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Kein Schweigen, das nicht endet - Verlagsgruppe Droemer Knaur

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1. Kapitel<br />

Die Flucht aus<br />

dem Käfi g<br />

D<br />

ezember 2002. Ich hatte den Entschluss gefasst zu fliehen.<br />

Es war <strong>nicht</strong> <strong>das</strong> erste Mal, aber nach drei vergeblichen<br />

Versuchen waren die Bedingungen unserer Gefangenschaft<br />

noch unerträglicher geworden. Sie hatten uns in einen Käfig<br />

gesteckt, aus Holzbrettern und mit einem Blechdach. Der<br />

Sommer nahte, und es hatte seit über einem Monat keine<br />

nächtlichen Gewitter mehr gegeben. Und ohne Gewitter ging<br />

es <strong>nicht</strong>. In einer Ecke unseres Käfigs hatte ich ein halbvermodertes<br />

Brett entdeckt. Durch einen festen Fußtritt gelang es<br />

mir, ein kleines Stück herauszubrechen. Es war tagsüber, nach<br />

dem Mittagessen, als die Wache, auf <strong>das</strong> Gewehr gestützt, im<br />

Stehen vor sich hin döste. Der erbärmliche Krach ließ ihn zusammenzucken.<br />

Alarmiert kam er herüber und schlich um den<br />

Käfig herum, langsam, wie ein wildes Tier. Mit angehaltenem<br />

Atem beobachtete ich ihn durch die Ritzen zwischen den Brettern.<br />

Er konnte mich <strong>nicht</strong> sehen. Zweimal blieb er stehen,<br />

schaute sogar durch ein Astloch herein, und für den Bruchteil<br />

einer Sekunde trafen sich unsere Blicke. Erschrocken fuhr er<br />

zurück. Dann stellte er sich, um Haltung bemüht, direkt vor<br />

dem Eingang des Käfigs auf. Das war seine Rache, er würde<br />

mich <strong>nicht</strong> mehr aus den Augen lassen.<br />

Ich vermied jeden Blickkontakt und dachte sorgfältig nach.<br />

Wäre es möglich, sich durch die Öffnung zu zwängen? Wenn<br />

der Kopf durch die Lücke ging, passte normalerweise auch der<br />

Körper hindurch. Ich dachte an meine Kinderzeit zurück, wie<br />

ich mich zwischen den Gitterstäben des Zauns am Parc Monceau<br />

hindurchgezwängt hatte. Wenn, dann war es immer am<br />

7

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