Wissenschaftliche Analyse einer ... - Hannahdenker.de

4. Primäre literarische Sozialisation
4.1 Individuelle Leseautobiographie
„Na, du kleine Raupe Nimmersatt, immer noch nicht genug vorgelesen?“ So oder ähnlich
könnte eine Frage meiner Mutter früher ausgesehen haben, wenn sie an meinem Bett saß und
mir die „Kleine Raupe Nimmersatt“ vorgelesen hat. Ich musste immer wieder lachen, wenn
der kleine Vielfraß sich durch die Seiten futterte. Aber die Erinnerungen an die ersten
Vorlesesituationen sind eher verschwommen und und scharf, eher ein Gefühl, denn eine
Erinnerung. Ein sanftes Dahingleiten in den sicheren Armen meiner Mutter. Bildhaft vor
Augen habe ich noch die Geschichte vom Esel Benjamin, die alle Facetten meines kindlichen
Gemütes bewegten: ein schönes Tier, eine bezaubernde Landschaft und wahre Freundschaft.
Manchmal las meine Mutter mir vor, manchmal erzählte ich selbst Geschichten zu den
Bildern.
Klare Erinnerungen verbinde ich aber besonders mit meiner Lieblingsgeschichte, die meine
Mutter mir immer und immer wieder erzählen musste: Die antike Sage der Entführung der
Europa. Meine Mutter war (und ist es noch heute) eine grandiose Geschichtenerzählerin.
Wenn Zeus sich in den Stier verwandelte war das immer der spannenste Augenblick, denn
jedes Mal beschrieb meine Mutter ein anderes Detail: eine goldene Kette um seinen Hals mit
einer Gravur, einen weißen Fleck am Hinterbein oder das energetische Umsichschlagen mit
dem kräftigen Stierschwanz. Und immer rief ich in kindlichem Enthusiasmus, dass das letztes
mal doch ganz anders war – wie ein kleines Ritual, das uns beide verband.
Aber auch mein erster Kindergarten ist mir positiv in Erinnerung. Einmal fanden wir einen
toten Maulwurf auf dem großen Gelände und im Anschluss las uns unsere Kindergärtnerin
eine Geschichte über einen Maulwurf und seine Tunnel vor.
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