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Kurzfilm - Kommunales Kino guckloch

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Just the Wind<br />

Just the Wind<br />

kleinen und großen Rassismen und<br />

Diskriminierungen, die allen Mitgliedern<br />

der Familie immer wieder<br />

begegnen. Der Bus, der erst vorbeifährt<br />

und dann 10 Meter weiter<br />

anhält. Der Hausmeister, der Maria<br />

die in einem von zwei Jobs als Putzfrau<br />

arbeitet, mit den Worten „Es<br />

riecht nach Aas“ begrüßt und einen<br />

Ventilator neben sie stellt. Die beiden<br />

Polizisten die sich gelangweilt<br />

am Tatort umsehen und sich dabei<br />

darüber unterhalten, dass es noch<br />

andere Familien gibt, die man besser<br />

umgebracht hätte, während der<br />

10jahrige Rio sie belauscht. All dies<br />

scheinen die Familienmitglieder<br />

gewohnt stoisch zu ertragen. Das<br />

sie ein Leben im Ausnahmezustand<br />

leben, erkennen wir nur an kleinen<br />

Details, die der Film ebenso stoisch<br />

beobachtet: Anna, die beobachtet<br />

wie eine Schülerin in der Turnhalle<br />

vergewaltigt wird und schweigt.<br />

Rio, der statt zur Schule zu gehen,<br />

im Wald eine bunkerartige Notunterkunft<br />

für seine Familie baut.<br />

Anna, die die kleine Tochter einer<br />

Nachbarsfamilie aus dem verwahrlosten<br />

Haus ihrer betrunkenen<br />

Mutter holt und mit ihr am See<br />

baden geht: „Just the wind“ spart<br />

auch die Probleme in der Roma-<br />

Gesellschaft nicht aus.<br />

Doch was „Just the Wind“ so einzigartig<br />

macht, ist die Kraft seiner<br />

Bilder. Die Kamera von Zoltán<br />

Lovasi bleibt immer ganz dicht an<br />

den Figuren, nie gibt es Totalen<br />

oder Einstellungen, die dem<br />

Zuschauer einen Überblick verschaffen<br />

könnten. So bleibt die<br />

Angst, die den Protagonisten bei<br />

jedem Schritt buchstäblich im<br />

Nacken sitzt, permanent spürbar.<br />

Die Tonmischung von Tamás Beke<br />

lässt jedes Geräusch, jeden Schritt<br />

und jedes Knacken eines Astes<br />

überdeutlich werden. Ist es wirklich<br />

nur der Wind den man da hört, wie<br />

Maria ihren Kindern versichert als<br />

die Familie am Ende des Tages wieder<br />

im Dunkel einschläft. All dies<br />

macht den Film in seiner Intensität<br />

beklemmend bis an die Grenze des<br />

Erträglichen.<br />

Der 1974 geborene Benedek<br />

(Bence) Fliegauf sorgte schon 2003<br />

mit seinem Spielfilmdebut „Rengeteg“<br />

(Wildniss) für Aufsehen auf<br />

der Berlinale. Bereits hier würde<br />

deutlich dass ein junger Regisseur<br />

auf dem Weg war eine völlig neue<br />

Bildsprache zu entwickeln. Damals<br />

noch gleichermaßen verstörend und<br />

faszinierend. Der Wolfgang-<br />

Staudte-Preis war nur der erste von<br />

vielen Preisen, die Fliegauf seither<br />

auf internationalen Festivals mit<br />

fast jedem seiner Filme einsammelte.<br />

Mittlerweile gilt er in Ablösung<br />

des alternden Bela Tarr als das neue<br />

Aushängeschild des ungarischen<br />

Autorenfilms.<br />

Nach dem etwas missglückten englischsprachigen<br />

Öko-science-fiction<br />

„Womb“ ist Fliegauf jetzt mit „Just<br />

the wind“ sein bislang bester Film<br />

gelungen. Sein inzwischen perfektionierter<br />

Stil und das Thema des<br />

Films bilden hier eine perfekte Synthese.<br />

Im August diesen Jahres wurden in<br />

Budapest endlich 4 Rechtsradikale<br />

für die Mordserie 2008/09 zu<br />

lebenslangen Haftstrafen verurteilt,<br />

doch die täglichen Schikanen gegen<br />

die Roma in Ungarn gehen weiter.<br />

Fast zeitgleich mit dem Urteil in<br />

Budapest lies der Bürgermeister<br />

einer ungarischen Kleinstadt das<br />

Wasser in einer Roma-Siedlung<br />

abstellen, um „Wasserverschwendung<br />

und Wasserdiebstahl“ vorzubeugen1.<br />

„Faschismus bedeutet<br />

also nicht, dass der Staat Lager<br />

errichtet, es bedeutet, dass er den<br />

Roma das Recht nimmt, Rechte zu<br />

haben und sie dem Mob überlässt“2.<br />

Zur Premiere von „Just the Wind“<br />

auf der Berlinale 2012 ließ die<br />

ungarische Botschaft mehrseitige<br />

Flugblätter mit Warnhinweisen verteilen,<br />

bei dem Film handele es sich<br />

um reine Fiktion. Es ist einfach, die<br />

Schuld für dieses Klima auf die in<br />

Ungarn regierende rechte Jobik-<br />

Partei zu schieben, die unter Ministerpräsident<br />

Victor Orban einen<br />

Kahlschlag ohnegleichen in der<br />

ungarischen Kulturszene anrichtete.<br />

Auch Benedek Fliegauf konstatierte<br />

in einem Interview: „Es gibt keinen<br />

politischen Film in Ungarn mehr,<br />

kein sozial engagiertes <strong>Kino</strong>.“3<br />

Gewiss es ist einiges faul im Staate<br />

Ungarn.<br />

Manchmal jedoch scheint es, als<br />

wäre Ungarn sehr nahe: In Duisburg<br />

verteidigte ein Stadtdirektor<br />

Ausschreitungen vor einem von<br />

Roma bewohnten Wohnblock4.<<br />

Richard Hehn<br />

Quellen:<br />

1 „Rechte bekommen lebenslänglich“<br />

- taz vom 6.8.2013<br />

2 „Und am Abend bist du tot“ - Die Zeit<br />

vom 18.7.2013<br />

3 „Warten auf die Barbaren“ - Tagesspiegel<br />

vom 18.7.2013<br />

4 „Wir sind völlig überfordert“ - taz<br />

vom 29.08.2013<br />

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