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Wissenschaftliche Analyse einer ... - Hannahdenker.de

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Leistungsanfor<strong>de</strong>rungen m<strong>einer</strong> Eltern internalisiert und strengte mich in allen Fächern<br />

<strong>de</strong>utlich mehr an. Ich bekam einen sehr anregen<strong>de</strong>n und unorthodoxen Deutschlehrer, <strong>de</strong>r sich<br />

offensichtlich nur sehr vage an institutionelle Lehrplanvorgaben hielt.<br />

Auch wenn ich mit ihm meine schlimmste schulische Leseerfahrung in Verbindung bringe:<br />

„Der Schimmelreiter“ von Theodor Storm war er sehr anregend. Die Begleitung von Hauke<br />

Heien über die Staudämme von Nordfiesland hat mir aufgrund <strong>de</strong>r düsteren<br />

Novellenstimmung und aufgrund <strong>de</strong>r ausführlichen und langatmigen Diskussionen über <strong>de</strong>n<br />

Bau von Staudämmen überhaupt nicht gefallen und mich von jeglichem weiteren Werk<br />

<strong>de</strong>sselben Autors abgehalten.<br />

Ich wür<strong>de</strong> aber trotz<strong>de</strong>m auf keinen Fall sagen, dass die Schule in irgend<strong>einer</strong> Form daran<br />

Schuld sei, dass mein Verhältnis zur Literatur von durchdringen<strong>de</strong>r Ambivalenz geprägt ist,<br />

<strong>de</strong>nn sie hat mich auch an tiefere Interpretationsschichten herangeführt. So haben wir in <strong>de</strong>r<br />

neunten Klasse „Die Räuber“ von Schiller (1986) gelesen und ich war sehr fasziniert von <strong>de</strong>n<br />

Dialogen über <strong>de</strong>n metaphysischen Zweifel, <strong>de</strong>r sich in <strong>de</strong>r physischen und psychischen<br />

Hässlichkeit <strong>de</strong>s Franz Moor personalisiert und über die Schwächen eines i<strong>de</strong>alistischen<br />

Menschen wie Karl, <strong>de</strong>r als freiheitsdürsten<strong>de</strong>r Rebell in die Fänge <strong>de</strong>s unmoralischen<br />

Han<strong>de</strong>lns hineingleitet. Meine Mutter erzählte mir, dass ich mit diesem Werk gekämpft hätte,<br />

aber ich habe diesen Kampf offensichtlich gewonnen, <strong>de</strong>nn die verschie<strong>de</strong>nen Moralebenen,<br />

die zwei Gesichter <strong>de</strong>s Menschen, Karl und Franz, habe ich bis heute in sehr positiver<br />

Erinnerung. Entgegen <strong>de</strong>r damaligen Einschätzung m<strong>einer</strong> Deutschlehrer-Mutter empfand ich<br />

die Schiller-Lektüre überhaupt nicht als verfrüht. Je<strong>de</strong>nfalls hat sie mich dazu angeregt, <strong>de</strong>n<br />

Thalia-Theater-Plan in Hamburg immer wie<strong>de</strong>r nach Schillers „Sturm- und Drang-Stücken“<br />

zu durchforsten. Aber ich war auch ein bisschen enttäuscht über meine eigene<br />

Unzulänglichkeit und literarische Schwäche. Ich selbst – ohne Hilfe eines leiten<strong>de</strong>n Lehrers<br />

und m<strong>einer</strong> gebil<strong>de</strong>ten Mutter – wäre niemals selbst auf die verschie<strong>de</strong>nen Moralstufen im<br />

Text gekommen. In diesen Jahren begegnete mir ironischerweise auch erstmals Kants<br />

berühmter Satz (Kant, 1977, S.53): „Aufklärung ist <strong>de</strong>r Ausgang <strong>de</strong>s Menschen aus s<strong>einer</strong><br />

selbst verschul<strong>de</strong>ten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines<br />

Verstan<strong>de</strong>s ohne Leitung eines an<strong>de</strong>ren zu bedienen.“ Ich habe damals erkannt, dass ich<br />

bisher nicht gelernt hatte, „mich meines Verstan<strong>de</strong>s“ ohne Hilfestellung an<strong>de</strong>rer zu bedienen.<br />

Ich kam mir vor wie ein „unbeschriebenes Blatt“ eine „Tabula Rasa“ auf das meine<br />

Umgebung – die Schule, meine Eltern, meine Freun<strong>de</strong> – „schreiben“ konnten, was sie wollten<br />

und mir so etwas wie eine eigene Bewertungsinstanz fehlte. Daran hat sich bis heute nichts<br />

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