br />
1,4 Johannes an die sieben Gemeinden in der Provinz Asien: Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da<br />
ist und der da war und der da kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind…<br />
351 vgl. Röm 16,20; 1Kor 16,23; 2Kor 13,14; Gal 6,18; Phil 4,23; Kol 4,18; 1Thess 5,28; 2Thess 3,18; Phlm<br />
25; 1Tim 6,21; 2Tim 4,22b; Tit 3,15; Hebr 13,25; 1Clem 65,2<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]
Exegetische Vorlesung Johannes-Apokalypse 181<br />
3 Rückblick (Stichworte)<br />
• Die <strong>Apk</strong>Joh ist das Buch eines frühchristlichen Propheten.<br />
• Die komplexe Geschichte ihrer Kanonisierung (s.o. 1.2) spiegelt ihre ambivalente<br />
Stellung in der gesamte Christentumsgeschichte wider.<br />
• Die Wirkungsgeschichte der Joh<strong>Apk</strong> ist äusserst reich; sie ist aber auch eine<br />
Missbrauchsgeschichte (v.a. wenn der sozialgeschichtliche Kontext ein völlig anderer<br />
ist).<br />
• Ihre Ambivalenz ist (mind.) vierfach:<br />
1. Ihre Sprache ist nicht wörtlich zu verstehen.<br />
2. Ihre Verweise auf andere Traditionen und Texte ist kaum zu überschauen.<br />
3. Ihre Botschaft pendelt zwischen Trost und Schrecken, Wehrlosigkeit und<br />
Rachephantasie. [Für mich ein Problem ist ist ihre Tendenz »Kritik durch<br />
Überbietung« zu üben.]<br />
4. Ihre Gottesvorstellung ist absolut und radikal theozentrisch – so sehr, dass selbst das<br />
Handeln des »Satans« nichts anderes sein kann als eine Funktion des göttlichen<br />
Willen (vgl. das häufige edothe »es wurde gegeben«).<br />
• Die Zeitdimension der Joh<strong>Apk</strong> ist für uns, nach 2000 Jahren, in ihrer deutlichen<br />
Naherwartung nicht ohne Weiteres nachzuempfinden.<br />
Für Johannes ist seine Gegenwart die zukünftige Endzeit. Für uns stellt sich die Frage, inwiefern das<br />
prophetische Anliegen des Buches zumindest in seiner Zeitdimension nicht dadurch aktualisierbar ist, dass wir<br />
darin nach Bezügen auf unsere unmittelbare Zukunft suchen. Die Symbolsprache ist so offen, dass sie sich für<br />
Zeitbezüge zu allen Zeiten eignet. Das ist vielleicht ihre Stärke und ihre Schwäche. Die Sprache ist eine<br />
»Hohlform« für Situationen, die den Text vereindeutigen. Das bedeutet aber nicht, dass aktuelle Zeitbezüge in<br />
einem Verhältnis von »Ankündigung und Erfüllung« zum Text stehen; eher in einem Verhältnis von »Symbol<br />
und Erklärung«.<br />
• Die Joh<strong>Apk</strong> ist ein »leichtes Opfer« für Endzeitspekulationen, die darin mehr suchen als<br />
Trost in schweren Zeiten (Stichwort »Sensationsbedürfnis«). Solche Spekulationen<br />
können vielfältigen Zwecken dienen (Sicherheit, Angstmacherei, Grenzmarkierung,<br />
Mobilisierung, usw.) und sie sind immer auch politisch zu verstehen.<br />
• Die Aktualisierung der Joh<strong>Apk</strong> (z.B. in der Predigt) ist eine schwere Aufgabe. Einige<br />
mögliche Leitlinien wären:<br />
1. Die Joh<strong>Apk</strong> als eine Hilfe für politische Analysen (zur Aufdeckung von »globalen<br />
Täuschungsmanövern«)<br />
2. Die Joh<strong>Apk</strong> als Anstiftung zu theologischer Phantasie.<br />
3. Die Joh<strong>Apk</strong> als religionsgeschichtlicher Fundus von Symbolen (und damit auch als<br />
ein enorm emotionsbeladenes Buch)<br />
4. Die Joh<strong>Apk</strong> als Trost in bestimmten Situationen (aber auch als Gefahr)<br />
5. Die Joh<strong>Apk</strong> wirdt in radikaler Form die Frage nach dem Verhältnis christlicher Ethik<br />
zur herrschenden Kultur auf. Sie nimmt auch innerhalb des NTs eine rigorose<br />
Stellung ein, erinnert aber an die Gefahren von »Anpassung«.<br />
• In der Apokalyptik ist immer auch die Ethik zu suchen.<br />
• Die Joh<strong>Apk</strong> ist ein »schwerer Freund«, hat aber seine ganz eigenen »Wirkzeiten«.<br />
• Die Aussage in einem Satz: »Gott regiert – nicht Rom«<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]