Fortsetzung folgt - Der Fels
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Die Religionsgesetzgebung in Rußland nach der<br />
Wende<br />
- Die Versuche der Orthodoxen, andere Religionsgemeinschaften auszugrenzen-<br />
Von Diethild Treffert<br />
Die Verfasserin, anerkannte Expertin<br />
für die religiöse Situation in der ehemaligen<br />
Sowjetunion, stellt das<br />
spannungsgeladene Verhältnis der<br />
russisch-orthodoxen Kirchenführung<br />
zu den übrigen Religionsgemeinschaften<br />
dar. Es geht dabei vor allem um<br />
die russisch-orthodoxen Bestrebungen,<br />
das Religionsgesetz vom Oktober<br />
1996 abzuändern, das allen Religionsgemeinschaften<br />
gleiche Wirkmöglichkeiten<br />
eingeräumt hatte, um<br />
der eigenen Kirche eine Sonderstellung<br />
zu verschaffen und den Einfluß<br />
der übrigen zu beschneiden. Dabei<br />
zielt die Stoßrichtung dieses Vorhabens<br />
in erster Linie auf die katholische<br />
Kirche.<br />
In Rußland sind nach dem Religionsgesetz<br />
vom Oktober 1990 alle<br />
Religionsgemeinschaften frei und vor<br />
dem Gesetz gleich - vorläufig noch.<br />
Die Russische Orthodoxe Kirche<br />
(ROK), die größte Religionsgemeinschaft<br />
des Landes, ist vom Staat getrennt,<br />
nicht aber von der Gesellschaft,<br />
wie Patriarch Alexij II. von Moskau<br />
und ganz Rußland erklärt. Präsident<br />
Boris Jelzin stimmt dem zu.<br />
Alle Religionsgemeinschaften sind<br />
frei und vor dem Gesetz gleich<br />
Seit 1990 hat sich jedoch die Situation<br />
geändert. Die Freigabe des Wirkens<br />
aller religiösen Kräfte hatte zur<br />
Folge, daß unmittelbar nach Erlaß des<br />
Religionsgesetzes alle möglichen Organisationen<br />
eine intensive, teilweise<br />
hektische Tätigkeit entfalteten.<br />
Denn das geistliche Vakuum, das der<br />
Kommunismus nach 70 Jahren hinterlassen<br />
hatte, ermutigte sie, eben diese<br />
aufzufüllen und nicht immer aus<br />
hehren Beweggründen. Amerikanische<br />
Sekten unterschiedlicher Couleur,<br />
indische Gurus, japanische<br />
Heilslehren überfluten das Land, und<br />
die geistig ausgehungerten Menschen<br />
strömten ihnen zu. Mit ihren Dollarmillionen<br />
konnten sie Sportstadien<br />
und Sendezeiten in Rundfunk und<br />
Fernsehen mieten, Broschüren drukken<br />
und mit geschulten Propagandisten<br />
die ahnungslosen russischen<br />
Gottsucher bis zur Hysterie in ihren<br />
Bann ziehen. Die Psychiatrien füllten<br />
sich mit überspannten exaltierten Patienten,<br />
die nach solchen Versammlungen<br />
eingeliefert wurden, so daß die<br />
Ärzte Alarm schlugen.<br />
Aber auch andere wahrten die neue<br />
Chance. <strong>Der</strong> Vatikan begann kirchliche<br />
Strukturen zu errichten, vorläufige<br />
noch, aber immerhin entstand ein<br />
gewisses Fundament, von dem aus<br />
die Pastoral aufgebaut werden kann.<br />
In Moskau residiert Erzbischof<br />
Tadeusz Kondrusiewicz als Apostolischer<br />
Administrator für den europäischen<br />
Teil Rußlands, in Nowosibirsk<br />
Bischof Joseph Werth SJ in der gleichen<br />
Eigenschaft für den asiatischen<br />
Teil des Landes. Ein Nuntius vertritt<br />
den Vatikanstaat ebenfalls in Moskau.<br />
Zur Zeit hat Erzbischof John Bukovsky<br />
den Posten inne. Er ist ein in<br />
den USA aufgewachsener Slowake,<br />
Kondrusiewicz ist polnischer Abstammung,<br />
in Weißrußland geboren, der<br />
Jesuit Werth ist Rußlanddeutscher.<br />
Die Ausbreitung der Sekten auf<br />
russischem Gebiet beunruhigte die<br />
ROK verständlicherweise zutiefst.<br />
Zunächst wurde von ihr vorgeschlagen,<br />
das Religionsgesetz dahingehend<br />
zu ändern, daß Religionsgemeinschaften<br />
mit „Sitz im Ausland“ in<br />
Rußland verboten oder zumindest<br />
unter Kontrolle gestellt werden müßten.<br />
Davon wäre auch die katholische<br />
Kirche betroffen gewesen, aber das<br />
war nicht der Grund für das Fallenlassen<br />
dieser Version. Vielmehr stellte<br />
sich heraus daß auch in Rußland<br />
selbst Sekten entstanden, die sich als<br />
nicht weniger gefährlich erwiesen wie<br />
die der „Weißen Bruderschaft“ als<br />
„Maira Dewi Christos“ (Maria Jungfrau<br />
Christus). Tausende Kinder und<br />
Jugendliche, entfremdete sie ihren<br />
Familien und nutzte sie kommerziell<br />
aus. Schließlich brachte sie im November<br />
1993 ihre Anhänger dazu,<br />
sich in der Sophienkathedrale in Kiew<br />
„vor dem drohenden Weltuntergang“<br />
zum kollektiven Selbstmord zu versammeln.<br />
Die Miliz verhinderte das<br />
im letzten Augenblick, übrigens vor<br />
laufenden Fernsehkameras. Satanisten<br />
machten durch Verbrechen auf<br />
sich aufmerksam, und jüngst entstand<br />
im Ural eine heidnische Sekte, die<br />
sogar offizielle Unterstützung der<br />
Kulturbehörden genießt.<br />
Die Szenerie ist im Westen nicht<br />
unbekannt; auch in Westeuropa<br />
schlägt sich die Justiz mit religiösen<br />
Gruppen herum, deren Tätigkeiten<br />
eher kommerzieller Art sind und die<br />
ihre Anhänger in unzulässige Abhängigkeiten<br />
zwingen. Rußland steht<br />
praktisch vor dem gleichen Problem.<br />
Die „Weiße Bruderschaft“ konnte<br />
wegen ihrer strafbaren Handlungen<br />
verboten, „Maria Dewi Christos“ hinter<br />
Schloß und Riegel gebracht werden.<br />
Auch der Satanist Nikolaj<br />
Awerin, der Ostern 1993 drei Mönche<br />
in dem berühmten Kloster Optina<br />
Pustyna ermordete, konnte mühelos<br />
verurteilt werden, allerdings wurde er<br />
in eine Psychiatrie eingewiesen,<br />
wenngleich die ROK beantragt hatte,<br />
einen Exorzimus an ihm vorzunehmen.<br />
Solche Fälle sind jedenfalls ohne<br />
Schwierigkeiten der Staatsanwaltschaft<br />
zuzuweisen. Aber in anderen<br />
Fällen, wenn keine strafbaren Handlungen<br />
vorliegen, ist es nach dem geltenden<br />
Recht in Rußland genauso<br />
schwierig wie bei uns, die Missionierung<br />
von Sekten zu unterbinden,<br />
wenn sie damit volljährige Menschen<br />
in Abhängigkeit und psychische<br />
Krankheiten treiben.<br />
DER FELS 7-8/1997 211