Fortsetzung folgt - Der Fels
Fortsetzung folgt - Der Fels
Fortsetzung folgt - Der Fels
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Kein Licht in dem kleinen Raum, die<br />
Wände rußgeschwärzt, ein Ofen, ein<br />
Tisch. Gab es mal einen Stuhl, gab es<br />
irgendetwas, was einen Menschen erfreuen<br />
könnte? Diese ewige Düsternis.<br />
Einsam fühlen sich die beiden<br />
Frauen. Die nächste Nachbarin wohnt<br />
eine Stunde entfernt. Sie haben kein<br />
Mehl mehr und kaum noch Brennholz.<br />
Wir brechen auf aus dieser Welt<br />
bedrückender Stille, der Einsamkeit<br />
und des Wartens auf jemand, der<br />
kommt und hilft. Es gibt den jungen<br />
Mann, dessen Stimme sie kennen wie<br />
die des Hirten in der Bibel und es gibt<br />
den Pfarrer. Aber die beiden haben<br />
keinen Wagen, keinen Jeep, der auch<br />
im Winter auf den verschneiten Wegen<br />
und Straßen fahren könnte.<br />
Wir erreichen Listani. Wir haben<br />
Grenzlinien und Frontabschnitte überquert<br />
und ein Stück Not aus Drvar<br />
mitgenommen. Miro hat sich plötzlich<br />
der brennenden Häuser in einem<br />
Dorf erinnert, sprach von der Gänsehaut,<br />
die ihn hier immer noch befällt<br />
und davon, daß man da auch im Sommer<br />
keinen Vogel singen höre. Kälte<br />
ist uns ins Herz gekrochen. Und dann<br />
endlich das Ziel dieses Tages: Pfarrer<br />
Vrodljak und Pfarrer Visaticki ein<br />
Bruder des Pfarrers aus Drvar, erwartet<br />
uns. Seit sechs Monaten wohnt<br />
Adolf Visaticki in Listani. Das Pfarrhaus<br />
in Glamoc? Unbewohnbar. Granaten<br />
haben es so gründlich zerstört,<br />
daß es nicht wieder aufgebaut werden<br />
kann. Und Gottes Haus in Glamoc?<br />
Dreimal haben Sprengkommandos<br />
daran „gearbeitet“, den letzten Pfarrer<br />
aber haben die Serben in die alte<br />
kroatische Königsstadt Knin verschleppt.<br />
Sie schlugen ihn, haben ihn<br />
verlacht: “Wir wußten nicht, daß du<br />
so weiche Knochen hast.“ Sie haben<br />
ihn gequält, bis er schließlich nur noch<br />
im Krankenhaus gerettet werden<br />
konnte.<br />
Menschen aus 45 Gemeinden<br />
Banja Lukas sind nun in Glamoc zusammengewürfelt.<br />
Auch Flüchtlinge<br />
aus Pfarrer Visatickis damaliger Gemeinde<br />
Mrkonjic Grad, einer der Orte<br />
auf der Karte der Massengräber. Und<br />
im Winter 1995 stürmen Polizisten<br />
mit Gewehren das Pfarrhaus, durchsuchen<br />
es, weil dort angeblich eine<br />
Radiostation versteckt sei. Sie fordern<br />
Pfarrer Visaticki auf, das Haus zu verlassen.<br />
Es sei ab sofort Eigentum eines<br />
Serben. Und die Behelfskapelle,<br />
die Meßgewänder, der Tabernakel, die<br />
geweihten Hostien? Und das, was<br />
beim Brand in der Kirche 1992 gerettet<br />
wurde? Alles hat zu bleiben! Er hat<br />
zu gehen!<br />
<strong>Der</strong> Pfarrer wird zur Polizei gebracht<br />
und verhört. Es ist Mitternacht,<br />
als er wieder vor dem Pfarrhaus steht.<br />
Aber er lebt. Es regnet. Drei Frauen<br />
sitzen da und warten auf ihren Priester.<br />
Sie weinen. Er will sein Haus<br />
betreten. Doch der Schlüssel passt<br />
nicht mehr. Das Schloß ist schon ausgewechselt.<br />
Zehn Nächte schlüpft er bei denen<br />
unter, die sich trauen, ihn aufzunehmen.<br />
Fortgehen kann er nicht, Christus<br />
im Tabernakel ist noch im Pfarrhaus<br />
eingeschlossen. Und der Priester<br />
geht in die Höhle des Löwen: Sie<br />
wollen, daß ich verschwinde, sagt er,<br />
aber ich kann nicht gehen, solange die<br />
heiligen Hostien noch im Pfarrhaus<br />
sind. Wann werden Sie gehen, fragt<br />
der Befehlshaber. Notfalls lebe ich auf<br />
einem Friedhof, die Toten sind besser<br />
als die Lebenden. Auf dem Friedhof?<br />
Plötzlich darf er die Kirchenbücher<br />
und die heiligen Hostien holen lassen.<br />
Doch Christus kann in Mrkonjik Grad<br />
nicht bleiben. Pfarrer Visitacki findet<br />
einen Serben, der gegen Bezahlung<br />
für ihn zum Bischofshaus nach Banja<br />
Luka fährt, mit ihm als anonymer, fast<br />
unsichtbarer Gast der Herr im Brot des<br />
Lebens - vertrieben wie seine Kinder,<br />
mit ihnen auf der Flucht.<br />
Das ist Monate und Jahre her. <strong>Der</strong><br />
Pfarrer ist nun ganz allein in Mrkonjik<br />
224 DER FELS 7-8/1997