31.01.2014 Aufrufe

Steinheimer Blickpunkt

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Steinheimer</strong> <strong>Blickpunkt</strong> Nr. 490 31. Oktober 2013 Seite 4<br />

Ausstellung des Stadtheimatpflegers im Möbelmuseum<br />

Juden in Steinheim – eine Spurensuche<br />

Carl und Martha Herzfeld gehören zu<br />

den <strong>Steinheimer</strong> Bürgern, die dem<br />

Rassenwahn der Nazis zum Opfer gefallen<br />

sind. Ihre Enkelin Sonja Mühlberger<br />

wird am 3. November über unter<br />

anderem ihre Wurzeln in Steinheim<br />

referieren.<br />

Bergheimer erforschte die Geschichte der Juden in seinem Heimatort: Endstation Auschwitz<br />

„Das ist es!“ Thomas Bauer zeigt<br />

in der Dorfmitte von Bergheim auf<br />

ein großes Haus aus Bruchsteinen,<br />

das mit seiner Größe und Bauweise<br />

im Ortsbild auffällt. „In Bergheim<br />

heißt es immer noch das Judenhaus“,<br />

sagt Bauer. Die Geschichte<br />

seiner Bewohner und die der anderen<br />

Juden in seinem Heimatort hat<br />

der gebürtige Bergheimer in mehrjähriger<br />

Recherche erforscht. Jetzt<br />

sucht er Zeitzeugen.<br />

Das Thema habe ihn schon in seiner<br />

Kindheit fasziniert, erläutert der<br />

52-Jährige: „Mit jugendlicher Naivität<br />

fragte ich mich, warum es ein<br />

‚Judenhaus’ gab, wenn doch in<br />

Bergheim gar keine Juden lebten.“<br />

Bei Nachfragen stieß er auf Schweigen<br />

– oder auf Legenden. So hieß<br />

es, die Familie Eisenstein, Erbauer<br />

des Gebäudes, habe nach Amerika<br />

auswandern können. „Fakt ist leider,<br />

dass alle sechs 1933 in Bergheim<br />

lebenden Juden ermordet wurden“,<br />

korrigiert Bauer. Nur eine in der<br />

NS-Zeit bereits weggezogene Tochter<br />

überlebte als Emigrantin in den<br />

USA, wie Bauer herausfand.<br />

Als vor er einigen Jahren mit Ahnenforschung<br />

zur eigenen Familie<br />

begann, lebte das Interesse dann<br />

wieder auf: „In Standesamtsunterlagen<br />

fielen mir Urkunden zu den<br />

Eisensteins und der zweiten jüdischen<br />

Familie, den Judenbergs in<br />

Hände“, so der promovierte Medienhistoriker,<br />

der an der Universität<br />

Münster arbeitet. Die Zufallsfunde<br />

waren Anlass für intensive Recherchen<br />

im Internet, in Büchern, Archiven<br />

und bei Behörden. Dabei<br />

Es ist ein Tag des Schreckens, aber auch der Schande. Zum 75. Mal jährt sich<br />

am 9. November die Pogromnacht von 1938, als die Nazis in ganz Deutschland<br />

Synagogen in Brand steckten und die Juden verfolgten. Dieser Tag markierte<br />

in Deutschland den Beginn der systematischen Verfolgung und Vernichtung,<br />

denen unsere jüdischen Mitbürger in den Jahren der NS-Herrschaft schutzlos<br />

ausgeliefert waren. Auch in Steinheim wurde die Synagoge niedergebrannt.<br />

Zu diesem Anlass hat Johannes Waldhoff, der <strong>Steinheimer</strong> Stadtheimatpfleger<br />

im Möbelmuseum eine Ausstellung aufgebaut, die den jüdischen Bürgern<br />

Steinheims gewidmet ist. In der Ausstellung wird ihr Leben als Mitbürger,<br />

Nachbarn, Mitschüler, Vereinskameraden und schließlich als Verfolgte und<br />

Ermordete nachgezeichnet. Die Ausstellung zeigt deren einst wirtschaftliche<br />

Bedeutung und auch die stadtbildprägenden Aspekte des jüdischen Lebens.<br />

Die Ausstellung im Möbelmuseum, zu der alle Interessierten herzlich eingeladen<br />

sind, wird Sonntag, 3. November um 15 Uhr eröffnet.<br />

Um 18 Uhr folgt im Rathaussaal eine Abendveranstaltung mit Sonja<br />

Mühlberger, der Enkelin der bekannten <strong>Steinheimer</strong> Familie Carl und Martha<br />

Herzfeld. Unter dem Titel „Geboren in Shanghai“ wird sie über ihre Wurzeln<br />

in Steinheim, die Flucht aus Deutschland, ihre Kindheit in Shanghai und ihre<br />

Rückkehr nach Deutschland 1947 referieren. Diese persönlichen Erlebnisse<br />

werden auch der Schwerpunkt der Begegnungen von Sonja Mühlberger mit<br />

zwei Jahrgangsstufen des Städtischen Gymnasiums Steinheim am Montag,<br />

4. November sein.<br />

Gedenkveranstaltung auf dem Jüdischen Friedhof<br />

In Erinnerung an die Deportation und Ermordung zahlreicher <strong>Steinheimer</strong><br />

Familien wird am Sonntag, dem 10. November 2013 um 14.30 Uhr eine<br />

Gedenkveranstaltung auf dem Jüdischen Friedhof an der Detmolder Straße<br />

stattfinden. Vertreter der jüdischen, islamischen und katholischen und evangelischen<br />

Kirchen und Religionsgemeinschaften werden in Ansprachen und<br />

Gebet der Opfer des Nationalsozialismus gedenken.<br />

Die Bürgerinnen und Bürger Steinheims sind herzlich eingeladen, mit ihrer<br />

Teilnahme, neben der Trauer über die unfassbaren Geschehnisse, auch ein<br />

Stück Hoffnung für ein friedliches Miteinander der Menschen in die Welt zu<br />

tragen. Im Frühjahr 2014 wird mit der Aktion „Stolpersteine“ für Steinheim<br />

eine andere, sichtbare Form des Gedenkens ins Leben gerufen. Hierzu werden<br />

vor Gebäuden, die nachweislich von jüdischen Familien bewohnt waren,<br />

Pflastersteine in den Bürgersteigbereich eingelassen, die eingraviert die<br />

Namen und Geburts- und Todesdaten ihrer Bewohner tragen. Auf diese Weise<br />

wird das Gedenken auf eine sehr persönliche und emotionale Ebene verlagert.<br />

fand Bauer Überraschendes heraus.<br />

Abraham Eisenstein, ein Bruder<br />

des in Bergheim gebliebenen Salomon,<br />

machte in Berlin Karriere und<br />

brachte es dort bis zum Vorsteher<br />

der jüdischen Gemeinde Oranienburger<br />

Straße. Deren Synagoge<br />

überstand NS-Terror sowie Bombenkrieg<br />

und ist heute ein Magnet<br />

für Touristen.<br />

Eine andere Spur führte nach Wolfenbüttel,<br />

wo eine Eisenstein-Nachfahrerin<br />

Mitbesitzerin einer Villa<br />

wurde, die dann vom „Jägermeister“-Produzenten<br />

Curt Mast „arisiert“<br />

wurde. Interessante Entdeckungen<br />

machte Bauer aber auch<br />

im Ort selbst: „Wohl die wenigsten<br />

Fußballer des SV 30 dürften wissen,<br />

dass ihr Sportplatz auf der<br />

früheren ‚Eisensteinschen Wiese’<br />

- Anzeige - - Anzeige -<br />

Neues Aufgabenfeld<br />

Drifte eröffnet Taxi Unternehmen<br />

Die Firma Drifte Kraftfahrzeuge in Bergheim hat ihr Aufgabenfeld<br />

erweitert, denn seit dem 1. Oktober heißt es auch „Hallo Taxi“! Zwei<br />

moderne Fahrzeuge stehen für sämtliche Taxifahrten, Krankentransporte,<br />

Fahrten zur Dialyse oder Flughafentransfair zur Verfügung.<br />

„Unsere Leistungen gelten Tag und Nacht,“ so Andreas Drifte. Erreichbar<br />

ist das Taxiunternehmen unter der Telefon-Nummer 05233-951115.<br />

„Mit dem neuen Angebot geht es uns langfristig auch um Arbeitsplätze,“<br />

betonen Andrea und Ramona Drifte nach dem Erwerb der Konzession<br />

für Taxifahrten und der Erweiterung des Aufgabenspektrums. Demnächst<br />

soll zu den beiden Limousinen auch noch ein Großraumtaxi für bis zu<br />

acht Personen angeschafft werden und so die Beförderungsmöglichkeiten<br />

zusätzlich verbessern. „Wir freuen uns auf Ihre Anrufe,“ so Drifte.<br />

1999 hatte sich der gelernte KFZ-Mechaniker Andreas Drifte im<br />

Industriegebiet Bergheim mit einem Betrieb selbstständig gemacht und<br />

um einen Autohandel ergänzt. Erst vor kurzem wurde eine neue Textilwaschanlage<br />

eingebaut, die Automobile noch schonender und besser<br />

reinigen kann. Die modere Anlage kann eine Politur auftragen, die das<br />

Fahrzeug pflegt, konserviert und langanhaltend schützt.<br />

Ramona und Andreas Drifte (mit Sohn Louis) vor ihren Taxis. Seit vier<br />

Wochen bieten sie das gesamte Spektrum an Transportfahrten an.<br />

liegt“. Gemeinsam mit einem örtlichen<br />

Bauern sicherte sich die Gemeinde<br />

Bergheim das große Grundstück<br />

an der Sandebecker Straße im<br />

zeitlichen Umfeld der „Reichskristallnacht“.<br />

Fritz Eisenstein, der ebenso wie<br />

Bernhard Judenberg nach dem Pogrom<br />

in ein KZ gesteckt wurde,<br />

musste seinen Besitz zum Dumping-Preis<br />

veräußern – wie zuvor<br />

bereits bei anderen Verkäufen an<br />

örtliche Bauern und Handwerker.<br />

„Die überlieferten Akten zu diesen<br />

‚Arisierungen’ machen heute noch<br />

traurig und zugleich auch wütend“,<br />

sagt Bauer. Dessen Datenbank inklusive<br />

Vorfahren und Nachkommen<br />

der Verfolgten umfasst<br />

inzwischen rund 220 Personen. Die<br />

nachweislich mindestens 140 Jahre<br />

währende jüdische Geschichte<br />

Bergheims endete 1942 mit der<br />

Deportation der Eisensteins und<br />

Judenbergs nach Osten. Einst angesehene<br />

Geschäftsleute und Mitbürger,<br />

wurden sie dort umgebracht,<br />

Fritz Eisenstein in Auschwitz.<br />

Spuren von ihnen sind, abgesehen<br />

von einer Inschrift am Eisenstein-<br />

Haus, im Dorf nicht mehr zu entdecken.<br />

Das Haus der Judenbergs<br />

wurde abgerissen und machte einem<br />

Neubau Platz. Den Vorschlag<br />

der SPD, mit „Stolpersteinen“ an<br />

die Juden zu erinnern, begrüßt Bauer<br />

daher: „Die wären auch eine Geste<br />

der Versöhnung gegenüber den<br />

Nachfahren“. Solche spürte Dr.<br />

Bauer rund um den Globus auf, so<br />

in Peru, in Neuseeland und den<br />

USA. Ein Enkel erfuhr erst von ihm<br />

die Geschichte seiner Familie. Die<br />

NS-Zeit sei darin bis heute ein absolutes<br />

Tabu, da die greise Mutter<br />

bei der bloßen Erwähnung zusammenbreche.<br />

Die Lebensgeschichten der NS-<br />

Opfer konnte der Lokalhistoriker<br />

mit seiner Puzzle-Arbeit zwar weitgehend<br />

rekonstruieren, doch hofft<br />

er auf weitere Informationen und<br />

Dokumente. So tauchte bislang kein<br />

einziges Foto der Familien auf.<br />

„Menschen verschwinden nicht<br />

einfach. Sie hatten Nachbarn,<br />

Schulfreunde und andere Kontakte“,<br />

appelliert Bauer an Zeitzeugen<br />

und Besitzer von Unterlagen. Diese<br />

können sich – auf Wunsch auch<br />

anonym - bei ihm melden, unter der<br />

Telefonnummer 0251-20897567.<br />

Nach der Deportation der Eisensteins wurde ihr Haus in Bergheim<br />

vom Deutschen Reich konfisziert. Noch deutlich zu erkennen sind am<br />

früheren Haus der Eisensteins die Eisenringe, an denen die als Viehund<br />

Pferdehändler tätigen Juden ihre Tiere anbanden.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!