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aber wie. Lebenskunst nach R.L., H.S. und W.S..pdf - OPUS ...

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2b. Biophilie als Lösung<br />

Mit Vom Sinn des Lebens 115 erübrigt sich, was auch Lay selbst <strong>wie</strong> eine Verlegenheitslösung<br />

vorgekommen sein muss; von hier an verfügt er über jenen Begriff, der nun Karriere macht als<br />

zentrale Maxime seines Werks: die Biophilie, die Liebe zum Leben. Damit tritt etwas ein, was man<br />

seine „werttheoretische Wende“ oder seinen „biophilistic turn“ nennen kann.<br />

Vergleicht man Sloterdijk <strong>und</strong> Lay, dreht sich hier die Referenzlage <strong>und</strong> Lay wird zum Maßstab<br />

Sloterdijks. Dieser kommt nämlich, was die Begründung seines Unternehmens angeht, über die Stufe<br />

von Ethik für Wirtschaft <strong>und</strong> Politik nicht hinaus. So beeindruckend der rhetorische Aufwand ist, mit<br />

dem er erklärt, weshalb jeder von uns sein Leben ändern müsse: hinter seinem Manifest steht nichts<br />

anderes als der dräuende totale Zusammenbruch, die sich abzeichnende definitive Defizienz. 116 Wie<br />

oben angedeutet: mit der Apokalypse zu drohen, ist leicht möglich, <strong>und</strong> entsprechend einfach ist<br />

auch Sloterdijks Begründung: wenn du dich nicht änderst, bricht alles zusammen. Er lässt seine<br />

Letztbegründung darin gipfeln, den endgültigen Untergang an die Wand zu malen. Argumentativ<br />

gesehen ist das dieselbe (bei Sloterdijk: Droh-) Kulisse <strong>wie</strong> in Lays Ethik für Wirtschaft <strong>und</strong> Politik –<br />

eine, <strong>wie</strong> Lay implizit notiert, unbefriedigende Lösung. Die entscheidende Frage: was ist erforderlich,<br />

um begründen zu können, weshalb die Menschen ihr Leben ändern sollten (weshalb sie also üben<br />

sollten, anders zu leben), wird von Lay mit dem Konzept der Biophilie schlüssiger beantwortet.<br />

Zu deren Begriffsgeschichte sei eine Beobachtung <strong>nach</strong>getragen. Lay entlehnt den Biophiliebegriff<br />

vom Psychoanalytiker Erich Fromm, dem es selbst äußerst wichtig war, die Biophilie entdeckt zu<br />

haben. 117 Bei Fromm bezieht sich „Bios“ auf alle Erscheinungsformen des Lebens <strong>und</strong> des<br />

Lebendigen; bei Lay dagegen ausschließlich auf personales Leben. So kann die Biophilie, die schon bei<br />

Fromm stark aufgeladen ist, von Lay noch schärfer gemacht <strong>und</strong> zu seiner zentralen philosophischen<br />

115 Lay 1985.<br />

116 „Die einzige Autorität, die heute sagen darf: ‚Du musst dein Leben ändern!‘, ist die globale Krise, von der seit<br />

einer Weile jeder wahrnimmt, daß sie begonnen hat, ihre Apostel auszusenden.“ (Sloterdijk 2009a, S. 701.)<br />

117 Fromms Mitarbeiter Michael Maccoby berichtet, dass dieser die Beschreibung der Biophilie als einen seiner<br />

wenigen „originären“ (Maccoby: „genialen“) Gedanken bezeichnet habe; vgl. Maccoby 1992, S. 35-46. Lay<br />

nennt den Namen Fromms als Referenz, ohne genauere Angaben zu machen; es ist <strong>aber</strong> <strong>nach</strong>zuvollziehen, von<br />

welchen Werken er beeinflusst wurde. Einige Passagen hat Fromm der Biophilie gewidmet in Haben oder Sein?<br />

Die seelischen Gr<strong>und</strong>lagen einer neuen Gesellschaft (Fromm 1983), einem Buch, das Lay seinen Studenten als<br />

gewinnbringende Lektüre empfahl. Allerdings fällt der Begriff „Biophilie“ hier nur selten. Die zentrale Quelle<br />

Lays dürfte Fromms Die Seele des Menschen sein (Fromm 1979). Fromm stellt hier der Nekrophilie, d.h. der<br />

bösartigen Destruktivität, die Biophilie gegenüber <strong>und</strong> schreibt im Kapitel Die Liebe zum Toten <strong>und</strong> die Liebe<br />

zum Lebendigen, S. 33-61:<br />

„Im Gegensatz zu Freuds Theorie über den Todestrieb schließe ich mich der Ansicht vieler Biologen <strong>und</strong><br />

Philosophen an, daß es eine einer jeglichen lebendigen Substanz innewohnende Eigenschaft ist, zu leben <strong>und</strong><br />

sich am Leben zu erhalten. […] Wer das Leben liebt, fühlt sich vom Lebens- <strong>und</strong> Wachstumsprozeß in allen<br />

Bereichen angezogen. […] Er vermag zu staunen <strong>und</strong> erlebt lieber etwas Neues, als daß er in der Bestätigung<br />

des Altgewohnten Sicherheit sucht. Das Abenteuer zu leben ist ihm mehr wert als Sicherheit. […] Er möchte<br />

formen <strong>und</strong> beeinflussen mit Liebe, Vernunft <strong>und</strong> Beispiel <strong>und</strong> nicht mit Gewalt, nicht, indem er die Dinge<br />

auseinander nimmt <strong>und</strong> auf bürokratische Weise Menschen verwaltet, als ob es sich um Dinge handelte. Er<br />

erfreut sich am Leben <strong>und</strong> allen Lebensäußerungen mehr als an bloßen Reizmitteln. […] Die biophile Ethik hat<br />

ihr eigenes Prinzip des Guten <strong>und</strong> Bösen. Gut ist alles, was dem Leben dient; böse alles, was dem Tod dient. Gut<br />

ist die ‚Ehrfurcht vor dem Leben‘ (Albert Schweitzers These), alles, was dem Leben, dem Wachstum, der<br />

Entfaltung förderlich ist. Böse ist alles, was das Leben erstickt, es einengt <strong>und</strong> in Stücke zerlegt.“ (S. 43 f.)

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