das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Soziologie 281<br />
Soziologie<br />
Claessens, Dieter, und Karin Claessens: Kap i tal i s mus als Kult u r. Entstehung<br />
und Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft.<br />
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1979 (220 S., br., 10,- DM).<br />
Dieter Claessens hat (z.B. mit .Instinkt, Psyche, Geltung«,!. Aufl., 1970) Hervorragendes<br />
geleistet. Das vorliegende, zum erstenmal 1973 erschienene, Buch entbehrt<br />
nicht der Problematik, ist aber ebenfalls bemerkens- und lesenswert. Der glücklich gewählte<br />
Klammerbegriff (.Kapitalismus als Kultur«) wird stets gegenwärtig gehalten<br />
und bewahrt den in soziologischem Denken unerfahrenen Laienleser, um den es den<br />
Verfassern explizit geht, vorm Ertrinken in der Fülle des problemreichen Stoffes. Verallgemeinernde<br />
Schlüsse und Thesen werden durchweg von anschaulich geschilderten tatsächlichen<br />
Lebens-, Gesellschafts-, Wirtschafts- und Herrschaftsverhältnissen her entwickelt,<br />
wobei in Bereichen unverzichtbarer Differenzierung auch hin und wieder .mit<br />
der Lupe« sondiert wird, etwa beim Herausarbeiten des gegenüber England und Frankreich<br />
grundanderen, späten deutschen (.gemütlichen«) Kapitalismus bis 1871. Die seit<br />
Hobbes vorgeahnten, später von Marx tiefgreifend und gesellschaftskritisch ans Licht<br />
gebrachten zerstörerischen, ausbeuterischen, im Namen von Freiheit versklavenden<br />
Tendenzen des Kapitalismus werden schonungslos erörtert und ihre lebensentwurzelnden<br />
Wirkungen (breite, in Subkultur, Heimat- und »Familienlosigkeit« verstoßene<br />
Menschenmassen zugleich erzeugend, entrechtend, verschleißend) in vielen Aspekten<br />
beleuchtet, auch hinsichtlich des Sprengstoffs an eigenen Paradoxien, die sie, mitsamt<br />
der sie tragenden Bürgerklasse und bürgerlichen Kultur, der Selbstvernichtung und jedenfalls<br />
immer gewaltigeren Katastrophen zutreiben. Im Bemühen, die komplizierten<br />
Zusammenhänge in eine griffige Perspektive zu bekommen, wird außer auf Marx auch<br />
auf Max Webers religionssoziologische Erörterungen und auf E. Schraepler und Macpherson,<br />
unausgesprochen auch auf Sombart und Schumpeter, zurückgegriffen (etwa:<br />
Monotheismus als Vater des Besitzindividualismus und damit des Konkurrenzprinzips;<br />
wirtschaftlicher Erfolg als Erweis gnädigen göttlichen Wohlwollens, mithin auch der<br />
Berechtigung zu gutem Gewissen).<br />
Während einige großperspektivische Bahnen (auch historische Entwicklungen) anschaulich<br />
vor Augen geführt werden, fehlen ebenfalls naheliegende (und auch in der<br />
Literatur bereits erörterte) andere. Anläßlich eines Hinweises auf mangelnde eigenschöpferische<br />
Kraft des Kapitalismus hinsichtlich Religion, Recht (?) und Baustil hätte<br />
der zuschauerhafte Historismus der kapitalistischen Kultur als für sie wesentliches Moment<br />
der Erörterung bedurft: die Aneignung fremder und geschichtlich zurückliegender<br />
Kulturgüter in ästhetizistischer Haltung (Konsumentenhaltung, nicht echt-existentielle<br />
Beteiligtheit), und dies geradezu im Sinne von Entwertung, Verschleiß, Verbrauch<br />
(Beispiel: die Entwürdigung von Eingeborenenfolklore zur Globetrotterunterhaltung).<br />
Der Einbezug dieses Bereichs könnte neben Gebrauchs- und Tauschwert-Einstellung<br />
geradezu noch eine dritte, die »Freizeitwert«- oder »Beiwert«-Einstellung diskutabel<br />
machen. Im gleichen Zusammenhang vermißt man die Behandlung der radikal<br />
zerstörerischen Auswirkungen des abendländischen Kapitalismus auf die Kolonialländer.<br />
Hier legt sich der Terminus »Kapitalismus als Kulturzerstörer« nahe, wobei allerdings<br />
der Zusammenhang mit der vorkapitalistischen Geschichte hätte einbezogen werden<br />
müssen. Auch eine nicht nur beiläufige Abhandlung der Gegner des Kapitalismus,<br />
der Gewerkschaften und Arbeiterparteien und der Sowjetunion, wäre erwünscht gewesen<br />
- UdSSR als ein zwar fragwürdiges »Gegensystem« zur kapitalistischen<br />
Gesellschafts- und Marktorganisation, aber dessen ungeachtet für den Gesamtzusammenhang<br />
kaum weniger wichtig als die breite Darstellung des vorausgegangenen »Gegensystems«,<br />
des Feudalismus. Auch der Gegenbegriff zur Marktwirtschaft, der der<br />
DAS ARGUMENT 120/1980 :8