5. Bericht zur Lage der Kinder - derStandard.at
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Ein Organismus Schule – Lernwerkst<strong>at</strong>t im Wasserschloss (Kay Mühlmann)<br />
Mag. Kay Mühlmann<br />
Wissenschaftler, Chefredakteur <strong>der</strong> Zeitschrift „freigeist“<br />
Ein Organismus Schule –<br />
Lernwerkst<strong>at</strong>t im Wasserschloss<br />
Die Lernwerkst<strong>at</strong>t im Wasserschloss: Leben mit<br />
einer Modellschule. Ein persönlicher Erfahrungsbericht<br />
von Kay Mühlmann<br />
Während des Hochwassers 2002 habe ich das erste<br />
Mal von <strong>der</strong> Lernwerkst<strong>at</strong>t gehört, als ich, vor einer gesperrten<br />
Donaubrücke gestrandet, in einem Wirtshaus<br />
warten musste. Ein Leidensgenosse, mit dem<br />
ich ins Gespräch kam, erzählte mir von <strong>der</strong> Schule<br />
seiner Kin<strong>der</strong>: Eine Schule ohne Lehrer, ohne Unterricht<br />
und ohne Klassen, in <strong>der</strong> die Kin<strong>der</strong> selbstbestimmt<br />
aus sich heraus lernten. Es klang interessant<br />
genug, um uns diese Schule anzuschauen. Nach<br />
einigen Besuchen und vielen Gesprächen haben wir<br />
beschlossen das Wagnis einzugehen und ließen unsere<br />
Kin<strong>der</strong> diese beson<strong>der</strong>e Schule besuchen.<br />
Die Lernwerkst<strong>at</strong>t ist eine Schule, aber sie ist auch<br />
mehr als das, sie ist wie ein Organismus. Sie besteht<br />
hauptsächlich aus Beziehungen. Den Beziehungen<br />
zwischen den Kin<strong>der</strong>n und jenen zwischen Kin<strong>der</strong>n<br />
und BegleiterInnen (Lehrer im klassischen Sinn gibt<br />
es hier nicht), den Beziehungen zwischen den Eltern<br />
und jenen <strong>der</strong> Eltern mit <strong>der</strong> Schule. Und vor allem<br />
auch aus den Beziehungen <strong>der</strong> Eltern zu ihren Kin<strong>der</strong>n.<br />
Es besteht aus einem andauernden Austausch,<br />
einem ständigen voneinan<strong>der</strong> Lernen. Aus Kontakt<br />
zu- und miteinan<strong>der</strong>.<br />
Die Lernwerkst<strong>at</strong>t ist kein neues Projekt. Sie wurde<br />
1990 von einer Gruppe von Eltern im nie<strong>der</strong>österreichischen<br />
Herzogenburg gegründet. 1998 übersiedelte<br />
die Schule an ihren jetzigen Standort, in<br />
das Wasserschloss in Pottenbrunn. Ein Renaissanceschloss,<br />
umgeben von einem Wassergraben und<br />
einem großen parkähnlichem Garten, wo den ca.<br />
100 SchülerInnen 1200m 2 für ihre Aktivitäten <strong>zur</strong><br />
Verfügung stehen. Die Lernwerkst<strong>at</strong>t ist damit die<br />
größte Priv<strong>at</strong>schule Österreichs in freier Trägerschaft.<br />
Anstelle von Klassenzimmern ist das Schloss<br />
in Bereiche unterteilt, in denen sich die Kin<strong>der</strong> zum<br />
Lernen frei bewegen können. Diese Bereiche sind:<br />
ein M<strong>at</strong>hem<strong>at</strong>ik-, Sprach- und ein Weltbereich,<br />
ein Bereich für Rollenspiel und Bewegung, Musikzimmer,<br />
Küche, Werkst<strong>at</strong>t und ein Außenbereich<br />
mit Bäumen, Teich, Schmiede, Ballspielplätzen etc.<br />
Ab zwölf Jahren stehen den Jugendlichen eigene<br />
Räumlichkeiten <strong>zur</strong> Verfügung, die sogenannte<br />
Sekundaria. Bei ihren Aktivitäten werden die Schüler-<br />
Innen von LernbegleiterInnen unterstützt. Prinzipiell<br />
deckt die Lernwerkst<strong>at</strong>t die 9 Jahre <strong>der</strong> Schulpflicht<br />
ab. Seit 1999 h<strong>at</strong> die Schule Öffentlichkeitsrecht, ihr<br />
Lehrplan ist vom Unterrichtsministerium approbiert.<br />
Die Kin<strong>der</strong> müssen sich also am Ende des Jahres<br />
keinen externen Prüfungen mehr stellen. Seit 2012<br />
ist die Lernwerkst<strong>at</strong>t die einzige österreichische<br />
Modellschule <strong>der</strong> Pl<strong>at</strong>tform „Schulen <strong>der</strong> Zukunft“<br />
des Göttinger Gehirnforschers Gerald Hüther. Die<br />
Lernwerkst<strong>at</strong>t publiziert Österreichs einzige Zeitschrift<br />
für Altern<strong>at</strong>ivpädagogik - den „freigeist“.<br />
Unser Anfang war interessant und überraschend,<br />
überwältigend. Schließlich konnten unsere Kin<strong>der</strong><br />
tun und lassen was sie wollten, konnten drinnen<br />
o<strong>der</strong> draußen sein und aus einer großen Menge<br />
von Aktivitäten wählen, ganz selbstbestimmt und<br />
ohne dass ihnen irgendjemand vorschrieb, wie und<br />
womit sie ihre Zeit verbringen mussten. Es gab keinen<br />
Stundenplan, keine Klassen und kein Stillsitzen.<br />
Unsere Kin<strong>der</strong> spielten. Sie spielten mit gleichaltrigen<br />
Kin<strong>der</strong>n genauso wie mit Älteren. Und dabei<br />
lernten sie, ganz nebenbei.<br />
Spiel ist das Lernen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>. Und im Spiel entwickeln<br />
sie jenes mentale Probehandeln, das die<br />
Grundvoraussetzung für tiefgehendes Lernen bildet.<br />
Freies Spiel und Bewegung sind eine Grundlage für<br />
schöpferische Intelligenz und den Aufbau von Verständnisstrukturen.<br />
Im freien Spiel verarbeitet ein<br />
Kind die Erfahrungen mit <strong>der</strong> äußeren Welt, glie<strong>der</strong>t<br />
Neues und Erlebtes ein, formt Eigenes, verän<strong>der</strong>t<br />
Abläufe, findet Lösungen und erschafft sich selbst<br />
in <strong>der</strong> Welt, in <strong>der</strong> es lebt. Spielend baut es die<br />
Basis für seine Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit<br />
auf.<br />
„Selbstbestimmt“, „Non-Direktivität“ und „vorbereitete<br />
Umgebung“ wurden zu den neuen Zauberwörtern.<br />
Die Lernwerkst<strong>at</strong>t ist eine Schule für<br />
selbstbestimmtes Lernen. Die Kin<strong>der</strong> bestimmen<br />
selber wann sie welche Tätigkeiten verrichten, ohne<br />
bestimmenden Einfluß von außen. Je<strong>der</strong> Mensch,<br />
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