stereoplay Der Verstärker der Zukunft? (Vorschau)
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Voigts Kolumne<br />
Darf’s ein Stückchen mehr sein?<br />
Frankfurter „Ring“ statt Frankfurter Kranz<br />
Was jüngere Produktionen deutschsprachiger<br />
Opernhäuser betrifft, so hat<br />
Oehms Classics vielleicht mehr Interessantes<br />
zu bieten als jedes an<strong>der</strong>e CD-<br />
Label: Reimanns „Lear“ und „Medea“,<br />
Glanerts „Caligula“, Egks „Revisor“,<br />
Hindemiths „Mathis“, Leonis „Oracolo“,<br />
Spohrs „Alchymist“, Mayrs „Lodoiska“<br />
und „Demetrio“, Glucks „Ezio“<br />
und vieles mehr. Was aber bei <strong>der</strong> Durchsicht<br />
des Katalogs sofort ins Auge fällt,<br />
sind zwei komplette Live-Aufnahmen<br />
von Wagners „Ring“. Ein „Independent“-<br />
Produzent, <strong>der</strong> das Wagnis „Ring“ gleich<br />
zweimal eingeht, muss starke Nerven<br />
und großzügige Sponsoren haben. Nun<br />
hatte Label-Chef Dieter Oehms bei seinem<br />
ersten „Ring“, <strong>der</strong> Hamburger Produktion<br />
unter Simone Young, nicht sehr<br />
viel Glück: Arge Qualitätsschwankungen<br />
sowohl im Orchester als auch bei<br />
den Hauptrollensängern machten das<br />
Hören zur Berg- und Talfahrt (siehe <strong>stereoplay</strong>,<br />
2/2012).<br />
Dass <strong>der</strong> Frankfurter „Ring“ weit besser<br />
verdaulich ist (erst recht im Vergleich<br />
zum Frankfurter Kranz), liegt in erster<br />
Linie an <strong>der</strong> durchweg beachtlichen<br />
Leistung des Orchesters<br />
unter Sebastian<br />
Weigle. Wie in terdämmerung“,<br />
dem kürzlich veröf-<br />
fentlichen letzten<br />
Teil <strong>der</strong> Tetralogie<br />
„Göt-<br />
en detail zu hören,<br />
ist Weigle ein<br />
echter Theaterdirigent.<br />
Das<br />
mag vielleicht<br />
hier und da zu Lasten<br />
sinfonischer Klangeffekte gehen;<br />
doch <strong>der</strong> Gewinn an dramatischer Vitalität<br />
macht dies mehr als wett: Wo an<strong>der</strong>e<br />
sich ohne Rücksicht auf den Text<br />
orchestral in Szene setzen, bleibt Weigle<br />
immer nah am Inhalt. Schon das Vorspiel,<br />
die Szene <strong>der</strong> Nornen, nimmt den<br />
Hörer sofort gefangen, zumal die drei<br />
Damen wirklich etwas zu sagen haben.<br />
Um so herber ist dann die Enttäuschung<br />
bei Brünnhilde und Siegfried: Selten<br />
habe ich von einem Siegfried <strong>der</strong>art<br />
hässliche Klänge gehört<br />
wie von Lance<br />
Ryan. Und Susan<br />
Bullock, die gefeier-<br />
te Elektra, hat mit<br />
<strong>der</strong> tiefen Lage ihrer<br />
Partie so zu kämpfen,<br />
dass auch die Höhe da-<br />
runter leidet. Doch das<br />
übrige Ensemble kann<br />
sich gut hören lassen, vo-<br />
ran Johannes Martin<br />
Kränzle (Gunther), Jochen<br />
Schmeckenbecher (Alberich) und<br />
Claudia Mahnke als Waltraute. Was<br />
durchweg auffällt, ist ein Artikulationsniveau,<br />
wie man es heutzutage lei<strong>der</strong><br />
nur selten erlebt.<br />
(Oehms Classics 938, 4 CDs)<br />
KLASSIK-DVDs<br />
OPER<br />
Giacomo Puccini: Il Trittico<br />
Gallo, Westbroek, Antonenko,<br />
Jaho, Larsson, Demuro,<br />
Siurina, u. a., Chor und<br />
Orchester des Royal Opera<br />
House, Pappano; Regie: Jones<br />
(2011)<br />
Typ: Blu-ray<br />
Tonformat: DD 2.0, DTS-HD 5.1<br />
Sprache: IT<br />
Untertitel: IT, D, E, F, ES<br />
Extras: Interviews<br />
Kunst:<br />
Ton:<br />
KLANGTIPP Bild:<br />
Opus Arte BD7102 D (180 Min. + 20 Min. Bonus)<br />
Das von <strong>der</strong> Lektüre Dantes inspirierte Opern-<br />
Triptychon „Il Trittico“ ist für Regisseure offenbar<br />
eine schwierige Übung. Selten gelingen die<br />
drei Einakter, die nach Puccini Hölle, Fegefeuer<br />
und Himmel repräsentieren sollten, gleichermaßen<br />
schlüssig. Umso überzeugen<strong>der</strong> ist die<br />
Londoner Produktion von Richard Jones: In „Il<br />
Tabarro“ deutet er es als realistisches Außenseiterdrama<br />
in einer trostlosen Vorstadtszenerie. In<br />
„Gianni Schicchi“ aktualisiert er die Komödie<br />
mit britischem Humor: <strong>Der</strong> Protagonist ist ein<br />
verschlagener italienischer Einwan<strong>der</strong>er in den<br />
1960er-Jahren. Das oft stiefmütterlich behandelte<br />
Nonnen-Drama „Suor Angelica“ hat Jones<br />
in die Kin<strong>der</strong>krankenstation eines Klosters verlegt.<br />
Wenn dann Angelica im Todeskampf ein<br />
krankes Kind für den eigenen Sohn hält, verweigert<br />
Jones das auskomponierte Wun<strong>der</strong>, eröffnet<br />
aber einen schonungslosen Blick auf die<br />
Repression einer lieblosen Gesellschaft. Mit Eva-<br />
Maria Westbroek (Giorgetta), Aleksan<strong>der</strong> Antonenko<br />
(Luigi), Anna Larsson (Principessa) und<br />
Lucio Gallo (Michele, Schicchi) ist ein tolles<br />
Ensemble aufgeboten. Als Suor Angelica ist die<br />
hingebungsvolle Ermonela Jaho ein Traum.<br />
Überzeugende Produktion – mit Antonio Pappano<br />
am Pult, <strong>der</strong> mit breiten Tempi für Wohllaut<br />
und kalkulierte Dramatik sorgt.<br />
Miguel Cabruja<br />
OPER<br />
KLANGTIPP<br />
EuroArts 2072564 (173 Min.)<br />
Alban Berg: Lulu<br />
Petibon, Baumgartner, Breslik,<br />
Volle, Piffka, Grundheber,<br />
Mayer, u. a., Wiener Philharmoniker,<br />
Albrecht; Regie:<br />
Nemirova (2010)<br />
Typ: Blu-ray<br />
Tonformat: DD 2.0, DTS-HD 5.1<br />
Sprache: D<br />
Untertitel: D, E, F, IT, Chi, Jap, Kor<br />
Extras: –<br />
Kunst:<br />
Ton:<br />
Bild:<br />
Die Schlange Lulu greift dem Dompteur im ersten<br />
Bild beherzt in den Schritt, halbnackt herumkriechende<br />
Herren verstärken die Liebhaber-<br />
Schar <strong>der</strong> Femme fatale, ein aufblasbarer Dildo<br />
füllt die Bühne: In Vera Nemirovas „Lulu“-Inszenierung,<br />
die 2010 in Salzburg Premiere hatte,<br />
ist die Personenregie wohl explizit, doch ohne<br />
die geschmacklichen Entgleisungen, die man<br />
von sogenannten „Skandal-Inszenierungen“<br />
kennt. <strong>Der</strong> dritte Akt beginnt im Zuschauerraum;<br />
nur kann man den Bühnen-Effekt am Bildschirm<br />
lei<strong>der</strong> kaum nachvollziehen, und seine Bedeutung<br />
für Regiekonzept wird genauso wenig klar<br />
wie die bühnenfüllenden Gemälde von Daniel<br />
Richter. Dass diese Produktion den Zuschauer<br />
dennoch nicht loslässt, liegt an den engagierten<br />
Sängerdarstellern: Patricia Petibons gefühlskalte,<br />
animalische Lulu gehört schauspielerisch wie<br />
vokal zu den überzeugendsten Interpretationen<br />
<strong>der</strong> jüngeren Aufführungsgeschichte. Tanja A.<br />
Baumgartner ist eine berührende Geschwitz, Michael<br />
Volle ein persönlichkeitsstarker Darsteller<br />
des Dr. Schön und Jack the Ripper. Eine facettenreiche<br />
Woody-Allen-Ausgabe des Intellektuellen<br />
bietet Thomas Piffka als Alwa.<br />
Albrecht zelebriert die Schönheiten <strong>der</strong> von Friedrich<br />
Cerha vollendeten Partitur und unterstreicht<br />
ihre Nähe zur Klangwelt <strong>der</strong> Spätromantik.<br />
Miguel Cabruja<br />
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