Fortsetzung folgt - Der Fels
Fortsetzung folgt - Der Fels
Fortsetzung folgt - Der Fels
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Kanonisches Territorium der<br />
russisch-orthodoxen Kirche<br />
Alexij II., Patriarch von Moskau und<br />
ganz Rußland, Oberhaupt der<br />
Russisch Orthodoxen Kirche.<br />
Damit wollte und will sich die ROK<br />
nicht abfinden. Rußland wird von ihr<br />
als „kanonisches Territorium der orthodoxen<br />
Kirche“ verstanden, was<br />
Patriarch Alexij II. bei seinem<br />
Deutschlandbesuch im November<br />
1995 unmißverständlich postulierte<br />
und dabei auf Anfrage auch das Baltikum<br />
einbezog, wenngleich Litauen<br />
fast geschlossen katholisch, Lettland<br />
evangelisch und katholisch und auch<br />
Estland überwiegend protestantisch<br />
waren. Die Vermutung liegt nahe, daß<br />
es dabei um Fragen der Macht und der<br />
finanziellen Einkünfte geht. Wer der<br />
Einschätzung der ROK nicht <strong>folgt</strong>,<br />
macht sich des Proselytismus verdächtig,<br />
ein Vorwurf, den die ROK<br />
allgemein, der Patriarch aber speziell<br />
immer wieder gegen die katholische<br />
Kirche erhebt.<br />
Am 14. Juli 1993 wurde im russischen<br />
Parlament ein neues Religionsgesetz<br />
mit 75 Prozent der Stimmen bei<br />
zwölf Prozent Gegenstimmen und einigen<br />
Enthaltungen angenommen. Es<br />
sollte das „Gesetz über die Gewissensfreiheit<br />
und die religiösen Gemeinschaften“<br />
vom Oktober 1990 „ergänzen<br />
und verbessern“. Im entscheidenden<br />
Artikel 14 wurde u.a. bestimmt,<br />
daß „das Recht zur Aufnahme religiös-missionarischer,<br />
verlegerischer<br />
und propagandistischer Tätigkeit ...<br />
ausländischen religiösen Organisationen,<br />
ihren Vertretungen und Vertretern<br />
sowie Personen, die nicht die Staatsbürgerschaft<br />
der Russischen Föderation<br />
besitzen, nicht gestattet“ (ist). Das<br />
Gesetz rief sofort internationale und<br />
auch innerrussische Proteste hervor.<br />
In Deutschland blieb es weitgehend<br />
unbeachtet, während der US-Kongreß<br />
es diskutierte und einige Abgeordnete<br />
an Präsident Jelzin die Bitte richteten,<br />
das Gesetz durch sein Veto aufzuhalten.<br />
In Großbritannien protestierte<br />
das Außenministerium. Als die<br />
Autorin im August 1993 Moskau besuchte,<br />
zeigten sich die dortigen Katholiken<br />
äußerst besorgt, so auch Erzbischof<br />
Kondrusiewicz, der versicherte,<br />
er habe sich ebenfalls schriftlich<br />
an Jelzin gewandt. Wenig später wurde<br />
in der vor allem auf die Widersprüche<br />
des Gesetzes zur Allgemeinen Erklärung<br />
der Menschenrechte und anderen<br />
internationalen Abkommen hingewiesen<br />
wurde, die Rußland unterzeichnet<br />
hat.<br />
Die Anregung zu dem Gesetz war<br />
von Patriarch Alexij selbst ausgegangen.<br />
Er hatte sich schon im Dezember<br />
1992 an den Vorsitzenden des<br />
Parlamentskomitees für Gewissensfreiheit,<br />
Erzpriester Wjatscheslaw<br />
Polosin, mit einem Brief gewandt, in<br />
dem es unter anderem hieß: „Das Eindringen<br />
ausländischer religiöser Organisationen<br />
in Rußland und die Ausbreitung<br />
ihrer Tätigkeit erlangt in der<br />
heutigen Zeit politische Bedeutung.<br />
Es ist ein Faktor, der Destabilisierung<br />
und beunruhigende Zustände in der<br />
Gesellschaft und im Land hervorruft.“<br />
Aber wie schon aufgezeigt, ergriff der<br />
vorliegende Entwurf nicht das ganze<br />
Spektrum der Sekten in Rußland. Zudem<br />
hatte Jelzin seine Unterschrift<br />
verweigert, und er verweigerte sie<br />
auch einem zweiten Entwurf, der einige<br />
Zeit später vorgelegt wurde, aber<br />
die entscheidenden Passagen unverändert<br />
präsentierte.<br />
Die geistige Situation wandelt sich<br />
nach dem etappenweisen und durchaus<br />
nicht vollständigen Zusammenbruch<br />
des Kommunismus in eine tiefgreifende<br />
Krise. Das war zu erwarten.<br />
Menschen, die drei Generationen lang<br />
den Atheismus eingehämmert bekamen,<br />
die mit schwülstigen Kindergartenliedchen<br />
gelernt hatten, Lenin<br />
und Stalin als „gütige Väter des Volkes“<br />
zu preisen, die daran gewöhnt<br />
waren, daß „Andersdenkende“ als<br />
„Volksfeinde“ für zehn und mehr Jahre<br />
in Lager oder als „Verrückte“ in<br />
Psychiatrien gesperrt wurden, bei denen<br />
der Haß auf Amerika und alles<br />
Westliche bis zur Hysterie gezüchtet<br />
wurde - bei diesen Menschen war<br />
nicht mit einem reibungslosen Übergang<br />
zu Freiheit und Demokratie zu<br />
rechnen. Und diese Demokratie präsentierte<br />
sich für den Durchschnittsrussen<br />
zunächst mit dem Abschaum,<br />
den die Liberalisierung einer Gesellschaft<br />
als Nebenprodukt hervorbringt:<br />
Mafia-Unwesen, Killerbanden,<br />
Rauschgift und allenfalls mit Fastfood,<br />
Pornographie, unerschwinglichen<br />
Preisen und „neuen Rechten“.<br />
Als dann noch Ende 1991 die Sowjetunion<br />
zerfiel und die Russen damit<br />
ihre Führungsrolle in dem gigantischen<br />
Reich verloren, als außerdem<br />
ihre Landleute in den plötzlich zum<br />
„nahegelegenen Ausland“ gewordenen<br />
ehemaligen Sowjetrepubliken mit<br />
Haß oft buchstäblich ver<strong>folgt</strong> und vertrieben<br />
wurden wie beispielsweise in<br />
Tschetschenien, war die Geburtsstunde<br />
eines neuen militanten Nationalismus<br />
abzusehen.<br />
Die seltsamen Blüten des Nationalsozialismus<br />
Dieser Nationalpatriotismus, wie das<br />
Phänomen genannt wird, treibt seltsame<br />
Blüten. Hitler, von dem die Russen<br />
mit Stolz berichten, daß sie ihn<br />
besiegt haben, ist plötzlich zum Vorbild<br />
einer Führungspersönlichkeit<br />
avanciert. Junge Männer mit stilisierten<br />
Hakenkreuzbinden über schwarzen<br />
Hemden schwören ihrem „Führer“<br />
(manchmal wird das deutsche<br />
Wort gebraucht) ewige Treue. Besagter<br />
„Führer“ Alexander Barkaschow<br />
tritt auch als Hitler-Verschnitt auf,<br />
verpflichtet seine Anhänger auf einen<br />
„Ehrenkodex“, der mit scharfem Antisemitismus<br />
gegen alles Nichtslawische<br />
gerichtet ist und dessen<br />
Übertretungen gegebenenfalls mit<br />
standrechtlichem Erschießen zu ahnden<br />
sind. Im Ural feiert, wie erwähnt,<br />
das Heidentum der Altvorderen frohe<br />
Urständ. „Väterchen Stalins“ Regierungssystem<br />
wird als Ideal zur „Rettung<br />
Rußlands“ gepriesen. Die<br />
Kosakeneinheiten, die längst ihre<br />
Rechte wiedererlangt haben und sich<br />
auf mehrere Millionen Mitglieder<br />
stützen können, kämpfen für eine neue<br />
Monarchie unter dem letzten lebenden<br />
Romanow-Thronanwärter, dem<br />
fünfzehnjährigen Großfürst Georgij<br />
Michailowitsch, der im Westen erzogen<br />
worden ist. Aber wenn die<br />
212 DER FELS 7-8/1997