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Das Argument 88 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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864 Manfred Wetzel<br />

chende Aussagen gemacht werden; das bedeutet, daß einem Sachverhalt<br />

x, der die Eigenschaft F in bestimmter Hinsicht und zu einer<br />

bestimmten Zeit eindeutig besitzt, diese Eigenschaft F in eben dieser<br />

Hinsicht und bezüglich dieser Zeit zugesprochen und zugleich abgesprochen<br />

wird. Die beiden Aussagen ,,3x(FxAx(t))" und ,,-i3x(FxAx(t))"<br />

widersprechen einander; sie können jedoch nicht deshalb nicht zugleich<br />

gemacht werden, weil sie einander widersprechen, sondern<br />

weil beide zusammen dem von ihnen dargestellten Sachverhalt widersprechen.<br />

Dies muß auch für Popper so sein, der ja von einer<br />

Korrespondenztheorie der Wahrheit ausgeht, gemäß der sich eine<br />

<strong>Theorie</strong> über die Wirklichkeit nach der Beschaffenheit derselben zu<br />

richten hat. Zum anderen kann jedoch das Auftreten eines Widerspruchs<br />

in einer <strong>Theorie</strong> auch besagen, daß der zum Gegenstand gemachte<br />

Sachverhalt x in sich selbst widerspruchsvoll ist, ihm also in<br />

derselben Hinsicht und zu derselben Zeit die Eigenschaft F zukommt<br />

und nicht zukommt. Dann können, ja müssen die beiden einander<br />

widersprechenden Aussagen„3x(FxAx(t))"und„~'3x(FxAx(t))"tatsächlich<br />

zugleich gemacht werden. Aber es kann nicht zugleich behauptet<br />

und geleugnet werden, diese beiden Aussagen treffen zugleich zu;<br />

oder es kann nicht behauptet werden, diese beiden Aussagen treffen<br />

zugleich zu und sie treffen auch nicht zugleich zu. Auch diese Feststellung<br />

steht in Übereinstimmung mit dem Korrespondenzprinzip<br />

der Wahrheit; denn wenn ein Sachverhalt in sich selbst widerspruchsvoll<br />

ist, dann ist dieser widerspruchsvolle Charakter u. U. in<br />

einander widersprechenden Sätzen darzustellen, aber es kann nicht<br />

zugleich das Gegenteil behauptet werden. Die erforderliche Widerspruchsfreiheit<br />

der <strong>Theorie</strong> liegt hier eine Reflexionsstufe höher, d. i.<br />

auf der metasprachlichen Ebene 2 . Diese Widerspruchsfreiheit auf der<br />

metasprachlichen Ebene bzw. auf der obersten im Spiele befindlichen<br />

metasprachlichen Ebene ist nichts anderes als ein Ausdruck der Notwendigkeit<br />

der Konsistenz des Denkens mit sich selbst.<br />

Wie hält es nun Popper mit den „Dialektikern" bzw. wie halten es<br />

die „Dialektiker" in Poppers Augen mit diesen beiden Formen des<br />

Widerspruchs in der <strong>Theorie</strong>? Wenn Popper selbst kein Dogmatiker<br />

sein will, dann müßte er im zweiten Fall den Widerspruch zulassen,<br />

ja sogar selbst fordern; und in seiner Kritik an den „Dialektikern"<br />

müßte er selbst eben diese Differenzierung vornehmen.<br />

2 Es ist allerdings keineswegs von vornherein auszuschließen, daß<br />

Widersprüche in der Wirklichkeit um eine Stufe komplizierter sind, nämlich<br />

so, daß zwei einander widersprechende Sachverhalte und auch die<br />

sie darstellenden Aussagen zugleich zutreffen und auch nicht zutreffen;<br />

die Widerspruchsfreiheit liegt dann auf der metametasprachlichen Ebene.<br />

<strong>Das</strong> ist jedoch nur in solchen Fällen möglich, in denen die Realität Selbstbewußtsein<br />

besitzt, folglich zur Selbstreflexion fähig ist und diese Selbstreflexion<br />

selbst für ihre Struktur wesentlich ist. Zu denken wäre dabei<br />

an die widersprüchlichen Intersubjektivitätsstrukturen, in denen zu dem<br />

objektiv vorliegenden Widerspruch auch noch die — notwendig — widersprüchliche<br />

Selbstreflexion hinzukommt; s. hierzu Teil 4 dieses Aufsatzes.

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