Liebe Leserinnen und Leser, - Draußen
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Kultur | Text: Michael Heß | Foto: Martin Barfuß<br />
Kriegerposen<br />
am Mauritztor<br />
Patriotismus: Kein guter Gr<strong>und</strong> zu m Sterben<br />
Die meisten Münsteraner werden es<br />
vermutlich gar nicht mehr beachten<br />
- das von Bernhard Frydag geschaffene<br />
Kriegerdenkmal am Mauritztor,<br />
im Volksm<strong>und</strong> zutreffend "Schinkenstele"<br />
genannt. Seit 97 Jahren<br />
kündet es dröhnend von Heroismus<br />
<strong>und</strong> der Potenz des Stärkeren.<br />
Michael Heß macht sich zum Tag der<br />
Befreiung am 8. Mai Gedanken über<br />
Künstler <strong>und</strong> Zeitgeist.<br />
Frydags kalksteinerne Arbeit steht<br />
in einer langen Reihe ähnlicher Werke,<br />
beginnend mit der Befreiungshalle im<br />
bayerischen Kehlheim <strong>und</strong> monumental<br />
endend im Leipziger Völkerschlachtsdenkmal.<br />
Patriotismus galt<br />
als Wert <strong>und</strong> der Krieg als heroische<br />
Opferstätte für das junge Leben. An<br />
Kriegen war kein Mangel: die "Befreiungskriege"<br />
von 1812 bis 1814, die drei<br />
"Einigungskriege" gegen Dänemark,<br />
Österreich <strong>und</strong> Frankreich. Schon warf<br />
der Erste Weltkrieg seine Schatten voraus.<br />
Der Zeitgeist machte um seine<br />
1909 eingeweihte Arbeit jedenfalls<br />
keinen Bogen; bis zum Schlachtfeld<br />
von Langemarck, auf dem die deutsche<br />
Jugend sinnlos verblutete, sollte<br />
es nur mehr fünf Jahre dauern.<br />
Frydags Ästhetik ist zeitlos. Seine<br />
nackten Krieger nehmen die des Nazikünstlers<br />
Thorak vorweg. Sie sind auch<br />
Vorläufer der Schwarzenegger-Verkörperung<br />
von Conan <strong>und</strong> Terminator.<br />
Diese Ästhetik "prägt zuvorderst der<br />
Habitus kraftstrotzender Erstarrung",<br />
so der Kunsthistoriker Martin Bach, der<br />
hier zugleich eine "Konsequenz der<br />
Monumentalität" sowie "kraftstrotzende<br />
Erstarrung" feststellt. Doch bei<br />
aller äußeren Potenz ist sie auch zutiefst<br />
inhuman. Das mochte bis nach<br />
dem letzten Weltkrieg noch mehr gegolten<br />
haben, als die wehrhaft teutschen<br />
Adler entfernt wurden, die den<br />
von den Kriegerfiguren getragenen<br />
Kranz zierten. Die erhalten gebliebenen<br />
sechs figürlichen Reliefs blieben<br />
auch ohne Adler Zeugnis genug.<br />
Wer den Zeitgeist heiratet, ist bald<br />
Witwer. Für den Künstler Frydag gilt<br />
das ohne Abstriche. Heute ist er vergessen;<br />
selbst Reclams Künstlerlexikon<br />
erwähnt ihn nicht mehr. Es ist schwer,<br />
überhaupt noch Spuren zu finden. Der<br />
1878 in Münster Geborene studierte in<br />
Berlin Kunst, arbeitete später wieder<br />
in seiner Heimatstadt <strong>und</strong> sah sich<br />
selbst in künstlerischer Nähe zu Hugo<br />
Lederer, einem heute vergessenen<br />
Bildhauer der Kaiserzeit. Die Stele am<br />
Mauritztor ist das letzte Zeugnis von<br />
Frydags künstlerischem Schaffen. Ob es<br />
zu Frydags Zeiten der "welsche Erzfeind"<br />
war oder heute Al Quaida, die<br />
Mullahs, Saddam <strong>und</strong> Co. sind - unverändert<br />
werden die Feindbilder in<br />
die Köpfe manipuliert, ohne nach den<br />
Ursachen zu fragen. Oder gewaltlose<br />
Lösungen aufzuzeigen. Denn im Kern<br />
nämlich geht es um Weltherrschaftsphantasien<br />
<strong>und</strong> um das Öl des Nahen<br />
Ostens <strong>und</strong> so was ist ohne Gewalt<br />
eben nicht zu haben. Deutsche Soldaten<br />
sind längst wieder mit dabei. Sei<br />
es am Hindukusch, wo "unsere Jungs"<br />
die Rekordernten an Opium sichern<br />
helfen, die, zu Drogen veredelt, auch<br />
in Münster konsumiert werden. Bald<br />
werden sie wohl auch im tropischen<br />
Kongo Garnisonen errichten. Globalisierung<br />
per Knobelbecher unter der<br />
löchrigen Flagge der Menschenrechte.<br />
Damals wie heute reiben sich die<br />
Strippenzieher im demokratisch verfassten<br />
Heimatland in Erwartung fetter<br />
Renditen die Hände.<br />
Bernhard Frydag wurde selbst ein<br />
Opfer der von ihm verherrlichten Ideologie.<br />
1916 fiel er mit 38 Jahren "im<br />
Felde" für ein Kaiserreich, das seinen<br />
Tod nur zwei Jahre überdauerte. Seinem<br />
Oberbefehlshaber bekam der<br />
Krieg nach eigener Aussage hingegen<br />
"wie eine Badekur". Bis heute ist der<br />
größte Platz der Stadt nach ihm benannt.<br />
Und die Toten der B<strong>und</strong>eswehr<br />
am Hindukusch <strong>und</strong> am Horn von Afrika<br />
<strong>und</strong> bald im Kongo werden in aller<br />
Stille gezählt. Noch. #<br />
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