Liebe Leserinnen und Leser, - Draußen
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Armutszeugnis | Text: Valerie Kranig | Foto: Wolfgang Beyer<br />
Kein Taxi für<br />
Obdachlose<br />
Taxis: Manchmal obdachlosenfreie Zone<br />
Taxifahrer haben es oft nicht einfach.<br />
Besonders am Wochenende,<br />
wenn die Besoffenen unterwegs<br />
sind. Sitzen sie erst mal drin, dann<br />
kriegt man sie später meistens nur<br />
schwer wieder raus. Und manchem<br />
Betrunkenen kommt bei der Schaukelei<br />
alles hoch, was in der Kneipe<br />
auf dem Deckel stand. Die Sauerei<br />
dürfen dann die Fahrer wieder sauber<br />
machen. Die beiden Obdachlosen,<br />
die unlängst st<strong>und</strong>enlang in<br />
der City auf ein Taxi warten mussten,<br />
waren aber nicht besoffen.<br />
Trotzdem wollte sie keiner mitnehmen.<br />
Ein Bericht von Valerie Kranig.<br />
Dieter <strong>und</strong> Clemens wohnen im<br />
Haus der Wohnungslosenhilfe. Neulich<br />
waren die beiden zum Einkaufen in<br />
der Stadt. Als sie alles erledigt hatten,<br />
standen sie mit Tüten bepackt vor Karstadt<br />
in der Clemensstraße <strong>und</strong> suchten<br />
nach einem Taxi. Die beiden sind<br />
schon um die 70 <strong>und</strong> ganz schlecht zu<br />
Fuß. An der Stelle ein Taxi zu finden -<br />
eigentlich kein Problem, sollte man<br />
meinen, warten dort doch immer<br />
Droschken auf K<strong>und</strong>schaft. Es war<br />
zwölf Uhr mittags an einem kalten<br />
Donnerstag Ende März <strong>und</strong> die beiden<br />
öffneten die Tür des ersten Taxis: "Zum<br />
HdW, bitte." Doch der Fahrer schüttelte<br />
nur den Kopf. Auch der Zweite <strong>und</strong><br />
der Dritte wollten die beiden nicht<br />
mitnehmen. "Dieter <strong>und</strong> Clemens hatten<br />
höchstens zwei Bier getrunken",<br />
schwört ihr Fre<strong>und</strong> Olli, der Zeuge der<br />
Angelegenheit war.<br />
Auch zwei Anrufe bei der Taxizentrale<br />
halfen nicht. Insgesamt fünf<br />
Wagen blieben den Obdachlosen verschlossen.<br />
Weil die beiden ein wenig<br />
nach Bier rochen, sollte Zeuge Olli<br />
mitfahren. Die Fahrer hatten Angst,<br />
die beiden am HdW nicht mehr aus<br />
dem Auto zu kriegen. Unbegründet,<br />
denn Clemens <strong>und</strong> Dieter waren alles<br />
andere als volltrunken. Trotzdem<br />
standen sie zwei St<strong>und</strong>en in der Kälte.<br />
Hinsetzen konnten sich die gehbehinderten<br />
Männer nirgends. Also stützten<br />
sie sich notdürftig auf den Rollator,<br />
einen kleinen Gehwagen, den sie<br />
dabei hatten. Schon nach kurzer Zeit<br />
versammelten sich empörte Passanten<br />
um die beiden. Sie redeten auf die<br />
Taxifahrer ein - vergebens. Erst das<br />
sechste Taxi erbarmte sich der Obdachlosen.<br />
Am Steuer saß eine Frau.<br />
Dürfen die das? Gibt es nicht so<br />
etwas wie eine Beförderungspflicht?<br />
Richtig, die gibt es. In Nordrhein-<br />
Westfalen muss jeder Droschkenkutscher<br />
jeden Fahrgast mitnehmen,<br />
so lange der bezahlen kann <strong>und</strong> der<br />
K<strong>und</strong>e die Sicherheit des Fahrers nicht<br />
gefährdet. Wären Dieter <strong>und</strong> Clemens<br />
also aggressiv gewesen, hätten die<br />
Taxichauffeure das Recht gehabt, sie<br />
stehen zu lassen.<br />
Waren sie jedoch nicht, die zwei<br />
behinderten, älteren Herren. Aber<br />
nicht nur in Münster passiert so etwas:<br />
In Kassel wollte neulich niemand ein<br />
Kind im Rollstuhl in die Klinik fahren.<br />
Wohl weil ihnen der Aufwand zu groß<br />
war, das Gefährt in den Kofferraum zu<br />
packen. Erst der neunte Fahrer, selbst<br />
leicht behindert, nahm das Kind mit.<br />
"Eine äußerst ungute Erfahrung",<br />
urteilte die "Randschau". "Das macht<br />
die Notwenigkeit eines Anti-Diskriminierungsgesetzes<br />
wieder einmal<br />
deutlich." Das Magazin setzt sich für<br />
die Gleichstellung Behinderter in der<br />
Gesellschaft ein.<br />
Wie sehen die Münsteraner Taxifahrer<br />
den Fall der beiden Obdachlosen.<br />
~ fragte Chauffeure am<br />
Hauptbahnhof. "Nur wenn jemand<br />
eine ansteckende Krankheit oder eine<br />
Waffe im Gepäck hat, nehme ich ihn<br />
nicht mit", sagt einer. Woran er das<br />
erkennen will, verriet er leider nicht.<br />
"Wenn jemand stockbesoffen ist,<br />
kommt er nicht ins Auto", meint ein<br />
anderer. Was eindeutig leichter festzustellen<br />
ist. Das Taxi ist den meisten<br />
Kutschern heilig. "Manche Leute sind<br />
so dreckig, dass man sie mit einer<br />
Kneifzange nicht mehr anfassen kann.<br />
Die nehme ich nicht mit", verrät ein<br />
Fahrer.<br />
Auffallend: Nur einer der Befragten<br />
nannte die im Gesetz festgelegten<br />
Gründe. Was nützt es also, auf die<br />
Beförderungspflicht zu pochen, wenn<br />
der Fahrer sie überhaupt nicht kennt?<br />
So gelten oft die eigenen Regeln. Zum<br />
Beispiel: Es steht nirgendwo im Gesetz,<br />
dass ein stark müffelnder K<strong>und</strong>e<br />
nicht befördert werden muss. Obdachlosigkeit<br />
gab übrigens keiner der<br />
Fahrer als Gr<strong>und</strong> an, Fahrgäste abzuweisen.<br />
Vielleicht mochte das auch<br />
niemand gegenüber einem Straßenmagazin<br />
zugeben. Oder haben Dieter<br />
<strong>und</strong> Clemens die einzigen fünf Fahrer<br />
erwischt, die das anders sehen?<br />
Hoffen wir für die beiden, dass sie<br />
demnächst sofort die Droschkenkutscherin<br />
treffen, die sie ohne<br />
Jammern mitgenommen hat. #<br />
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