Das Argument 88 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Werner Haberditzl<br />
Sir Karls neue Kleider<br />
Bemerkungen zu Poppers Entwurf einer <strong>Theorie</strong> der<br />
objektiven Erkenntnis<br />
„Nach meiner Auffassung ist der größte Skandal der Philosophie,<br />
daß, während um uns herum die Natur — und nicht nur sie — zugrunde<br />
geht, die Philosophen weiter darüber reden — manchmal<br />
gescheit, manchmal nicht —, ob diese Welt existiert. Sie treiben<br />
Scholastik, beschäftigen sich mit sprachlichen Problemen wie dem,<br />
ob es Unterschiede zwischen ,sein' und ,existieren' gibt. ... Unter<br />
diesen Umständen muß man sich entschuldigen, wenn man Philosoph<br />
ist, besonders wenn man (wie ich es, wenn auch nur nebenbei,<br />
vorhabe) etwas ausspricht, was eine Trivialität sein sollte, nämlich<br />
den Realismus, die These, daß die Welt wirklich ist. Welche Entschuldigung<br />
habe ich?<br />
Folgende. Wir haben alle unsere Philosophien, ob wir dessen<br />
gewahr werden oder nicht, und die taugen nicht viel. Aber ihre<br />
Auswirkungen auf unser Handeln und unser Leben sind oft verheerend.<br />
Deshalb ist der Versuch notwendig, unsere Philosophien durch<br />
Kritik zu verbessern. <strong>Das</strong> ist meine einzige Entschuldigung dafür,<br />
daß es überhaupt noch Philosophie gibt." (44)<br />
Mit dieser „Entschuldigung", die jedoch eine Anklage sein soll,<br />
leitet Popper im zweiten Aufsatz seines neuen Buches „Objektive<br />
Erkenntnis" 1 ein energisches „Plädoyer für den Realismus des Alltagsverstandes<br />
und gegen die Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes"<br />
ein. <strong>Das</strong> Zitat macht deutlich, daß es bei dieser Sammlung von<br />
Vorträgen und Aufsätzen Popper besonders darum geht, seine als<br />
„realistisch" deklarierte Erkenntnistheorie schärfer als früher gegenüber<br />
dem Neopositivismus abzugrenzen. Die erkenntnistheoretischen<br />
Positionen, die Popper bereits in seinen Büchern „Logik der Forschung"<br />
2 und „Conjectures and Refutations" 3 abgesteckt hat, werden<br />
hier weiter ausgebaut und vor allem verdeutlicht.<br />
Der aufmerksame Leser wird in einigen versteckten Fußnoten<br />
überraschenderweise beinahe respektvolle Erwähnungen des Begriffs<br />
„Materialismus" entdecken. (Noch in „Logik der Forschung"<br />
tauchte dieser Begriff nur einmal auf, und zwar synonym mit „mechanistisch".)<br />
Diese scheinbar nebensächliche Feststellung führt jedoch<br />
auf das in fast allen Aufsätzen auftretende, nicht nur für Pop-<br />
1 Popper, Karl Raimund: Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer<br />
Entwurf. Hoffmann und Campe, Hamburg 1973 (417 S„ br., 36,— DM);<br />
englisches Original: Objective Knowledge. Oxford 1972.<br />
2 K. R. Popper: Logik der Forschung. Wien 1934.<br />
3 K. R. Popper: Conjectures and Refutations. London 1963.