5. Bericht zur Lage der Kinder - derStandard.at
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<strong>Bericht</strong> <strong>zur</strong> <strong>Lage</strong> <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendgesundheit in Österreich 2014<br />
Caritas <strong>der</strong> Erzdiözese Wien<br />
Vertrauen – Schritt eins in Sachen Beziehungsarbeit<br />
Die Lerncafés <strong>der</strong> Caritas bieten kostenlose Lernbetreuung<br />
für Kin<strong>der</strong> aus sozial benachteiligten Familien.<br />
Ein vertrauensvoller, respektvoller Umgang ist<br />
die Basis für dieses erfolgreiche „Zusammenlernen“<br />
– das zeigt die Arbeit im Lerncafé Wiener Neustadt.<br />
A. ist 12 Jahre alt und besucht die 2. Klasse einer<br />
Neuen Mittelschule. Im nie<strong>der</strong>österreichischen<br />
Industrie viertel lebt er seit knapp drei Jahren. Damals<br />
ist er gemeinsam mit seiner Familie vom Iran<br />
nach Österreich geflüchtet. Zu Beginn machte ihm<br />
die deutsche Sprache einige Probleme und in die<br />
Schule ging er nicht gerne. Von den LehrerInnen<br />
fühlte er sich nicht verstanden und auf Grund <strong>der</strong><br />
Schwierigkeiten in <strong>der</strong> Kommunik<strong>at</strong>ion fiel es ihm<br />
schwer, neue Freunde zu finden. Seit acht Mon<strong>at</strong>en<br />
kommt A. regelmäßig ins Lerncafé Wiener Neustadt.<br />
Für die LernbetreuerInnen vor Ort war <strong>der</strong> erste und<br />
wichtigste Schritt, das Vertrauen des Jungen zu gewinnen<br />
und sein Selbstbewusstsein zu stärken.<br />
„Beziehungsarbeit ist <strong>der</strong> Ausgangs- und Mittelpunkt<br />
unserer Arbeit“, meint Silvija Lovrinović-<br />
Adžaga. Sie ist Pädagogin und Lernverantwortliche<br />
im Lerncafé Wiener Neustadt. Dreimal wöchentlich<br />
unterstützt sie schulpflichte Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />
aus sogenannten „bildungsbenachteiligten“<br />
Familien – eine Arbeit, die beson<strong>der</strong>es Feingefühl<br />
und Einfühlungsvermögen von allen verlangt.<br />
Schließlich sind die Biografien und die gegenwärtigen<br />
Lebens situ<strong>at</strong>ionen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und ihrer Eltern<br />
oft von unterschiedlichsten Herausfor<strong>der</strong>ungen geprägt.<br />
Viele <strong>der</strong> SchülerInnen, die das Lerncafé besuchen,<br />
haben mit <strong>der</strong> Schule schlechte Erfahrungen gemacht.<br />
Sie sind verunsichert, zweifeln an sich selbst<br />
und haben Probleme im Umgang mit an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong>n.<br />
Um eine Beziehung zu ihnen aufzubauen<br />
und auch zu verfestigen, benötigen die meisten zu<br />
Beginn Unterstützung in Form einer Eins-zu-eins-<br />
Betreuung. Im schulischen Umfeld ist dies zumeist<br />
– vor allem aus Mangel an personellen Ressourcen<br />
– kaum möglich. In den Lerncafés ist das an<strong>der</strong>s.<br />
In Wiener Neustadt beispielsweise wird Silvija<br />
Lovrinović-Adžaga täglich von drei bis vier freiwilligen<br />
LernhelferInnen in ihrer Arbeit mit den Kin<strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen unterstützt.<br />
Es sind aber nicht nur die Kin<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Vertrauen<br />
man stärken muss, es sind auch die Eltern, die<br />
Hilfe und Unterstützung benötigen. Viele <strong>der</strong> Eltern,<br />
<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong> das Lerncafé in Wiener Neustadt besuchen,<br />
haben Ängste, wenn es um die „Institution<br />
Schule“ geht. Vor allem bei Eltern mit Migr<strong>at</strong>ionshintergrund<br />
fehlt oft das Wissen, wie das österreichische<br />
Bildungssystem funktioniert und wie sie<br />
sich darin einbringen können und sollten. Durch<br />
Gespräche, gemeinsame Elterntreffen und Freizeitaktivitäten<br />
können die Eltern in ihrer Rolle gestärkt<br />
werden, was sich auch positiv auf den Bildungserfolg<br />
ihrer Kin<strong>der</strong> auswirkt.<br />
Für A. h<strong>at</strong> sich seit seinem ersten Besuch im Lerncafé<br />
viel verän<strong>der</strong>t. Mittlerweile haben sich seine<br />
Noten dank <strong>der</strong> regelmäßigen Besuche stark verbessert<br />
und er konnte den Aufstieg in die nächste<br />
Klasse schaffen. Dies stärkte nicht nur sein Selbstwertgefühl,<br />
es h<strong>at</strong> ihm auch die Freude am Lernen<br />
wie<strong>der</strong>gegeben. Aber nicht nur in schulischen Belangen<br />
wurde die positive Entwicklung sichtbar,<br />
auch sozial konnte er von den Besuchen im Lerncafé<br />
profitieren. So h<strong>at</strong> er neue Freunde gefunden, die<br />
ihn auch außerhalb des Lerncafés begleiten.<br />
Vertrauen lässt sich nicht erzwingen. Es bedarf Geduld,<br />
Engagement und eines aufrichtigen Interesses<br />
an den SchülerInnen und ihren persönlichen<br />
Geschichten und Problemen. Ist das Vertrauen einmal<br />
hergestellt, ist <strong>der</strong> weitere Weg geebnet. Im<br />
Zentrum steht dann die Stärkung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen,<br />
die För<strong>der</strong>ung ihrer Individualität hin zu<br />
einer starken Persönlichkeit und die Unterstützung<br />
<strong>der</strong> Eltern, damit diese zu selbstbewussten FürsprecherInnen<br />
ihrer Kin<strong>der</strong> werden.<br />
Mag.a Martina Polleres · Caritas Wien/Missing Link<br />
Projektkoordin<strong>at</strong>orin <strong>der</strong> Lerncafés NÖ<br />
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