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Langeooger Fortbildungswochen<br />

fortbildung<br />

Professor Dr. rer. soc. Thomas Elbert<br />

aus Konstanz differenzierte in seinem<br />

Vortrag „Gemein, grausam, gewalttätig,<br />

der Mensch im Spannungsfeld zwischen<br />

Trauma und Faszination des<br />

Schreckens“ zwischen Gewalt als Verteidigungsbereitschaft,<br />

die auftrete,<br />

wenn man selbst oder die Familie angegriffen<br />

wird und intrinsisch motivierter<br />

aggressiver Wut aus Lustgewinn,<br />

die vor allem bei jungen Männern<br />

auftrete. Früher habe man diese Form<br />

als „räuberische Gewalt“ gesehen, bei<br />

der es um die gewaltsame Inbesitznahme<br />

von fremden Gütern gehe. Demgegenüber<br />

stehe heute aus der Perspektive<br />

der Forschung die Lust an der<br />

Gewalt im Vordergrund. Hierbei entwickele<br />

sich leicht eine selbstverstärkende<br />

Dynamik. Gut untersucht sei,<br />

dass und wie sich bei Straßenkindern<br />

eine appetitive Aggression entwickele,<br />

die umso stärker werde, je mehr Delikte<br />

ausgeübt worden seien. „Je mehr wir<br />

töteten, desto mehr kamen wir auf den<br />

Geschmack, weiter zu machen“, habe<br />

ein Betroffener später gesagt. Hinzu<br />

komme, dass durch aggressives Verhalten<br />

eine Traumasymptomatik gehemmt<br />

werde. Die Aussage „Ich werde<br />

nicht so leicht traumatisiert, wenn ich<br />

der Held in der Auseinandersetzung<br />

bin“, beschreibe diesen Zusammenhang,<br />

der sich sowohl in Untersuchungen<br />

an Kindersoldaten, wie in Interviews<br />

mit Veteranen aus Stalingrad<br />

deutlich gezeigt habe. Präventiv sei es<br />

von zentraler Bedeutung, diese Spirale<br />

an Gewaltlust frühzeitig zu unterbrechen.<br />

Dr. med. Maggie Schauer aus Konstanz<br />

sprach über die „Narrative Expositionstherapie<br />

(NET); Behandlung von Erwachsenen<br />

und Kindern nach multipler<br />

und komplexer Traumatisierung“, ein<br />

spezielles Behandlungskonzept für<br />

schwer und mehrfach Traumatisierte in<br />

Krisengebieten. Einer Traumafolgestörung<br />

liege in der Regel nicht ein einzelnes<br />

Ereignis zu Grunde, sondern es<br />

gebe eine Vorgeschichte aus kumulativen<br />

Traumatisierungen. Die zentrale<br />

Aufgabe der Therapie sei es, ein verloren<br />

gegangenes Gefühl für Raum und<br />

Zeit wiederherzustellen. Hierzu sei es<br />

erforderlich, in das Erlebte wieder hineinzugehen.<br />

Nur so könne eine kontextuelle<br />

Verarbeitung erfolgen. Diese<br />

Verarbeitung wird mit dem Kurzzeitmodul<br />

NET angestrebt, dessen Wirksamkeit<br />

in einer Fülle von Studien belegt<br />

wurde. Als Basis des therapeutischen<br />

Vorgehens gelten ein sicherer<br />

Rahmen, Kontrolle und Vorhersagbarkeit<br />

der therapeutischen Situation für<br />

den Patienten sowie Akzeptanz und<br />

Respekt gegenüber der psychischen<br />

und physischen Integrität. Die Sitzungsdauer<br />

liege bei 90 bis 120 Minuten.<br />

In der ersten Sitzung führe der Behandler<br />

ein strukturiertes Interview<br />

durch. Die zweite Sitzung bestehe in einer<br />

Darstellung des Lebensverlaufes<br />

auf einer Linie. Dabei würden alle wichtigen<br />

– negativen und positiven – Ereignisse<br />

mit Überschriften benannt und<br />

in der Biographie verortet. In den nachfolgenden<br />

Sitzungen werde eine konsistente<br />

Narration der Biographie mit<br />

einer vom Therapeuten mitgeschriebenen<br />

Zusammenfassung erarbeitet. Wesentlich<br />

dabei sei es, die einzelnen Situationen<br />

wirklich durchzugehen, bis<br />

es zu einer Habituation der Angstreaktion<br />

komme.<br />

Professor Dr. rer. nat. Heidi Keller aus<br />

Osnabrück referierte über „Emotion<br />

und Emotionsausdruck in der frühen<br />

Kindheit – Kulturspezifische Perspektiven“.<br />

Sie berichtete von eigenen kulturvergleichenden<br />

Studien bei afrikanischen<br />

Müttern aus dem Stamm der<br />

Nso im westlichen Zentralafrika und<br />

deutschen Müttern aus Münster. Unterschiede<br />

in Bindungsverhalten und<br />

Emotionsausdruck konnten bereits bei<br />

sechs bis acht Wochen alten Säuglingen<br />

belegt werden. Während die Emotionsregulation<br />

der afrikanischen Mütter<br />

eher über körperliche Stimulation<br />

erfolge, regulierten die deutschen Mütter<br />

ihre Kinder stärker durch Blickkontakt<br />

und Sprache. Diese unterschiedlichen<br />

Sozialisationsstrategien<br />

ständen in engem Bezug zu den kulturspezifischen<br />

Bedingungen und Erwartungen.<br />

Bei den Nso werde Gewicht<br />

darauf gelegt, dass Kinder in den ersten<br />

drei Jahren lernen, ihre Gefühle zu<br />

kontrollieren. Ein „gutes“ Nso-Kind sei<br />

eines, das keine Gefühle zeige und immer<br />

ruhig sei. Kinder dürften aufgrund<br />

der Lebensbedingungen keine besondere<br />

Aufmerksamkeit erfordern. In den<br />

westlichen Kulturen sei dies völlig anders.<br />

Das Kind stehe häufig im Mittelpunkt<br />

zahlreicher Einzelinteraktionen,<br />

die sich durch ein hohes Maß an Bestätigung<br />

auszeichneten, Reflexionsfähigkeit<br />

werde explizit gefördert. Professor<br />

Keller bilanzierte, für ein Einwanderungsland<br />

wie Deutschland werde<br />

es dann schwierig, wenn Menschen<br />

aus unterschiedlichen Kulturen mit<br />

häufig in starkem Widerspruch stehenden<br />

Wertvorstellungen aufeinandertreffen.<br />

Im Extremfall können normative<br />

Standards einer Kultur pathologische<br />

Varianten einer anderen Kultur<br />

darstellen.<br />

Dr. med. Eckhard Roediger aus Frankfurt<br />

führte in seinem Vortrag zur Schematherapie<br />

in die Grundlagen dieses relativ<br />

neuen, auf den amerikanischen<br />

Psychologen Jeffrey Young zurückgehenden<br />

Behandlungsansatzes der Verhaltenstherapie<br />

ein, für den mittlerweile<br />

mehrere empirische Wirksamkeitsnachweise<br />

vorlägen. Schematherapie<br />

definiere sich durch a) eine spezifische<br />

therapeutische Beziehungsgestaltung<br />

nach dem Prinzip der begrenzten<br />

elterlichen Fürsorge; b) durch<br />

ein konsistentes, manualisiertes Therapiemodell<br />

als Grundlage für Fallkonzeption<br />

beziehungsweise Therapieplanung,<br />

in die sich alle Techniken einfügen;<br />

c) durch den Einsatz erlebnisaktivierender<br />

Techniken, die aus anderen<br />

Therapieschulen übernommen wurden.<br />

Anhand von Videobeiträgen veranschaulichte<br />

er die Arbeit mit den verschiedenen<br />

Ich-Zuständen (sogenannte<br />

Modi) in Form von Imaginationsübungen<br />

und des „Stühle-Dialogs“. Wie auch<br />

im Modell der Allgemeinen Psychothe-<br />

äkn<br />

8 | 2013 niedersächsisches ärzteblatt<br />

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