Kein Schweigen, das nicht endet - Verlagsgruppe Droemer Knaur
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schimpften mich lautstark, um ihn zu einem neuen Versuch<br />
anzuspornen. Sein Stolz war verletzt, und er ging in Lauerstellung<br />
wie ein wildes Tier, <strong>das</strong> den richtigen Moment abwartet,<br />
um sich auf seine Beute zu stürzen. Wir starrten uns an, und er<br />
musste in meinen Augen die Entschlossenheit gesehen haben,<br />
Gewalt zu vermeiden. Doch offenbar interpretierte er sie als<br />
Überheblichkeit. Er sprang auf mich zu und verpasste mir mit<br />
der Kette einen brutalen Schlag auf den Kopf. Ich fiel auf die<br />
Knie. Alles drehte sich, dann wurde mir schwarz vor Augen.<br />
Ich umklammerte meinen Kopf mit beiden Händen, und es<br />
dauerte eine Weile, bis die Sterne und Blitze verschwanden<br />
und ich wieder normal sehen konnte. Ich verspürte einen heftigen<br />
Schmerz, verbunden mit großer Traurigkeit, die in Wellen<br />
über mir zusammenschlug, als ich begriff, was gerade passiert<br />
war. Wie konnte er <strong>das</strong> tun? Was ich spürte, war <strong>nicht</strong><br />
Empörung, sondern etwas viel Schlimmeres: den Verlust der<br />
Unschuld. Ich hob den Blick, und erneut sahen wir uns an.<br />
Seine Augen waren blutunterlaufen, sein Mund zu einem hämischen<br />
Grinsen verzogen. Und ich erkannte, <strong>das</strong>s er es <strong>nicht</strong><br />
ertrug, wenn ich ihn ansah. Er war meinem Blick schutzlos<br />
ausgeliefert, unfähig, <strong>das</strong> Gewirr unkontrollierbarer Gefühle,<br />
<strong>das</strong> in ihm tobte, zu verbergen. In seinen Augen lag <strong>das</strong> Entsetzen<br />
über seine eigenen Handlungen, und ich hatte es gesehen.<br />
Er gewann seine Selbstbeherrschung zurück, und als wollte<br />
er alle Spuren seines Haltungsverlusts auslöschen, bemühte er<br />
sich umso verbissener, mir die Kette um den Hals zu legen.<br />
Hartnäckig wehrte ich seine Übergriffe ab, wobei ich versuchte,<br />
jede körperliche Berührung zu vermeiden, sofern sie <strong>nicht</strong><br />
unbedingt nötig war, um meine Weigerung deutlich zu machen.<br />
Doch selbst <strong>das</strong> genügte, um ihn aufzubringen. Er hielt<br />
kurz inne, holte aus und schlug erneut mit der Kette auf mich<br />
ein, begleitet von einem dumpfen, heiseren Schrei, um die<br />
Kraft seines Schlages zu verstärken. Ich stürzte in einen<br />
schwarzen Wirbel und verlor jedes Zeitgefühl. Ich wusste, <strong>das</strong>s<br />
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