Transkript S. Lauter (PDF-Download) - Haus der Demokratie und ...
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Berlin <strong>und</strong> bin dann schnurstracks zu meiner Mutter gefahren. Und die war alleine zu<br />
<strong>Haus</strong>e. Es war mein 18. Geburtstag. Meine Schwester ist nicht da, mein Bru<strong>der</strong> ist<br />
nicht da, meine Fre<strong>und</strong>e sind nicht eingeladen. Sie sind ja auch mal 18 geworden,<br />
ne? Das ist schon irgendwie ein ganz, ganz beson<strong>der</strong>er Geburtstag. Ja <strong>und</strong> da sitzt<br />
meine Mutter alleine in diesem Einfamilienhaus da am Wohnzimmertisch, stellt eine<br />
Flasche Rotkäppchensekt hin <strong>und</strong> zwei Gläser <strong>und</strong> sagt: „Stefan, jetzt feiern wir mal<br />
schön.“ Nein, nicht mit mir. Dann habe ich mir noch vorgenommen, ihr zu erzählen,<br />
was mir gerade passiert ist. Also im Jugendwerkhof Torgau vor allem. Meine...meine<br />
Mutter hat, ach ich kam noch nicht mal drei Sätze weit, „Hör auf zu lügen Stefan, du<br />
hattest als Kind schon eine blühende Phantasie.“ Und das war die zweite verbale<br />
Ohrfeige von meiner Mutter. Heute weiß sie es besser. Ich habe sie nach <strong>der</strong><br />
Wi<strong>der</strong>vereinigung Deutschlands, ich glaube '93 o<strong>der</strong> '94, zum Besuch <strong>der</strong><br />
Gedenkstätte mal mit nach Torgau genommen. Ich habe ihr das gezeigt. Damals war<br />
es noch keine Gedenkstätte. Da war, also bis auf wenige Verän<strong>der</strong>ungen, war dieser<br />
Knast noch fast zu hun<strong>der</strong>t Prozent erhalten. Also bis auf ein paar Beschädigungen,<br />
dass die Erzieher schon die Gitter entfernen lassen haben <strong>und</strong> so. Die lagen da alle<br />
abgeflext auf dem Hof. Meine Mutter hat diesen Haft...also diese Haftanstalt noch<br />
von innen sehen können. Im fast Originalzustand. Da hat sie endlich begriffen, was<br />
eigentlich passiert ist. Ich habe sie auch irgendwann mal meine Son<strong>der</strong>akte lesen<br />
lassen. Das war 1998 während meiner strafrechtlichen Rehabilitierung vorm<br />
Landgericht. Da bekam ich dann auch meine Unterlagen in Kopie ausgehändigt. Und<br />
dann habe ich das meiner Mutter alles zu lesen gegeben. Ja <strong>und</strong> wie gesagt, 1985<br />
am Tag meines 18. Geburtstages, wo ich zu meiner Mutter komme <strong>und</strong> ihr davon<br />
erzähle, glaubt sie ihrem Kind nicht. Dann bin ich einfach aufgestanden, hab den<br />
Mietvertrag <strong>und</strong> den Arbeitsvertrag genommen, die Wohnungsschlüssel, <strong>und</strong> habe<br />
das <strong>Haus</strong> meiner Mutter verlassen. Ich hatte ja ein paar Ostmark Taschengeld in <strong>der</strong><br />
Hosentasche, bin zu meiner Wohnung gefahren, habe da aufgeschlossen <strong>und</strong> habe<br />
meine Privatklamotten bloß hingeschmissen <strong>und</strong> ja, dann bin ich in die nächste<br />
Kneipe. Damals hat das Bier, <strong>der</strong> halbe Liter, in Ostberlin 49 Blechpfennige gekostet.<br />
Und ich glaube, ich hatte zwanzig o<strong>der</strong> fünf<strong>und</strong>zwanzig Mark einstecken. Das war es.<br />
(02:17:08-8)<br />
Das war meine Entlassung, 18. Geburtstag, total lustig. (02:17:16-9)<br />
…<br />
5. Spätfolgen, Verantwortung <strong>und</strong> Rehabilitierung: „Nie wie<strong>der</strong> richtig Fuß<br />
gefasst.“<br />
SL: Also in meinem Fall ist das recht massiv. Ist natürlich von Betroffenen zu<br />
Betroffenen auch individuell unterschiedlich. Also so wie wir alle als Menschen<br />
unterschiedlich sind. Bei mir ist es so, dass ich heute zu fünfzig Prozent<br />
schwerbehin<strong>der</strong>t bin. Das aus mehrfachen Gründen. Also ich habe eine chronische<br />
Darmerkrankung. Ich leide unter sogenannten posttraumatischen<br />
Belastungsstörungen, was <strong>der</strong> Regelfall ist von uns ehemaligen Insassen. Ich habe<br />
zwei kaputte Knie. (…) Ja also pff … da gibt es, gibt es eine ganze Bandbreite von,<br />
von Spätfolgen. Eine <strong>der</strong> häufigsten, in meinem Fall konnte ich das ausgleichen, zur<br />
Wendezeit schon, Gott sei dank. Die meisten haben natürlich berufliche<br />
Schwierigkeiten. Und das hat was mit <strong>der</strong> Verweigerung von Ausbildung o<strong>der</strong><br />
überhaupt Bildung in den Heimeinrichtungen <strong>der</strong> DDR zu tun. Ich habe ja schon<br />
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