Herunterladen - tessiner zeitung
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26. Juli 2013<br />
5<br />
Porträt<br />
GIUSEPPEPERALE<br />
Tessin, das bedeutet für<br />
viele: Tradition, Wein und<br />
dolce far niente.<br />
Es gibt Menschen, die alles<br />
daran setzen, diese Begriffe<br />
mit Hochtechnologie,<br />
Innovation und<br />
Kompetenz zu ersetzen.<br />
Die Sonnenstube soll<br />
zur europäischen<br />
Wiege der<br />
Biotechnologie werden.<br />
Eine der Personen, die im<br />
Tessin mehr als Berge, Seen<br />
und Palmen sieht, ist der<br />
SUPSI-Professor<br />
Giuseppe Perale<br />
“PROFESSUR IST MEINEBERUFUNG”<br />
von Martina Kobiela<br />
In der zweiten Juliwoche des Jahres 2012 traf Giuseppe<br />
Perale im Laufe von drei Tagen Entscheidungen,<br />
die sein Leben und das seiner Familie für immer<br />
verändern sollten, Entscheidungen, die dazu geführt<br />
haben, dass Perale Ende Juni, mit 34 Jahren zum Professor<br />
für industrielle Biotechnologie an der Fachhochschule<br />
SUPSI ernannt wurde. Er ist der erste<br />
Fall, bei dem der Professorentitel zeitgleich mit der<br />
Einstellung verliehen wurde. Der Italiener hat grosse<br />
Pläne für seinen Bereich, das Departement der innovativen<br />
Technologie, für die Fachhochschule und für<br />
das Tessin als biomedizinischen Standort. Er sagt,<br />
dass er helfen wolle, das Tessin zum “Biomed Valley<br />
of Europe”, analog zum Silicon Valley in den USA,<br />
zu machen. Perale denkt international. Er spricht anfangs<br />
in einer wilden Mischung aus Italienisch,<br />
Deutsch und Englisch, um schliesslich vollständig<br />
zum Englischen überzugehen<br />
In drei Tagen stellte er sein Leben auf den Kopf<br />
72 Stunden lang habe er nicht geschlafen, beginnt Perale<br />
die Erzählung von den Ereignissen, die sein Leben<br />
vor einem Jahr auf dem Kopf stellten und ihn zu<br />
seiner Professur an der SUPSI führen sollten. In diesen<br />
drei Julitagen hat der schlanke rotblonde Unternehmensgründer<br />
Entscheidungen getroffen, die ihn,<br />
etwas mehr als ein Jahr später, in diesen nüchternen<br />
Seminarraum des Departements innovative Technologien<br />
an der SUPSI in Manno gebracht haben.<br />
Damals lebte Perale mit seiner hochschwangeren<br />
Frau und seiner ersten Tochter im Zentrum Mailands.<br />
Er kannte das Tessin bereits gut. Seine Firma, die IBI<br />
S.A., hat ihren Hauptsitz im Industriegebiet von<br />
Mezzovico. Von Italien war Perale enttäuscht: „Italien<br />
ist ein totes Land. Wenn du Exzellenz anstrebst,<br />
kannst du in Italien nicht arbeiten. Die Steuern sind<br />
stratosphärisch, die Bürokratie ist undurchsichtig.“<br />
Innerhalb von 72 Stunden überstürzten sich die Ereignisse<br />
in seinem Leben. Die schwierige Schwangerschaft<br />
seiner Frau nahm eine Wende zum Positiven,<br />
bei einer Diskussion mit seinem Tessiner Verwaltungsratskollegen<br />
Lorenzo Leoni (Direktor der<br />
Stiftung Fondazione AGIRE), erfuhr Perale von langfristigen<br />
Plänen des Kantons zur Stärkung des biotechnologischen<br />
Standortes und sein Grossvater starb<br />
mit 99 Jahren. Der in Venedig geborene Professor mit<br />
österreich-ungarischen Wurzeln erzählt: „Wir liessen<br />
meinen Grossvater zu Hause in seinem Bett sterben.<br />
Mein Onkel, Professor der Medizin an der Universität<br />
von Padua, begleitete meinen Grossvater in seinen<br />
letzten Tagen.“ Bei der Ausstellung der Todesurkunde<br />
habe der zuständige Beamte Zweifel an der Qualifikation<br />
seines Onkels, einen sterbenden Menschen<br />
medizinisch begleiten zu können, geäussert und einen<br />
Fähigkeitsausweis verlangt, beschreibt Perale<br />
den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.<br />
„In diesem Moment, als der Mensch nichts und die<br />
Dokumente alles zählten, wusste ich, dass nun der<br />
richtige Zeitpunkt gekommen war, um unsere Habseligkeiten<br />
zusammenzupacken und Italien zu verlassen.“<br />
Nach dem Gespräch mit seinem Kollegen Leoni<br />
war Perale überzeugt, dass seine Zukunft im Tessin<br />
lag. Der junge Familienvater, Unternehmensgründer<br />
und Akademiker beschloss: „Ich erkannte, dass im<br />
Tessin etwas im Begriff des Entstehens ist und ich<br />
wollte ein Teil davon sein. Am Tag danach habe ich<br />
für uns ein Haus in Collina d’Oro gekauft.“<br />
“Ich erkannte, dass im Tessin<br />
etwas im Begriff des<br />
Entstehens ist und ich<br />
wollte ein Teil davon sein.<br />
Am Tag danach habe ich<br />
für uns ein Haus in<br />
Collina d’Oro gekauft”<br />
Ideale Arbeitsbedingungen im Tessin<br />
Perale ist glücklich im Tessin. „Wenn man arbeiten<br />
und etwas aufbauen will, hat man hier die Möglichkeit<br />
dazu. Ich habe ideale Arbeitsbedingungen und<br />
eine langfristige Planung zur Technologieförderung<br />
vorgefunden.“ Seine Firma stellt medizinische Produkte<br />
im Bereich Knochenersatz her. Die Forschung<br />
nimmt einen wichtigen Stellenwert ein. Die IBI S.A.<br />
arbeitet an der Entwicklung von Materialien, die zur<br />
Regeneration von Knochen verwendet werden.<br />
Aber die Biotech-Firma ist nicht sein Lebenswerk,<br />
betont der Professor: „Mein Berufung ist meine Professur<br />
hier an der Fachhochschule.” Seine praktischen<br />
Erfahrungen als Jungunternehmer sind ein<br />
wichtiger Meilenstein in seinem Leben, aber er kann<br />
sich durchaus vorstellen, das Startup in einigen Jahren<br />
zu verkaufen. Er hofft durch seine Lehrtätigkeit<br />
einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung der nächsten<br />
Forschergeneration zu leisten . Neben dem Lehrauftrag<br />
wird Perale auch in der angewandten Forschung<br />
tätig sein. Er freut sich, die Arbeit im Forschungsteam<br />
aufnehmen zu können. „Als erstes geht es nun<br />
darum, das Team optimal zu organisieren und eventuell<br />
mit zusätzlichen Kompetenzen zu ergänzen“. Die<br />
Forschung wird sich vor allem auf das Gebiet Engineering<br />
von neuartigen, biotechnologischen Materialien<br />
und industrielle Biotechnologie fokussieren. Anwendungsbereiche<br />
sind zum Beispiel die Regenerierung<br />
der Wirbelsäule und Strategien zu Reparaturen<br />
am Herzmuskel.<br />
„Die Schweiz ist der richtige Standort“<br />
Seine Arbeit an der SUPSI sieht der 34-Jährige als<br />
wichtigen Beitrag zur Schaffung des Biotechnologiestandortes<br />
Tessin: “Ich hoffe, dass das Tessin zum einem<br />
anerkannten biotechnologischen Standort in<br />
Europa wird. Denn es ist nicht zu klein, um sich gegen<br />
Konkurrenten aus Schweden und Deutschland zu<br />
behaupten. Die Schweiz ist der richtige Standort, sofern<br />
wir in einem positiven Klima optimal zusammenarbeiten.”