NTEX_FS10_Apk_Skript_Juni_03 - Commonweb

20 FS 2010, Bern (M. Mayordomo)
Diese Eigenheiten gehören zu den fundamentalen Eigenschaften erzählter Traumwelten und sind vielleicht am
ehesten Ausdruck einer theologischen Kritik an gegenwärtigen Realitätskonstruktionen 64 .
Viele Einzelheiten erinnern an die Metamorphosen und Extravaganzen erzählter
Traumwelten. Die Sprache der Offenbarung kommuniziert damit eine wichtige Einsicht, die
die Träume des Sehers zum Alptraum jeder Exegese werden lässt, die eine maximale
Kontrolle des Textsinns anstrebt: Die Realität hat einen doppelten Boden. Nichts ist, wie es
zu sein scheint. In einer Welt, in der Löwen zu Lämmern mutieren, mächtige Städte Huren
sind und Drachen fliegende Frauen zu ertränken versuchen, unterliegt auch die Sprache einer
Metamorphose. Zuweilen verlieren die Wörter ihre Schwerkraft, ihre Konturen werden
fließend. Wir »sehen« in der Offb zwar sehr viel Gewalt, aber wir können nicht mit
Gewissheit sagen, ob das Blut, das da fließt, »echt« ist.
der beiden Zeugen (11,1-14), woraufhin die siebte folgt (11,15ff). Die Abfolge der sieben Zornesschalen wird
hingegen nicht unterbrochen (15,1-16,21).
64 Einen interessanten, aber nicht ganz ausgereiften Ansatz verfolgt HURTGEN, Anti-Language, der mithilfe
der soziolinguistischen Analyse von Minderheitenjargons die beiden Hauptaspekte der Überindexikalisierung
(alte Begriffe mit neuen Bedeutungen) und Re-Indexikalisierung (neue Begriffe) für die Sprache der Offb
fruchtbar zu machen versucht. Interessant wäre auch der Vergleich zur politischen Satire etwa von »Alice im
Wunderland« oder zur surrealistischen Malerei etwa von Dali.
[Vorlesungsmanuskript, nur für privaten Gebrauch]