Freiheits- und Schutzrechte der UN-Behindertenrechtskonvention ...
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34 Diakonie Texte 02.2013 Wie lässt sich Zwang vermeiden o<strong>der</strong> reduzieren <strong>und</strong> wie geht die Psychiatrie mit Zwang um?<br />
um nicht einer unnötigen Atmosphäre <strong>der</strong> Angst ausgesetzt<br />
zu werden. Gleichzeitig gilt, dass alle Menschen mit seelischer<br />
Behin<strong>der</strong>ung, die sich selbst gefährden, Anspruch auf<br />
Leistungen <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ungshilfe haben. Sie dürfen nicht<br />
ohne wichtigen Gr<strong>und</strong> – wie beispielsweise dem Ende <strong>der</strong><br />
Kostenübernahmezusage für den Krankenhausaufenthalt –<br />
in geschlossenen Pflegeheimen „geparkt“ werden, bis woan<strong>der</strong>s<br />
ein Platz frei ist. Um dies sicherzustellen, muss es im<br />
regionalen Verb<strong>und</strong> eine Kontrollinstanz wie zum Beispiel die<br />
Hilfeplankonferenz geben, die Einzüge in das geschlossene<br />
Wohnheim, Aufenthaltsverlängerungen sowie vorrangige<br />
an<strong>der</strong>e Lösungen prüft.<br />
Weitere „Kontrollinstanzen“, wie beispielsweise trialogische<br />
Besuchskommissionen, können den Umgang mit den Bewohnerinnen<br />
<strong>und</strong> Bewohnern sowie die Atmosphäre im Haus in<br />
den Blick nehmen. Der Heimbeirat sollte von externen kritischen<br />
Beraterinnen <strong>und</strong> Beratern, wenn möglich psychiatrieerfahrenen<br />
Menschen, unterstützt werden.<br />
Die offenen Wohnangebote des regionalen psychiatrischen<br />
Verb<strong>und</strong>systems sollten sich die vorrangige Aufnahme <strong>der</strong><br />
Menschen aus dem geschlossenen Wohnheim zur Regel<br />
machen, damit dort zeitnahe Auszüge möglich sind. Das<br />
Wohnheim selbst sollte eine offene Wohnform in räumlicher<br />
Nähe anbieten, die den Auszug von Bewohnerinnen <strong>und</strong><br />
Bewohnern möglich macht, die sich das ohne Personalkontinuität<br />
nicht zutrauen würden.<br />
Darüber hinaus ist es wichtig, dass sich die Heimaufsicht mit<br />
den speziellen Problemen psychisch kranker Menschen, die in<br />
geschlossenen Heimen untergebracht sind, auskennt. Wichtig<br />
sind unter an<strong>der</strong>em helle Räumlichkeiten <strong>und</strong> Einzelzimmer.<br />
Ein geschlossener Außenbereich ist ebenso wichtig wie <strong>der</strong><br />
Zugang zu Telefon <strong>und</strong> Post. Für alle Bewohnerinnen <strong>und</strong><br />
Bewohner ist ein differenziertes Beschäftigungsangebot<br />
bereitzustellen.<br />
4.3 Handlungsempfehlungen für<br />
diakonische Dienste <strong>und</strong><br />
Einrichtungen<br />
Auf dem Weg zu einer möglichst gewaltfreien Psychiatrie sind<br />
die Dienste <strong>und</strong> Einrichtungen hinsichtlich ihrer fachlichen<br />
Ausrichtung gefragt <strong>und</strong> herausgefor<strong>der</strong>t. Neben ausreichenden<br />
<strong>und</strong> auskömmlichen finanziellen <strong>und</strong> strukturellen Rahmenbedingungen<br />
braucht es konzeptionelle Verän<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>und</strong> fachliche Qualifizierung <strong>der</strong> Mitarbeitenden, um allen<br />
Menschen mit psychischen Erkrankungen gerecht zu werden<br />
<strong>und</strong> ein personenzentriertes Angebot in <strong>der</strong> Versorgungsregion<br />
bereitzuhalten beziehungsweise zu entwickeln. Hierzu<br />
sind vielfältige Anregungen gegeben <strong>und</strong> Konzepte vorgestellt<br />
worden, die in den folgenden Handlungsempfehlungen<br />
noch einmal kurz zusammengefasst werden.<br />
Fortbildungserfor<strong>der</strong>nisse erkennen <strong>und</strong><br />
Qualifizierung <strong>der</strong> Mitarbeitenden unterstützen<br />
Für Mitarbeitende in Kliniken, Wohnheimen <strong>und</strong> Diensten<br />
<strong>der</strong> Gemeindepsychiatrie sollen Kurse zu Deeskalationsstrategien<br />
beziehungsweise Schulungen in Programmen<br />
zur Gewaltreduktion verpflichtend vorgeschrieben werden.<br />
Eine Quali fizierung <strong>der</strong> Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter im<br />
Umgang mit krisenhaften <strong>und</strong> sich zuspitzenden Situationen<br />
muss kontinuierlich sichergestellt werden.<br />
Die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Inhalten <strong>und</strong> For<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> <strong>UN</strong>-BRK sollte durch fortlaufende Schulungen <strong>und</strong><br />
Fortbildungen <strong>der</strong> Mitarbeitenden im psychiatrischen Hilfesystem<br />
<strong>und</strong> den Betreuungsvereinen gewährleistet werden,<br />
um die Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Menschenrechte von Menschen<br />
mit psychischen Erkrankungen mehr als bisher zu wahren<br />
<strong>und</strong> zu schützen.<br />
Um die Angemessenheit, Erfor<strong>der</strong>lichkeit <strong>und</strong> Verhältnismäßigkeit<br />
von nicht vermeidbaren Zwangsmaßnahmen<br />
sicherzustellen, sind darüber hinaus Rechtskenntnisse in<br />
den Bereichen notwendig, die die Schnittstellen zwischen<br />
Psychiatrie <strong>und</strong> Recht darstellen. Allein dieses Wissen<br />
sollte zu einer größeren Sorgfalt bei <strong>der</strong> Beantragung von<br />
Betreuungen <strong>und</strong> von Zwangsmaßnahmen führen.<br />
Verfügungsformen zur Selbstbestimmung stärken<br />
<strong>und</strong> offen mit angewandtem Zwang umgehen<br />
Eine Möglichkeit, Zwangsbehandlungen zu vermeiden,<br />
sind Patientenverfügungen, Behandlungsvereinbarungen<br />
<strong>und</strong>/o<strong>der</strong> Krisenplänen. Die hierin liegenden Chancen können<br />
nicht genug betont werden. Über das Instrument <strong>der</strong><br />
Behandlungsvereinbarung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Patientenverfügung ist<br />
in den Kliniken <strong>und</strong> gemeindepsychiatrischen Diensten<br />
<strong>und</strong> Einrichtungen flächendeckend <strong>und</strong> als Standard zu<br />
informieren. Betroffene sind spätestens im Entlassungsgespräch<br />
des ersten Klinikaufenthalts auf die Möglichkeit<br />
einer Patientenverfügung o<strong>der</strong> Behandlungsvereinbarung<br />
hinzuweisen. Betroffene sind ausdrücklich darin zu unterstützen,<br />
eine individuelle Verfügung, sofern sie dies wünschen,<br />
zu verfassen.