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Liebe Leserinnen und Leser, - Draußen

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Auslandssemester | Text <strong>und</strong> Foto: Malte Koppe<br />

Als Deutscher<br />

in Polen<br />

Über den Dächern von Lublin - Sommer 2005<br />

"Was um Himmelswillen willst du<br />

denn in Polen?", "Pass' bloß auf<br />

deine Taschen <strong>und</strong> dein Handy auf;<br />

man weiß ja nie!", "Als Deutscher ist<br />

man da doch immer gleich ein<br />

Nazi." Keinem Land in Europa<br />

begegnen die Deutschen mit solchen<br />

Vorurteilen wie Polen. Malte Koppe,<br />

bereits für einige Kurzbesuche bei<br />

unserem östlichen Nachbarn gewesen,<br />

studiert gegenwärtig in Lublin,<br />

der polnischen Partnerstadt<br />

Münsters. Und ihm ist noch überhaupt<br />

nichts geklaut worden.<br />

An mein erstes Mal in Polen im<br />

September 2004 kann ich mich noch<br />

gut erinnern. Zugfahrt von Berlin nach<br />

Wroclaw, dem ehemaligen Breslau.<br />

Direkt hinter der Grenze verringert der<br />

deutsche Intercity seine Geschwindigkeit<br />

auf unter h<strong>und</strong>ert St<strong>und</strong>enkilometern.<br />

Schuld sind die polnischen<br />

Gleise. Für die kurze Strecke in Polen<br />

braucht unsere deutsche Jugendgruppe<br />

fast so lange wie von Münster<br />

bis an die Grenze. Schließlich Ankunft<br />

im Bahnhof Wroclaw. Laut, schmutzig,<br />

hektisch. Der Geruch von altem Bratenfett<br />

liegt in der Luft, ein bunter<br />

Schilderwald voll Werbung. Und dann<br />

diese Sprache. Vier Konsonanten hintereinander!<br />

Haben die Polen eigentlich<br />

keine Vokale?<br />

Das Land macht es einem anfangs<br />

nicht leicht, geliebt zu werden. Im<br />

Sommer ist es zwar wärmer als man<br />

vermuten würde, dafür ist es im Winter<br />

eiskalt mit Temperaturen bis zu 20<br />

Grad minus. Bus, Bahn <strong>und</strong> die Strassen<br />

sind nach fast fünfzig Jahren real<br />

existierendem Sozialismus altersschwach<br />

<strong>und</strong> marode. Der Zug fährt<br />

auch schon mal mit offener Tür. Trotzdem:<br />

"Polska da sie lubic - Polen kann<br />

man mögen!" Ich interessierte mich<br />

wegen meines Studiums erst nur für<br />

die Geschichte, doch nachdem ich eine<br />

Woche mit einer Jugendgruppe dort<br />

war, wurde daraus eine Leidenschaft.<br />

Viele Reisen ins Nachbarland folgten.<br />

Ich machte einen Sprachkurs <strong>und</strong> nun<br />

bin ich für ein Semester Student an der<br />

Universität in Lublin.<br />

"Dlaczego Polska - Warum Polen?"<br />

Das bin ich zu Hause in Deutschland<br />

<strong>und</strong> auch in Polen oft gefragt<br />

worden. Vor allem der Mentalität wegen:<br />

Ich bin in Polen immer herzlich<br />

empfangen worden <strong>und</strong> als Ausländer,<br />

der ein wenig die Sprache spricht ist<br />

man eine wahre Attraktion. Die Gastfre<strong>und</strong>schaft<br />

der Polen ist von Reisenden<br />

seit dem Mittelalter oft beschrieben<br />

worden. Der Historiker <strong>und</strong> Geistliche<br />

Marcin Kromer bemerkte schon<br />

vor über 500 Jahren: "Die Polen haben<br />

eine offene <strong>und</strong> aufrichtige Gemütsart,<br />

sie lassen sich eher selbst täuschen,<br />

als dass sie jemanden in die Irre führen.<br />

Sie sind geneigt, Fre<strong>und</strong>lichkeit,<br />

Anständigkeit, Wohlwollen <strong>und</strong> Gastfre<strong>und</strong>schaft<br />

in solchem Maße zu<br />

erweisen, dass Unbekannte <strong>und</strong> Reisende<br />

aus fremden Ländern sich nicht<br />

nur gerne bei ihnen aufhalten, sondern<br />

sie auch einladen <strong>und</strong> ihnen mit<br />

jeder Hilfe dienen."<br />

Das stimmt auch heute noch: Im<br />

Zugabteil teilen die Mitreisenden gerne<br />

ihren Proviant. Kennt man auch<br />

nur einen Einheimischen wird man<br />

weiterempfohlen, vorgestellt <strong>und</strong> nach<br />

Hause eingeladen <strong>und</strong> hat bald ein<br />

riesiges Netzwerk von Kontakten.<br />

Braucht man Hilfe, so muss man sich<br />

nur trauen zu fragen. Polen helfen<br />

gerne. Warum also stehen sie in<br />

Deutschland so schlecht da? Polen ist<br />

bei uns ein Synonym für grau. Aber<br />

das ist höchstens von der Straße aus<br />

betrachtet so. Wer einmal in einer der<br />

liebevoll eingerichteten Kneipen war,<br />

weiß: Gemütlicher ist es auch in<br />

Münsters Kuhviertel nicht. Auch das<br />

Vorurteil der "polnischen Wirtschaft"<br />

erledigt sich schnell. Mangel gibt es in<br />

Polen höchstens noch auf dem Dorf im<br />

Winter, wenn der Schnee meterhoch<br />

liegt. Aber sonst bekommt man alles,<br />

was man auch in Deutschland kaufen<br />

kann. Vor den Toren der Städte stehen<br />

riesige Supermärkte, aber es gibt auch<br />

viele winzige Tante-Emma-Läden.<br />

Auch dass in Polen viel gesoffen<br />

wird, stimmt nur bedingt. Auf den<br />

Straßen gilt 0,0 Promille <strong>und</strong> die Polizei<br />

überwacht das Verbot streng <strong>und</strong><br />

scharf. Aktuellen Statistiken zufolge<br />

ändert sich im Moment die Präferenz<br />

beim Alkohol - statt hartem Wodka<br />

trinken die Polen neuerdings mehr<br />

Bier. Fahren Sie einfach mal hin. Nach<br />

Frankreich ist das Land unser wichtigster<br />

Nachbar. Nur h<strong>und</strong>ert Kilometer<br />

hinter Berlin werden Sie fre<strong>und</strong>lich<br />

empfangen. Jede Wette. #<br />

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