das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Ursula Rünen<br />
Vereinigte Arbeit und kollektive Politik in Jugoslawien<br />
Jugoslawien hat schon seit langem einen Stammplatz in der politischen Literatur und<br />
den Kommentarspalten der westlichen Medien. Hatte es doch vor gut 30Jahren eine ~<br />
nicht zuletzt für uns tastende Demokraten in der Bundesrepublik ~ reizvolle Konsequenz<br />
aus jenem Bruch mit dem Ostblock gezogen, nämlich Abkehr vom erstarrten<br />
Dogma des »realen Sozialismus« und Offenheit für eine spezifische politische und gesellschaftliche<br />
Identität. Bleibt man beim Maßnehmen am spitzen Bleistift westlicher<br />
Publizisten, so hat es mehr und mehr den Anschein. als ob bei diesen der Popularitätskurs<br />
des jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus ähnlich inflationäre Tendenzen<br />
aufweist wie der Kurs des jugoslawischen Dinar. Der Jahre überdauernde Vertrauenskredit<br />
auf <strong>das</strong> jugoslawische Modell eines demokratischen Sozialismus scheint zu<br />
schrumpfen. l Nicht selten sind Kassandrarufe zu vernehmen, die den Abtritt von<br />
Staats- und Parteichef Tito von der politischen Bühne seines Landes mit einem Staatsbankrott<br />
gleichsetzen.<br />
Dabei hat sich in jüngster Zeit wahrnehmbar <strong>das</strong> Bemühen führender jugoslawischer<br />
Kreise verdichtet, <strong>das</strong> Schwergewicht demokratischer und stabilitätsorientierter Errungenschaften<br />
des Landes auf die Haben-Seite seines gesellschaftspolitischen Kontos zu<br />
verlagern. Signifikante Merkmale dieser Bestrebungen:<br />
<strong>das</strong> Gesetz über die vereinigte Arbeit (1976)<br />
kollektive politische Führung<br />
Edvard Kardeljs Thesen über den »Pluralismus der Selbstverwalrungsinteressen« (als<br />
Komponente richrungsweisender gesellschaftspolitischer Grundsätze auf dem 11.<br />
Bundeskongreß des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens [BdKJl im Juni 1978).<br />
Gesellschaftliche Selbstverwaltung ~ Fortsetzung der Revolution mit anderen Mitteln<br />
Den jugoslawischen Selbstverwaltungs-Sozialismus auf den Begriff zu bringen setzt<br />
zunächst voraus, ihn nicht als Modell für andere Länder zu plakatieren. Die Selbstverwaltung<br />
in Jugoslawien hat eine eigene Geschichte und ein eigenes Selbstverständnis<br />
von gesellschaftlichen Zielen und Mitteln. Die jugoslawische Gesellschaft ist geprägt<br />
durch einen kaum übertragbaren intranationalen Interessenpluralismus. Hier ist Selbstverwaltung<br />
~ nach dem Volksbefreiungskampf von 1941 bis 1945 ~ ein weiteres Kapitel<br />
einer sozialistischen Revolution; der Enrwicklungsprozeß 111 Richtung einer Lebensgemeinschaft<br />
freier, sich selbst bestimmender Menschen ohne staatliches Reglement.<br />
Im besonderen bedeutet jugoslawischer Selbstverwaltungssozialismus ein Kommunikationssystem.<br />
Die bloße Reduktion auf <strong>das</strong> ökonomische Cmfeld einer innerbetrieblichen<br />
Selbstverwaltung wäre ebenso unzulänglich wie es der Versuch ist, vom bürgerlich-kapitalistischen<br />
Vorverständnis eines Mitbestimmungsmodells ausgehend konvergenztheoretische<br />
Bande mit dem jugoslawischen System knüpfen zu wollen 2 Die Forderung<br />
nach Mitbestimmung ist in der Tat in erster Linie eine innerbetriebliche Angelegenheit.<br />
Ihre Wirkungsweise beruht auf Zusammenarbeit und Partnerschaft der Produzenten<br />
auf der einen und der Kapitaleigentümer auf der anderen SeHe. Die Problematik<br />
divergierender Klasseninteressen bleibt ebenso ausgeklammert wie deren Neubestimmung<br />
(einer »erweiterten Arbeiterklasse«).