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Thermenland Magazin, März 2014

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RAT &TAT<br />

Und die Moral von der Geschicht’<br />

–die gibt es nicht!<br />

Schenkt man den täglichen Ausführungen<br />

der Medien Glauben, leben wir in einer<br />

Gesellschaft in der sich traditionelle<br />

Werte beinahe inflationär verabschieden.<br />

Landräte,die im Sog ihres Größenwahns<br />

regelrechte Orgien feiern.<br />

Volksvertreter,die ihren Amtsräumen<br />

mit heroischer Selbstverständlichkeit ihre<br />

Leidenschaften ausleben.<br />

C-Promis, die sich mit Hilfe abartiger<br />

Sende-Regularien und Verträge ins Rampenlicht<br />

prostituieren und uns ausgehungert<br />

in die finstersten Abgründe ihrer<br />

Seele blicken lassen.<br />

Gelebt wird von außen nach innen und<br />

nicht mehr umgekehrt!<br />

Der Schein übernimmt das Sein.<br />

Vermutlich sind solche und ähnlicheAusläufer<br />

Teil unserer übersättigten Gesellschaft.<br />

Vielleicht aber brauchen wir diese<br />

beispiellosen Narzissten, um unsere eigenen<br />

Abgründe besser kennen und verstehen<br />

zu lernen!Woher kommt diese<br />

ausbeutende Grenzenlosigkeit, nicht nur<br />

aufseiten derer,die uns vermeidlich<br />

„unterhalten“?<br />

Wir alle konsumieren (freiwillig oder<br />

nicht) diesen widerlichen Exhibitionismus<br />

mit offensichtlich stetig wachsendem<br />

Interesse.Man könnte eine steigende<br />

Faszination am Entsetzen vermuten, allerdings<br />

nur dann, wenn man nicht persönlich<br />

davon betroffen ist!<br />

Es ist aber auch denkbar,dass wir uns<br />

mit dieser Art von Unterhaltung stimulieren.<br />

Furchteinflößende und andersartige<br />

Situationen und Menschen bringen unsere<br />

Hormone in Wallung. Unser Körper<br />

wird mit steigender Aufregung (und Einschaltquote)<br />

mit Blut und Sauerstoff überschwemmt.<br />

Das kann durchaus aufregend<br />

und anregend sein…<br />

Das Schicksal anderer verschafft uns<br />

scheinbar den emotionalen Kick, den wir<br />

brauchen, um uns selbst besser zuspüren.<br />

Das angenehme an dieser Form der<br />

Unterhaltung liegt auf der Hand,der<br />

extremen Erregung kann im Ein- und Ausschalt-Takt<br />

unserer Glotze die tiefe Entspannung<br />

folgen. Schließlich ist es ja<br />

nicht die eigene Persönlichkeit,die<br />

öffentlich gegrillt wird,sondern die der<br />

Protagonisten.<br />

Was geht in einem Menschen vor,der<br />

ein öffentlichesAmt<br />

bekleidet und dennoch<br />

sich und seine<br />

(zum Teil betrügerischen)<br />

Unzulänglichkeiten<br />

und Bedürfnisse<br />

hemmungslos<br />

zur Schau stellt –<br />

selbst mit dem Risiko,dabei<br />

straffällig<br />

zu werden?<br />

Wie groß muss<br />

das Ego sein,wenn<br />

man ohne Rücksicht<br />

auf Verluste<br />

Foto: dapd<br />

(verhängnisvoll für Familie,Kinder) alle<br />

Register zieht, um Aufmerksamkeit zu<br />

erlangen.<br />

Aber noch viel spannender ist die Frage,was<br />

ein Millionen-Publikum antreibt,<br />

den Abgründen menschlicher Verfehlungen<br />

zu folgen, als ginge es um das eigene<br />

Leben.<br />

Nach Sigmund Freud liegt aus psychoanalytischer<br />

Sicht die Popularität dieser<br />

Figuren darin begründet,dass sie ausleben,<br />

was wir selbst in uns verdrängen:<br />

tief in uns verborgene sexuelle und<br />

aggressive Wünsche. Den Wunsch nach<br />

ungeteilter Aufmerksamkeit und verschwenderischem<br />

Reichtum,ohne Schuld<br />

und Schaden.<br />

Dabei leistet die Grande Dame der<br />

amerikanischen Gegenwartsliteratur,<br />

Joyce Carol Oates, noch einen entscheidenden<br />

Beitrag zu unserer persönlichen<br />

Entlastung: Wir solidarisieren uns nicht<br />

ausschließlich mit der Widerwärtigkeit<br />

46<br />

menschlicher Abhandlungen, nur weil sie<br />

uns auf- und anregen. Viel mehr noch<br />

identifizieren wir uns mit deren Opfer.<br />

Somit kann man negative Schlagzeilen,<br />

vorgeführte Promis und die Abartigkeiten<br />

einzelner Personen auch vonseiten des<br />

Beschädigten betrachten.<br />

Dieser weckt ebenso unsere Emotionen.<br />

Vor allem aber unser Mitgefühl.<br />

Nicht zuletzt durch strategische Verfehlungen<br />

und zweifelhafte Entscheidungen<br />

einiger politischer Verantwortlicher<br />

brachen während der Hochwasser-Katastrophe<br />

im letzten Jahr Staudämme und<br />

Schutzmauern. Mit ihnen auch die Existenzen<br />

und Herzen vieler Betroffener<br />

Menschen und Familien.<br />

Die Wut undVerzweiflung war groß,<br />

und richtete sich nicht nur gegen die<br />

Laune der Natur. Letztlich aber erhielten<br />

die Opfer des Unglücks die volle Aufmerksamkeit<br />

und schier grenzenlose Hilfe und<br />

Unterstützung aus ganz Deutschland.<br />

Das ist die Kehrseite und vielleicht<br />

doch eine<br />

erkennbare<br />

Moral:<br />

„Es gibt<br />

nichts<br />

Schlechtes, an<br />

dem nicht<br />

auch etwas<br />

Gutes ist.“<br />

Ihre Sabine<br />

Beham<br />

Foto: PR-Foto

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