Kein Schweigen, das nicht endet - Verlagsgruppe Droemer Knaur
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konnten, damit es so aussah, als lägen wir auf unseren Schlafstellen.<br />
Ich durfte den Käfig nur verlassen, um zu den chontos zu<br />
gehen, wenn ich ein menschliches Bedürfnis verspürte. Das<br />
bot mir die Gelegenheit, den Müllhaufen nach etwas Brauchbarem<br />
zu durchsuchen.<br />
Eines Abends kam ich mit einem alten Sack zurück, der mit<br />
vergammelten Essensresten getränkt war, und ein paar Pappstücken<br />
− <strong>das</strong> ideale Material für unsere Tarnung. Mit meinem<br />
Verhalten ging ich meinem Bewacher auf die Nerven. Da er<br />
<strong>nicht</strong> wusste, ob er mir verbieten sollte, in den weggeworfenen<br />
Sachen zu wühlen, brüllte er mich an, ich solle mich beeilen,<br />
und schwenkte drohend sein Gewehr. Clara wiederum wich<br />
angeekelt vor meiner kostbaren Beute zurück, weil sie <strong>nicht</strong><br />
begriff, wie nützlich sie uns sein konnte.<br />
Da wurde mir bewusst, was für ein Abgrund uns trennte.<br />
Obwohl wir durch die Umstände zusammengeschweißt waren<br />
wie siamesische Zwillinge, hatten wir <strong>nicht</strong>s gemeinsam,<br />
lebten wir in zwei verschiedenen Welten: Sie versuchte sich<br />
anzupassen, ich konnte an <strong>nicht</strong>s anderes denken als an<br />
Flucht.<br />
Nach einem besonders heißen Tag kam gegen Abend Wind<br />
auf. Für eine kleine Weile verstummte der Urwald. <strong>Kein</strong> Vogelschrei,<br />
kein Flügelschlag war zu hören. Wir alle hielten <strong>das</strong><br />
Gesicht in den Wind, atmeten tief ein: Das Gewitter zog rasch<br />
auf.<br />
Im Lager brach hektische Aktivität aus. Alle setzten sich in<br />
Bewegung: Einige überprüften die Spannseile an den Zelten,<br />
andere rannten los, um die Wäsche einzusammeln, die zum<br />
Trocknen aufgehängt war, wieder andere liefen in weiser Voraussicht<br />
zu den chontos, für den Fall, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Gewitter länger<br />
dauerte, als sie einhalten konnten. Während ich <strong>das</strong> Hin und<br />
Her verfolgte, krampfte sich mir vor Nervosität der Magen<br />
zusammen, und ich betete zu Gott, <strong>das</strong>s er mir die Kraft gab,<br />
meinen Plan umzusetzen. Heute Abend werde ich frei sein,<br />
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