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13.1 Zur Einteilung der Mechanik - Institut für Dynamik und ...

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KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 29<br />

13 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

In diesem Kapitel wird die Bahn eines Massenpunktes untersucht. Unterschiedliche<br />

Beschreibungsformen in unterschiedlichen Koordinatensystemen gehören zum<br />

Handwerkzeug <strong>der</strong> <strong>Mechanik</strong>. Die hier angesprochenen Gr<strong>und</strong>lagen sind wesentlich<br />

für alle folgenden Abschnitte!<br />

Ein Massenpunkt ist eine Idealisierung eines starren Körpers, dessen Abmessungen<br />

gegenüber seiner Bahn so klein sind, dass er als mathematischer Punkt behandelt<br />

werden kann. Daraus folgt auch, dass Drehungen um seine Achsen für die anstehenden<br />

Untersuchungen keine Rolle spielen. Ein Massenpunkt im Raum hat nur<br />

drei Freiheitsgrade.<br />

<strong>13.1</strong> <strong>Zur</strong> <strong>Einteilung</strong> <strong>der</strong> <strong>Mechanik</strong><br />

Die <strong>Mechanik</strong> lässt sich nach folgenden Disziplinen einteilen (siehe [2]):<br />

<br />

<br />

Kinematik<br />

Die Kinematik untersucht die Geometrie <strong>der</strong> Bewegung von Körpern.<br />

<strong>Dynamik</strong><br />

Die <strong>Dynamik</strong> untersucht die Wechselwirkungen von Kräften <strong>und</strong> Geometrie <strong>der</strong><br />

Bewegung. Die <strong>Dynamik</strong> lässt sich nochmals einteilen in die folgenden Disziplinen:<br />

Statik<br />

In <strong>der</strong> Statik werden Kraftgleichgewichte an ruhenden Körpern untersucht.<br />

Statik wird seit <strong>der</strong> Antike betrieben.<br />

Kinetik<br />

Die Kinetik untersucht die Bewegung von Körpern aufgr<strong>und</strong> von Kräften, die<br />

an diesen Körpern angreifen. Die Kinetik in ihrer mo<strong>der</strong>nen Form wurde von<br />

Galilei (1564–1642, bekannt durch seine Fallgesetze <strong>und</strong> das nach ihm be-


30 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

nannte Trägheitsgesetz) <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e durch Newton (1643–1727) entwickelt.<br />

Newton fasste alle Erfahrungen <strong>der</strong> damaligen Zeit in drei axiomatischen<br />

Gesetzen zusammen, die heute noch in unverän<strong>der</strong>ter Form als Newtonsche<br />

Gr<strong>und</strong>gesetze Ausgangspunkt <strong>der</strong> Kinetik sind.<br />

In den nachfolgenden Kapiteln wird zunächst die Kinematik <strong>und</strong> <strong>Dynamik</strong> eines Massenpunktes<br />

untersucht. Insbeson<strong>der</strong>e werden hier auch Lösungshilfen wie <strong>der</strong> Arbeitssatz<br />

o<strong>der</strong> Energiesatz exemplarisch erläutert.<br />

Danach werden Massenpunktsysteme betrachtet <strong>und</strong> anschließend starre Körper. Damit<br />

lässt sich die <strong>Dynamik</strong> sogenannter allgemeiner Mehrkörpersysteme vollständig<br />

beschreiben.<br />

Spezielle dynamische Vorgänge wie Stoß o<strong>der</strong> Schwingungen mit einem o<strong>der</strong> mehreren<br />

Freiheitsgraden werden am Ende des Semesters untersucht.<br />

13.2 Ort, Geschwindigkeit <strong>und</strong> Beschleunigung<br />

Im dreidimensionalen Raum sei ein gegeben. Außerdem sei in diesem Raum<br />

eine Basis gegeben. Mit <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Vektorrechnung (siehe [2, Kapitel 2]) bekannten<br />

Notation kann <strong>der</strong> vermessen werden. Ein solches Basissystem wird auch<br />

Bezugssystem genannt.<br />

Ist das Bezugssystem ein kartesisches Koordinatensystem (Orthonormalbasis) mit<br />

den Basisvektoren so wird <strong>der</strong> Ort des durch den<br />

beschrieben.<br />

e<br />

z<br />

r<br />

z<br />

P<br />

e<br />

x<br />

r<br />

x<br />

r<br />

r<br />

y<br />

e<br />

y


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 31<br />

Die für die Ortsbeschreibung notwendigen drei Angaben<br />

Tatsache, dass <strong>der</strong> Punkt 3 Freiheitsgrade besitzt.<br />

sind Ausdruck <strong>der</strong><br />

Wenn nun im Laufe <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Punkt seinen Ort verlässt, verän<strong>der</strong>t sich in <strong>der</strong><br />

Zeit auch <strong>der</strong> zugehörige Ortsvektor. Dieser ist eine Funktion <strong>der</strong> Zeit<br />

Wenn man annimmt, dass das Bezugssystem sich mit <strong>der</strong> Zeit nicht än<strong>der</strong>t, dann sind<br />

die Basisvektoren keine Funktion <strong>der</strong> Zeit. Nur die Koeffizienten des hängen<br />

von <strong>der</strong> Zeit ab. Solch ein Bezugssystem heißt Inertialsystem. (Später werden wir<br />

zusätzlich noch for<strong>der</strong>n, dass <strong>der</strong> Ursprung eines Inertialsystems sich höchstens mit<br />

konstanter Geschwindigkeit zu einem an<strong>der</strong>en Inertialsystem bewegen darf.)<br />

e<br />

z<br />

t<br />

1<br />

P<br />

t<br />

2<br />

t<br />

3<br />

r<br />

e<br />

x<br />

e<br />

y<br />

Abbildung ‎13-1: Vektor r als Funktion <strong>der</strong> Zeit<br />

Man nennt die Bahn o<strong>der</strong> auch Bahnkurve des .<br />

Die Dimension <strong>der</strong> Koeffizienten des Ortsvektors sind Längen, ihre Einheit das<br />

. Wenn alle Koeffizienten eines Vektors die gleiche Dimension haben, sagt<br />

man auch kurz, <strong>der</strong> Vektor hat die Dimension einer Länge.<br />

Die Bahn ist eine in parametrisierte Kurve. Bestimmte Zeitpunkte lassen sich auf<br />

<strong>der</strong> Bahnkurve kennzeichnen. Man bekommt so eine erste Vorstellung davon, wann<br />

sich <strong>der</strong> Punkt wo befindet.<br />

Diese Vorstellung lässt sich präzisieren mit dem Begriff Geschwindigkeit des Punktes<br />

auf seiner Bahn.


32 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

e<br />

z<br />

e<br />

z<br />

r(t)<br />

r<br />

r(t+ t)<br />

P<br />

r(t)<br />

P<br />

v(t)<br />

e<br />

x<br />

e<br />

y<br />

e<br />

x<br />

e<br />

y<br />

Die<br />

ist definiert als <strong>der</strong> Grenzwert<br />

Die ist ein Vektor, <strong>der</strong> zur tangential an <strong>der</strong> Bahnkurve im<br />

anliegt. Die Dimension von ist mit <strong>der</strong> Einheit<br />

Die Geschwindigkeit gibt die momentane Richtung <strong>der</strong> Bewegung des Punktes an,<br />

<strong>der</strong> Betrag des Vektors ist ein Maß für die tatsächliche Geschwindigkeit des Punktes<br />

auf <strong>der</strong> Bahn. Man bezeichnet die Norm des Geschwindigkeitsvektors<br />

als Bahngeschwindigkeit. Das Tachometer Ihres Autos zeigt Ihnen zum Beispiel immer<br />

die<br />

an, unabhängig davon, ob Sie nun mit Ihrem Wagen<br />

Kurven fahren o<strong>der</strong> nicht.<br />

Dieses Autobeispiel zeigt auch, dass es offenbar wichtig ist, auch die Än<strong>der</strong>ung des<br />

Geschwindigkeitsvektors zu beschreiben. Wenn Sie etwa durch Gasgeben o<strong>der</strong> Bremsen<br />

den Betrag des Geschwindigkeitsvektors des Autos än<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> nur dessen Richtung<br />

durch Drehung des Lenkrades, so merken Sie das durch die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kräfte,<br />

mit denen Sie sich am Steuerrad festhalten müssen.<br />

Die zeitliche Ableitung des Geschwindigkeitsvektors nennt man<br />

Beschleunigung<br />

e<br />

z<br />

r(t)<br />

P<br />

v(t+ t) v(t+ t)<br />

v<br />

v(t) v(t)<br />

e<br />

z<br />

r(t)<br />

P<br />

a(t)<br />

v(t)<br />

e<br />

x<br />

e<br />

y<br />

e<br />

x<br />

e<br />

y


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 33<br />

Es gilt<br />

Die ist ein Vektor, <strong>der</strong> zur die Richtung <strong>und</strong> den Betrag <strong>der</strong><br />

zeitlichen Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Geschwindigkeit angibt. Die Dimension von ist<br />

mit <strong>der</strong> Einheit<br />

Beispiel <strong>13.1</strong><br />

Gegeben sei eine Bahn in einem kartesischen Inertialsystem mit<br />

Hierin sind die Zeit (Einheit ), (Einheit ).<br />

Die hat die Dimension <strong>und</strong> dient dazu, das Argument<br />

<strong>der</strong> Winkelfunktion dimensionslos zu machen.<br />

Wie sieht <strong>der</strong> Geschwindigkeits- <strong>und</strong> Bahnbeschleunigungsvektor aus? Wie<br />

groß sind Bahngeschwindigkeit <strong>und</strong> Bahnbeschleunigung? Wie sieht die<br />

Bahn des Punktes aus?<br />

Lösung <strong>13.1</strong><br />

Den Geschwindigkeitsvektor <strong>und</strong> den Bahnbeschleunigungsvektor erhält<br />

man durch Differentiation des Ortsvektors<br />

Die<br />

ist eine Konstante


34 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

Um die Bahngeometrie zu erfassen, kann man in Form einer Tabelle für eine<br />

Reihe von Zeitpunkten die entsprechenden Koordinaten berechnen <strong>und</strong><br />

damit die Bahn skizzieren. O<strong>der</strong> aber man versucht, den Parameter Zeit aus<br />

den Koordinatenfunktionen zu eliminieren. Hier gilt für die<br />

– – des die Beziehung<br />

Dies ist ein Kreis mit dem in <strong>der</strong> zur parallelen<br />

Ebene. Der Mittelpunkt des Kreises wird beschrieben durch die Koordinaten<br />

<strong>und</strong><br />

e<br />

z<br />

A<br />

C<br />

e x<br />

B<br />

B<br />

e<br />

y<br />

Anmerkung:<br />

Dieses Beispiel zeigt, dass die Bahngeschwindigkeit konstant ist <strong>und</strong> auch<br />

die Bahnbeschleunigung konstant <strong>und</strong> ungleich Null ist. Dies ist offenbar<br />

dann <strong>der</strong> Fall, wenn sich nicht die Länge des Geschwindigkeitsvektors,<br />

son<strong>der</strong>n nur seine Richtung än<strong>der</strong>t.<br />

13.3 Geradlinige Bewegung<br />

Wir betrachten zunächst den Fall einer geradlinigen Bahn, die längs <strong>der</strong> – des<br />

Inertialsystems liegt. Dann wird <strong>der</strong> Punkt nur noch mit einer skalaren Funktion, <strong>der</strong><br />

– beschrieben , beschrieben. Entsprechend sind die Geschwindigkeit<br />

<strong>und</strong> Beschleunigung


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 35<br />

einfach durch die entsprechende Koordinatenfunktion zu beschreiben<br />

Wenn man die Koordinatenfunktion hat, so kann man sich durch einfache<br />

Differentiation die Geschwindigkeit <strong>und</strong> Beschleunigung berechnen. In diesem Sinn ist<br />

die Kenntnis <strong>der</strong> Funktion gleich <strong>der</strong> Lösung <strong>der</strong> Kinematik.<br />

x<br />

x(t)<br />

.<br />

x<br />

t<br />

Differenzieren<br />

.<br />

x(t)<br />

..<br />

x<br />

t<br />

Differenzieren<br />

..<br />

x(t)<br />

t<br />

Stellen Sie sich bitte vor, dass ein Mitarbeiter Ihrer Firma auf einer langen geraden<br />

Teststrecke mit einem Wagen unterwegs ist. Wenn Sie die Ortskurve des<br />

Wagens haben, können Sie schnell aussagen, wann <strong>der</strong> Testfahrer eine bestimmte Geschwindigkeit<br />

erreicht hat o<strong>der</strong> wann er gebremst o<strong>der</strong> beschleunigt hat.<br />

Nehmen wir nun an, dass im Wagen ein Fahrtenschreiber ist. Ein Fahrtenschreiber<br />

erfasst zu jedem Zeitpunkt die Geschwindigkeit des Wagens . Am Ende <strong>der</strong><br />

Testfahrt bekommen Sie den Ausdruck des Fahrtenschreibers. Wie kommen Sie nun<br />

zur den von Ihnen gewünschten Informationen, wann <strong>der</strong> Fahrer gebremst hat <strong>und</strong><br />

wann zum Beispiel <strong>der</strong> Fahrer das Ende <strong>der</strong> Teststrecke erreicht hat?<br />

Sie wissen, dass <strong>der</strong> Fahrer genau um 8 Uhr morgens am Anfang <strong>der</strong> Teststrecke<br />

losgefahren ist.


36 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

Zusammengefasst haben Sie also folgende Informationen:<br />

Zum Zeitpunkt ist . (Man nennt diese Information auch<br />

Anfangsbedingung.)<br />

Vom Fahrtenschreiber: .<br />

Wissen wollen Sie:<br />

Offensichtlich bereitet die Information<br />

keine Schwierigkeiten, es muss dazu<br />

ja nur die Fahrtenschreiberkurve differenziert werden. Um aus <strong>der</strong> Funktion<br />

die Funktion<br />

Verän<strong>der</strong>lichen. Aus<br />

d<br />

d<br />

zu erhalten, bedient man sich <strong>der</strong> Technik <strong>der</strong> Trennung <strong>der</strong><br />

erhält man nach formaler Multiplikation mit dem Differential<br />

d<br />

d<br />

Auf <strong>der</strong> linken Seite <strong>der</strong> Gleichung steht eine Funktion von , auf <strong>der</strong> rechten Seite<br />

eine Funktion von . In dieser Gleichung sind die Variablen durch das Gleichheitszeichen<br />

getrennt. Die Summation führt auf<br />

d<br />

d<br />

wobei das linke Integral über den Ort <strong>und</strong> das rechte Integral über die Zeit summiert.<br />

Für die linke Seite kann man sofort eine Stammfunktion angeben<br />

d<br />

hierin ist<br />

eine Integrationskonstante, die bei dieser Form <strong>der</strong> unbestimmten Integration<br />

auftritt. Sie wird bestimmt durch die Anfangsbedingung


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 37<br />

x<br />

x(t)<br />

.<br />

x<br />

t<br />

Integrieren<br />

.<br />

x(t)<br />

..<br />

x<br />

t<br />

Differenzieren<br />

..<br />

x(t)<br />

t<br />

Als Sie für den Testfahrer den Wagen gekauft haben, war in <strong>der</strong> Werbung zu diesem<br />

Wagen zu lesen, dass er in auf kommt. Ihr Kind fragt Sie<br />

nun, wenn <strong>der</strong> Testfahrer zu einem<br />

am Anfang <strong>der</strong> Teststrecke steht <strong>und</strong><br />

dann Gas gibt, dann ist <strong>der</strong> Wagen nach zwölf Sek<strong>und</strong>en schnell – aber wie<br />

weit ist <strong>der</strong> Wagen in diesen zwölf Sek<strong>und</strong>en gefahren?<br />

Sie haben die Informationen zum Zeitpunkt :<br />

<strong>und</strong> die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Geschwindigkeit in<br />

gibt Ihnen eine mittlere Beschleunigung<br />

von<br />

mit<br />

also haben Sie <strong>und</strong> Sie wollen <strong>und</strong> . Man muss<br />

hier also zweimal hintereinan<strong>der</strong> wie oben integrieren.


38 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

x<br />

x(t)<br />

.<br />

x<br />

t<br />

Integrieren<br />

.<br />

x(t)<br />

..<br />

x<br />

x 0<br />

t 0<br />

v 0<br />

t 0<br />

t<br />

Integrieren<br />

..<br />

x(t)<br />

t 0<br />

t<br />

Die allgemeine Lösung ist<br />

<strong>und</strong> enthält zwei Konstanten, die aus den Anfangsbedingungen bestimmt werden müssen.<br />

Anmerkung:<br />

Der Wagen fährt in den etwa weit.<br />

Eines <strong>der</strong> grandiosen Ergebnisse, die Galilei fand, besagt, dass je<strong>der</strong><br />

Körper, gleich welche Masse er hat, auf <strong>der</strong> Erdoberfläche eine konstante<br />

Beschleunigung erfährt. Diese Beschleunigung ist zum Erdmittelpunkt gerichtet<br />

<strong>und</strong> hat den Wert<br />

Man nennt auch Erdbeschleunigung. Tatsächlich variiert dieser Wert geringfügig,<br />

<strong>der</strong> angegebene Wert wird aber generell für technische Anwendungen<br />

benutzt. Die Beobachtungen von Galilei besagen zum Beispiel, dass<br />

eine Vogelfe<strong>der</strong> genau so schnell wie eine Bleikugel fällt. Wegen des Luftwi<strong>der</strong>standes<br />

kann man das Experiment nur im Vakuum beobachten.


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 39<br />

Beispiel 13.2:<br />

Auf einem Jahrmarkt ist eine „Hau den Lukas“–Apparatur aufgestellt. Mit<br />

Hilfe eines schweren Hammers kann in dieser Apparatur eine kleine Masse<br />

so in Bewegung gesetzt werden, dass sie längs einer Gleitschiene zuerst<br />

nach oben <strong>und</strong> dann wie<strong>der</strong> nach unten fällt.<br />

h<br />

g<br />

x<br />

Abbildung ‎13-2: Hau den Lukas<br />

Wie groß muss die Anfangsgeschwindigkeit mindestens sein, damit die<br />

Masse das obere Ende in einer erreicht?<br />

Lösung 13.2:<br />

Im Erdschwerefeld wirkt die Erdbeschleunigung in negative – .<br />

Es gilt also für die Beschleunigung des Massenpunktes<br />

mit <strong>der</strong> allgemeinen Lösung<br />

Die Anfangszeit wird zu gewählt. Bei ist <strong>und</strong><br />

. Nach Anpassen <strong>der</strong> Anfangsbedingungen lautet die Lösung


40 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

Nach Aufgabenstellung muss<br />

Zeitpunkt gibt, für den gilt:<br />

mindestens so groß sein, dass es einen<br />

Die Geschwindigkeit zu diesem Zeitpunkt muss mindestens<br />

groß sein:<br />

Aus <strong>der</strong> letzten Gleichung erhält man als Funktion von . Einsetzen in<br />

die darüber angegebene Gleichung liefert schließlich<br />

Wenn Ihr Wagen keinen Fahrtenschreiber hat <strong>und</strong> Sie keine weiteren Informationen<br />

von dem Testfahrer haben als die Abfahrtszeit <strong>und</strong> den Abfahrtsort <strong>und</strong> damit natürlich<br />

auch die Anfangsgeschwindigkeit, bitten Sie die Polizei um Hilfe. Die sagt Ihnen<br />

(möglicherweise): „kein Problem, wir haben eine große Menge von Radarkontrollgeräten,<br />

die wir Ihnen zur Verfügung stellen könnten“.<br />

Ein Radarkontrollgerät stellt die<br />

eines Wagens am Einsatzort<br />

fest. Wenn Sie also die Teststrecke mit Radarkontrollgeräten bestücken, bekommen<br />

Sie an jedem Aufstellungsort die Geschwindigkeit, mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> Testfahrer fährt. Sie<br />

erhalten also die Information<br />

Wie können Sie hieraus die gewünschten Funktionen<br />

erhalten?<br />

Sie können hier wie<strong>der</strong> über die Trennung <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>lichen eine Lösung finden.<br />

Mit<br />

erhält man nach Division durch<br />

<strong>und</strong> Multiplikation mit


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 41<br />

Hier ist also wie<strong>der</strong> die Trennung geglückt, links stehen nur Funktionen von , rechts<br />

eine Funktion von . Die Summation liefert<br />

d<br />

Beziehungsweise<br />

Die Umkehrabbildung dieser Funktion liefert die gesuchte Lösung ,<br />

aus <strong>der</strong> wie<strong>der</strong> durch Differentiation die übrigen Funktionen<br />

berechnet werden können.<br />

x<br />

.<br />

x<br />

x(t)<br />

t(x)<br />

t<br />

.<br />

x<br />

Differenzieren<br />

.<br />

x(x)<br />

..<br />

x<br />

t<br />

x<br />

Differenzieren<br />

t<br />

Anmerkung:<br />

Man nennt das Diagramm auch Phasenportrait o<strong>der</strong> Phasendiagramm.<br />

Häufig kann <strong>der</strong> Fachmann aus diesem Bild die Natur periodischer<br />

Bewegungen sehr viel genauer erkennen als aus den<br />

. Wir kommen bei <strong>der</strong> Untersuchung von Schwingungen darauf<br />

zurück.<br />

Beim obigen Beispiel hatten wir eine in <strong>der</strong> Zeit konstante mittlere Beschleunigung<br />

Ihres Wagens angenommen. Dies ist in <strong>der</strong> Praxis nicht so.


42 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

Tatsächlich hängt die Maximalbeschleunigung eines Wagens von <strong>der</strong> Geschwindigkeit<br />

ab. Das liegt einerseits an <strong>der</strong> Getriebeübersetzung <strong>und</strong> an<strong>der</strong>erseits an<br />

dem optimalen Arbeitspunkt des Motors. Bei genauer Analyse <strong>der</strong> Maximalbeschleunigung<br />

eines Wagens hat man es mit einer Funktion <strong>der</strong> Form<br />

zu tun. Auch hieraus kann man wie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Trennung <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>lichen zum Ergebnis<br />

kommen.<br />

x<br />

.<br />

x<br />

Integrieren<br />

t<br />

.<br />

x<br />

..<br />

x<br />

. .<br />

x(t) t(x)<br />

t<br />

x<br />

..<br />

x<br />

Differenzieren<br />

t<br />

.. .<br />

x(x)<br />

.<br />

x<br />

Mit<br />

erhält man<br />

bzw. mit unbestimmter Integration<br />

d<br />

die Funktion , dessen Umkehrabbildung wir schon behandelt haben.


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 43<br />

Eine <strong>der</strong> wesentlichen Formen von Bahnangaben ist die Angabe <strong>der</strong> Beschleunigung<br />

in Abhängigkeit von dem Ort<br />

Mit Hilfe <strong>der</strong> Kettenregel findet man<br />

d<br />

d<br />

d<br />

d<br />

d<br />

d<br />

d<br />

d<br />

eine Form, bei <strong>der</strong> das Verfahren <strong>der</strong> Trennung <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>lichen wie<strong>der</strong> greift.<br />

x<br />

.<br />

x<br />

x(t)<br />

t(x)<br />

t<br />

.<br />

x<br />

Differenzieren<br />

.<br />

x(x)<br />

..<br />

x<br />

t<br />

..<br />

x<br />

x<br />

..<br />

x<br />

Differenzieren<br />

t<br />

..<br />

x(x)<br />

x<br />

.<br />

x<br />

Mit<br />

liefert die Summation<br />

also die schon behandelte Funktion<br />

Beispiel 13.3:<br />

Gegeben sei die Funktion<br />

Die Anfangswerte für seien ,


44 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

Lösung 13.3:<br />

Die Funktion<br />

lautet mit obiger Formel in <strong>der</strong> Form<br />

d<br />

Man findet<br />

Die Funktion<br />

hat nun die Gestalt<br />

Wie oben dargelegt, berechnet man mit Hilfe <strong>der</strong> Trennung <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>lichen<br />

hieraus<br />

d<br />

Mit Formelsammlungen wie etwa dem Bronstein 1 o<strong>der</strong> (bei etwas Übung<br />

geht das sogar schneller) mit einer geeigneten Substitution für löst man<br />

das Integral zu<br />

Für<br />

berechnet sich die Integrationskonstante zu<br />

sodass die Lösung die Form<br />

bzw.<br />

annimmt.<br />

1 Siehe [1]


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 45<br />

Beispiel 13.4:<br />

Man berechne die Lösung <strong>der</strong> Gleichung<br />

mit den allgemeinen Anfangswerte für<br />

Lösung 13.4:<br />

Die Lösung <strong>der</strong> Gleichung lautet<br />

Anmerkung:<br />

Mit den oben beschriebenen Techniken lässt sich auch die allgemeine Lösung<br />

<strong>der</strong> Eulerschen Differentialgleichung berechnen. Aus<br />

erhält man durch die Substitution<br />

die Gleichung<br />

dessen allgemeine Lösung von <strong>der</strong> Form<br />

ist. Hier ist im Gegensatz zu den vorhergehenden Beispielen nicht nach <strong>der</strong><br />

Zeit, son<strong>der</strong>n nach dem<br />

abgeleitet. Mit<br />

liegt jetzt formal wie<strong>der</strong> ein Problem <strong>der</strong> Form<br />

zweimalige Integration zu lösen ist. Also ist<br />

vor, das durch<br />

d


46 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

woraus nach Umbenennung <strong>der</strong> Konstanten die in Kapitel 12 angegebene<br />

allgemeine Lösung folgt<br />

Allgemein hat man es in <strong>der</strong> <strong>Mechanik</strong> mit Gleichungen <strong>der</strong> Form<br />

zu tun. Hier kommt man meist nicht mehr mit <strong>der</strong> Trennung <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>lichen zum<br />

Ziel. Tatsächlich findet man für solche Gleichungen nur noch in speziellen Fällen eine<br />

Lösung. Einer dieser Fälle ist die lineare Differentialgleichung<br />

mit konstanten <strong>und</strong> einer beliebigen . Diese<br />

werden wir am Ende des Semesters lösen.<br />

13.4 Polar- <strong>und</strong> Zylin<strong>der</strong>koordinaten<br />

Im vorhergehenden Abschnitt haben wir nur geradlinige Bewegungen betrachtet. Bei<br />

einer Bewegung in <strong>der</strong> Ebene hat man für die Bahn in kartesischen Koordinaten schon<br />

zwei<br />

, die für die Beschreibung <strong>der</strong> Bahn benötigt werden:<br />

Die Idee <strong>der</strong> Polarkoordinaten ist, solche ebenen Bewegungen wie<strong>der</strong> nur mit einer<br />

Koordinate zu beschreiben. Dazu wird ein neues Basissystem eingeführt,<br />

e<br />

<br />

e<br />

y<br />

P<br />

<br />

e<br />

r<br />

<br />

e<br />

x


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 47<br />

dessen Basisvektoren wie<strong>der</strong> Einheitsvektoren sind <strong>und</strong> die auch ein Orthogonalsystem<br />

bilden, also senkrecht aufeinan<strong>der</strong> stehen. Im Unterschied zu den kartesischen<br />

Basisvektoren, sollen die neuen Basisvektoren aber immer so gedreht sein, dass<br />

<strong>der</strong> Basisvektor zu jedem Zeitpunkt auf den momentanen Ort des Punktes auf seiner<br />

Bahn zeigt. Der Ursprungspunkt bei<strong>der</strong> Koordinatensysteme bleibt unverän<strong>der</strong>t.<br />

In diesem neuen Koordinatensystem wird <strong>der</strong> Ort des Punktes wie<strong>der</strong> nur durch eine<br />

skalare Funktion beschrieben:<br />

Anmerkung:<br />

Ein Punkt in <strong>der</strong> Ebene hat zwei Freiheitsgrade. Die zweite „Koordinaten“-<br />

Information bei den Polarkoordinaten ist im versteckt, um den<br />

<strong>der</strong> Basisvektor gedreht wird. Insbeson<strong>der</strong>e muss man bei <strong>der</strong> Zeitableitung<br />

auch die damit verb<strong>und</strong>ene Zeitabhängigkeit des Basisvektors mit berücksichtigen.<br />

Die Geschwindigkeit des Punktes ist die Zeitableitung des Ortsvektors. Bei den kartesischen<br />

Koordinaten, dem Inertialsystem wissen wir, dass die Basisvektoren bezüglich<br />

<strong>der</strong> Zeit konstant sind, also gilt<br />

Bei den Polarkoordinaten müssen wir auch die Basisvektoren ableiten, da sie zeitabhängig<br />

sein können:<br />

d<br />

d<br />

Anmerkung:<br />

Dies ist <strong>der</strong> wesentliche Unterschied zwischen Inertialsystem <strong>und</strong> Nichtinertialsystem.<br />

Im Inertialsystem erhält man aus den Ortskoordinaten durch<br />

Ableitung die Geschwindigkeiten <strong>und</strong> Beschleunigungen. In einem Nichtinertialsystem<br />

liefert die Ableitung <strong>der</strong> Koordinatenfunktionen nur einen<br />

Teil <strong>der</strong> wirklichen Geschwindigkeiten o<strong>der</strong> Beschleunigungen. Man muss<br />

in Nichtinertialsystemen immer die Basisvektoren mitdifferenzieren, um die<br />

vollständigen Geschwindigkeiten o<strong>der</strong> Beschleunigungen eines Systems zu<br />

erhalten!


48 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

Wie nun sieht die Zeitableitung <strong>der</strong> Basisvektoren für die Polarkoordinaten aus?<br />

de <br />

e <br />

d<br />

de r<br />

d<br />

e<br />

r<br />

In dem Zeitabschnitt dreht sich das Polarkoordinatensystem um den Winkel . Da<br />

sehr klein ist, gilt<br />

d<br />

d<br />

Man liest aus dem Bild ab, dass die Än<strong>der</strong>ung des Basisvektors<br />

zeigt:<br />

in Richtung<br />

d<br />

d<br />

<strong>und</strong> analog folgt für die Ableitung des Basisvektors<br />

d<br />

d<br />

Üblicherweise schreibt man<br />

<strong>und</strong> nennt Winkelgeschwindigkeit. Die Winkelgeschwindigkeit hat die Dimension<br />

, die Einheit ist [ ].<br />

Mit diesen Bezeichnungen berechnen sich <strong>der</strong> Geschwindigkeits- <strong>und</strong> Beschleunigungsvektor<br />

in Polarkoordinaten zu<br />

Beispiel 13.5: (Kreisbewegung)<br />

Man berechne die Beschleunigung eines Punktes, <strong>der</strong> sich auf einem Kreis<br />

mit konstantem Radius bewegt.


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 49<br />

Lösung 13.5:<br />

Weil <strong>der</strong> Radius des Kreises konstant ist, gilt für die Geschwindigkeit in -<br />

Richtung, die sog. Radialgeschwindigkeit, des Punktes .<br />

In Polarkoordinaten berechnet sich die Beschleunigung von<br />

zu<br />

Bei einer konstanten Bahngeschwindigkeit ist auch<br />

. Die verbleibende<br />

Beschleunigung<br />

zeigt auf den Koordinatenursprungspunkt <strong>und</strong> wird Zentripetalbeschleunigung<br />

genannt.<br />

Beispiel 13.6: (Zentralkraftproblem)<br />

Gegeben sei ein Massenpunkt in <strong>der</strong> Ebene, <strong>der</strong> Beschleunigungen nur<br />

längs <strong>der</strong> Verbindungslinie zum Koordinatenursprungspunkt erfährt.<br />

Lösung 13.6:<br />

In Polarkoordinaten ist die Beschleunigung des Punktes<br />

Aus <strong>der</strong> Aufgabenstellung folgt, dass die Beschleunigungskomponente in<br />

Richtung<br />

gleich Null sein muss. Aus<br />

folgt nach Multiplikation mit r <strong>und</strong> Integration<br />

mit <strong>der</strong> Integrationskonstanten<br />

Diese Größe lässt sich geometrisch deuten.


50 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

d <br />

dA<br />

r d <br />

r(t)<br />

Der Fahrstrahl überstreicht in <strong>der</strong> Zeit die Fläche<br />

d<br />

d<br />

Nach Division durch lässt sich die obige Aussage deuten als konstante<br />

Flächengeschwindigkeit<br />

Anmerkung:<br />

Die Aussage ist damit: Der Fahrstrahl zum Massenpunkt überstreicht in<br />

gleichen Zeiten gleiche Flächen. Dies ist das sogenannte 2. Keplersche Gesetz,<br />

das zum Beispiel die Bewegung von Planeten o<strong>der</strong> Kometen um die<br />

Sonne beschreibt. Diese Körper werden von <strong>der</strong> Sonne angezogen. Legt<br />

man den Koordinatenursprungspunkt in die Sonne, dann liegt offensichtlich<br />

gerade <strong>der</strong> Fall dieser Aufgabe vor.<br />

Die möglichen Bahnen sind die Kegelschnitte (Ellipse, Parabel <strong>und</strong> Hyperbel).<br />

Dass zum Beispiel die Erde in einer raumfesten Ebene um die Sonne<br />

kreist, haben wir hier vorausgesetzt. Dass dies tatsächlich auch die Gleichungen<br />

<strong>der</strong> <strong>Mechanik</strong> liefern, werden wir in <strong>der</strong> Kinetik sehen (Drallsatz).<br />

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum abends beim Grillen im Garten beim<br />

Lampionschein so viele Motten die Lampen umkreisen? Man sollte doch erwarten,<br />

dass ausgeprägte Nachtschwärmer wie die Motten das Licht meiden müssten.<br />

Man vermutet, dass das optische Orientierungssystem <strong>der</strong> Motten so funktioniert, dass<br />

die Flugrichtung zur Richtung des Mondes von <strong>der</strong> Motte aus gesehen immer einen<br />

konstanten Winkel einschließt. Dies ist plausibel <strong>und</strong> die Motten scheinen damit zurecht<br />

zu kommen.<br />

Was passiert aber nun, wenn die Motte sich Ihrem Grillplatz nähert. Sie findet wegen<br />

Ihrer Lampe plötzlich einen neuen Mond vor, nach dem sie sich orientieren will. Wie<br />

sieht dann die Flugbahn <strong>der</strong> Motte aus?


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 51<br />

Dies lässt sich am einfachsten in Polarkoordinaten beschreiben. In Ihre Lampe setzen<br />

wir den Ursprungspunkt.<br />

e<br />

<br />

<br />

v<br />

Lampe<br />

e<br />

r<br />

Die Motte hat eine konstante Bahngeschwindigkeit . Zerlegt man diese in die Richtung<br />

<strong>der</strong> Basisvektoren, so folgt für die Geschwindigkeitskomponenten<br />

Der Vergleich mit den Geschwindigkeitskomponenten in Polarkoordinaten,<br />

liefert die Beziehungen<br />

d<br />

d<br />

d<br />

d<br />

Die Elimination von<br />

d<br />

führt schließlich auf<br />

d<br />

Die Integration ergibt die Flugbahn <strong>der</strong> Motte zu<br />

Dies ist eine logaritmische Spirale, beschrieben durch<br />

auf <strong>der</strong> die Motte sich auf immer engeren Bögen Ihrer Lampe nähert.<br />

Die Motte wird also zwangsläufig auf Ihre Lampe zugetrieben, da diese ihren Orientierungssinn<br />

verwirrt!


52 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

Der Mond selbst ist so weit weg, dass die Bahn <strong>der</strong> Motte, wenn sie sich nach dem<br />

Mond richtet, praktisch eine Gerade ist, selbst wenn die Motte Hun<strong>der</strong>te von Kilometern<br />

fliegen würde. Die Natur hat <strong>der</strong> Motte damit einen genial einfachen Orientierungssinn<br />

mitgegeben. Nur mit künstlichem Licht wird dieser Sinn nicht fertig.<br />

Beispiel 13.7:<br />

Man berechne die Beschleunigungen <strong>der</strong> Motte, wenn sie mit einer konstanten<br />

Bahngeschwindigkeit fliegt.<br />

Lösung 13.7:<br />

Die Bahnbeschleunigung geht gegen unendlich, wenn die Motte auf Ihre<br />

Lampe zufliegt.<br />

Anmerkung:<br />

Wenn man annimmt, dass die hohe Bahnbeschleunigung große Kräfte von<br />

<strong>der</strong> Motte for<strong>der</strong>t, dann ist verständlich, dass die Motte ab einer bestimmten<br />

Nähe zu Ihrer Lampe die Kraft für den weiteren logaritmischen Spiralflug<br />

nicht mehr aufbringen kann. Die Motte treibt von <strong>der</strong> Lampe ab <strong>und</strong> beginnt<br />

die Annäherung von vorn. Dies ist die Erklärung für den scheinbar taumeligen<br />

Flug <strong>der</strong> Motte in <strong>der</strong> Nähe Ihrer Lampe.<br />

Die Polarkoordinaten beschreiben Punkte in <strong>der</strong> Ebene. Im Raum lässt sich die Lage<br />

eines Punktes durch die Erweiterung <strong>der</strong> Polarkoordinaten um einen dritten Basisvektor<br />

beschreiben. Die einfachste Form einer solchen Erweiterung ist das Anfügen einer<br />

„kartesischen“ - Achse.<br />

e<br />

z<br />

P<br />

<br />

r<br />

z<br />

e<br />

<br />

x<br />

e<br />

r<br />

y<br />

Abbildung ‎13-3: Zylin<strong>der</strong>koordinaten


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 53<br />

Man nennt diese Koordinaten Zylin<strong>der</strong>koordinaten. Der Orts-, Geschwindigkeits- <strong>und</strong><br />

Beschleunigungsvektor eines Punktes<br />

im Raum sind damit<br />

mit<br />

Anmerkung:<br />

In [2, Kapitel 3] haben wir von Transformationen <strong>der</strong> Basisvektoren gesprochen.<br />

Die Zylin<strong>der</strong>koordinaten gehen aus den kartesischen Koordinaten<br />

hervor durch Drehung <strong>der</strong> zugehörigen Basisvektoren um die 3-Achse mit<br />

dem Winkel .<br />

Die Ableitung <strong>der</strong> Basisvektoren führt über<br />

d<br />

d<br />

d<br />

d<br />

d<br />

d<br />

d<br />

d<br />

auf<br />

d<br />

d<br />

Hieraus liest man die vorne hergeleiteten Formeln zur Ableitung <strong>der</strong> Basisvektoren<br />

von Polarkoordinaten- bzw. Zylin<strong>der</strong>koordinaten ab.<br />

13.5 Natürliche Koordinaten<br />

Die Idee <strong>der</strong> Polarkoordinaten war, in <strong>der</strong> Ebene einen Basisvektor auf den interessierenden<br />

Punkt zeigen zu lassen. Der Ort des Punktes in <strong>der</strong> - -Ebene kann mit einer<br />

skalaren Funktion r angegeben werden. Im Raum benötigt man neben r auch noch die


54 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

Koordinate . Erkauft wurde diese Vereinfachung <strong>der</strong> Ortsangabe mit <strong>der</strong> Zeitabhängigkeit<br />

<strong>der</strong> Basisvektoren <strong>und</strong> Die natürlichen Koordinaten gehen noch einen<br />

Schritt weiter.<br />

Betrachtet man den interessierenden Punkt zu den Zeitpunkten <strong>und</strong> , so ist<br />

durch die Bewegung des Punktes eine Richtung, die Richtung seines Geschwindigkeitsvektors,<br />

ausgezeichnet. Die natürlichen Koordinaten nutzen diese Information<br />

dadurch, dass <strong>der</strong> Ursprung des Basissystems im Punkt <strong>und</strong> ein Basisvektor <strong>der</strong> Länge<br />

1 in Richtung des Geschwindigkeitsvektors liegt. Dieser Basisvektor heißt Tangenteneinheitsvektor<br />

. Der Geschwindigkeitsvektor des interessierenden Punktes ist einfach<br />

Natürlich enthält <strong>der</strong> Basisvektor<br />

selbst weitere Informationen, die sich bei <strong>der</strong> Ableitung<br />

<strong>der</strong> Geschwindigkeit zeigen.<br />

P(t+2dt)<br />

P(t+dt)<br />

P(t)<br />

a<br />

t<br />

z<br />

r<br />

a<br />

n<br />

<br />

x<br />

y<br />

Der Geschwindigkeitsvektor bzw. <strong>der</strong> Tangentenvektor wird in seiner Richtung definiert<br />

durch zwei differentiell benachbarte Punkte <strong>und</strong> . Die Weglänge<br />

zwischen diesen beiden Punkten ist .<br />

Betrachtet man noch einen weiteren differentiell benachbarten Punkt ,<br />

so werden diese drei Punkte eine Ebene aufspannen, wenn die Kurve „gekrümmt“ ist.<br />

In dieser Ebene gibt es einen Kreis, den sogenannten Schmiegekreis, auf dem die drei<br />

differentiell benachbarten Punkte liegen. Der Radius des Schmiegekreises wird <strong>der</strong><br />

Krümmungsradius <strong>der</strong> Kurve im Punkt genannt. Wenn die Bahn des Punktes<br />

eine Gerade ist, dann ist <strong>der</strong> Krümmungsradius nicht endlich. Man sagt auch, die<br />

Krümmung ( ) ist gleich Null.


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 55<br />

In die Ebene des Schmiegekreises wird <strong>der</strong> zweite Basisvektor , ebenfalls ein<br />

Einheitsvektor, gelegt. Er zeigt zum Krümmungsmittelpunkt, das ist <strong>der</strong> Mittelpunkt<br />

des Schmiegekreises. Dieser Basisvektor, Normalenvektor genannt, steht nach Konstruktion<br />

senkrecht auf dem Tangenteneinheitsvektor.<br />

Der dritte Basisvektor wird durch das Kreuzprodukt <strong>der</strong> beiden an<strong>der</strong>en Basisvektoren<br />

definiert. Er heißt Binormalenvektor :<br />

Aus <strong>der</strong> folgenden Zeichnung entnimmt man, dass die Än<strong>der</strong>ung des Basisvektors<br />

in Richtung<br />

zeigt.<br />

e<br />

t<br />

e + de<br />

t<br />

t<br />

ds =<br />

d<br />

e<br />

n<br />

d<br />

<br />

e<br />

d<br />

t<br />

de<br />

t<br />

Es ist<br />

d<br />

d<br />

<strong>und</strong> damit<br />

Hierin ist die Bahngeschwindigkeit<br />

die Zeitableitung <strong>der</strong> sogenannten Bogenlänge<br />

. Die Bogenlänge ist gerade dadurch charakterisiert, dass die Ableitung des<br />

Ortsvektors nach immer einen Einheitstangentenvektor liefert<br />

d<br />

d<br />

d<br />

d<br />

d<br />

d<br />

Somit sind Geschwindigkeit <strong>und</strong> Beschleunigung eines Punktes gegeben durch


56 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

Anmerkung:<br />

Wenn man noch einen 4. differentiell benachbarten Punkt<br />

<strong>der</strong><br />

Kurve in Betracht zieht, so muss dieser Punkt nicht mehr in <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong><br />

drei übrigen Punkte liegen. Man sagt dann, dass die Kurve sich aus <strong>der</strong><br />

Schmiegeebene windet.<br />

Die beiden Größen Krümmung <strong>und</strong> Windung charakterisieren vollständig<br />

eine Raumkurve in einem differentiell kleinen Abschnitt. Hiermit beschäftigt<br />

sich insbeson<strong>der</strong>e die Differentialgeometrie. Einfache Formeln zur Berechnung<br />

von Krümmung <strong>und</strong> Windung einer Kurve finden Sie zum Beispiel<br />

im Bronstein.<br />

Die Koordinatensysteme zur Beschreibung von Punkten im Raum sind nachfolgend<br />

noch einmal zusammenfassend aufgelistet.<br />

Kartesische Koordinaten<br />

Zylin<strong>der</strong> Koordinaten<br />

Natürliche Koordinaten<br />

Anmerkung:<br />

Natürliche Koordinaten werden wir später manchmal nutzen, um bestimmte<br />

Bahninformationen in einfacher Weise zu bekommen. Zwischen <strong>der</strong> geradlinigen<br />

Bewegung <strong>und</strong> <strong>der</strong> allgemeinen räumlichen Bewegung gibt es den<br />

folgenden Zusammenhang:


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 57<br />

Geradlinige Bewegung<br />

Räumliche Bewegung<br />

So lassen sich alle oben erläuterten Methoden zur Untersuchung <strong>der</strong> Kinematik<br />

auch für den dreimimensionalen Fall verwenden.<br />

13.6 Bewegte Koordinatensysteme<br />

Die Lage eines Punktes<br />

im Raum kann mit Hilfe des Basissystems<br />

mit dem Koordinatenursprungspunkt<br />

werden, wenn die Basis ein Inertialsystem darstellt.<br />

wie im Abschnitt <strong>13.1</strong> ausgeführt beschrieben<br />

e<br />

3<br />

P<br />

e<br />

O<br />

1 2<br />

e<br />

r P<br />

Ein Vektor<br />

kann in diesem Basissystem dargestellt werden als<br />

Hierin sind die Zahlen die Koeffizienten des Vektors in dem Basissystem<br />

. Mit den Bezeichnungen aus Kapitel des letzten Semesters können wir<br />

dies auch schreiben als das Produkt des Koeffiziententupels mit dem Basisvektortupel<br />

:<br />

mit<br />

Die Zeitableitungen dieses Vektors sind


58 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

denn die Zeitableitung <strong>der</strong> Inertialbasisvektoren ist immer identisch Null.<br />

Lassen Sie uns annehmen, dass wir noch ein bewegtes Basissystem im Raum haben.<br />

Denken Sie etwa an ein Koordinatensystem, das an einem starren Körper festgemacht<br />

ist, <strong>der</strong> sich im Raum bewegt.<br />

e<br />

3<br />

P<br />

r P<br />

e<br />

O<br />

1 2<br />

e<br />

r OO'<br />

r' P<br />

O'<br />

e<br />

z<br />

Das zweite Basissystem habe den Ursprungspunkt <strong>und</strong> die Basisvektoren<br />

. Diese Basis soll genau so wie die Inertialbasis ein orthonormales, in<br />

diesem Fall ein kartesisches System sein. Das Tupel dieser Basisvektoren sei mit<br />

gekennzeichnet:<br />

e x<br />

e<br />

y<br />

Der Ort des Punktes<br />

kann nun ausgedrückt werden als Vektorsumme<br />

Je<strong>der</strong> dieser Vektoren kann in einem <strong>der</strong> beiden Basissysteme dargestellt werden. Üblicherweise<br />

wird man die Vektoren in dem jeweils bequemsten Basissystem darstellen.<br />

Um eine Beziehung zwischen den Koeffizienten in den unterschiedlichen Basissystemen<br />

zu bekommen, muss man die Basistransformation von nach kennen.<br />

Diese Basistransformation ist eine Matrix<br />

, die die Verdrehung <strong>der</strong> Basisvektoren<br />

von <strong>und</strong> kennzeichnet (siehe [2, Kapitel 2]). Diese Matrix ist eine orthogonale<br />

Matrix mit <strong>der</strong> Eigenschaft:


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 59<br />

Anmerkung:<br />

Allgemein ist diese orthogonale Matrix das Produkt von drei elementaren<br />

Drehmatrizen:<br />

Die Transformation<br />

dreht das Basissystem um die i-Achse des Systems im mathematisch<br />

positiven Sinn.<br />

Jede beliebige Verdrehung des Basissystems gegenüber lässt sich mit<br />

maximal drei hintereinan<strong>der</strong> folgenden Elementardrehungen darstellen. Die<br />

Transformation<br />

sagt aus, dass das Basissystem e zunächst um seine 3-Achse mit dem Winkel<br />

gedreht wird, dann um die sich neu einstellende 1-Achse mit dem<br />

Winkel <strong>und</strong> dann nochmal um die 3-Achse mit dem Winkel gedreht<br />

wird. Diese drei Winkel in dieser Reihenfolge können jede beliebige Verdrehung<br />

von zu beschreiben. Man nennt diese Winkel auch Eulerwinkel.<br />

Mit dieser Basistransformation kann je<strong>der</strong> Vektor in einem <strong>der</strong> beiden Basissysteme<br />

dargestellt werden:


60 KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES<br />

Die Koeffizienten von r sind also<br />

in<br />

in<br />

Die Zeitableitung eines Vektors im Basissystem muss nun berücksichtigen, dass<br />

die Basisvektoren<br />

durch die Drehungen nicht mehr zeitkonstant sind:<br />

Das hier auftretende Matrizenprodukt führt immer zu einer schiefsymmetrischen Matrix<br />

die – vgl. [2, Kapitel 3]- das Kreuzprodukt eines Vektors mit dem Vektor beschreibt:<br />

Der Vektor ist <strong>der</strong> Vektor <strong>der</strong> Winkelgeschwindigkeit des Systems gegenüber<br />

dem System .<br />

Der Term auf <strong>der</strong> linken Seite ist die (totale) Zeitableitung eines Vektors. Der erste<br />

Term auf <strong>der</strong> rechten Seite ist die relative Zeitableitung des Vektors, die wir mit einem<br />

Stern kennzeichnen. Diese abgeleiteten Koeffizienten geben die Geschwindigkeit des<br />

Punktes von einem im System mitbewegten Beobachter wie<strong>der</strong>.<br />

In <strong>der</strong> Literatur schreibt man diese Zeitableitung in <strong>der</strong> Form (sog. Eulersche Geschwindigkeitsformel)<br />

Und nennt die Ableitung<br />

Zeitableitung im mitbewegten System.<br />

Anmerkung:<br />

Der Winkelgeschwindigkeitsvektor ist im mitbewegten System gegeben.<br />

Die totale Zeitableitung dieses Vektors ist gemäß <strong>der</strong> Eulerformel


KINEMATIK EINES MASSENPUNKTES 61<br />

Für diesen Vektor sind totale <strong>und</strong> relative Zeitableitung gleich!<br />

Mit<br />

<strong>und</strong><br />

ist die Beschleunigung:<br />

Mann nennt<br />

die Absolutbeschleunigung des Punktes . Diese teilt sich additiv<br />

auf in:<br />

• Führungsbeschleunigung ,<br />

das ist die Beschleunigung, die <strong>der</strong> Punkt<br />

System<br />

fest verb<strong>und</strong>en wäre.<br />

hätte, wenn er mit dem<br />

• Relativbeschleunigung ,<br />

das ist die Beschleunigung des Punktes P relativ zum System .<br />

• Coriolisbeschleunigung ,<br />

diese Beschleunigung tritt nur bei Rotation des mitbewegten Systems<br />

auf <strong>und</strong> wenn zusätzlich <strong>der</strong> Punkt eine Relativgeschwindigkeit<br />

in besitzt, die nicht parallel zum Winkelgeschwindigkeitsvektor<br />

ausgerichtet ist.

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