Das Argument 88 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Geschichte 991<br />
Gustav Schmidt. Schmidt untersucht die These, „daß das Bürgertum<br />
als soziale Klasse der Parlamentarisierung des Staatslebens und<br />
damit dem Anschluß der deutschen an die westeuropäische Verfassungsentwicklung<br />
keinen entscheidenden Wert mehr beimaß", und<br />
stellt — zumindest für die Nationalliberale Partei — die Gegenthese<br />
auf, ihrem Selbstverständnis nach sei die Position der Nationalliberalen<br />
als „politischer Partei der Mitte" dadurch geprägt worden,<br />
daß eine „Polarisation in Reaktion und radikale Demokratie" hätte<br />
verhindert werden sollen (209). Wenngleich seiner Kritik an der<br />
Gleichsetzung von Gesamtbürgertum und Nationalliberalismus zu<br />
folgen sein wird, so sind doch seine Thesen zunächst von nur begrenzter<br />
Tragweite, weil sie nicht vom Selbstverständnis der Partei<br />
abstrahieren und den Anspruch der Nationalliberalen, in der „Rolle<br />
der Regierungspartei als Wegbahner des modernen Staates" (214) zu<br />
wirken, als Realitätsprojektion nehmen. Seine Thesen wären durchaus,<br />
und dies gegen die einschränkende Vorbemerkung Ritters (189),<br />
mit einer Gegenposition wie der des DDR-Historikers Schwab zu<br />
konfrontieren und zu korrigieren gewesen, wodurch die doch weitentwickelte<br />
DDR-Geschichtsforschung über die bürgerlichen Parteien,<br />
wie sie in Jena vertreten wird, in den auch methodisch-methodologischer<br />
Diskussion dienenden Sammelband eingefügt worden<br />
wäre.<br />
Der Abschnitt über' den politischen Katholizismus wird von einer<br />
wichtigen Abhandlung Morseys beherrscht, der die ambivalente<br />
Stellung des Zentrums, sowohl Blitzableiter als auch Träger der<br />
Reichspolitik zu sein, herausarbeitet und — im Gegensatz zu der von<br />
der Wählerbasis her argumentierenden Volksparteikonzeption (vgl.<br />
etwa Nipperdey!) — die Aktivität der Partei zum Bewertungskriterium<br />
macht. Morsey konstatiert, daß sich das Zentrum „allzu" weitgehend<br />
„an Methoden und Ziele, an Kulturbild und Wertrangordnung<br />
des Kapitalismus und damit an einen Staat, der von der organisierten<br />
Arbeiterschaft als Staat der besitzenden Schichten bekämpft<br />
wurde", anglich (287) und der „Gefahr einer Übersteigerung des nationalen<br />
Volkstumsgedanken" erlag (ebd. und 289 ff.).<br />
Der am schlechtesten konzipierte Teil des Sammelbandes scheint<br />
mir der Abschnitt über die politische Arbeiterbewegung zu sein.<br />
Köllmanns Aufsatz, von dem sich Ritter zu distanzieren scheint (310)<br />
und auf den man wegen des Abdrucks an anderer Stelle der NWB<br />
gut hätte verzichten können, geht den Ursprüngen der Sozialpartnerschaft<br />
nach und befürwortet unkritisch die — wie auch immer geartete<br />
— Integration der Arbeiterschaft in den Staat.<br />
Insgesamt gesehen, informiert der Band über den Stand und die<br />
Möglichkeiten der westdeutschen Parteigeschichtsschreibung. Im Gegensatz<br />
zu dem mit ihm in engem inhaltlichen Zusammenhang stehenden<br />
Reader über die deutschen Interessenverbände werden hier<br />
die methodischen Ansprüche der Buchreihe eingelöst; allerdings hätten<br />
unbedingt Aufsätze von DDR-Historikern aufgenommen werden<br />
müssen, denen Ritter bescheinigt, die „historische Parteienforschung<br />
... durch eine Reihe von auf breiter Quellenbasis beruhenden Mo-