Kein Schweigen, das nicht endet - Verlagsgruppe Droemer Knaur
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te neben mir und beobachtete mich aufmerksam, doch als sie<br />
sah, <strong>das</strong>s ich wach war, wandte sie sich ab.<br />
»Warum bist du mir <strong>nicht</strong> gefolgt?«<br />
»Das Mädchen hat Licht angemacht, als ich gerade gehen<br />
wollte. Sie muss etwas gehört haben … Und ich hatte meine<br />
Tarnung <strong>nicht</strong> gut genug gemacht. Sie hat sofort gesehen, <strong>das</strong>s<br />
ich <strong>nicht</strong> auf meiner Matte lag.«<br />
»Wer war es?«<br />
»Betty.«<br />
Mehr wollte ich gar <strong>nicht</strong> wissen. In gewisser Weise war ich<br />
wütend auf sie, weil sie <strong>nicht</strong> versucht hatte herauszufinden,<br />
was mir zugestoßen war. Andererseits war ich erleichtert, <strong>das</strong>s<br />
ich <strong>nicht</strong> über Dinge reden musste, die zu sehr weh taten. Ich<br />
blieb auf dem Boden sitzen, mit der Kette um den Hals, und<br />
ging die letzten vierundzwanzig Stunden noch einmal durch.<br />
Warum war ich gescheitert? Warum war ich wieder in diesem<br />
Käfig, obwohl ich frei gewesen war, obwohl ich eine wunderbare<br />
Nacht lang frei gewesen war?<br />
Ich zwang mich, an die Tortur zu denken, die ich in den<br />
Sümpfen durchlebt hatte. Mit großer Mühe stellte ich mich der<br />
Erinnerung, denn ich wollte auf keinen Fall vor der Grausamkeit<br />
dieser Männer die Augen verschließen. Ich wollte mir <strong>das</strong><br />
Recht nehmen, dem Ganzen einen Namen zu geben, um meine<br />
Wunden auszubrennen und mich zu reinigen.<br />
Mein Körper rebellierte. Alles krampfte sich zusammen.<br />
Rasch packte ich <strong>das</strong> Ende der Kette, stürzte aus dem Käfig<br />
und bat die Wache panisch um Erlaubnis, zu den chontos zu<br />
gehen. Der Mann antwortete gar <strong>nicht</strong> erst, da er sah, <strong>das</strong>s ich<br />
bereits mit großen Schritten dorthin eilte. Mein Körper kannte<br />
die Strecke auswendig, und ich wusste, ich würde es <strong>nicht</strong><br />
schaffen. Das Unausweichliche geschah einen Meter zu früh.<br />
Ich fiel am Fuß eines jungen Baums auf die Knie und kotzte<br />
mir die Seele aus dem Leib. Auch nachdem mein Magen leer<br />
war, quälten mich immer wieder Würgekrämpfe. Schließlich<br />
wischte ich mir mit der Hand über den Mund und blickte hin-<br />
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