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8 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)<br />
Aufgabe der Begriffsklärung wird durch den Umstand belastet, dass unterschiedliche Ebenen<br />
im Objektbereich der Untersuchung vermischt werden, die jedoch – wenigstens idealtypisch –<br />
auseinander gehalten werden sollten 15 :<br />
1. »Apokalypse« als Bezeichnung einer literarischen Gattung,<br />
2. »apokalyptisch« zur Charakterisierung einer besonderen zeitlichen Perspektive auf das Ende der Geschichte<br />
und ihren Neuanfang, und<br />
3. »Apokalyptik« (engl. apocalipticism) im Sinne einer eingrenzbaren aber sehr vielfältigen sozio-religiösen<br />
Bewegung, die (nicht nur aber hauptsächlich) die antike Mittelmeerregion zu unterschiedlichen Zeiten und mit<br />
unterschiedlicher Intensität erfasste.<br />
Während der zweite Untersuchungsbereich in die NT-Theologie gehört und der dritte v.a. für<br />
die religionsgeschichtliche Untersuchung von Bedeutung ist, soll hier vornehmlich die<br />
literarische Frage interessieren. Als Ausgangspunkt möchte ich auf den Vorschlag<br />
rekurrieren, den eine Arbeitsgruppe zur Gattung der »Apokalypse« der Society of Biblical<br />
Literature vor einigen Jahrzehnten vorgelegt hat und der sich seither als produktiv erwiesen<br />
hat 16 :<br />
»[A] genre of revelatory literature with a narrative framework, in which a revelation is mediated by an<br />
otherwordly being to a human recipient, disclosing a transcendent reality which is both temporal, insofar as it<br />
envisages eschatological salvation, and spatial insofar as it involves another, supernatural world.«<br />
Übers.: »Eine Gattung von Offenbarungsliteratur mit einem narrativen Rahmen, in der eine Offenbarung<br />
durch ein übernatürliches Wesen einem menschlichen Rezipienten übermittelt wird. Inhalt dieser<br />
Offenbarung ist die Enthüllung einer transzendenten Realität, die eine zeitliche Dimension hat, insofern sie<br />
das endzeitliche Heil im Auge hat, und eine räumliche, insofern sie eine andere, übernatürliche Welt mit<br />
einschließt.«<br />
Im Anschluss an diesen Definitionsvorschlag stellt sich natürlich die Frage, inwiefern<br />
»Apokalypse« von »Prophetie« unterschieden werden kann. Einiges deutet darauf hin, dass<br />
bereits früh zwischen beiden unterschieden wurde:<br />
1. Ausgangspunkt bildet das Danielbuch, das ohne Zweifel als Prototyp für die christlichen und jüdischen<br />
Apokalypsen gelten kann. Während die christlichen Ausgaben des Alten Testaments Daniel als letzten der<br />
»großen Propheten« hinter (zum Teil sogar vor) Ezechiel platzieren, zählt die wesentlich ältere hebräische<br />
Anordnung Daniel nicht einmal zu den Propheten. Dort beendet Daniel die dritte Gruppe der »Schriften«<br />
(ketubim). 17 Die Frage stellt sich also, ob das Danielbuch als »prophetische« Schrift wahrgenommen wurde 18<br />
und ob dies nur mit seiner späteren Entstehung oder auch mit inhaltlichen Aspekten zu tun hat 19 .<br />
2. Die Offb hat mit dem Danielbuch (und anderen davon beeinflussten Werken) viele inhaltliche<br />
Gemeinsamkeiten: Zukunftsvisionen, die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod, Offenbarungen<br />
15 P.D. HANSON, »Apocalypticism«, IDBSup 1976, 28-34; Visionaries and their Apocalypses (Philadelphia,<br />
1983), 8. Bereits K. KOCH, Ratlos vor der Apokalyptik: Eine Streitschrift über ein vernachlässigtes Gebiet der<br />
Bibelwissenschaft und die schädlichen Auswirkungen auf Theologie und Philosophie (Gütersloh: Mohn, 1970)<br />
bemühte sich um eine Unterscheidung zwischen Gattung und ideengeschichtlicher Bewegung. Die hier<br />
vertretene Dreiteilung, die mir erstmals bei HANSON begegnet ist, erfreut sich weiter Anerkennung: vgl.. J.J.<br />
COLLINS, »Apocalyptic Literature«, Early Judaims and its Modern Interpreters, ed. R.A. Kraft, G.W.E.<br />
Nickelsburg (Atlanta: Scholars, 1986), 345-370:345; J.C. VANDERKAM, Enoch and the Growth of an<br />
Apocalyptic Tradition (CBQMS 16; Washington, DC: Catholic Biblical Association, 1984), 2f.<br />
16 Vgl. J.J. Collins, The Jewish Apocalypses, in: Semeia 14 (1979), 21f.<br />
17 Die Deutung dieser Tatsache ist jedoch nicht klar; vgl. K. KOCH, Das Buch Daniel (EdF 144; Darmstadt,<br />
1980), 28f: 1. Der Ort des Danielbuches im hebräischen Kanon ist ursprünglich. Darin spiegelt sich nicht nur<br />
wider, dass das Buch nicht als prophetisch aufgefasst wurde, sondern dass es zu einem Zeitpunkt verfasst wurde,<br />
als der prophetische »Kanon« als abgeschlossen galt (in Sir 49,8-10 wird Daniel nicht als prophetisches Buch<br />
erwähnt). 2. Die negative Bewertung des Danielbuches als prophetisches Buch (b Meg 3a) ist sekundär und läßt<br />
die Vermutung zu, dass es erst a posteriori aus dem Prophetenkanon ausgeschlossen wurde, gerade aufgrund<br />
seiner Nähe zur jüdischen Apokalyptik, die von den Rabbinen des sich formierenden normativen Judentums mit<br />
Verdacht betrachtet wurde.<br />
18 Daniel wird jedoch als »Prophet« bezeichnet in Mt 24,15; 4Qflor II,3 (= DJD 5 [1968], 53-57); Josephus,<br />
Ant 10,11,7 = §266-268; 10,11,4 = 249; vgl. Roger BECKWITH, The Old Testament Canon of the New Testament<br />
Church and its Background in Early Judaism (London: SPCK, 1985), 125-127.<br />
19 Differenzen zu den Prophetenbüchern bilden die auffällig klare Periodisierung der Geschichte, der Blick<br />
auf ein Weltende und der explizite Auferstehungsglaube (von Gerechten und Ungerechten!).<br />
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]