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Kein Schweigen, das nicht endet - Verlagsgruppe Droemer Knaur

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Umriss meiner Mitgefangenen im Käfig erkennen zu können.<br />

Sie hatte eine Kerze angezündet, und <strong>das</strong> war ein seltenes<br />

Privileg, denn normalerweise durften Gefangene kein Licht<br />

haben. Sie sprach mit jemandem, aber es war <strong>nicht</strong> der Anführer.<br />

Ihre Stimmen waren gedämpft, verhalten.<br />

Während ich diese unerreichbare Welt beobachtete, ertappte<br />

ich mich dabei, wie ich es fast bereute, allein, durchnässt und<br />

zitternd hier draußen zu hocken. Es wäre so leicht gewesen, so<br />

bequem, so verlockend, einfach aufzugeben und an diesen<br />

warmen, trockenen Ort zurückzukehren. Doch ich ermahnte<br />

mich, der Versuchung zu widerstehen und meinem Plan zu<br />

folgen, und um kein Selbstmitleid aufkommen zu lassen, sagte<br />

ich mir immer wieder: »Du musst gehen, du musst gehen, du<br />

musst gehen!«<br />

Widerstrebend riss ich mich von dem Lichtschein los und<br />

tauchte ein in die zähe, wirre Dunkelheit. Der Regen setzte<br />

wieder ein. Das Gehen war mühsam, ich stolperte bei jedem<br />

zweiten Schritt. Ich hielt die Hände vor mir ausgestreckt, damit<br />

ich Hindernisse rechtzeitig bemerkte. Ich hatte es <strong>nicht</strong><br />

geschafft, an eine Machete heranzukommen, aber ich hatte<br />

eine Taschenlampe. Doch <strong>das</strong> Risiko, mich durch den Lichtstrahl<br />

zu verraten, war viel zu groß. Während ich mich langsam<br />

durch diese bedrohliche Finsternis bewegte, schwor ich<br />

mir, die Lampe nur dann einzuschalten, wenn ich es gar <strong>nicht</strong><br />

mehr aushielt. Meine Hände stießen auf nasse, rauhe, klebrige<br />

Oberflächen, und die ganze Zeit rechnete ich damit, <strong>das</strong> Brennen<br />

eines gefährlichen Giftes zu verspüren.<br />

Das Gewitter entlud sich erneut über mir. Der Regen prasselte<br />

auf die Blätterkuppel über meinem Kopf, und es klang,<br />

als würde sie jeden Moment unter dem Gewicht des Wassers<br />

nachgeben. Der Gedanke an die Flut, in der ich dann versinken<br />

würde, verstärkte noch meine Verzweiflung. Ich wusste<br />

<strong>nicht</strong> mehr, ob es Regentropfen oder Tränen waren, die mir<br />

über die Wangen liefen, und gleichzeitig hasste ich dieses weinende,<br />

zitternde Kind in mir.<br />

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