Liebe Leserinnen und Leser, - Draußen
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Ohne Glotze | Text: Susanne Wonnay | Foto: Martin Barfuß<br />
Mein Alltag<br />
ohne ihn<br />
Am Anfang ist er der ideale Typ:<br />
Immer da, immer verfügbar. Braucht<br />
man Trost steht er parat, ist man<br />
einsam, leistet er Gesellschaft. Alles<br />
kann man mit ihm machen - lachen,<br />
weinen, wütend sein.<br />
Aber auf Dauer? Da will er immer<br />
mehr Aufmerksamkeit, fordert:<br />
kümmere dich um mich. Susanne<br />
Wonnay hat neulich kurzen Prozess<br />
gemacht <strong>und</strong> die Nervensäge kurzerhand<br />
vor die Tür gesetzt. Hier ihr<br />
Tagebuch einer Trennung.<br />
Ich habe es geschafft! Ich habe<br />
ihn rausgeschmissen. Endlich. Ich hatte<br />
es mir schon so oft vorgenommen,<br />
mich aber nie getraut. Was wenn ich<br />
mich alleine fühle? Er hat mir ja auch<br />
gut getan. Habe ich mir zumindest<br />
eingebildet. Aber jetzt reicht´s. Er lenkt<br />
mich einfach zu oft vom Wesentlichen<br />
ab <strong>und</strong> er raubt mir Energie. Ja ich<br />
weiß, es gehören immer zwei dazu,<br />
aber ich war schon ziemlich fremd bestimmt.<br />
Na ja, nun ist er weg. Mein<br />
Fernseher. Ich habe die Kiste einfach<br />
weggegeben. An einem Freitag vor<br />
zwei Wochen war es. So gegen 18 Uhr.<br />
Der erste Abend ohne "Ihn": Was<br />
jetzt, denke ich. Ich mache es mir<br />
erstmal gemütlich <strong>und</strong> nehme mir ein<br />
Buch, das seit langem darauf wartet,<br />
von mir gelesen zu werden. Schon<br />
nach ein paar Minuten macht sich<br />
diese riesige Stille in meinem Zimmer<br />
breit. Es ist komisch, einfach nur auf<br />
der Couch zu sitzen <strong>und</strong> nichts zu hören.<br />
Fühlt sich fremd an. Aber irgendwie<br />
auch beruhigend. Ich lese weiter.<br />
Erster Morgen, Samstag: Ich<br />
wache auf <strong>und</strong> schaue auf den leeren<br />
Platz auf meinem Schrank, wo gestern<br />
noch das Ding mit dem Bildschirm<br />
stand. Ich lächle. Mein Magen möchte<br />
Frühstück. Ich esse. Und da ist sie wieder:<br />
Die Stille. Nur ich, mein Toast <strong>und</strong><br />
mein Kauen. Ich weiß gar nicht wie<br />
lange das her ist, dass ich mich nur<br />
auf mein Frühstück konzentriert habe.<br />
Fühlt sich gut an, das kann ich mir<br />
öfter vorstellen. Ich bin viel entspannter,<br />
habe ich das Gefühl - schon jetzt<br />
nach nur einem Abend <strong>und</strong> einer<br />
Nacht ohne die Flimmerkiste.<br />
Ich fange an, meinen Tag zu planen.<br />
Erstmal gehe ich zum Sport. Mal<br />
wieder was für die Ges<strong>und</strong>heit tun.<br />
Danach in die Stadt bummeln. Kaffee<br />
trinken, spazieren gehen auf der Promenade<br />
<strong>und</strong> noch was einkaufen fürs<br />
Wochenende. Das Buch, das ich angefangen<br />
habe, ist echt spannend. Ich<br />
lese. <strong>Draußen</strong> bricht bereits der Abend<br />
an. Als ich auf die Uhr schaue, kann<br />
ich es kaum fassen - 19 Uhr! Ich habe<br />
den Tag über schon ziemlich oft ans<br />
Fernsehen gedacht. Ist ja auch kein<br />
W<strong>und</strong>er, es ist noch keine zwei Tage<br />
her, da habe ich das Ding drei bis vier<br />
mal am Tag an- <strong>und</strong> ausgemacht. Und<br />
oft habe ich dann nicht nur eine Sendung<br />
geguckt, sondern meistens drei,<br />
vier St<strong>und</strong>en mit Zappen verbracht.<br />
Nur an einem Tag! Rechnet man das<br />
auf die Woche hoch, macht das zwischen<br />
20 <strong>und</strong> 30 St<strong>und</strong>en! Das muss<br />
man sich mal überlegen; das ist mehr<br />
als ein ganzer Tag. Ich habe mal gelesen:<br />
zehn Jahre seines Lebens verbringt<br />
der Mensch mit Fernsehen. Mir<br />
war das gar nicht bewusst.<br />
Die Tage vergehen, mittlerweile<br />
sind es zwei Wochen. Ich hatte noch<br />
nie so viel Zeit. Ich tue viel mehr für<br />
die Uni, ich lerne, treffe mich mit<br />
Fre<strong>und</strong>en, nehme alles viel bewusster<br />
wahr. Ich mache Sport, gehe viel mehr<br />
meinen alten Hobbys nach: Rad fahren,<br />
Fotografieren, Lesen. Ich habe<br />
sogar neue Steckenpferde: meine Umgebung<br />
zu Fuß erk<strong>und</strong>en, Sprachen<br />
lernen, Zeichnen. Es macht Spaß. Was<br />
in der Welt passiert, erfahre ich aus<br />
der Zeitung <strong>und</strong> übers Internet, es gibt<br />
viele interessante Seiten im Netz mit<br />
viel Hintergr<strong>und</strong>wissen. Radio ist auch<br />
ein tolle Alternative.<br />
Die Reaktionen der anderen sind<br />
unterschiedlich. Einige finden es komisch,<br />
dass ich keinen Fernseher mehr<br />
habe: Wie kann ich mich nur entscheiden,<br />
ohne Fernseher zu leben? Das ist<br />
dann immer der Moment, in dem ich<br />
denke: Das Ding wird überbewertet.<br />
Wie oft schaltet man das Gerät einfach<br />
nur an, weil man es gewohnt ist zu<br />
gucken. "Um abzuschalten", höre ich<br />
dann oft. Aber richtig entspannen<br />
kann ich mich nicht bei sinnlosen<br />
Gerichtsshows. Wann kommen denn<br />
wirklich gute Filme <strong>und</strong> spannende<br />
Beiträge? Das meiste ist doch immer<br />
dasselbe. Ich habe auch die Lust verloren<br />
an der tausendsten Folge der niemals<br />
enden wollenden Serien wie Verbotene<br />
<strong>Liebe</strong>, Marienhof, GZSZ, Verliebt<br />
in Berlin, Gilmore Girls, Hinter Gittern,<br />
Unter Uns, Lindenstraße <strong>und</strong> wie sie<br />
nicht alle heißen. Ich möchte auch<br />
nicht mehr wissen wie irgendeine<br />
Familie ihre Wohnung renoviert, ihren<br />
Garten gestaltet, aus dem alten Haus<br />
auszieht, mit ihren Kindern nicht fertig<br />
wird oder ein neues Leben auf<br />
Mallorca anfängt. Ist doch viel schöner<br />
mal wieder gute Musik in den CD-<br />
Player zu legen, nicht wahr?<br />
Ja <strong>und</strong> dann gibt es noch den anderen<br />
Teil meiner Umwelt. Die finden<br />
die Sache toll, überlegen vielleicht<br />
sogar mitzumachen. Das freut mich<br />
dann. Im Moment kann ich mir nicht<br />
vorstellen, wieder mit Ihm zu leben.<br />
Und wenn ich ihn eines Tages doch<br />
vermisse, suche ich mir eben einen<br />
Neuen. Gibt ja so viele. Aber jetzt kann<br />
ich nur sagen: Toll, so ohne! #<br />
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