02.03.2014 Aufrufe

Das Argument 88 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument 88 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument 88 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Naturgeschichte als Erkenntnis- und Gesellschaftstheorie 813<br />

können, selbst wieder für angeboren zu erklären, gibt endlich auch<br />

der Dialektikdiskussion neue Impulse: „Die Einteilung der Welt in<br />

Gegensatzpaare ist ein uns angeborenes Ordnungsprinzip, ein apriorischer<br />

Denkzwang urtümlicher Art" (238).<br />

IV. Grenzen der naturhistorischen Konzeption von Lorenz<br />

1. Die physiologischen Grundlagen des menschlichen Erkenntnisvorganges<br />

haben immer zwei naturhistorische Dimensionen: Eine<br />

phylogenetische und eine ontogenetische. Lorenz beschränkt sich in<br />

der „Rückseite des Spiegels" ausschließlich auf den phylogenetischen<br />

Entwicklungsaspekt, von denen einige elementare psychische Verarbeitungsmechanismen<br />

primitiver Organismen wie Kinesen, phobische<br />

Reaktion usw. für die menschliche Orientierung selbst mehr<br />

von theoretischer Bedeutung sind. Außerdem ergibt natürlich die<br />

Systematik einer phylogenetischen Aufeinanderfolge verschiedener<br />

Entwicklungsformen des Psychischen bei Tieren noch keine Erkenntnistheorie,<br />

solange sie nicht mit der spezifisch gesellschaftlichen Natur<br />

des menschlichen Wahrnehmungs- und Denkvorganges in Beziehung<br />

gesetzt wird. Gerade die ontogenetische Struktur z. B. des<br />

visuellen Wahrnehmungssystems des Menschen — selbst wieder<br />

Ergebnis der phylogenetischen Entwicklung — ist in dem morphologischen<br />

und physiologisch-funktionellen Aufbau sehr gut bekannt<br />

und hätte einen Einblick in die Abhängigkeit des Wahrnehmungsprozesses<br />

von seinen biologischen Grundlagen vermitteln können. 9<br />

2. Innerhalb der phylogenetischen Entwicklung wird bestimmten<br />

Entwicklungssprüngen wie dem Übergang vom Tier zum Menschen<br />

nicht die ihnen zukommende Bedeutung zugemessen; sie erscheinen<br />

lediglich in der Abstufung der einzelnen ethologischen Begriffe oder<br />

lernpsychologischer Kategorien. <strong>Das</strong> Tier-Mensch-Übergangsfeld,<br />

Verhaltensformen bei Primaten, die Entstehung des Werkzeuggebrauchs<br />

usw. als die Problembereiche, die den qualitativen Unterschied<br />

zwischen psychischen Prozessen bei Tieren und dem menschlichen<br />

Bewußtsein naturwissenschaftlich genauer begründen könnten,<br />

finden keine Erwähnung.<br />

3. Obwohl die „Rückseite des Spiegels" stark naturphilosophisch<br />

orientiert ist, verfügt Lorenz über keine allgemeine <strong>Theorie</strong> der Naturgeschichte.<br />

An deren Stelle rückt die Evolutionstheorie, die zugleich<br />

auch die allgemeinste <strong>Theorie</strong> der Entwicklung gesellschaftlicher<br />

Organisation wird, da eine <strong>Theorie</strong> der Eigengesetzlichkeit<br />

ökonomischer Entwicklung als Geschichte und ihr Unterschied zur<br />

Naturgeschichte ebenfalls fehlt. Die überdimensionale Funktion der<br />

9 Dazu gehören z. B. der Aufbau der Netzhaut aus spezifischen Photorezeptoren<br />

für Helligkeits- und Farbensehen, verschiedene Adaptionsprozesse,<br />

der Einfluß retinaler rezeptiver Felder auf solche Wahrnehmungsphänomene<br />

wie der Simultankontrast oder die Gesetzmäßigkeiten<br />

der Zuordnung verschiedener Photorezeptoren zu Neuronengruppen im<br />

visuellen Cortex und damit verbundene Widerspiegelungsprobleme.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!