Programm Kolleg Friedrich Nietzsche 2013 - Klassik Stiftung Weimar
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Die Rückkehr der Fellows in residence<br />
47<br />
Ulrike Eichler<br />
Poesie des Begehrens<br />
Im Jahr 2007 stand Ulrike Eichlers Fellowship unter dem Titel »Poesie<br />
des Begehrens« und ging der Frage nach Transzendenz als Möglichkeitsraum<br />
eines Anderen zur angeblichen Alternativlosigkeit der Wirklichkeit<br />
nach, die in der Diesseitigkeit der Erfahrung aufzufinden sein<br />
sollte. Diese Dimension von Erfahrung zeigt sich im Begehren.<br />
Die Ausgangsfrage lautete: Wenn das, wovon wir wollen, dass es<br />
sein soll, das Mögliche, das Gute, sich nicht einfach mit den Mitteln der<br />
Kritik finden lässt und auch nicht durch eine universale Idee, dann<br />
muss es etwas zu tun haben mit dem einzelnen und je besonderen,<br />
dem einzelnen Wünschen und Begehren. Denn das birgt eine Differenz<br />
in sich zum Vorfindlichen, zu dem, was ist. Das Poetische ist dem auf<br />
der Spur: als Wahrnehmung des Wirklichen, als Aufmerksamkeit für<br />
das Mögliche.<br />
Mit der Frage nach der Poesie war bereits die nach der Sprache,<br />
nach den Bedingungen der Möglichkeit, sich selbst zur Sprache bringen<br />
zu können, gestellt. Hannah Arendt bestimmt solchen Selbstausdruck,<br />
gemeinsam mit dem Handeln, als die beiden wesentlichen<br />
Momente menschlicher Freiheit. Das heißt für sie als die beiden<br />
wesentlichen Momente des Sinns menschlicher Existenz.<br />
Während des »Rückkehr-Fellowships« 2012 sollte die angedeutete<br />
Fragestellung nun differenztheoretisch ausgelotet werden. Mit dem<br />
Horizont von Differenzdenken ist bereits <strong>Friedrich</strong> <strong>Nietzsche</strong> aufgerufen,<br />
der als einer der ersten maßgeblichen Denker gegenwärtigen Differenz-Denkens<br />
verstanden werden kann. Im Anschluss an Arendt und<br />
an <strong>Nietzsche</strong> soll die Frage nach der Möglichkeit, sich sprechend selbst<br />
zum Ausdruck bringen zu können, im Sinne der sexuellen Differenz<br />
zugespitzt werden. Sie lautet dann: Wie ist unter den Bedingungen der<br />
herrschenden symbolischen Ordnung ein Gespräch zwischen Männern<br />
und Frauen möglich, in dem der jeweilige geschlechtlich bestimmte<br />
Selbstausdruck zum Tragen kommen und Verständigung möglich werden<br />
kann? Oder im Horizont des Denkens der italienischen Philosophinnen<br />
von DIOTIMA und der Libreria delle donne di Milano gesprochen,<br />
denen die Überlegungen gelten sollen: Wie kann das Symbolische<br />
selbst auf eine neue Weise so in den Blick genommen werden,<br />
dass Selbstausdruck und Verständigung möglich werden, ohne dass die<br />
sexuelle Differenz im Dialog zwischen den Geschlechtern verschwindet,<br />
geleugnet oder gelöscht werden muss? ›››